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Re: [InetBib] Alternde Türsteher der Wissenschaft



Wir sprechen hier nicht über die Millionen Bücher die auch heute noch gedruckt und gekauft werden, auch nicht von Beleidigungsversuchen („ideologisch bornierte Bibliothekar“ wer das immer sein mag), wir sprechen von der absehbaren Zukunft, auf die sich Bibliotheken und Verleger z.B. durch www.iversity.org einstellen müssen und davon was einige hoffen oder glauben und andere wissenschaftlich leicht vorhersehen können. Das ist der Sinn von Wissenschaft.

In dieser Welt bekommt man rechtmäßig weit mehr geschenkt, als viele Menschen meinen, die einerseits dreist behaupten, man bekäme im Leben nichts geschenkt, und andererseits die Gratismentalität anprangern. So bekommen wir das Leben, jeden neuen Tag, jede Nacht, die Luft zum Atmen etc., und auch all das was liebe Lebewesen uns täglich geben geschenkt. Das verändert sich aber schlagartig bei allen Dienstleistungen fremder Menschen, die uns mit allen Tricks unser Geld oder unsere Arbeitsleistung direkt oder indirekt und professionell abluchsen wollen. Beliebtester Trick, man schenkt uns eine Information, die uns dazu verleitet etwas zu kaufen. Dazu gehört auch Massive Open Online Course – MOOC (to mooch gesprochen, bedeutet etwas kostenlos zu bekommen bzw. etwas abstauben), das uns in den USA zunehmend kostenlos angeboten wird, damit man letztendlich immer mehr von führenden Ausbildungseinrichtungen (Privatschulen oder Privatuniversitäten) abhängig wird. Noch raffinierter ist Google, wo wir seit vielen Jahren kostenlos recherchieren und lernen dürfen, damit das amerikanische Militär alle unsere Publikationen, Recherchen oder Mitteilungen semantisch überwachen, und gleichzeitig Reklameangebote dazu verkaufen kann.

Das was also bislang hauptsächlich über Printmedien, wie Zeitungen, Zeitschriften oder Bücher an Reklame oder Lehre transportiert wird, geht nun zunehmend in den digitalen Raum, mit allen seinen Konsequenzen. Darum orientiert sich doch auch das deutsche Verlagswesen immer mehr auf die Tablet-Angebote, bei denen die Abbuchungen über Apps oft rascher geschehen als man hinschauen kann, wenn sogar prepaid Konten automatisch aufgeladen werden.

Nun sind Lehrbücher ein sehr eigenes Fachgebiet, weil sie in die Schulbuchpolitik passen müssen, und wenn auch der Kollege Hilf so richtig auf die Widerstände bei der Einführung der längst überfälligen Planck-Einheiten verweist, so wird klar, dass natürlich die Lobby der Schulbuchverlage hier gefordert ist.

Im Prinzip ist die Frage doch ganz einfach: Wie lange will die Wissenschaft die Menschen in dieser Welt ein völlig verzerrtes Weltbild lehren? Das hat nichts mit Ideologie und auch nichts mit Hühnern ("Streithähne") zu tun, sondern lediglich mit vorhandenem Wissen.

MfG

Walther Umstätter


Am 30.03.2013 18:07, schrieb Hermann Beyer-Thoma:
Liebe Streithähne,

es ist ja schon recht aufschlussreich zu sehen, wie die Diskussion
anfangs gar nicht recht Fahrt aufnehmen wollte, solange man sich
fachlich ziemlich fremd war (hie der Historiker ‒ da der theoretische
Physiker) und solange der jeweilige Kontrahent noch nicht eindeutig
auf der Achse des Bösen verortet war: auf der einen Seite der böse
Verleger, auf der anderen der ideologisch bornierte Bibliothekar und
Medienwissenschaftler.

Mir scheint, dass man der Debatte nur mit schmunzelndem Kopfschütteln
folgen kann, wenn man jahrelang wissenschaftliche Bücher gemacht hat
und jetzt eine wissenschaftliche Zeitschrift und dabei immer auch
versucht hat, den Produkten eine elektronische Dimension zu geben und
die Autorinnen und Autoren dabei natürlich auch mitzunehmen: Wir haben
seinerzeit Büchern CD ROMs mit Bildern beigegeben; wir haben bei der
Zeitschrift eine elektronische Rezensionsschiene gegründet und wir
machen uns Gedanken über digitale Forschungsmaterialien. Darüber, wie
die Reaktionen der Autorinnen und Autoren auf die elektronischen
Rezensionen ausfallen, könnte ich Ihnen Zahlen vorlegen. Ich könnte
Ihnen auch von Bücherschränken der sagenhaften Generation der
"Computer-Kids" erzählen (also derer, die mit dem Computer
aufgewachsen sind), die angefüllt sind mit backsteingroßen
Programmierbüchern, welche von ihren Besitzern auch gelesen und
durchgearbeitet wurden, wobei die ihre kleinen Probleme des
Programmieralltags durchaus mit Hilfe des Internets lösten, aber sich
den Überblick übers große Ganze eben doch aus Büchern holten.

Kurzum: Der Mensch entscheidet in seinem Medienverhalten pragmatisch
und versucht möglichst bruchlos von der gesicherten Vergangenheit über
die fließende Gegenwart in eine vage vorweggenommene Zukunft
fortzuschreiten, wobei solche Lehrbuchkonzepte, wie sie Herr Hilf
skizziert hat, durchaus das Zeug hätten, die Koordinaten relativ
plötzlich zu verschieben. Andererseits kenne ich ‒ wie es sich so
trifft ‒ angehende theoretische Physiker, ansonsten durchaus
computerbegeistert und programmierfreakig, die sich gerne dicke,
"analoge", backsteinformatige Lehrbücher schenken lassen ... zum
Beispiel vom Osterhasen, der hoffentlich allen Beteiligten jetzt einen
nichtvirtuellen, durch und durch analogen Besuch abstattet!

Herzliche Grüße

Hermann Beyer-Thoma

---
Redaktion der Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Institut für Ost- und Südosteuropaforschung
Landshuter Straße 4
93047 Regensburg
Telefon: +49 941 943-5414
Fax:  +49 941 943-815414
E-Mail: Beyer-Thoma@xxxxxxxxxxxxxxxxx
http://www.ios-regensburg.de/de/jgo.html

Ansprechpartner in der Redaktion:
Dr. Hermann Beyer-Thoma (Beyer-Thoma@xxxxxxxxxxxxxxxxx): Leitung
Reinhard Frötschner, M.A. (jgo@xxxxxxxxxxxxxxxxx): Redaktionsassistenz




-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag
von Matthias Ulmer
Gesendet: Samstag, 30. März 2013 16:41
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Alternde Türsteher der Wissenschaft

Lieber Herr Hilf,

Sie erzählen von klugen Verlegern, die mit OA-Lehrbüchern richtig gut
Geld verdienen, die wissen, wie es geht und die das hier als Beispiel
thematisierte Fach kennen, und wissen, dass es ein riesen Markt ist,
dass ein solches Buch überfällig ist, zeitlos, und dass es jeder
laufend braucht.

Weiter beschreiben Sie Ihr weltweit umfangreich getestetes
Geschäftsmodell, bei dem OA-Lehrbücher sich durch den Parallelen
Verkauf einer gedruckten. Form, aus anderen zugeordneten Diensten,
sogar aus Online angebotenen Zusatzdiensten finanziert.

Ganz ehrlich, Sie hätten mir heute auch vom Osterhasen erzählen
können und ich hätte Ihnen ebenso verträumt zugehört. Sehr schön,
wirklich toll. Ich sage jetzt mal, das ist kompletter Schmarrn, es sei
denn Sie können mir wenigstens zehn ernsthafte Lehrbücher nennen, die
in diesem Sinne funktionieren.

Wenn wir hier über Lehrbücher reden, dann sollten Sie auch mal von
Ihrem Fach der theoretischen Physik und der Mathematik abstrahieren.
Das sind marginale Teilbereiche der Studienfächer und noch marginalere
der Lehrbücher. Dass heute in der Chemie der Anteil digitaler
Verlagserlöse schon weit über 50% liegt, ist eine Besonderheit, die
bei den anderen Wissenschaften bestenfalls zu Schulterzucken führt.

Wenn Sie kein Risiko bei staatlich vollständig finanzierten oder
durch NGOs finanzierten Lehrbüchern erkennen können, weil die
theoretische Physik in Ihren Augen unpolitisch ist, dann ist diese
Argumentation - mit allem Respekt - unseriös, unverantwortlich und
beschämend. Aber das ist eben auch ein Nebeneffekt der
Ideologisierung: um Ihr Ziel zu erreichen machen Sie die Augen eben so
weit zu, dass Sie nichts sehen, was Ihnen auf Ihrem Weg in die Quere
kommen könnte. Da nimmt man eben Kollateralschäden in Kauf.

Frohe Ostern!
Matthias Ulmer




Am 30.03.2013 um 00:41 schrieb "Eberhard R. Hilf" <hilf@xxxxxxxxxxxxxxxx>:

Lieber Herr Ulmer,
ich will doch kurz auf Ihre Bemerkungen eingehen.

Na, da w?rden mir die Gesellschafter ganz sch?n die Ohren lang ziehen

eben, die verstehen was vom Markt der Buecher ueber Rosen, aber nix von der harten Wissenschaft. Ein verstaendiges und verstaendliches Buch mit praktischen Beispielen ueber Dimensionen, Schreibweisen, einer Einfuehrung in die Normen und Grunddefinitionen und Festlegungen der Dimensionen in der Physik ist hoch ueberfaellig, zeitlos, braucht jeder, braucht es laufend, ein riesiger Markt, -tja, aber eben auch nur, wenn der Leser es auch nutzen kann, d.h. runterladen, Formeln direkt in code transferieren und einbauen. Schliesslich will der Leser seine eigenen Formeln hin-und ruecktransformieren koennen bzw. lassen, ohne lange per Hand zu fummeln.


wenn ich Ihr Geld so versenke.

Sie meinen, Sie wuerden was versenken, weil sie das Fach und den Markt nicht kennen.

Ein Lehrbuch OA muss von irgend jemandem gesponsert werden.

Das ist nicht so. OA Lehrbuecher gibts, haben ihr eigenes Geschaeftsmodell (muessten Sie als Verleger natuerlich kennen). Kluge Verleger haben und werden mit OA-Lehrbuechern richtig gut Geld verdienen. Und die Experten wissen, wie es geht.


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