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Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels



Lieber Herr Steinhauer,

wie Sie und Herr Upmeier halte ich es für nicht vertretbar, wenn ehemalige Dissertation aus dem Bibliotheksbestand entfernt werden. Ihre darüber hinausreichende Argumentation, es dürfe aus datenschutzrechtlichen Gründen kein Zusatz an den Metadaten erfolgen, halte ich hingegen unter ethischen Gesichtspunkten für inakzeptabel. Aus meiner Sicht sind Bibliotheken verpflichtet, den Hochschulschriftenvermerk im Falle der Aberkennung des akademischen Titels zu ergänzen. Richtig ist, dass es dafür bislang kein Verfahren gibt und richtig ist auch, dass es nicht Aufgabe der Bibliotheken sein kann, die entsprechenden Informationen aktiv einzuholen. Hier gibt es also Regelungsbedarf.
Wenn jedoch - wie im Falle prominenter Politiker z.B. - verlässlich 
bekannt wird, dass der Doktorgrad wegen erwiesener Plagiarismusvorwürfe 
entzogen worden ist, und die Bibliothek dennoch keinen Zusatz mindestens 
in den Metadaten anbringt, halte ich das für eine Einseitigkeit, die 
ethisch nicht zu verantworten ist.
Im vergangenen Jahr bin ich in einem ähnlichen Fall um eine 
Stellungnahme gebeten worden, deren Empfehlungsteil ich hier anfüge:
      4.Diskussion und Empfehlungen

Plagiate stellen nicht in jedem Fall Urheberrechtsverletzungen dar. Es können auch Werke und Schöpfungen plagiiert werden, die mittlerweile urheberrechtsfrei sind.
Wenn das Urheberrecht etwa in Dissertationen durch Plagiarismus 
verletzt worden ist, so hat dies geringeres Gewicht als die Verletzung 
der Informationsfreiheit, die einträte, wenn das Werk des 
Plagiierenden aus dem Bestand entfernt würde.[1] <#_ftn1>
Es besteht ein hohes Interesse der Öffentlichkeit, die Vorgänge, die 
zum Entzug eines akademischen Titels geführt haben, auch später 
überprüfen und nachvollziehen zu können. Dies ist nur zu 
gewährleisten, wenn Bibliotheken die entsprechenden Werke in ihrem 
Bestand bewahren und zugänglich machen.[2] <#_ftn2>
Bücher und Dokumente können, gerade weil sie im Nachhinein des 
Plagiarismus überführt worden sind, besonderes Forschungsinteresse 
hervorrufen. Sie spiegeln zudem einen (nicht akzeptablen, aber dennoch 
vorhandenen) Teil wissenschaftlicher Praxis.[3] <#_ftn3>
Derartige Bücher und Dokumente können jenseits der plagiierten 
Passagen, wissenschaftlich relevante Aussagen enthalten.
Insbesondere akademische Abschlussarbeiten wie Dissertationen und 
Habilitationen werden von den Fachcommunities (zumindest in den 
meisten Disziplinen), schnell und intensiv rezipiert. D.h. die 
Bezugnahme darauf in weiteren Arbeiten setzt rasch ein. Auch solche 
Dissertationen und Habilitationen, in denen Plagiate nachgewiesen 
werden konnten, sodass die damit erworbenen akademischen Grade 
aberkannt werden mussten, werden zwischen dem Zeitpunkt der 
Publikation und der Aberkennung in wissenschaftlichen Publikationen 
zitiert. Sie sind damit zum Bestandteil der wissenschaftlichen 
Informationszirkulation geworden und haben in Fußnoten, 
wissenschaftlichen Apparaten und Literaturverzeichnissen Spuren 
hinterlassen, die spätere Rezipienten zurückverfolgen wollen und 
müssen. Auch aus diesem Grund ist von einer Entfernung dieser Werke 
aus den Bibliotheksbeständen abzusehen.
*Es werden folgende Empfehlungen ausgesprochen:*

oEine Entfernung aus den Beständen wissenschaftlicher Bibliotheken sollte in jedem Fall unterbleiben.
oEin Verbleib im Bestand sollte begleitet werden von einem 
Zusatzvermerk im Katalog (Metadaten), der darauf hinweist, dass das 
Werk ursprünglich als Dissertation angenommen worden ist, der 
Doktorgrad aber mittlerweile entzogen worden ist. Ein gleichlautender 
Hinweis sollte im Dokument selbst, d.h. im gedruckten Buch bzw. im 
digitalen Äquivalent angebracht werden.
Ein Verbleib im Bestand ohne weitere Maßnahme sollte keinesfalls 
erfolgen. Uninformierte Nutzer müssen einen Hinweis darauf erhalten, 
wie es um die von ihnen konsultierte Quelle bestellt ist. Dies stellt 
keinen Bruch des Neutralitätsgebotes dar, sondern gehört zu den 
Metadaten hinzu wie der Hochschulschriftenvermerk.
Es ist im Gegenteil als unverantwortliche Fehlinformation und 
Verletzung des Neutralitätsgebotes zu werten, wenn ehemalige 
Dissertationen in Katalogen auch weiterhin im 
Hochschulschriftenvermerk ohne weiteren Zusatz als Dissertation 
gekennzeichnet werden. (vgl. im Fall Guttenberg z.B. im Katalog der 
DNB, des WorldCat, Stand 15.4.2013)

      Der Zusatzvermerk im Katalog sollte in den Bibliothekskatalogen
      standardisiert werden. (Z.B.: Entzug des Doktorgrades am 23.
      Februar 2011).


Ferner sollte der Vermerk an einer gut sichtbaren Position innerhalb der Metadaten erfolgen. Gegenwärtig sind entsprechende Anmerkungen an verschiedenen Stellen, oft nur nach Scrollvorgängen oder Zusatzclicks zu finden
-vgl. z.B. UB Bayreuth: Klick unter "Mehr zum Titel" notwendig

-im Ansatz gute Lösung: SWK-Katalog: Hinweis bereits in Kurztitelaufnahme; Hss-Vermerk hier allerdings nicht ergänzt
oEine weitere Option besteht darin, den Verbleib im Bestand und mit 
einer Einschränkung der Nutzung zu verbinden:
-Nutzung nur im Lesesaal:

Falls es sich bei den Persönlichkeiten, denen der Doktorgrad entzogen worden ist, um Prominente handelt, ist eine Einschränkung der Nutzung auf Präsenznutzung im Lesesaal aus Gründen der Diebstahlsprävention nachvollziehbar.
-Nutzung nur auf Antrag unter Angabe der spezifischen Gründe:

Eine solche Restriktion würde eine Einschränkung des Rechts auf Informationsfreiheit bedeuten und ist daher aus ethischen Gründen nicht akzeptabel. Zu prüfen ist, ob Ausnahmen dann zu rechtfertigen sind, wenn die Plagiate etwa in der Übernahme besonders geschützter Inhalte bestehen (Betriebsgeheimnisse, Markenschutz, Verfahren usw.). Restriktionen müssen für den Nutzer nachvollziehbar begründet werden.
Vgl. Praxis der DNB: http://d-nb.info/985761806/about/html

Grundsätzlich sollten Bibliotheken zum Thema Plagiarismus darauf verweisen, dass ihre Aufgabe nicht darin bestehen kann, Fälle von Plagiarismus aufzudecken. Dafür sind in erster Linie die Fachcommunities zuständig. Bibliotheken können (in vielen Fällen geschieht dies bereits) hingegen präventiv tätig werden, in dem sie im Rahmen ihrer Angebote zur Vermittlung von Informationskompetenz auch das Thema Plagiarismus und den ethischen Gebrauch von Informationen gründlich behandeln.
Im IFLA-Ethikkodex heißt es dazu:


      "Sie (= die Bibliotheken) fördern außerdem den ethischen
      Gebrauch von Informationen, um Plagiate und sonstige Arten von
      Informationsmissbrauch zu unterbinden."[4] <#_ftn4>


      Köln, im April 2013 Prof. Dr. Hermann Rösch


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[1] <#_ftnref1>Vgl. dazu aus rechtlicher Sicht Eric Steinhauer: Guttenberg aussondern? In: Bibliotheksrecht. Virtueller Zettelkasten mit Hinweisen und Anmerkungen zu bibliotheksrechtlichen Themen. 2.3.2011 http://www.bibliotheksrecht.de/2011/03/02/guttenberg-aussondern-10740355/(Zuletzt aufgesucht am 15.4.2013)
[2] <#_ftnref2>Vgl. dazu Arne Upmeier: Plagiate als Herausforderung 
für Bibliotheken? Ein Gespräch mit Arne Upmeier. In: Goethe-Institut. 
Bibliotheken in Deutschland -- Fachdiskussion. Januar 2012. 
http://www.goethe.de/wis/bib/fdk/deindex.htm(Zuletzt aufgesucht am 
15.4.2013)
[3] <#_ftnref3>/Burchard, Amory: Plagiate in der Wissenschaft 
/Guttenberg & Co. bleiben im Regal. In: Der Tagesspiegel. 
27.11.2012.**http://www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html**Zuletzt 
aufgesucht am 15.4.2013)
[4] <#_ftnref4> Vgl. Anm. 3

Viele Grüße
Hermann Rösch


Am 25.06.2014 14:07, schrieb Eric Steinhauer:
Lieber Herr Meier,

ich will jetzt nicht den Datenschutzradikalen spielen, aber zu fragen wäre schon, auf welcher Rechtsgrundlage eine solche Nutzung personenbezogener Daten erfolgt.
Im Katalog verzeichnen wir Publikationen nach Vorlage. Dazu gehört 
auch der Hochschulschriftenvermerk. Wir bringen diesen Vermerk nicht 
an, weil ein Prüfungsamt uns informiert hat, sondern weil er sich aus 
der Vorlage ergibt. Hier möchte ich auf § 162 Nr. 9 der RAK-WB 
verweisen: "Angaben dieser Art (Hochschulschriftenvermerk) werden 
gemacht, wenn sie aus der Vorlage ersichtlich sind. Auf Ergänzungen 
wird verzichtet." Solche Angaben hat der Verfasser selbst angebracht, 
so dass wir hier aus Datenschutzgründen kein Problem mit der 
Verzeichnung haben.
Der Entzug eines Titels wird als Verwaltungsakt aber nur dem 
Betroffenen bekannt gegeben. Für die Beteiligten am Verfahren gilt 
grundsätzlich Amtsverschwiegenheit. Der Bibliothekskatalog ist zudem 
kein Register für gültige Titelführungen und auch kein Pranger, um 
einen Entzug zu dokumentieren. Ohne eine gesetzliche Ermächtigung 
halte ich den Eintrag der Aberkennung eines Doktortitels im Katalog 
für rechtswidrig. Vertretbar ist allenfalls, auch wenn ich 
bibliographisch dabei Bauchschmerzen habe, den 
Hochschulschriftenvermerk einfach zu löschen.
Bedenkenswert: Die Korrektheit von ausländischen Dr.-Titeln, die auf 
Grundlage einer Entscheidung zu zuständigen Ministeriums zu Recht 
geführt werden dürfen, können wir auch nicht im Bibliothekskatalog 
nachweisen, weil es zB überhaupt keine Promotionsschrift gibt. Das war 
beispielsweise bei Titeln der Fall, die an päpstlichen Universitäten 
in Rom vor der Reform des kanonischen Hochschulrechts Anfang der 30er 
Jahre erworben wurden.
Von daher spricht viel dafür, wenn wir uns im Katalog allein darauf 
beschränken, eine vorliegende Publikatione regelwerkskonform zu 
verzeichnen.
Viele Grüße
Eric Steinhauer


--
Prof. Dr. Hermann Rösch

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