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Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels



Ich kann nur Graf und Roesch unterstützen - sicher müssen die Plagiate in den Beständen der Bibliothek bleiben; aber der Vermerk, dass die Arbeit von einer dafür zuständigen universitären Institution in entscheidenden Stellen als Plagiat erkannt worden ist (dass daraus die Aberkennung des Doktortitel folgt, sollte jedem klar sein; daher muss das nicht erwähnt werden), ist ebenso unabdingbar. Der Diskurs der Wissenschaft hat sicher auch rechtlichen Problemen wie Datenschutz und Urheberrecht Rechnung zu tragen; aber das ist nicht alles, und in ihm können weitergehende oder auch einschränkende Prinzipien entwickeln werden (z.B. die Referenzpflicht, auch auf Ideen, geht weiter über die urhr Verpflichtung hinaus). Wenn eine wissenschaftliche Arbeit mit Namen des Autors öffentlich gemacht wurde, muss die Kennzeichnung, dass die Arbeit, offiziell bescheinigt, nicht-wissenschaftlichen Diskursprinzipien entspricht (um nicht "Ethik" hier zu bemühen), von den Biblitheken angebracht werden. Was das mit Datenschutz zu tun haben soll, weiss ich nicht. Gerade bei Dissertationen wird zudem regelmäßig die Universität, an der das DissVerfahren abgewickelt wurde, genannt. Da muss der Vermerk angebracht sein, dass sich die Universität von dieser Arbeit im Nachinein distanziert hat. Dass ein Verfahren dafür insgesamt entwickelt werden muss, damit das nicht nur im Katalog der Bibliothek der zuständigen Hochschule vermerkt wird, ist klar. Aber für die NB, zusammen mit DFG und Rechtskommission des dbv, dürfte es kein Problem sein, Entsprechendes vorzuschlagen.
RK

Am 26.06.2014 04:03, schrieb Hermann Roesch:
Lieber Herr Steinhauer,

wie Sie und Herr Upmeier halte ich es für nicht vertretbar, wenn ehemalige Dissertation aus dem Bibliotheksbestand entfernt werden. Ihre darüber hinausreichende Argumentation, es dürfe aus datenschutzrechtlichen Gründen kein Zusatz an den Metadaten erfolgen, halte ich hingegen unter ethischen Gesichtspunkten für inakzeptabel. Aus meiner Sicht sind Bibliotheken verpflichtet, den Hochschulschriftenvermerk im Falle der Aberkennung des akademischen Titels zu ergänzen. Richtig ist, dass es dafür bislang kein Verfahren gibt und richtig ist auch, dass es nicht Aufgabe der Bibliotheken sein kann, die entsprechenden Informationen aktiv einzuholen. Hier gibt es also Regelungsbedarf.

Wenn jedoch - wie im Falle prominenter Politiker z.B. - verlässlich bekannt wird, dass der Doktorgrad wegen erwiesener Plagiarismusvorwürfe entzogen worden ist, und die Bibliothek dennoch keinen Zusatz mindestens in den Metadaten anbringt, halte ich das für eine Einseitigkeit, die ethisch nicht zu verantworten ist.

Im vergangenen Jahr bin ich in einem ähnlichen Fall um eine Stellungnahme gebeten worden, deren Empfehlungsteil ich hier anfüge:


      4.Diskussion und Empfehlungen

Plagiate stellen nicht in jedem Fall Urheberrechtsverletzungen dar. Es können auch Werke und Schöpfungen plagiiert werden, die mittlerweile urheberrechtsfrei sind.

Wenn das Urheberrecht etwa in Dissertationen durch Plagiarismus verletzt worden ist, so hat dies geringeres Gewicht als die Verletzung der Informationsfreiheit, die einträte, wenn das Werk des Plagiierenden aus dem Bestand entfernt würde.[1] <#_ftn1>

Es besteht ein hohes Interesse der Öffentlichkeit, die Vorgänge, die zum Entzug eines akademischen Titels geführt haben, auch später überprüfen und nachvollziehen zu können. Dies ist nur zu gewährleisten, wenn Bibliotheken die entsprechenden Werke in ihrem Bestand bewahren und zugänglich machen.[2] <#_ftn2>

Bücher und Dokumente können, gerade weil sie im Nachhinein des Plagiarismus überführt worden sind, besonderes Forschungsinteresse hervorrufen. Sie spiegeln zudem einen (nicht akzeptablen, aber dennoch vorhandenen) Teil wissenschaftlicher Praxis.[3] <#_ftn3>

Derartige Bücher und Dokumente können jenseits der plagiierten Passagen, wissenschaftlich relevante Aussagen enthalten.

Insbesondere akademische Abschlussarbeiten wie Dissertationen und Habilitationen werden von den Fachcommunities (zumindest in den meisten Disziplinen), schnell und intensiv rezipiert. D.h. die Bezugnahme darauf in weiteren Arbeiten setzt rasch ein. Auch solche Dissertationen und Habilitationen, in denen Plagiate nachgewiesen werden konnten, sodass die damit erworbenen akademischen Grade aberkannt werden mussten, werden zwischen dem Zeitpunkt der Publikation und der Aberkennung in wissenschaftlichen Publikationen zitiert. Sie sind damit zum Bestandteil der wissenschaftlichen Informationszirkulation geworden und haben in Fußnoten, wissenschaftlichen Apparaten und Literaturverzeichnissen Spuren hinterlassen, die spätere Rezipienten zurückverfolgen wollen und müssen. Auch aus diesem Grund ist von einer Entfernung dieser Werke aus den Bibliotheksbeständen abzusehen.

*Es werden folgende Empfehlungen ausgesprochen:*

oEine Entfernung aus den Beständen wissenschaftlicher Bibliotheken sollte in jedem Fall unterbleiben.

oEin Verbleib im Bestand sollte begleitet werden von einem Zusatzvermerk im Katalog (Metadaten), der darauf hinweist, dass das Werk ursprünglich als Dissertation angenommen worden ist, der Doktorgrad aber mittlerweile entzogen worden ist. Ein gleichlautender Hinweis sollte im Dokument selbst, d.h. im gedruckten Buch bzw. im digitalen Äquivalent angebracht werden.

Ein Verbleib im Bestand ohne weitere Maßnahme sollte keinesfalls erfolgen. Uninformierte Nutzer müssen einen Hinweis darauf erhalten, wie es um die von ihnen konsultierte Quelle bestellt ist. Dies stellt keinen Bruch des Neutralitätsgebotes dar, sondern gehört zu den Metadaten hinzu wie der Hochschulschriftenvermerk. Es ist im Gegenteil als unverantwortliche Fehlinformation und Verletzung des Neutralitätsgebotes zu werten, wenn ehemalige Dissertationen in Katalogen auch weiterhin im Hochschulschriftenvermerk ohne weiteren Zusatz als Dissertation gekennzeichnet werden. (vgl. im Fall Guttenberg z.B. im Katalog der DNB, des WorldCat, Stand 15.4.2013)


      Der Zusatzvermerk im Katalog sollte in den Bibliothekskatalogen
      standardisiert werden. (Z.B.: Entzug des Doktorgrades am 23.
      Februar 2011).


Ferner sollte der Vermerk an einer gut sichtbaren Position innerhalb der Metadaten erfolgen. Gegenwärtig sind entsprechende Anmerkungen an verschiedenen Stellen, oft nur nach Scrollvorgängen oder Zusatzclicks zu finden

-vgl. z.B. UB Bayreuth: Klick unter "Mehr zum Titel" notwendig

-im Ansatz gute Lösung: SWK-Katalog: Hinweis bereits in Kurztitelaufnahme; Hss-Vermerk hier allerdings nicht ergänzt

oEine weitere Option besteht darin, den Verbleib im Bestand und mit einer Einschränkung der Nutzung zu verbinden:

-Nutzung nur im Lesesaal:

Falls es sich bei den Persönlichkeiten, denen der Doktorgrad entzogen worden ist, um Prominente handelt, ist eine Einschränkung der Nutzung auf Präsenznutzung im Lesesaal aus Gründen der Diebstahlsprävention nachvollziehbar.

-Nutzung nur auf Antrag unter Angabe der spezifischen Gründe:

Eine solche Restriktion würde eine Einschränkung des Rechts auf Informationsfreiheit bedeuten und ist daher aus ethischen Gründen nicht akzeptabel. Zu prüfen ist, ob Ausnahmen dann zu rechtfertigen sind, wenn die Plagiate etwa in der Übernahme besonders geschützter Inhalte bestehen (Betriebsgeheimnisse, Markenschutz, Verfahren usw.). Restriktionen müssen für den Nutzer nachvollziehbar begründet werden.
Vgl. Praxis der DNB: http://d-nb.info/985761806/about/html

Grundsätzlich sollten Bibliotheken zum Thema Plagiarismus darauf verweisen, dass ihre Aufgabe nicht darin bestehen kann, Fälle von Plagiarismus aufzudecken. Dafür sind in erster Linie die Fachcommunities zuständig. Bibliotheken können (in vielen Fällen geschieht dies bereits) hingegen präventiv tätig werden, in dem sie im Rahmen ihrer Angebote zur Vermittlung von Informationskompetenz auch das Thema Plagiarismus und den ethischen Gebrauch von Informationen gründlich behandeln.

Im IFLA-Ethikkodex heißt es dazu:


      "Sie (= die Bibliotheken) fördern außerdem den ethischen
      Gebrauch von Informationen, um Plagiate und sonstige Arten von
      Informationsmissbrauch zu unterbinden."[4] <#_ftn4>


      Köln, im April 2013 Prof. Dr. Hermann Rösch


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[1] <#_ftnref1>Vgl. dazu aus rechtlicher Sicht Eric Steinhauer: Guttenberg aussondern? In: Bibliotheksrecht. Virtueller Zettelkasten mit Hinweisen und Anmerkungen zu bibliotheksrechtlichen Themen. 2.3.2011 http://www.bibliotheksrecht.de/2011/03/02/guttenberg-aussondern-10740355/(Zuletzt aufgesucht am 15.4.2013)

[2] <#_ftnref2>Vgl. dazu Arne Upmeier: Plagiate als Herausforderung für Bibliotheken? Ein Gespräch mit Arne Upmeier. In: Goethe-Institut. Bibliotheken in Deutschland -- Fachdiskussion. Januar 2012. http://www.goethe.de/wis/bib/fdk/deindex.htm(Zuletzt aufgesucht am 15.4.2013)

[3] <#_ftnref3>/Burchard, Amory: Plagiate in der Wissenschaft /Guttenberg & Co. bleiben im Regal. In: Der Tagesspiegel. 27.11.2012.**http://www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html**Zuletzt aufgesucht am 15.4.2013)

[4] <#_ftnref4> Vgl. Anm. 3


Viele Grüße
Hermann Rösch


Am 25.06.2014 14:07, schrieb Eric Steinhauer:
Lieber Herr Meier,

ich will jetzt nicht den Datenschutzradikalen spielen, aber zu fragen wäre schon, auf welcher Rechtsgrundlage eine solche Nutzung personenbezogener Daten erfolgt.

Im Katalog verzeichnen wir Publikationen nach Vorlage. Dazu gehört auch der Hochschulschriftenvermerk. Wir bringen diesen Vermerk nicht an, weil ein Prüfungsamt uns informiert hat, sondern weil er sich aus der Vorlage ergibt. Hier möchte ich auf § 162 Nr. 9 der RAK-WB verweisen: "Angaben dieser Art (Hochschulschriftenvermerk) werden gemacht, wenn sie aus der Vorlage ersichtlich sind. Auf Ergänzungen wird verzichtet." Solche Angaben hat der Verfasser selbst angebracht, so dass wir hier aus Datenschutzgründen kein Problem mit der Verzeichnung haben.

Der Entzug eines Titels wird als Verwaltungsakt aber nur dem Betroffenen bekannt gegeben. Für die Beteiligten am Verfahren gilt grundsätzlich Amtsverschwiegenheit. Der Bibliothekskatalog ist zudem kein Register für gültige Titelführungen und auch kein Pranger, um einen Entzug zu dokumentieren. Ohne eine gesetzliche Ermächtigung halte ich den Eintrag der Aberkennung eines Doktortitels im Katalog für rechtswidrig. Vertretbar ist allenfalls, auch wenn ich bibliographisch dabei Bauchschmerzen habe, den Hochschulschriftenvermerk einfach zu löschen.

Bedenkenswert: Die Korrektheit von ausländischen Dr.-Titeln, die auf Grundlage einer Entscheidung zu zuständigen Ministeriums zu Recht geführt werden dürfen, können wir auch nicht im Bibliothekskatalog nachweisen, weil es zB überhaupt keine Promotionsschrift gibt. Das war beispielsweise bei Titeln der Fall, die an päpstlichen Universitäten in Rom vor der Reform des kanonischen Hochschulrechts Anfang der 30er Jahre erworben wurden.

Von daher spricht viel dafür, wenn wir uns im Katalog allein darauf beschränken, eine vorliegende Publikatione regelwerkskonform zu verzeichnen.

Viele Grüße
Eric Steinhauer




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Prof. Dr. Rainer Kuhlen
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