Liebe Streithähne,
es ist ja schon recht aufschlussreich zu sehen, wie die Diskussion
anfangs gar nicht recht Fahrt aufnehmen wollte, solange man sich
fachlich ziemlich fremd war (hie der Historiker ‒ da der theoretische
Physiker) und solange der jeweilige Kontrahent noch nicht eindeutig
auf der Achse des Bösen verortet war: auf der einen Seite der böse
Verleger, auf der anderen der ideologisch bornierte Bibliothekar und
Medienwissenschaftler.
Mir scheint, dass man der Debatte nur mit schmunzelndem Kopfschütteln
folgen kann, wenn man jahrelang wissenschaftliche Bücher gemacht hat
und jetzt eine wissenschaftliche Zeitschrift und dabei immer auch
versucht hat, den Produkten eine elektronische Dimension zu geben und
die Autorinnen und Autoren dabei natürlich auch mitzunehmen: Wir haben
seinerzeit Büchern CD ROMs mit Bildern beigegeben; wir haben bei der
Zeitschrift eine elektronische Rezensionsschiene gegründet und wir
machen uns Gedanken über digitale Forschungsmaterialien. Darüber, wie
die Reaktionen der Autorinnen und Autoren auf die elektronischen
Rezensionen ausfallen, könnte ich Ihnen Zahlen vorlegen. Ich könnte
Ihnen auch von Bücherschränken der sagenhaften Generation der
"Computer-Kids" erzählen (also derer, die mit dem Computer
aufgewachsen sind), die angefüllt sind mit backsteingroßen
Programmierbüchern, welche von ihren Besitzern auch gelesen und
durchgearbeitet wurden, wobei die ihre kleinen Probleme des
Programmieralltags durchaus mit Hilfe des Internets lösten, aber sich
den Überblick übers große Ganze eben doch aus Büchern holten.
Kurzum: Der Mensch entscheidet in seinem Medienverhalten pragmatisch
und versucht möglichst bruchlos von der gesicherten Vergangenheit über
die fließende Gegenwart in eine vage vorweggenommene Zukunft
fortzuschreiten, wobei solche Lehrbuchkonzepte, wie sie Herr Hilf
skizziert hat, durchaus das Zeug hätten, die Koordinaten relativ
plötzlich zu verschieben. Andererseits kenne ich ‒ wie es sich so
trifft ‒ angehende theoretische Physiker, ansonsten durchaus
computerbegeistert und programmierfreakig, die sich gerne dicke,
"analoge", backsteinformatige Lehrbücher schenken lassen ... zum
Beispiel vom Osterhasen, der hoffentlich allen Beteiligten jetzt einen
nichtvirtuellen, durch und durch analogen Besuch abstattet!
Herzliche Grüße
Hermann Beyer-Thoma
---
Redaktion der Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Institut für Ost- und Südosteuropaforschung
Landshuter Straße 4
93047 Regensburg
Telefon: +49 941 943-5414
Fax: +49 941 943-815414
E-Mail: Beyer-Thoma@xxxxxxxxxxxxxxxxx
http://www.ios-regensburg.de/de/jgo.html
Ansprechpartner in der Redaktion:
Dr. Hermann Beyer-Thoma (Beyer-Thoma@xxxxxxxxxxxxxxxxx): Leitung
Reinhard Frötschner, M.A. (jgo@xxxxxxxxxxxxxxxxx): Redaktionsassistenz
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag
von Matthias Ulmer
Gesendet: Samstag, 30. März 2013 16:41
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Alternde Türsteher der Wissenschaft
Lieber Herr Hilf,
Sie erzählen von klugen Verlegern, die mit OA-Lehrbüchern richtig gut
Geld verdienen, die wissen, wie es geht und die das hier als Beispiel
thematisierte Fach kennen, und wissen, dass es ein riesen Markt ist,
dass ein solches Buch überfällig ist, zeitlos, und dass es jeder
laufend braucht.
Weiter beschreiben Sie Ihr weltweit umfangreich getestetes
Geschäftsmodell, bei dem OA-Lehrbücher sich durch den Parallelen
Verkauf einer gedruckten. Form, aus anderen zugeordneten Diensten,
sogar aus Online angebotenen Zusatzdiensten finanziert.
Ganz ehrlich, Sie hätten mir heute auch vom Osterhasen erzählen
können und ich hätte Ihnen ebenso verträumt zugehört. Sehr schön,
wirklich toll. Ich sage jetzt mal, das ist kompletter Schmarrn, es sei
denn Sie können mir wenigstens zehn ernsthafte Lehrbücher nennen, die
in diesem Sinne funktionieren.
Wenn wir hier über Lehrbücher reden, dann sollten Sie auch mal von
Ihrem Fach der theoretischen Physik und der Mathematik abstrahieren.
Das sind marginale Teilbereiche der Studienfächer und noch marginalere
der Lehrbücher. Dass heute in der Chemie der Anteil digitaler
Verlagserlöse schon weit über 50% liegt, ist eine Besonderheit, die
bei den anderen Wissenschaften bestenfalls zu Schulterzucken führt.
Wenn Sie kein Risiko bei staatlich vollständig finanzierten oder
durch NGOs finanzierten Lehrbüchern erkennen können, weil die
theoretische Physik in Ihren Augen unpolitisch ist, dann ist diese
Argumentation - mit allem Respekt - unseriös, unverantwortlich und
beschämend. Aber das ist eben auch ein Nebeneffekt der
Ideologisierung: um Ihr Ziel zu erreichen machen Sie die Augen eben so
weit zu, dass Sie nichts sehen, was Ihnen auf Ihrem Weg in die Quere
kommen könnte. Da nimmt man eben Kollateralschäden in Kauf.
Frohe Ostern!
Matthias Ulmer
Am 30.03.2013 um 00:41 schrieb "Eberhard R. Hilf"
<hilf@xxxxxxxxxxxxxxxx>:
Lieber Herr Ulmer,
ich will doch kurz auf Ihre Bemerkungen eingehen.
Na, da w?rden mir die Gesellschafter ganz sch?n die Ohren lang
ziehen
eben, die verstehen was vom Markt der Buecher ueber Rosen, aber nix
von der harten Wissenschaft. Ein verstaendiges und verstaendliches
Buch mit praktischen Beispielen ueber Dimensionen, Schreibweisen,
einer Einfuehrung in die Normen und Grunddefinitionen und Festlegungen
der Dimensionen in der Physik ist hoch ueberfaellig, zeitlos, braucht
jeder, braucht es laufend, ein riesiger Markt, -tja, aber eben auch
nur, wenn der Leser es auch nutzen kann, d.h. runterladen, Formeln
direkt in code transferieren und einbauen. Schliesslich will der Leser
seine eigenen Formeln hin-und ruecktransformieren koennen bzw. lassen,
ohne lange per Hand zu fummeln.
wenn ich Ihr Geld so versenke.
Sie meinen, Sie wuerden was versenken, weil sie das Fach und den
Markt nicht kennen.
Ein Lehrbuch OA muss von irgend jemandem gesponsert werden.
Das ist nicht so. OA Lehrbuecher gibts, haben ihr eigenes
Geschaeftsmodell (muessten Sie als Verleger natuerlich kennen). Kluge
Verleger haben und werden mit OA-Lehrbuechern richtig gut Geld
verdienen. Und die Experten wissen, wie es geht.
--
http://www.inetbib.de