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Re: [InetBib] Urheberrechtsreform - Planungen
- Date: Thu, 11 Aug 2011 11:32:17 +0200
- From: Matthias Ulmer <mulmer@xxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Urheberrechtsreform - Planungen
Lieber Herr Kuhlen,
jeder erschrickt eben anders. Es ist nicht für alle von uns alltäglich, dass
man auf eine einfache Information hin solche Reaktionen bekommt und ich will
auch nicht Gegenstand von formellen Auskunftsbegehren der dokumentierten Form
werden. Aber wie gesagt, was der eine normal findet, das erschreckt eben
andere. Das nur zur Gemütslage. Da ich aber einen offenen Gedankenaustausch
schätze, will ich gerne meine persönlichen Überlegungen zu Ihren hinzufügen.
Ich denke ich verstehe Ihre Argumentation schon. Aber in der Praxis werden
Gespräche ja sehr selten von einem Einigungspapier gekrönt. Meist erfolgt eine
Abstimmung ohne schriftliche Fixierung, eine Koordination der Interessen durch
gegenseitige Information über Interessenlagen, ein Ausloten des Machbaren.
Solche Gespräche führt man ja nur mit Personen oder Institutionen, gegenüber
denen man ein gewisses Vertrauen hat.
An die Politik weitergeben darf jeder Teilnehmer solcher Gespräche jederzeit
alles was er mag. Und eine Verpflichtung, die Öffentlichkeit darüber zu
informieren gibt es sicher auch nicht. Wenn der dbv mitteilt, dass er dem
Justizministerium eine Stellungnahme zum Thema übergeben hat, dann muss er das
ja auch nicht offenlegen.
Und selbst wenn die Arbeitsgruppe ein Einigungspapier verabschiedet hätte, dann
wäre das ja immer noch nicht verbindlich für die Politik, obwohl in der
Arbeitsgruppe Justizministerium und BKM vertreten sind. Denn verbindlich in
diesem Punkt ist erst dann etwas, wenn es das Parlament entschieden hat. Bis
dahin kann man die lustigsten Papiere verfassen.
Die Urheber sind an den Gesprächen indirekt beteiligt, durch die Verlage und
die VG Wort. Die Themen werden in einer anderen Arbeitsgruppe in der VG Wort
ebenfalls diskutiert, und da sind Schriftstellerverband und Übersetzerverband
vertreten.
Ich empfinde das Aktionsbündnis nicht als repräsentative Vertretung für
Autoreninteressen. Es drückt viel eher Nutzerinteressen aus, abgesehen davon,
dass die vom Aktionsbündnis vertretene Wissenschaft nur ein kleiner Teil des
gesamten Urheberspektrums ist, kommerziell gesehen im Buchhandel etwa gerade
noch 6,8% ausmacht, weiter abnehmend. Das sind Parikularinteressen. Und ich
vermute, dass beim Thema verwaiste Werke das wissenschaftliche Schrifttum keine
besonders große Rolle spielt.
Zur Vergütung: wir sollten zwei Aspekte unterscheiden: das berechtigte
Interesse der Bibliotheken, so wenig wie möglich zahlen zu müssen, und das
Rechtsempfinden (das natürlich bei jedem anders ist). Nur der zweite Punkt ist
diskussionswürdig: zunächst bedeutet verwaist ja nur, dass ich jemanden nicht
finde. Juristisch ist es unhaltbar, daraus zu schließen (wie es Frau Kustos
gerne hätte), dass er vermutlich tot ist und keine Erben hat. Man kann (vermute
ich) davon ausgehen, dass in 99,9% der Fälle die Person nicht tot ist oder
Erben hat. Die Person ist eben nur nicht einfach auffindbar. Es ist anzunehmen,
dass im Laufe der Zeit, mit der Implementierung von Datenbanken wie Arrows oder
einem book register ein Großteil der Verwaisten wieder Eltern bekommt. Es ist
schon deshalb naheliegend, dass die Vergütung irgend wann beim Rechteinhaber
ankommt.
Nicht nachvollziehbar (nach meinem Rechtsempfinden) ist, dass Bibliotheken
keine Vergütung zahlen wollen, wenn sie die Adresse von jemandem nicht schnell
genug finden. Noch weniger nachvollziehbar ist der Gedanke, dass ein Urheber
keine Vergütung bekommen soll, weil er nicht innerhalb einer bestimmten Frist
in eine Liste geschaut hat und sich gemeldet hat.
Natürlich bleiben am Ende Vergütungen auf dem Treuhandkonto stehen, die nicht
ausbezahlt werden können, weil keine Erben existieren. In diesen Fälle wird
vermutlich der Staat Rechtsnachfolger. Damit steht dann die gesammelte
Vergütung dem Staat zu. Aber meines Wissens ist "der Staat" nicht identisch mit
"den Bibliotheken", die ja unterschiedlichster Trägerschaft sein können. Und
das Eigentum an den Beträgen fällt auch erst dann an den Staat, wenn er
Rechtsnachfolger wird, also auch dann ist das verwaiste Werk plötzlich nicht
mehr verwaist sondern hat einen Rechteinhaber, der den gesammelten Betrag mit
Recht beansprucht.
Dass Rechte von Urhebern (gemeinhin Urheberrechte genannt) der
Massendigitalisierung entgegen stehen, das kann schon sein. Na und? Dass
Bürgerinteressen einem Bahnhofsbau entgegen stehen können und man das nicht
ignorieren darf, das muss die Politik ja auch gerade lernen.
Massendigitalisierung scheint mir in unserer Gesellschaft kein prioritäres Ziel
zu sein. Denn ohne Scham und ohne erkennbaren Widerspruch sagt ja eine
Bundesregierung, dass sie dafür keine Gelder hat. Das Pflanzen von
Stiefmütterchen auf Verkehrsinseln geht offensichtlich vor.
Herzliche Grüße
Matthias Ulmer
Am 10.08.2011 um 20:04 schrieb Rainer Kuhlen:
Was, lieber Herr Ulmer, ist daran zum Erschrecken? Wenn es ein
Einigungspapier gegeben haben sollte, dann hat m.E. die Öffentlichkeit
ein Anrecht darauf, dieses wahrnehmen zu können. Wenn es keine
schriftliche Einigung gegeben hat, dann reicht der Hinweis darauf, dass
es nichts Vorzeigbares gibt, und es gibt dann auch keine darauf
referenzierbar Einigung, die an die Politik weitergegeben werden bzw.
auf die sie sich beziehen kann.
Also halten wir fest, dass es keine verbindlich erarbeitete Lösung gibt;
so hatte ja auch Frau Niggemann Herrn Graf geantwortet. Es hat also nur
fortlaufend Gespräche gegeben, die dann jeder der Beteiligten und die,
die davon gehört haben (wie z.B. die SPD oder die VG-Wort oder ein
Verlag), nach ihren Standpunkten/Interessen interpretieren und z.B. auch
dem BMJ vermitteln können (aber wohl immer mit dem Autorität sichernden
Verweis auf die "unstrittigen" Ergebnisse der Gruppe). Oder sollten wir
die Statements, auf die Frau Niggemann freundlicherweise verwiesen hat,
doch als die Einigung aller akzeptieren. Es hat dem ja wohl niemand
widersprochen. Verstehen Sie bitte, wie kann man eine wie auch immer zu
bezeichnende Einigung zwischen ja nicht unwesentlichen Partnern
diskutieren, wenn es keine offizielle Referenz gibt, aber jeder der
Beteiligten auf die erarbeitete Lösung verweist? Das ist nicht mein
Verständnis von aufgeklärter politischer Öffentlichkeit. Natürlich kann
jeder mit jedem reden, aber es ist schon etwas merkwürdig, dass bei
diesen Gesprächen keine Vertretung der Interessen von Bildung und
Wissenschaft, z.B. das Aktionsbündnis, hinzugezogen oder befragt wurde.
Sicherlich können Bildung und Wissenschaft Partnern wie der
Nationalbibliothek und dem DBV vertrauen, aber auch hier sind
stellvertretende Interessenwahrnehmungen kein Ersatz für direkte
Beteiligung.
In einer solchen Situation kann man nur spekulieren. Zudem wird man
weiter bezweiflen dürfen, ob das, was Sie, Herr Ulmer, als die zentralen
Punkte skizzierren, wirklich so "unstrittig" ist. Ich habe einige Daten
aus einer universitäten Abschlussarbeit zur Einsicht, die ich leider
noch nicht referenzieren kann, da das Verfahren noch nicht abgeschlossen
ist. (Ich gebe zu, dass auch das nicht transparent ist.) Diese zeigen,
dass aus der Praxis von Museen und Archive erhebliche Bedenken bestehen
gegen die Anforderungen an eine diligent search (so wie im SPD-Entwurf
angegeben) und gegen die Rolle der Verwertungsgesellschaften in dieser
Sache, erst recht gegen die "Zahlung einer Vergütung mit
treuhänderischer Verwaltung": sollen Bibliotheken, Archive etc. wirklich
für jede in Angriff genommene Digitialisierung eine finanzielle
Vorleistung auf Verdacht erbringen? Und wer bekommt das Geld, wenn sich
hohe Überschüsse angesammelt haben? Auch gibt es bislang kaum
praktikable Vorschläge für den Umgang mit multimodalen und temporalen
Medien, die ja den größten Teil der verwaisten Werke ausmachen.
Ich hoffe, die Arbeit wird dann bald veröffentlicht werden. Mit Blick
auf Massendigitalisierung hatte das Aktionsbündnis ja auch
vorgeschlagen, anstatt einer aufwändigen und im Detail bislang nicht
geklärten diligent search (auch der EU-Vorschlag ist hier noch sehr
vage) eine (rechtlich legitimierte) befristete öffentliche Ankündigung
der geplanten Digitalisisierung vorzusehen (also eine Art
opt-out-Verfahren). Und nicht zuletzt scheint mir noch gar nicht
geklärt zu sein, ob es unterschiedliche Bedingungen für kommerzielle und
nicht-kommerzielle Nutzung der verwaisten Werke geben bzw. ob es
überhaupt eine kommerzielle Nutzung dieser Werke geben soll - und wenn
doch, wie geklärt sein wird, dass daraus keine neuen exklusiven
Verwertungsrechte entstehen (das war auch die Forderung der DFG). Auch
ist der Status einer Regelung noch gänzlich unklar. Soll es nun doch
nach dem Vorstoß der EU eine Schrankenregelung sein, oder wird die
Regelung im Rahmen des Urheberwahrnehmungsgesetzes erfolgen? Die
politischen Parteien im Bundestags sind sich recht uneinig darüber. Man
darf gespannt sein, ob und wenn ja, wie das BMJ vorschlägt, diesen
Knoten zu zerschlagen.
Im übrigen verweise ich darauf, dass es bei IUWIS (www.iuwis.de) ein
Dossier zu den verwaisten Werken gibt, in das die verfügbaren Dokumente
dazu eingestellt werden. Es wäre auch gut, wenn Diskussionen wie diese
hier dort geführt werden könnten, damit sie auch dauerhaft transparent
dokumentiert und verfügbar/referenzierbar gehalten werden können..
RK
Am 10.08.2011 07:30, schrieb Matthias Ulmer:
Lieber Herr Kuhlen,
die Form, wie hier gleich Offenlegung gefordert wird und einzelne in Rage
geraten erschreckt mich und ich bereue sofort, überhaupt ein Wort dazu
gesagt zu haben. Es wundert mich nicht, dass man in diesem Klima lieber
schweigt als offen diskutiert.
Also: es gibt kein "Einigungspapier" das man offen legen könnte. Es gibt
eine Arbeitsgruppe (vermutlich neben x anderen), die sich regelmäßig
austauscht und durch gegenseitige Information versucht eine gute Lösung zu
erarbeiten. Dabei informieren die Verbände, Ministerien, Kommission und
Verwertungsgesellschaften über ihre Aktivitäten zum Thema verwaiste Werke
und digitale Bibliotheken. Niemand weiß natürlich, was das Ministerium am
Ende als konkreten Entwurf vorlegen wird. Aber es wäre eigenartig, wenn das
ganz im Widerspruch zu den Gesprächen steht. Eigentlich finden Sie in dem
Entwurf einer europäischen Richtlinie, in der Stellungnahme des Bundesrates
und in der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage die meisten
Punkte beantwortet.
Diligent search, aber automatisiert, über vorgeschriebene Datenbanken,
unterstützt durch Arrow, mit Dokumentation, Lizenzierung über die
Verwertungsgesellschaft, Zahlung einer Vergütung mit treuhänderischer
Verwaltung. So würde ich das aktuell knapp skizzieren.
Herzliche Grüße
Matthias Ulmer
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Am 10.08.2011 um 15:31 schrieb Klaus Graf:
On Tue, 09 Aug 2011 16:04:19 -0700
Rainer Kuhlen<rainer.kuhlen@xxxxxxxxxxxxxxx> wrote:
Vielen Dank Herr Upmeier - ich denke, der DBV bewegt sich
hier in die
richtige Richtung, z.B. auch mit dem Hinweis auf eine
möglichst
weitgehende Automatisierung der diligent search. Der
SPD-Vorschlag z.B.
ist für die Bedürfnisse der Massendigitalisierung nicht
brauchbar.
Ich wundere mich allerdings über das Schweigen von Herrn
Ulmer auf meine
Aufforderung (INETBIB von gestern), die "nicht mehr
strittige Lösung"
öffentlich zu machen. Solange das "Einigungspapier" nicht
öffentlich
gemacht wird, gilt weiterhin die Kritik des
Aktionsbündnisses in seiner
Pressemitteilung schon vom 4.1.2011:
http://www.urheberrechtsbuendnis.de/pressemitteilung0111.html.de
und
darin u.a. die Aussagen, mit denen ich zitiert werde:
Kuhlen empfiehlt dringend, „die Bedenken zahlreicher
Bibliothekare und
Archivare gegenüber dem vagen Konzept der ‚sorgfältigen
Suche’ ernst zu
nehmen und konkrete Suchpläne zur Diskussion zu stellen,
statt weiter
hinter verschlossenen Türen zu verhandeln“. Außerdem
müsse
sichergestellt werden, dass die Verwertungsgesellschaften
keine
exklusiven Nutzungsrechte für die Vervielfältigung und
Zugänglichmachung
verwaister Werke einräumen dürfen: „Einen wertvollen Teil
unseres
kulturellen Erbes mühsam bergen und ihn dann gleich
wieder wegschließen
— das geht nicht an.“
RK
Die erbaermliche Blockierei wird von der Deutschen
Nationalbibliothek und ihrer Direktorin mitgetragen:
http://archiv.twoday.net/stories/6460982/
Es genuegt fuer die unfaehige Sachbearbeitung des
Bundesdatenschutzbeauftragten, wenn eine Behoerde
behauptet, sie habe zu einem Sachverhalt keine Unterlagen -
dann ist sie fein raus ...
Klaus Graf
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Prof. Dr. Rainer Kuhlen
Dep. Computer and Information Science
University of Konstanz, Germany
URL: www.kuhlen.name
Email: rainer.kuhlen@xxxxxxxxxxxxxxx
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Education and Science e.V.)- www.ences.eu
Project IUWIS (Infrastructure Copyright for Science and Education)
Humboldt University Berlin: www.iuwis.de
Speaker of the German Coalition for Action "Copyright in behalf of Science
and Ecucation"- http://www.urheberrechtsbuendnis.de/index.html.en
I am in Santa Barbara, CA, USA, till August 30th 2011
In case, you need to talk to me urgently, please use Skype: rainer.kuhlen
or US tel landline: 805-845-8023
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