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Re: [InetBib] Datenschutz und Titelentzug



Lieber Herr Eberhardt, liebe Frau Noeske,

dem zitierten Denunziationsbegriff bliebe m.E. / für mein Gefühl
eigentlich hinzuzufügen, dass die hierbei erbrachten Anschuldigungen
weiter oftmals grundlos sind, also auch üble Nachrede darstellen -
dies wäre bei einem "zertifizierten" Plagiat usw. nicht der Fall - und
zum Anderen, dass sie oftmals, wie im 3. Reich, erst durch absurde bis
ihrerseits verrbecherische Gesetze, also Staatswillkür, möglich oder
zu dem werden, was sie dann sind.

Wobei die Basis dieser Gesetze von vielen Bürgern nicht angezweifelt
wird ("Wenn die das beschließen, dann wird es schon auch recht sein";
"Man kann doch sowieso nichts machen"), und ebensowenig der exekutive
Umgang damit ("Wenn die den vernehmen/ verhaften, wird der schon was
getan haben"), die aus der Denunziation folgenden Aktionen dann also
Rechtens sein müssen...

Na ja.
Jedenfalls trifft das alles nicht auf erwiesene Plagiate zu; selbst
dann nicht, wenn der Ausgangspunkt der Suche nach Schummeleien usw.
Missgunst oder sonstwas war.
Zum Glück ist ja an der Schrift doch einiges zu verifizieren, was bei
Gerüchten im Raum hängen bleibt.

Man könnte natürlich sagen, dass nach geltendem Recht selbst ein
Mörder nach 20 Jahren oä. seine Schuld abgesessen und ein Anrecht auf
ein unbescholtenes Weiterleben oder einen Neuanfang hat.
Diese Möglichkeit ist nun aufgrund der Präsenz der Arbeit im
"Gedächnis der Welt" bei Dissen usw. nicht immer gegeben - aber dann
wiederum: man hätt es ja auch nicht tun gesollt...
Auch die Unterlagen eines langen Schuldspruchs werden m.W. nicht
vernichtet, oder?

Ob und wie ein "Recht auf Vergessen" hier, wie auch im Internet, dann
legal, (gesellschaftlich) gewünscht,  sinnvoll sein kann oder
umzusetzen wäre,
ist dann das nächste Ding...

Schönen Abend -
Silke Ecks



Am 1. Juli 2014 09:51 schrieb Eberhardt, Joachim <Eberhardt@xxxxxxxxxxxxxx>:
Liebe Liste, liebe Frau Noeske,

ich kann die Argumentation nicht so ganz nachvollziehen.

 Deshalb bin ich für die Lösung
1 und erlaube mir die Frage nach dem Selbstverständnis von Archiv und
Bibliothek. Beide sind Gedächtnis, der Geistesblitze, Abgründe, Mühen, 
Arglist
und der Gier.

Wenn die Bibliotheken Gedächtnis sind, dann sollten sie sich doch an Dinge 
erinnern. Gilt das für die Tatsache des Titelentzugs und die Tatsache der 
Schummelei nicht?
So wie das Führen eines Titels eine öffentliche Tatsache ist, so ist es der 
Entzug selbstverständlich auch.

Die Rede war nicht nur von geisteswissenschaftlichen, sondern auch von
naturwissenschaftlichen Schummeleien. Bei letzteren baue ich darauf, dass
Professoren und andere Fachleute diese kennen und ihren Studenten bzw.
Mitarbeitern weitersagen. Dann wird schon per Fußnote derlei Untat weiter
tradiert werden. Kurz: ich bin nicht dafür, dass Bibliotheken Benutzer
bevormunden, sondern ihnen hinreichend Geist zutrauen.

Das Wort "bevormunden" finde ich hier leicht im Munde geführt. Bibliothekare 
wählen ohnehin die Literatur aus, die in ihrem Haus bereitsteht. Sind ihrem 
Selbstverständnis nach schon ein erster Qualitätsfilter. Warum empfehlen wir 
den Leuten das Beratungsgespräch statt Google?

Mein Verständnis von Archiv und Bibliothek ist die Mündigkeit des Bürgers;
ohne diese wären diese Institutionen demokratisch nicht legitimierbar.

Die Mündigkeit üben die Bürger auf unterschiedliche Weise aus, manche, indem 
sie sich von den Bibliothekaren helfen und beraten lassen. Mir wäre es 
lieber, wenn die Hilfe zuverlässig wäre.

Ich hoffe, dass ich in einer Bibliothek oder in einem Archiv nie ein Dokument
in die Hand bekomme, in dem ein denunziatorischer Vermerk selbiger
Institution eingeklebt ist.

Wikipedia definiert Denunziation: "Unter Denunziation versteht man die – 
häufig anonyme – öffentliche Beschuldigung oder Anzeige einer Person oder 
Gruppe aus nicht selten niedrigen persönlichen oder oft politischen 
Beweggründen, von deren Ergebnis der Denunziant sich selbst oder den durch 
ihn vertretenen Interessen einen Vorteil verspricht." Das entspricht meiner 
eigenen sprachlichen Intuition. Daher bin ich etwas erschrocken über den 
Wortgebrauch an dieser Stelle, Frau Noeske. Ich würde festhalten wollen, dass 
a) ein Vermerk im Katalog nicht anonym wäre, sondern institutionell 
beglaubigt, dass b) keine niedrigen, keine persönlichen, keine politischen 
Interessen dahinterstehen, und c) dass die Institution Bibliothek auch keinen 
unmittelbaren Vorteil davon hat.

Freundlichen Gruß,

J. Eberhardt (LLB/ThB Detmold)

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von
Felicitas Noeske
Gesendet: Dienstag, 1. Juli 2014 00:30
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Datenschutz und Titelentzug


Liebe Liste, lieber Eric Steinhauer,

die Diskussion verstehe ich so, dass für ein Dilemma keine
Vorschriften/Verordnungen/Gesetze bestehen. Deshalb bin ich für die Lösung
1 und erlaube mir die Frage nach dem Selbstverständnis von Archiv und
Bibliothek. Beide sind Gedächtnis, der Geistesblitze, Abgründe, Mühen, 
Arglist
und der Gier. Im Blog Archivalia gibt's eine wunderbare Kategorie: Fälschung
http://archiv.twoday.net/search?q=f%C3%A4lschung Was wäre, wenn uns vor
Hunderten von Jahren eifrige Bibliothekare derlei heute erspart hätten?

Die Rewde war nicht nur von geisteswissenschaftlichen, sondern auch von
naturwissenschaftlichen Schummeleien. Bei letzteren baue ich darauf, dass
Professoren und andere Fachleute diese kennen und ihren Studenten bzw.
Mitarbeitern weitersagen. Dann wird schon per Fußnote derlei Untat weiter
tradiert werden. Kurz: ich bin nicht dafür, dass Bibliotheken Benutzer
bevormunden, sondern ihnen hinreichend Geist zutrauen. Missbrauch ist nie
auszuschließen, da hilft kein Datenschutz und kein Hochschulvermerk, derlei
lässt sich ignorieren. Aussondern ist ganz schlecht, macht nur erst recht
interessant.

Mein Verständnis von Archiv und Bibliothek ist die Mündigkeit des Bürgers;
ohne diese wären diese Institutionen demokratisch nicht legitimierbar. Ob
Freihand oder Magazin kann nun wirklich jede Institution selbst entscheiden.
Ich hoffe, dass ich in einer Bibliothek oder in einem Archiv nie ein Dokument
in die Hand bekomme, in dem ein denunziatorischer Vermerk selbiger
Institution eingeklebt ist. (Es sei denn, es ist 200 Jahre alt...;-)

Herzlich,
Felicitas Noeske

Gesendet: Montag, 30. Juni 2014 um 10:51 Uhr
Von: "Eric Steinhauer" <eric.steinhauer@xxxxxxxxxxxxxxxx>
An: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Betreff: [InetBib] Datenschutz und Titelentzug
Liebe Liste,

toll, dass es nach langer Zeit endlich einmal wieder eine gute
Fachdiskussion hier auf der Liste gibt! :))

Bei der Frage, wie man als Bibliothek auf einen Titelentzug reagiert,
kommt sicher dem Katalog eine entscheidende Rolle zu, denn dort findet
sich die Information, dass eine bestimmte Arbeit eine Dissertation ist,
sofern und soweit dies aus der Vorlage erkenntlich ist. Die "Wahrheit"
also, die der Katalog enthält, ist, dass in einem konkret vorliegenden
Buch steht, es sei eine Dissertation. Es ist nicht Aufgabe des
Kataloges, das Bestehen oder Nichtbestehen von Titelführungsbefugnissen
oder dergleichen zu dokumentieren.

Wenn ich beim Vorliegen eines Titelentzuges darauf im Katalog reagieren
möchte, habe ich drei Möglichkeiten:

1. Nix tun: Das entspricht den Katalogregeln, bereitet aber ein gewisses
Unbehagen (das gebe ich gerne zu).

2. Den Titeltentzug vermerken: Den Katalogregeln entsprechend bleibt der
Hochschulschriftenvermerk bestehen, allerdings zerstöre ich den
Eindruck, hier liege noch eine "echte" Dissertation vor. Problem: Ich
muss personenbezogene Daten verarbeiten. In diesem Fall bin ich an das
Datenschutzrecht gebunden. In Ermangelung einer speziellen gesetzlichen
Grundlage gibt es hier nur zwei Möglichkeiten: Der Betroffene willigt
ein (unwahrscheinlich), oder: ich verarbeite eine öffentlich bekannte
Tatsache. Im letzten Fall ergibt sich aber das Problem, dass die
Verarbeitung dieser Information zu meinen Aufgaben gehören muss. Eine
gesetzliche Aufgabebeschreibung von Bibliotheken, die so ein Handeln
deckt, kenne ich nicht. Nimmt man die Katalogregeln als Indiz, für das
was Bibliotheken tun, so spricht das GEGEN einen entsprechenden Zusatz
im Katalog. Ohne eine klare gesetzliche Grundlage halte ich daher einen
solchen Zusatz derzeit für datenschutzrechtlich NICHT zulässig. Wäre ich
Datenschutzbeauftragter, würde ich einen entsprechenden Eintrag
beanstanden.

3. Den Hochschulschriftenvermerk entfernen: Das entspricht zwar nicht
den Katalogregeln, bereitet aber keine Probleme mit dem Datenschutz.
Allerdings ergibt sich ein Folgeproblem: Ohne Hochschulschriftenvermerk
bekommt das Buch vielleicht sogar eine "Aufwertung", weil es jetzt wie
eine wissenschaftliche Monograhie erscheint und nicht bloß als
Dissertation, also als von der Qualität her doch meist überschaubare
wissenschaftliche Anfängerarbeit.

Das führt zur einer radikalen Lösung: Die Arbeit einfach aussondern.
Hier aber meldet sich das schlechte Gewissen der Bibliothek als
Gedächtnis, weil man eben auch die "Kultur des Plagiierens" irgendwie
dokumentieren möchte. Weitere Gründe, solche Arbeiten aufzuheben, lassen
sich leicht denken.

Zu allem Überfluss hat die Hochschule, die den Titel verliehen hat,
"Wissenschaftspflege" als öffentliche und gesetzliche Aufgabe, so dass
sie aufgrund dieser Tatsache vielleicht sogar die Pflicht hat, die
betroffenen Kreise über den Titelentzug zu informieren. Allerdings muss
sie hier natürlich das Datenschutzrecht und die Persönlichkeitsrechte
des Betroffenen beachten. Wir wären für die Frage, was man mit den
Arbeiten in der Bibliothek tun soll, wieder am Anfang.

Das zur Zeit korrekteste Vorgehen mit Blick auf den Datenschutz
erscheint mir: Die Hochschule informiert alle Bibliotheken, die die
betreffenden Arbeit im Bestand haben, über den Titelentzug. Alternativ
könnte sie als Gegenstück zur Publikationspflicht diese Meldung auch dem
betroffenen "Doktor" zur Auflage im Sinne einer Nebenbestimmung des den
Titel entziehenden Verwaltungsakts machen. Datenschutzrechtlich sauber
reagiert die Bibliothek darauf nach Nr. 3 oder durch Aussondern, wobei
die Aussonderung die vermeintlich sicherste Art ist, die Aufgabe der
Pflege der Wissenschaft zu erfüllen.

Ich persönlich würde aus Gründen der korrekten Dokumentation Nr. 2
bevorzugen, wobei hierfür allerdings erst in den entsprechenden
Hochschulgesetzen eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage geschaffen
werden müsste. Die könnte auch allgemein sein in dem Sinne, dass
Hochschulen über wissenschaftliches Fehlverhalten die Öffentlichkeit
informieren und dieses Verhalten im Interesse einer sauberen
wissenschaftlichen Praxis auch dauerhaft dokumentieren dürfen, soweit es
sich auf wissenschaftliche Veröffentlichungen bezieht.

Die Diskussion in INETBIB, die vor allem wissenschaftsethische
Überlegungen angeführt hat, zeigt sehr schön, dass eine solche Regelung
angemessen und auch verhältnismäßig ist, nur muss sie, damit man sich
entsprechend verhalten kann, erst einmal geschaffen werden. Es gibt
einen Unterschied zwischen dem, was rechtlich erwünscht, und dem, was
rechtlich erlaubt ist.

Abschließend vielleicht noch eine Beobachtung: Wir verstehen
wissenschaftliche Publikationen vor allem als einen öffentlichen
Kommunikationsakt und legen daher Wert darauf, dass Fehler und
Täschungen öffentlich diskutiert und dokumentiert werden. Das Recht der
Graduierung betrachtet demgegenüber fast ausschließlich den Doktoranden
und dessen Recht zur Titelführung. Von daher hat die Frage des Entzuges
einen in der Sache eigentlich abwegigen eher "privaten" Charakter. An
dieser Stellung müsste das Recht sicher nachgebessert werden.

Viele Grüße
Eric Steinhauer

--
Prof. Dr. Eric W. Steinhauer
Dezernent für Medienbearbeitung
Fachreferent für Allgemeines, Rechts-, Staats- und Politikwissenschaft
Fernuniversität in Hagen - Universitätsbibliothek
Universitätsstr. 21 - 58097 Hagen
Tel: 02331 / 987 - 2890
Fax: 02331 / 987-346

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