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Re: [InetBib] Urheberrechtsreform - Planungen



Lieber Herr Hilf,

danke für die ausführliche Antwort. Ich hatte schon befürchtet, statt eine 
Antwort zu bekommen werde ich jetzt gleich aus der Liste gelöscht.

Der Dissens bezieht sich auf wenige Punkte. Und bei denen werden wir über den 
Dissens wohl nie hinaus kommen. Wenigstens will ich versuchen Ihnen klar zu 
machen, dass Ihre Position auch nur Meinung und nicht Wahrheit ist, auch wenn 
SIe das anders vorbringen.

Ja, man kann eine Diskussionsgruppe mit allen Betroffenen einrichten. (Dass in 
einer ordentlichen Demokratie nur die Betroffenen dazu gehören sollen muss 
einen mir verborgenen Witz enthalten. Denn zu den Besonderheiten der Demokratie 
gehört ja, dass man die Beteiligung der Nichtbetroffenen akzeptieren muss.) Sie 
können aber nicht ernsthaft fordern, dass immer alle Betroffenen an allen 
Diskussionsrunden dabei sein müssen. Manchmal ist das sinnvoll, manchmal nicht. 
Wenn man nachher das Ergebnis als repräsentativ bezeichnen will, dann wird man 
auch die Beteiligten danach auswählen. Aber in den meisten Diskussionsrunden 
geht es ja nicht um Repräsentativität. Und bei der genannten Runde haben wir 
uns nur auf das Thema Bücher konzentriert, nicht Zeitschriften, nicht Bilder, 
nicht Filme, nicht Musik usw. 

Wenn man nun das Thema ausschließlich aus der Perspektive der Wissenschaft 
sieht, dann sind manche Punkte sicher etwas anders zu bewerten. Wir haben in 
diesen Diskussionen explizit die Aufgabe, das gesamte Spektrum der Buchverlage 
zu berücksichtigen. Ihre Kommentare beziehen sich nur auf den Bereich 
Wissenschaft. Um das bewerten zu können muss man schon die Frage nach der 
Relation der Wissenschaft zum Rest stellen. Mit den genannten 6,8% haben Sie 
die aktuellsten Zahlen der Buchumsätze aller Bereiche der Wissenschaften. Und 
das ist weit gefasst, weil ein erheblicher Teil dieser Zahlen Lehrbücher sind 
und vor allem im Bereich Medizin und Jura Fachliteratur für Berufsgruppen 
darstellt. Aber selbst mit diesen, also in einer sehr weiten Definition, 
beträgt die Zahl aktuell 6,8%.

Eine Betrachtung nach dem Umsatzvolumen ist nicht ganz falsch, weil es bei der 
Frage der verwaisten Werke um die Frage geht, wie groß der Eingriff in das 
Eigentum der Rechteinhaber ist. Und das bemisst sich nicht in wichtigen oder 
unwichtigen Büchern, sondern realistischer in Euro. 

Man muss natürlich fragen, ob wissenschaftliche Werke überproportional oder 
unterproportional in den verwaisten Werke vertreten sind. Ich habe vermutet, 
dass sie nicht stark vertreten sind. Sie sagen: "Leider doch, das ist Ihnen als 
Nichtwissenschaftler, und Verlag, fuer den wiss. Publizieren eher randstaendig 
ist und auch nur einen sehr kleinen Marktanteil da hat, nur nicht klar." Das 
würde mich schon interessieren, ob sie hier nur eine Behauptung aufstellen, 
oder ob Sie als Wissenschaftler das auch auf Fakten beziehen. Meine Vermutung 
basierte darauf, dass das wissenschaftliche Publizieren in Deutschland der 
Verlagsbereich mit der höchsten Konzentration und den ältesten Unternehmen ist 
und Metadaten, Verzeichnisse oder Nachweissysteme dort eher perfektioniert 
werden, während wir in den Bereichen Sachbuch, Literatur, Ratgeber eine fast 
atomisierte Anbieterstruktur haben mit sehr häufigen Firmengründungen und 
Schließungen, weshalb sich die Spuren der Rechteinhaber hier schneller 
verlieren.

Ich glaube gerne, dass von der Nutzerseite her vor allem die Wissenschaft ein 
großes Problem mit verwaisten Werken hat, während das andere Gruppen eher  
weniger spannend finden. Aber um die Interessen der Nutzer geht es an diesem 
Punkt nicht, sondern um die Betroffenen. Und von einem Eingriff in die 
Eigentumsrechte sind nicht die betroffen, die diesen fordern, sondern die, die 
ihn ertragen sollen. Und das sind nicht die Nutzer sondern die Rechteinhaber, 
die Autoren und die Verlage.

Auch Ihre Behauptung, dass es für einen wissenschaftlichen Autor nur darum geht 
gelesen zu werden, habe ich in Diskussionen auch schon anders gehört: es gehe 
den Wissenschaftlern vornehmlich darum, publiziert zu werden. Ich mag nicht 
entscheiden, wie das ist. Ich kenne meine Autoren und zahlreiche Gespräche. Sie 
kennen andere. Und unser Rechtssystem ist so oder so eindeutig: Es ist egal, 
was Sie oder ich als Motivation der Autoren vermuten, es bleibt deren freier 
Wille das selbst zu entscheiden.

Der Staat zumindest kann sich nicht auf eine Argumentationskette beziehen, die 
besagt, dass vermutlich die meisten Nutzer Wissenschaftler sind und vermutlich 
viele verwaiste Werke wissenschaftliche Werke und vermutlich deren Autoren und 
Erben auf Geld verzichten weil ihnen vermutlich gelesen zu werden wichtiger ist 
und man deshalb schadlos enteignen darf. 

Das ist eine aus bitterer Not heraus konstruierte Begründung. Wir sollten doch 
offener sein und ehrlich sagen: der Zugriff auf alle verfügbaren Informationen 
und damit auch die Digitalisierung vergriffener Werke hat für die Wissenschaft 
außerordentliche Bedeutung. Und es ist eine Schande, dass die Gesellschaft die 
dafür  notwendigen Mittel nicht bereit stellt. Den Rechteinhabern ihre Rechte 
abzusprechen schmälert nicht die Schande der Gesellschaft  sondern vergrößert 
sie nur noch.

Herzliche Grüße
Matthias Ulmer




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Verlag Eugen Ulmer
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Geschäftsführer: Matthias Ulmer





Am 12.08.2011 um 11:37 schrieb Eberhard R. Hilf:

<lieber Herr Ulmer,
(wenn Sie es eilig haben, lesen Sie die Schlusssaetze zuerst..)

1.
Kernpunkt des Dissenses bleibt doch:
eine Koordination der Interessen durch gegenseitige Information über 
Interessenlagen, ein Ausloten des Machbaren. 

und dazu gehoeren eben die Dienstleister und! die Betroffenen, in einer 
ordentlichen Demokratie natuerlich nur die Betroffenen; der Gesetzgeber 
setzt dann den Rahmen, der die Anforderungen der Forschung bestmoeglichst 
sicherstellt; in diesem Rahmen haben dann die kommerziellen 
Service-Provider eine gesicherte Basis, ihre Geschaeftsmodelle zu 
entwickeln, und die von der Wissenschaft geforderten Dienste (die alle 
jeweils verfuegbaren technischen Moeglichkeiten ausschoepfen) als 
Service-Provider zu entwickeln und anzubieten.


2.
Solche Gespräche führt man ja nur mit Personen oder Institutionen, 
gegenüber denen man ein gewisses Vertrauen hat.

Dass die Dienstleister (VG-Wort, Verlage) unter sich verwandte Interessen 
haben, naemlich Geld zu verdienen, ist ja fein. Aber die Nutzer/Autoren 
und deren Vertretungen auszuschliessen, ist absurd.
Und dass Sie sagen, die Verlage und VG-Wort haetten kein Vertrauen in die 
Nutzervertretungen ihrer Dienstleistungen, spricht Baende.
Dass in einer Lobby-Gruppe eines Industriezweiges, und darum handelt es 
sich ja hier, untereinander 'ein gewisses Vertrauen' herrscht, glaube ich 
Ihnen.

3.
Die Urheber sind an den Gesprächen indirekt beteiligt, durch die Verlage 
und die VG Wort. 

Das ist der Kernpunkt: 'indirekt beteiligt durch die Dienstleister'. 
Soll mein Baecker mich jetzt 'indirekt an meiner Kaufentscheidung 
beteiligen', indem er mit dem Gesetzgeber zusammen ohne mich beraet, was 
ich zu bekommen habe und wann?
Eine Lobbygruppe, die sich als Vertretung der Kunden darstellt: starkes 
Stueck.

4.
Ich empfinde das Aktionsbündnis nicht als repräsentative Vertretung für 
Autoreninteressen. Es drückt viel eher Nutzerinteressen aus

Empfinden ist gut: Tatsache ist, dass in der Wissenschaft im Gegensatz zur 
Belletristik oder Gartenbuechern alle aktiven Wissenschaftler sowohl 
Autoren wie Nutzer sind.

Im AB haben sich die wissenschaftlichen Vertretungen/Institutionen 
in Deutschland zusammengeschlossen, die Sie, verstaendlicherweise als 
Lobbyist, aus Angst ausgrenzen wollen.


5.
die vom Aktionsbündnis vertretene Wissenschaft nur ein 
kleiner Teil des gesamten Urheberspektrums ist, kommerziell gesehen im 
Buchhandel etwa gerade noch 6,8% ausmacht, weiter abnehmend. 

Auch das betrifft den Kern: sie wollen uns Wissenschaftler, mit ihren 
Notwendigkeiten fuer eine effektive Forschung hier marginalisieren, 
weil sie kommerziell nicht so essentiell seien. 
Mein Vorschlag hiess ja nicht, die belletristischen Autoren 
auszuschliessen, sondern keine der Nutzergruppen auszuschliessen,
und jedenfalls: jede Diskussion ueber Marktrahmenbedingungen, die das 
wiss. Informartionsmanagement 
betrifft, so sie serioes ist, verlangt die gleichrangige Teilnahme und 
aktive Hinzuziehung der Autoren/Nutzer-Vertretungen, genauer: erst die 
Betroffenen, AUtoren/Nutzer/Leser, soweit sie Wissenschaftler sind, dann, 
wenn ueberhaupt, die Verlage (s.o.).

6.
Das sind  Parikularinteressen

eben, jeder der Beteiligten, auch Ihr Verlag hat seine Partikularinteressen.
Die 'Partikulargruppe' der Wissenschaft in Deutschland ist in ihrem 
'Arbeitskreis' ueberhaupt nicht vertreten.

7.
Und ich vermute, dass beim Thema verwaiste Werke 
das wissenschaftliche Schrifttum keine besonders große Rolle spielt.

Leider doch, das ist Ihnen als Nichtwissenschaftler, und Verlag, fuer den 
wiss. Publizieren eher randstaendig ist und auch nur einen sehr kleinen 
Marktanteil da hat, nur nicht klar.

8. 
Zur Vergütung: 
Fuer die Belletristik etc. haben Sie Recht.
Fuer den wissenschaftlichen Sektor ist das einfacher:
bei verwaisten Werken kann der Staat davon ausgehen, (der letzte 
Privatgelehrte war wohl Dr. de Broglie), dass das Werk von einem Autor in 
staatlichem Dienst oder von ihm finanziert entstanden ist mit dem Ziel, 
die Wissenschaft zu foerdern, verfuegbar zu bleiben, barrierefrei 
zugaenglich und lesbar zu bleiben, dass der Wille des Autors (und der 
seines Auftraggebers/Finanziers) war, gelesen zu werden und dadurch in den 
wiss. Nachkommen und deren Werken Wirkung zu erzeugen, also 
wissenschaftlich 'beruehmt' zu werden. Das geht so weit, dass viele 
Autoren ihre Werke nicht einmal bei VG-Wort anmelden, wie ich und die mir 
bekannten Kollegen.


9.
naheliegend, dass die Vergütung irgend wann beim Rechteinhaber ankommt.

Auch hier haben Sie - fuer den Staat eben kein marginaler Sektor 
'wissenschaftliche Forschung' nicht verstanden, was in diesem Sektor 
entscheidend ist und von den Erben i.A. auch als Wille des Autors 
respektiert wird: gelesen zu werden, zum Lesen gefunden zu werden; wenn 
dies eingeschraenkt wird, damit einige Dienstleister damit mehr Geld 
verdienen koennen, versuendigt sich dieser an dem Willen des wiss. Autors, 
an dem Staatswillen nach effektiver Forschung (Wissen aus kommerziellen 
Interessen der Forschung vorzuenthalten).

Fazit: Ihre 'AG' aufloesen und eine offene Diskussion mit Allen fuehren, 
wie sich das in einer Demokratie gehoert.

Nichts fuer ungut, Ihr Eberhard Hilf, http://www.isn-oldenburg.de/~hilf 

P.S.: als Abendlektuere empfehle ich Ihnen das sehr genaue Studium von
1. http://www.iupap.org/wg/communications/ethics/index.html
Workshop on Scientific Misconduct and the Role of Physics Journals in its 
Investigation and Prevention; IUPAP International Union for Pure and 
Applied Physics; da waren uebrigens die relevanten wiss. Verlage 
vertreten..

2. dass uebrigens wir, im Gegensatz zu Ihnen, offen und konstruktiv das 
Gespraech der Wissenschaft mit den Dienstleistern von Anfang an gesucht 
und organisiert haben, sehen Sie aus der offenen Mitgliederliste der AG 
ElFiKom on Electronic Information and Communication (1995).




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