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Re: [InetBib] Alternde Türsteher der Wissenschaft



Lieber Herr Umstätter,

es geht ja gar nicht um Wissenschaft sondern um die Frage, wie zukünftig das 
Publikationswesen aussieht. Ich hoffe doch, dass niemand die Äußerungen 
"Alternde Türsteher" etc. als Wissenschaft bezeichnet. Zumindest kenne ich kaum 
eine Stellungnahme zum Thema, die man ohne beide Augen zuzudrücken auch nur in 
die Nähe von Wissenschaft rücken könnte.
Ich bin aber froh, dass Sie wieder  Harnack erwähnen. In ihrer letzten Mail 
tauchte der Name erstmals nicht auf, das hat mich schwer verunsichert.
Ihr Artikel über die Planckeinheiten hat mich beeindruckt. Wäre ich nicht 
Verleger geworden, dann hätte ich mich vermutlich auf die Physik gestürzt. Das 
Wagnis, unsere Lehrbücher in dieser Hinsicht zu überarbeiten scheint mir jedoch 
zu groß, aus dem Bauch heraus, ganz ohne wissenschaftliche Fundierung. Das 
kommt mir ein wenig wie Missionieren vor. Wollen Sie ein solches Lehrbuch nicht 
einfach Open Access veröffentlichen?

Herzlichst
Ihr Matthias Ulmer


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Wollgrasweg 41 - 70599 Stuttgart-Hohenheim
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Am 28.03.2013 um 17:22 schrieb h0228kdm:

Sehr geehrter Herr Ulmer,

zunächst ist Wissenschaft keine Glaubensfrage im Sinne der Ringparabel. Es 
ist ihre Aufgabe, aus der Begründung ihres Wissens heraus die Gefahren der 
Zukunft abzuschätzen, sonst wären wir schon längst alle tot. Die so oft 
wiederholte Aussage, „Keiner kennt die Zukunft“, unterdrückt ja nur den 
notwendigen Zusatz, „mit absoluter Sicherheit.“

Es wäre mir auch neu, wenn Verlage Bücher und Zeitschriften heraus bringen, 
ohne abzuschätzen, wie viel Exemplare davon verkauft werden können. Auch wenn 
man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen will, geht es nicht um 
„Missionsbewegungen“ sondern darum, wie das deutsche Publikations- und 
Bibliothekswesen im Internetzeitalter so weiter entwickelt werden kann bzw. 
muss, damit wir in der Nationalökonomie des Geistes nicht immer weiter 
abfallen. Schon Harnack hat völlig richtig erkannt, dass 
Bibliothekswissenschaft eine gute Zusammenarbeit von Bibliotheken und 
Verlagen erfordert. Das geht aber nicht, wenn die Verlage die Bibliotheken 
und die Leser weiter zu enteignen versuchen.

Als die USA in erster Linie das Peer Reviewing einführten stärkten sie damit 
hauptsächlich ihre eigenen Zeitschriften. Danach stärkten sie diese weiter 
durch den Weinberg Report mit der Förderung von BIOSIS, CHEMABS, MEDLARS, 
SCISEARCH, etc., indem sie eine vergleichsweise kleine Gruppe von Peer 
Reviewern zu Gatekeepern machten, während der Springer Verlag bei seinen 
Referateblättern tausende von Spezialisten zur Bewertung publizierter 
Literatur hatte. Dass diese Idee nach dem zweiten Weltkrieg ohne Computer 
nicht mehr zu bewältigen war, spricht nicht gegen das Post Peer Reviewing.

Es ist sehr viel sinnvoller von den USA zu lernen, als ihren geistigen 
Vorsprung zu beneiden, wie das oft geschieht. Der „Relikt aus finsterer 
Vergangenheit“ (§38) ist die klare Erkenntnis, dass in der Wissenschaft ein 
Vorsprung von einem Jahr schon ganz entscheidend sein kann, für Urheber- und 
Patentrechte, und dass sich das, im Sinne der NLM, durchaus als Open Access 
auf den Markt bringen lässt. Bei zunehmender Geheimhaltung in Wissenschaft 
und Forschung, wird damit Open Access immer stärker zur Reklame für diese 
zunächst geheimen Ergebnisse.

MfG

Walther Umstätter

P.S. Wäre es nicht interessant für Ihren Verlag, ein Lehrbuch auf der Basis 
der Planck-Einheiten herauszubringen,
in dem die Naturkonstanten wie c, G,... ( 
www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/Planckeinheiten13d.pdf ) auf 1 
normalisiert sind?


Am 28.03.2013 16:09, schrieb Matthias Ulmer:
Es ist ein schöner Streit, aber vollkommen sinnlos.
Der Verve, mit dem die einen die anderen als Vergangenheit bezeichnen
oder mit dem die anderen diese als Spinner abtun ist ja ein reiner
Glaubensstreit, geradezu ein Religionskampf. Seine Sinnlosigkeit zeigt
sich schon daran, dass hier über eine Zukunft gestritten wird, die
keiner kennt, von der aber scheinbar jede Seite überzeugt ist, wie sie
am jüngsten Tag aussehen wird. Halten wir uns doch an  Lessings
Ringparabel. Es mag jeder an sein Paradies glauben. Bis dahin bemühe
sich ein jeder die Menschen von seiner Lehre durch positive Beispiele
zu überzeugen. Dass die Anhänger der gemäßigten Digitalisierung
gegenüber den radikalen Digitalisieren aktuell noch vorne liegen ist
zwar für diese tröstlich, aber auch kein Ruhekissen. Dass man
gegenüber den radikalen Digitalisieren immer mal wieder auf Begriffe
wie Toleranz und Entscheidungsfreiheit hinweisen muss, ist traurig,
wie bei allen Missionsbewegungen ist aber der Grad zwischen Aufklärung
und Nötigung schmal und wird laufend überschritten. Deshalb soll man
auch nicht jedes Wort auf die Goldwage legen.
Ich hab das Gefühl, die Realität ist schon viel weiter als es die
Streit-Positionen vermuten lassen. Der Glaubenskampf ist von gestern.
Viele Autoren und Herausgeber in Geistes- und Sozialwissenschaften
kämpfen offen für ihre gedruckten Zeitschriften und viele
Wissenschaftsverlage starten kaum mehr überschaubare Open Access
Projekte. Da kommt der zukünftige §38 wie ein Relikt aus finsterer
Vergangenheit daher.
Frohe Ostern!
Matthias Ulmer
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