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Re: [InetBib] Frage zu Hybridpublikationen



Lieber Herr Müller,

da gäbe es jetzt so viel zu sagen, zu Ihrer Mail und zum Anderson.  
Aber ich frage mich wirklich, ob sich das lohnt. Denn die Hälfte  
davon habe ich Ihnen bereits gemailt und da sind Sie wie Teflon, da  
bleibt auch nichts haften. Und da sagt man sich dann natürlich, dass  
ein Dialog nichts bringt, wenn der andere nicht bereit ist die  
Argumente zu prüfen und gegebenenfalls zu übernehmen.

Aber zum reinen Possen wiederhole ich ein paar Standards:

1. Ich habe nichts gegen Open Access und ich bekämpfe Open Access  
auch nicht vehement.
2. (in Ihren Worten): eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Auch  
wenn Sie mir jetzt aufgeregt  mit dem Finger  die Schwalbe Kuhlen,  
die Schwalbe Anderson und die Schwalbe Hoeren gezeigt haben.
3. Für betriebswirtschaftlich wichtige Entscheidungen braucht man  
seriöse Entscheidungsgrundlagen. Diese liegen heute in meinen Augen  
noch nicht vor.
4. Es gibt bei Verlagen kein Mangel an neuen Geschäftsmodellen. Sie  
nehmen das nicht wahr, weil Ihnen der Einblick in die Verlagsbranche  
dazu fehlt. Wenn ich es Ihnen aber sage, dass es so ist, dann können  
Sie das wenigstens in Erwägung ziehen.

Das alles habe ich schon hier und dort und auch mit Ihnen persönlich  
besprochen. Aber ich schreib es gerne auch einmal im Monat für Sie  
erneut  in Inetbib auf.

Jetzt zwei vergnügliche Fragen, die vielleicht zu Ihrer Stimmungslage  
passen:

a) noch immer habe ich hier zu Ihrem Erfolgsbeispiel für eine  
Hybridpublikation nicht eine "belastbare" Zahl gehört. Das lässt mich  
langsam vermuten, dass die erste von Ihnen ausgemachte Schwalbe eher  
ein Kuckuck war.
b) die zweite Schwalbe Anderson verkündet auf der Webseite von Wired,  
dass die Phase mit dem kostenlosen Download vorbei sei. Bitte  
erklären Sie doch inetbib, was das bedeutet. Wenn der kostenlose  
Download den Absatz stimuliert, warum stellt der  Autor ihn dann ein?  
Hat er keine Bücher mehr zu verkaufen? Weiß er nicht mehr wohin mit  
seinem Geld? Oder ist die Schwalbe auch keine gewesen?

Sie fragen zu Recht, warum das Buch in Deutschland nicht als   
kostenloser Download angeboten wird. Aber sie unterschlagen eine ganz  
entscheidende und nicht unplausible Antwort: er wird nicht angeboten,  
weil die Erfahrung in USA damit schlecht waren...?
In der Regel wird heute die Vertriebsform im Vertrag mit dem  
Lizenzgeber bereits festgelegt. Wenn also Anderson wirklich der  
Überzeugung ist, dass der Free-Download den Umsatz steigert, dann  
hätte er das vertraglich zur Bedingung gemacht. Und wenn der  
amerikanische Verlag der Meinung wäre, dass der Free-Download  den  
Lizenzumsatz steigert, dann hätte er das ebenfalls zur Bedingung  
gemacht. Da beide das nicht gemacht haben und Anderson jetzt sogar  
selbst den Free-Dowload gestoppt hat, da könnte man doch zu der  
Schlussfolgerung kommen, dass sich der Free-Download als schädlich  
erwiesen hat und man mit mehr als  nur Platz 13 bei der  
Bestsellerliste gerechnet hatte.

Und noch eine Frage: Sie übernehmen Andersons Aussage, dass nur wer  
wie ein Gründer denken kann in der digitalen Welt Erfolg haben wird.  
Jetzt frag ich mal ganz unverfroren nach Ihrer und Andersons  
Expertise zum Thema Gründertum. Anderson ist Journalist,  
angestellter. Meines Wissens hat er nichts gegründet und vom Thema  
vermutlich keine Ahnung. Sie haben vermutlich das MPI auch nicht  
gegründet, aber vielleicht kennen Sie sich mit Unternehmensgründung  
aus früheren Zeiten aus?

Kopfschüttelnd grüßt
Ihr Matthias Ulmer


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Geschäftsführer: Matthias Ulmer




Am 16.08.2009 um 17:59 schrieb Müller, Harald:

Lieber, armer Herr Ulmer!

Am 24. August erscheint im Campus-Verlag das neueste Buch von Chris  
Anderson
"Free". Es erklärt, wie man die Umsonstkultur im Internet zum  
Geschäft machen
kann. Das Buch konnte in den USA als Open Access aus dem Internet
heruntergeladen werden >>> mehr als 300.000 Downloads. Trotzdem  
stieg die
Papierausgabe bis auf Platz 13 der NYT-Bestsellerliste.

In einem Interview in der ZEIT vom 13. August 2009 S. 25 erklärt  
Anderson, warum
er diesen Erfolg hat, und warum der "klassische Verleger" demnächst  
pleite sein
dürfte.

Ich widerhole mich: nur wer wie ein Gründer denken kann, wird in  
einer digitalen
Welt Erfolg haben (sagt Anderson).

Bitte seien Sie doch so gut und erläutern den INETBIB-LeserInnen,  
was an den
Aussagen von Anderson Ihrer Meinung nach falsch ist, und warum die  
deutschen
Verlage Open Access so vehement bekämpfen. Die Fakten sprechen doch  
gerade für
neue Geschäftsmodelle. Da ich nur ein kleiner Provinzbibliothekar  
bin, verstehe
ich natürlich vom Verlagsgeschäft nichts. Trotzdem muß ich leider  
bekennen, daß
die Thesen von Anderson eigentlich genau das beinhalten, was ich  
immer schon
vertreten habe, nur nicht so gut formulieren konnte.

Ach ja: die deutsche Ausgabe des Anderson-Buchs kostet 39,90 Euro  
und ist nicht
"free". Das sagt eigentlich alles zu der Frage, wie ein deutscher  
Verlag
eigentlich zu seinem eigenen Produkt steht. Ich gestatte mir die  
Bemerkung
"Hasenfüsse!".

Mit vergnüglichen Grüssen

--
Dr. Harald Müller

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