[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [InetBib] Urheberrechtsreform - Planungen



Lieber Herr Ulmer,

Lieber Herr Umstätter,

Ihrer Aussage wird sicher jeder schnell zustimmen:

Ob Lobbyarbeit schlecht ist, ist eine Frage der Definition. Wenn
Lobbyisten berechtigte Interessen vertreten und verdeutlichen, ist das
höchst positiv. Aber wenn sie, wie immer wieder beobachtbar,
rücksichtslos egoistische Interessen durchsetzen, auch wider besseren
Wissens, ... , nur um eigene Vorteile zu erzielen, dann ist das durchaus
anzuprangern, insbesondere dann, wenn schon so manche Partei damit ihre
Wahl gewonnen hat.

Dennoch möchte ich gerne widersprechen. Subjektiv fällt es leicht, zu
bewerten, welche Interessen berechtigt sind und welche nicht, wo ich
jemanden als rücksichtslos empfinde usw. Das zu objektivieren ist aber
fast immer unmöglich und alleine deshalb als unmöglich zu akzeptieren.

Ich weiß zwar auch, dass viele Menschen Objektivität in Zweifel ziehen,
aber wenn es sie nicht gäbe, gäbe es auch keine Wissenschaft - und es gäbe
auch nicht den Begriff der Subjektivität, weil das Antonym dafür fehlen
würde. Das hat nichts damit zu tun, dass es weder ein absolut gesichertes
Wissen und damit auch keine absolut gesicherte Objektivität gibt. Es gibt
aber durchaus etliche Erkenntnisse, die zu 99,9 und weit mehr Prozent
gesichert sind.

Dass die Interessen, die jemand vertritt egoistisch sind, sollte der
Normalfall sein.

Dem kann ich aus moralischen Gründen leider nicht folgen, auch wenn ich
weiß, dass viele (aber nicht alle Menschen) so denken.

Auch das schon per Definition, weil er sie  vertritt.
Auch angeblich altruistische Motive sind letztlich egoistisch.

Diese Denkungsweise ist mir zwar ebenso bekannt, und hauptsächlich durch
den Sozialdarwinismus geprägt, in dem man dachte alle Lebewesen würden
immer nur egoistisch sein (bis hin zu Dawkins' egoistischem Gen), aber
trotzdem eindeutig falsch. Als Biologe kann ich Ihnen nur sagen, dass die
Natur sehr viel mehr Altruismus kennt, als es sich die
Nationalsozialisten, die Kommunisten oder auch die Giordano Bruno Stiftung
je träumen ließen, die diese Irrlehre wohl am bekanntesten vertraten.

Dass jemand Interessen wider besseres Wissen vertritt ist eine gefährliche
Annahme.

Ich denke, das ist keine Annahme, sondern eine wiederholt beobachtbare
Feststellung. Ich unterstelle ja nicht, dass das alle Menschen tun.

Hier akzeptiert man nicht mehr, dass der andere berechtigterweise
eine andere Meinung hat, sondern unterstellt ihm, dass er eine andere
Meinung hat als er vorgibt.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mit einer solchen Situation noch
nie konfrontiert waren. Das ist Gegenstand so mancher verbalen Taktik,
wenn nicht sogar Strategie.

Das untergräbt die Grundlage jeder Demokratie
und Meinungsfreiheit. Das sollte man nicht weiterverfolgen.

Genau das war ja der Punkt auf den ich hingewiesen hatte.

Die Grundidee, dass wir statt dem Lobbyismus, bei dem Interessen an
kompetente Vertreter delegiert werden eine Gesellschaft haben, bei der
alle gleichermaßen kompetent sind, ist eine Idee, die für unsere
Demokratie zwar grundlegend und notwendig ist, die aber nichtsdestotrotz
erhebliche Mängel hat. Gerade in der Verbandsarbeit muss man frustriert
zur Kenntnis  nehmen, dass sich die große Mehrheit der Mitglieder für die
Themen persönlich überhaupt nicht interessiert und ganz unbedingt will,
dass das jemand für sie macht.

Das ist in der Verbandsarbeit nicht anders als in der Politik eines Landes
insgesamt. Demokratie heißt ja nun wirklich nicht, dass jeder jederzeit
bei allen Problemen mit reden muss. Im Gegenteil, mir ist zugegebenerweise
sehr spät klar geworden, warum zu Zeiten Kants, an die Stelle, dass ein
Monarch, ein Senat, ein Vorsitzender oder auch ein ganzes Volk regiert,
das Gesetz trat, das bestimmt, wer welche Rechte und Pflichten hat. Viele
Menschen möchten aber sehr viel mehr Rechte als Pflichten haben. Ich kann
das gut verstehen ;-)

Wir haben nach meiner Vermutung spannende Jahre vor uns, in denen sowohl
erkannt werden muss, dass die Bürger sich verstärkt für Privates und noch
weniger für Öffentliches interessieren als auch gleichzeitig das
politische System ein verstärktes Engagement der Bürger für Öffentliches
erforderlich machen wird, weil die aktuelle Organisation des
Interessenausgleichs über weitgehende Delegation problematisch wird. Die
Parteien werden die Antwort darauf nicht geben können aber geben müssen.
Dieser Prozess wird auch das Verbandswesen und die Lobbyarbeit neu prägen.

Ich stimme Ihnen zu, dass das ein momentan beobachtbarer Trend ist. Wir
wissen allerdings nicht, ob es nicht auch eine Pendelbewegung sein kann,
die so manchen Fehler, der zur Zeit gemacht wird, wieder eindämmt. (Bei
den Kommunisten hieß das beispielsweise Konterrevolution.) Solche
Pendelbewegungen sind in der Geschichte der Menscheit sicher nicht
seltener, als die stereotypen Trends in ein und die selbe Richtung.

Bei Lichte betrachtet stelle ich der Lobbyarbeit heute kein so schlechtes
Zeugnis wie SIe aus. Wenn wir ein sehr schwieriges Thema wie die
Neuregelung für verwaiste Werke nehmen, dann ist die Vielzahl der
Aktivitäten, die Beteiligung so ziemlich aller Gruppierungen, die
zahlreichen Anhörungen und Befragungen, die Diskussion auf
internationaler, europäischer und nationaler Ebene eine gute Grundlage,
auf der die Regierung dann einen Gesetzesentwurf vorlegen wird. Die
Thematik ist so schwierig, dass ohne die vorherigen Anhörungen und
Diskussionen kaum ein kompetenter Vorschlag vorgebracht werden kann. Und
das Ministerium hält sich zur Thematik mit Aussagen sehr lange zurück, was
den Vorteil hat, dass die unterschiedlichen Gruppen viel Zeit bekommen.
Denn Diskussionen wie die hier geführte bewirken hoffentlich, dass aus den
ursprünglich festgefahrenen Positionen durch Gespräche eine Annäherung und
Verständnis entsteht, wodurch die am Ende vorgeschlagenen Lösungen
erheblich mehr Zustimmung gewinnen, als wenn sie zu Beginn des Prozesses
von einem superkompetenten allwissenden Gesetzesformulierer vorgelegt
worden wären und sich alle Gruppen dann heulend daran abgearbeitet hätten.

Das ist natürlich das, was wir alle hoffen. Die Erfahrungen der letzten
Zeit mit "Wutbürgern" gibt da allerdings nicht viel Hoffnung, und meine
Befürchtung ist, dass dieses Wutbürgertum sehr stark durch den wachsenden
Einfluss von Lobbyisten entstanden ist, denen immer mehr Menschen
misstrauen.

Dass alle fürchterlich schreien und klagen um ihre Interessen als viel
wichtiger zu bezeichnen und durch Mitleid beim Gesetzgeber mehr Beachtung
zu erreichen versuchen bzw. durch wüste Beschimpfungen den Gegner zu
diffamieren versuchen, das ist wohl Bestandteil des Spiels, auch wenn es
der dümmste und infantilsteTeil der Lobbyarbeit ist. Aber auch den hält
man tunlichst  klein, denn Gehör finden basiert eben auch auf Vertrauen.
Und  Vertrauen erwirbt sich in der Lobbyarbeit eine Organisation vor allem
durch Glaubwürdigkeit. Das ist das mächtigste Regulativ, dass Politiker
Lobbyisten eben nicht zuhören MÜSSEN. Man muss sich das Vertrauen und die
Glaubwürdigkeit erst verdienen.

Auch da kann ich Ihnen zunächst nur zustimmen. Ich befürchte aber, dass
dieses Vertrauen in bedenklicher Weise durch die wüsten Beschimpfungen und
 Diffamierungen schon in vielen Bereichen stark zerstört wurde. Vertrauen
setzt eben voraus, dass man die berechtigten Interessen des Gegners
einsieht. Auch das ist eine Form der Erkenntnis, die nicht jeder besitzt,
obwohl nicht nur die Affen und andere Tiere, sondern auch der Mensch dazu
die Spiegelneuronen hat, in denen wir auch Emotionen unseres Gegenübers,
wie die eigenen wahrnehmen können. Diese Empathie wird aber leicht
unterdrückt, wenn sie eigene Nachteile bringt, wie man spätestens in
Kriegssituationen erkennen muss. Das gilt auch für verbale Kriege.

MfG

W. Umstätter


-- 
http://www.inetbib.de


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.