Lieber Herr Ulmer!
Jetzt frag ich mal ganz unverfroren nach Ihrer und Andersons
Expertise zum Thema Gründertum. Anderson ist Journalist,
angestellter. Meines Wissens hat er nichts gegründet und vom Thema
vermutlich keine Ahnung.
Ihre Aussage wird hoffentlich vom Campus-Verlag nicht als
geschäftsschädigend
eingestuft, und Sie dann nicht regresspflichtig gemacht. Denn ich
verstehe Ihre
Sätze so, daß Sie behaupten, der Campus-Verlag veröffentliche ein
Buch eines
Autors, der keine Ahnung hat, worüber er schreibt. Na gut!
Unsere Bibliothek wird das Buch jedenfalls kaufen. Bevor man sich
zu einem Buch
äußert, sollte man es erst mal gelesen haben. Ansonsten möchte ich
doch
empfehlen, daß Sie erst mal das Interview in der ZEIT lesen. Da
äußert sich der
Autor etwas anders als Sie, warum die deutsche Fassung nicht zum
Download
angeboten wird.
Als Bibliothekar, d.h. als Großkunde der deutschen
Verlagswirtschaft erlaube ich
mir aber doch noch eine Frage: Wo sind sie denn, die neuen
Geschäftsmodelle? Sie
meinen doch hoffentlich nicht die weit über der Inflationsrate
liegenden,
exorbitanten Preissteigerungen bei Verlagsprodukten? Das ist doch kein
Geschäftsmodell.
PS: Ihr Teflon-Vergleich gefällt mir. Ich würde bei mir zwar eher von
Alterssyndrom sprechen, aber Ihr Vergleich paßt in die
Aufmerksamkeit heischende
Web-Community. Bitte noch mehr davon!!!
Mit sommerlichen Grüßen und in aufrichtiger Verbundenheit (keine
Ironie!)
--
Dr. Harald Müller
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und
Völkerrecht /
Bibliothek
Max Planck Institute for Comparative Public Law
and International Law / Library
Im Neuenheimer Feld 535; D-69120 Heidelberg
Phone: +49 6221 482 219; Fax: +49 6221 482 593
Mail: hmueller@xxxxxxx
-----Original Message-----
From: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] On Behalf Of Matthias
Ulmer
Sent: Monday, August 17, 2009 2:49 PM
To: Internet in Bibliotheken
Subject: Re: [InetBib] Frage zu Hybridpublikationen
Lieber Herr Müller,
da gäbe es jetzt so viel zu sagen, zu Ihrer Mail und zum Anderson.
Aber ich frage mich wirklich, ob sich das lohnt. Denn die Hälfte
davon habe ich Ihnen bereits gemailt und da sind Sie wie Teflon, da
bleibt auch nichts haften. Und da sagt man sich dann natürlich, dass
ein Dialog nichts bringt, wenn der andere nicht bereit ist die
Argumente zu prüfen und gegebenenfalls zu übernehmen.
Aber zum reinen Possen wiederhole ich ein paar Standards:
1. Ich habe nichts gegen Open Access und ich bekämpfe Open Access
auch nicht vehement.
2. (in Ihren Worten): eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Auch
wenn Sie mir jetzt aufgeregt mit dem Finger die Schwalbe Kuhlen,
die Schwalbe Anderson und die Schwalbe Hoeren gezeigt haben.
3. Für betriebswirtschaftlich wichtige Entscheidungen braucht man
seriöse Entscheidungsgrundlagen. Diese liegen heute in meinen Augen
noch nicht vor.
4. Es gibt bei Verlagen kein Mangel an neuen Geschäftsmodellen. Sie
nehmen das nicht wahr, weil Ihnen der Einblick in die Verlagsbranche
dazu fehlt. Wenn ich es Ihnen aber sage, dass es so ist, dann können
Sie das wenigstens in Erwägung ziehen.
Das alles habe ich schon hier und dort und auch mit Ihnen persönlich
besprochen. Aber ich schreib es gerne auch einmal im Monat für Sie
erneut in Inetbib auf.
Jetzt zwei vergnügliche Fragen, die vielleicht zu Ihrer Stimmungslage
passen:
a) noch immer habe ich hier zu Ihrem Erfolgsbeispiel für eine
Hybridpublikation nicht eine "belastbare" Zahl gehört. Das lässt mich
langsam vermuten, dass die erste von Ihnen ausgemachte Schwalbe eher
ein Kuckuck war.
b) die zweite Schwalbe Anderson verkündet auf der Webseite von Wired,
dass die Phase mit dem kostenlosen Download vorbei sei. Bitte
erklären Sie doch inetbib, was das bedeutet. Wenn der kostenlose
Download den Absatz stimuliert, warum stellt der Autor ihn dann ein?
Hat er keine Bücher mehr zu verkaufen? Weiß er nicht mehr wohin mit
seinem Geld? Oder ist die Schwalbe auch keine gewesen?
Sie fragen zu Recht, warum das Buch in Deutschland nicht als
kostenloser Download angeboten wird. Aber sie unterschlagen eine ganz
entscheidende und nicht unplausible Antwort: er wird nicht angeboten,
weil die Erfahrung in USA damit schlecht waren...?
In der Regel wird heute die Vertriebsform im Vertrag mit dem
Lizenzgeber bereits festgelegt. Wenn also Anderson wirklich der
Überzeugung ist, dass der Free-Download den Umsatz steigert, dann
hätte er das vertraglich zur Bedingung gemacht. Und wenn der
amerikanische Verlag der Meinung wäre, dass der Free-Download den
Lizenzumsatz steigert, dann hätte er das ebenfalls zur Bedingung
gemacht. Da beide das nicht gemacht haben und Anderson jetzt sogar
selbst den Free-Dowload gestoppt hat, da könnte man doch zu der
Schlussfolgerung kommen, dass sich der Free-Download als schädlich
erwiesen hat und man mit mehr als nur Platz 13 bei der
Bestsellerliste gerechnet hatte.
Und noch eine Frage: Sie übernehmen Andersons Aussage, dass nur wer
wie ein Gründer denken kann in der digitalen Welt Erfolg haben wird.
Jetzt frag ich mal ganz unverfroren nach Ihrer und Andersons
Expertise zum Thema Gründertum. Anderson ist Journalist,
angestellter. Meines Wissens hat er nichts gegründet und vom Thema
vermutlich keine Ahnung. Sie haben vermutlich das MPI auch nicht
gegründet, aber vielleicht kennen Sie sich mit Unternehmensgründung
aus früheren Zeiten aus?
Kopfschüttelnd grüßt
Ihr Matthias Ulmer
_________________________________________________________________
Verlag Eugen Ulmer
Matthias Ulmer
Postfach 700561 - 70574 Stuttgart
Wollgrasweg 41 - 70599 Stuttgart-Hohenheim
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mulmer@xxxxxxxx
www.ulmer.de
Eugen Ulmer KG
Sitz Stuttgart
Registergericht Stuttgart, HRA 581
Geschäftsführer: Matthias Ulmer
Am 16.08.2009 um 17:59 schrieb Müller, Harald:
Lieber, armer Herr Ulmer!
Am 24. August erscheint im Campus-Verlag das neueste Buch von Chris
Anderson
"Free". Es erklärt, wie man die Umsonstkultur im Internet zum
Geschäft machen
kann. Das Buch konnte in den USA als Open Access aus dem Internet
heruntergeladen werden >>> mehr als 300.000 Downloads. Trotzdem
stieg die
Papierausgabe bis auf Platz 13 der NYT-Bestsellerliste.
In einem Interview in der ZEIT vom 13. August 2009 S. 25 erklärt
Anderson, warum
er diesen Erfolg hat, und warum der "klassische Verleger" demnächst
pleite sein
dürfte.
Ich widerhole mich: nur wer wie ein Gründer denken kann, wird in
einer digitalen
Welt Erfolg haben (sagt Anderson).
Bitte seien Sie doch so gut und erläutern den INETBIB-LeserInnen,
was an den
Aussagen von Anderson Ihrer Meinung nach falsch ist, und warum die
deutschen
Verlage Open Access so vehement bekämpfen. Die Fakten sprechen doch
gerade für
neue Geschäftsmodelle. Da ich nur ein kleiner Provinzbibliothekar
bin, verstehe
ich natürlich vom Verlagsgeschäft nichts. Trotzdem muß ich leider
bekennen, daß
die Thesen von Anderson eigentlich genau das beinhalten, was ich
immer schon
vertreten habe, nur nicht so gut formulieren konnte.
Ach ja: die deutsche Ausgabe des Anderson-Buchs kostet 39,90 Euro
und ist nicht
"free". Das sagt eigentlich alles zu der Frage, wie ein deutscher
Verlag
eigentlich zu seinem eigenen Produkt steht. Ich gestatte mir die
Bemerkung
"Hasenfüsse!".
Mit vergnüglichen Grüssen
--
Dr. Harald Müller
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