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Re: [InetBib] Urheberrechtsreform - Planungen
- Date: Fri, 12 Aug 2011 17:23:59 +0200
- From: Matthias Ulmer <mulmer@xxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Urheberrechtsreform - Planungen
Lieber Herr Lackhoff,
wenn ein Werk verwaist ist, dann gibt es keinen Verlag als Rechteinhaber mehr.
Das ist richtig. Das Problem entsteht aber nicht bei den tatsächlich verwaisten
Werken, sondern dabei, dass es von Seiten der Bibliotheken oder Nutzer großes
Interesse gibt, den Begriff verwaist maximal auszulegen. Und dabei werden dann
Titel als verwaist erklärt, die nicht verwaist sind. Es geht also um die
Schein-Waisen. Und es ist relativ sicher, dass die Zahl der Schein-Waisen
erheblich größer sein wird, als die Zahl der echten Waisen. Bei den
Schein-Waisen gibt es Rechteinhaber, sowohl einen Autor als auch meist einen
Verlag.
Bei den echten Waisen gibt es überhaupt keinen Dissens, dass hier ein System
für eine Digitalisierung eingerichtet werden muss. Es gibt aber sehr wohl
Widerstand von Seiten der Verlage und der Autoren, wenn ihre Rechte enteignet
werden, weil man sie als Schein-Waise deklariert hat. Und wenn man nach dem
Vorschlag des Aktionsbündnisses eine Liste zu digitalisierender Titel ins Netz
stellt und alle, bei denen sich nach zwei Monaten kein Widerstand rührt als
verwaist erklärt, dann wird sozusagen massenverwaist um Massen zu
digitalisieren.
Eine Lösung, bei der die Diligent Search also gegenüber der heute
rechtsüblichen Form erleichtert und automatisiert wird mit der Konsequenz, dass
man im Interesse der Erleichterung auch in Kauf nimmt, dass in großer Zahl
widerrechtlich digitalisiert wird, ist eben sehr viel besser umsetzbar, wenn
die davon Betroffenen (Bibliotheken, Rechteinhaber und
Verwertungsgesellschaften) nach einer Konsenslösung suchen. Und dazu gehört,
dass man einsieht, dass eine Lizenz an den Rechteinhaber zu zahlen ist, auch
wenn man ihn auf die Schnelle nicht finden kann.
Zur Archivlage von Verlagen: ja, die Datenlage ist meist sehr gut, weil wir mit
Vertrag und Autorkorrespondenz und Rechnungen bnzw. Zahlungen für Honorare
nicht nur die Autorenadressen inclusve aller Umzüge dokumentieren, sondern auch
Erbscheine und Erben mit allen Umzügen, zumindest solange sich irgend etwas auf
dem Honorarkonto tut, und das ist bei uns etwa vierzig Jahre, bei
Geisteswissenschaften oder Belletristik noch erheblich länger. Und wenn wir
Verlagsprogramme anderer Verlage kaufen, dann übernehmen wir für diese
gekauften Rechte auch das Archiv.
Ich will hier nicht streiten, es geht mir darum, die Sachlage zu klären, wie
das zu Beginn gefordert wurde. Ich verstehe die Interessenlage der Wissenschaft
und ihrer Nutzer und bemühe mich darzulegen, wie die der Rechteinhaber
aussieht. Und natürlich bin ich verblüfft, dass das so schwer fällt. Aber die
Verständigung fällt auch deshalb so schwer, weil da furchtbare Schubladen und
Vorurteile aus vielen Mails herausschauen.
Herzliche Grüße
Matthias Ulmer
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Matthias Ulmer
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Geschäftsführer: Matthias Ulmer
Am 12.08.2011 um 16:38 schrieb Michael Lackhoff:
Lieber Herr Ulmer,
auf Fakten beziehen. Meine Vermutung basierte darauf, dass das
wissenschaftliche Publizieren in Deutschland der Verlagsbereich mit
der höchsten Konzentration und den ältesten Unternehmen ist und
Metadaten, Verzeichnisse oder Nachweissysteme dort eher
perfektioniert werden, während wir in den Bereichen Sachbuch,
Literatur, Ratgeber eine fast atomisierte Anbieterstruktur haben mit
sehr häufigen Firmengründungen und Schließungen, weshalb sich die
Spuren der Rechteinhaber hier schneller verlieren.
[...]
Betroffenen. Und von einem Eingriff in die Eigentumsrechte sind nicht
die betroffen, die diesen fordern, sondern die, die ihn ertragen
sollen. Und das sind nicht die Nutzer sondern die Rechteinhaber, die
Autoren und die Verlage.
Ich bin kein Jurist aber wenn ich es richtig verstanden habe, duerften
doch wohl die Verlage fast nie die Rechteinhaber sein, wenn es um
Digitalisierung verwaister Werke geht. Gleichzeitig versuchen Sie aber
einen anderen Eindruck zu erwecken. Wollen Sie sagen, die (alten,
soliden) Verlage haetten zuverlaessige Unterlagen ueber Testamente,
Erbengemeinschaften usw. der wirklichen Rechteinhaber, also der Autoren?
Oder wollen Sie sagen, die Rechteinhaber seien gewoehnlich die Verlage?
Das wuerde dann fuer mich viel eher den Tatbestand der versuchten
Enteignung erfuellen.
Auf gleicher Linie kann man dann schon fragen, was die Verlage bei
solchen Gespraechen zu suchen haben. Es geht doch darum, einen fairen
Ausgleich zwischen Rechteinhabern also Autoren bzw. deren Erben und den
Nutzern zu erreichen. Wofuer braucht man _dafuer_ Verlage? Als
Interessenvertretung der Autoren? Oder doch eher aus eigenem Interesse?
Und warum fehlen die, fuer die die Autoren urspruenglich mal ihre Werke
geschaffen haben, also die Leser/Nutzer/Wissenschaftler?
Bedeutung. Und es ist eine Schande, dass die Gesellschaft die dafür
notwendigen Mittel nicht bereit stellt. Den Rechteinhabern ihre
Die Diskussion geht ja gerade darum, zu klaeren, was "notwendige Mittel"
sind und nicht, ob die dann als notwendig erkannten Mittel auch
bereitgestellt werden sollen. Eine Gesellschaft hat keine Mittel zu
verschwenden und es ist schon fraglich, ob es notwendig ist, Mittel auf
Verdacht vorzuhalten, wenn sich die potentiellen Empfaenger eben nicht
ausfindig machen liessen und diese auch selbst keine Bemuehungen zeigen,
ihre Rechte wahrzunehmen.
Ich sehe schon Ihr Argument, dass es letztlich eine Enteignung bleibt,
aber da Eigentum dem Gemeinwesen verpflichtet ist, entstand ja die
Diskussion, ob in dieser Situation (grosser Bedarf der Wissenschaft,
geringe "Naehe" der Rechteinhaber) eine solche Enteignung nicht
gerechtfertigt ist. Und eine Enteignung bleibt es auch nach Ihren
Vorstellungen. Die Frage ist nur, ob und wenn ja in welcher Hoehe eine
Entschaedigung angemessen und/oder praktikabel ist.
Viele Gruesse
Michael Lackhoff
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