Lieber Herr Ulmer, liebe Liste,
ich bin sehr erstaunt und auch positiv überrascht, was für eine gute und
interessante Diskussion auf Inetbib sich auf meinen kleinen Hinweis
entwickelt hat. Zur Diskussion mit dem dbv kann ich gar nichts sagen.
Ich bin, da ich keinerlei verbandliche Funktionen im Bibliothekswesen
ausübe, bei diesen Fragen bloß interessierter Privatier und Amateur.
Wenn ich es recht sehe, habe ich in meinem posting aber zu dem zentralen
Thema der Diskussion, "eBook und Bibliotheken" nämlich, gar nichts
gesagt. Mir ging es allein um Ihre Einschätzung, Bibliotheken seien
traditionell etwas für Leute mit kleiner Geldbörse. Diese Sicht finde
ich vollkommen inakzeptabel!
Bibliotheken, auch die öffentlichen Bibliotheken, sind nicht im Stil der
alten Mietbücherei dazu da, Freizeitlektüre zum Nullpreis anzubieten.
Bibliotheken verstehen sich umfassender als Ort, an dem breiter Zugang
zu publizierter Information eröffnet wird. Was Bibliotheken gegenüber
den im Handel verfügbaren Inhalten hier auszeichnet, ist ihre Funktion
als strukturiertes Gedächtnis, denn sie haben Bestände, die man, wenn
überhaupt, nur noch antiquarisch kaufen kann. Was mir immer missfällt in
der Diskussion über die Rolle von Verlagen und Bibliotheken, ist, dass
Verlage vergessen, dass sie als Wirtschaftsunternehmen den
Gedächtnispart der Bibliotheken überhaupt gar nicht spielen können.
Diese Rolle aber ist unverzichtbar. Vielleicht nicht für den kulturell
anspruchslosen Durchschnittsleser, in vielen Fällen aber für eine Gruppe
von Personen, die Verlage sehr pflegen sollten: Ich meine die Autoren.
Bücher entstehen nicht im kulturellen Vakuum, sondern in einem Kontext,
in dem Bibliotheken gerade als Gedächntnis unverzichtbar sind.
Die Bibliotheksgesetze bilden daher nicht, wie Sie meinen, die Printwelt
ab, sondern eine Welt, in der Grundrechte wie Informationsfreiheit oder
Wissenschaftsfreiheit einen Wert darstellen, der durch öffentliche
Institutionen gesichert wird. Ich bin überzeugt, dass wir auch in der
digitalen Welt diesen Wert brauchen.
Natürlich ist es eine große Versuchung für Verlage, im digitalen Bereich
die Wertschöpfungskette abzukürzen und dem denkbaren Maximalziel einer
Seitenumblättergebühr, um es einmal salopp auszudrücken, näherzukommen.
Klar, dass Bibliotheken hier stören und nur noch nachrangig bedient
werden. Den Verlagen sollte dann aber schon klar sein, dass sie ihre
Produkte, wenn sie ausschließlich auf einem kommerziellen Wege
vertrieben werden, dann dem kulturellen Gedächntnis weitgehend entziehen
und auf das Niveau einer Zeitungsmeldung abwerten, an die nach fünf
Jahren keiner mehr denkt. Ob diese Strohfeuerpolitik der bei anderen
Gelegenheiten immer betonten kulturellen und gesellschaftlichen
Verantwortung von Verlagen gerecht wird, darf streitig diskutiert werden
und stellt für mich eine der größten Herausforderungen des digitalen
Wandels dar. Hier wäre es schön, das einmal in einem angemessenen
Rahmen, mit Zeit und Ruhe zu tun. Diesen Rahmen sehe ich derzeit nicht.
Zum Schluss, lieber Herr Ulmer, möchte ich Ihnen an einer Stelle
widersprechen: Das Verhältnis von Bibliotheken und Verlagen war niemals
wirklich harmonisch, auch nicht im Printzeitalter.
Ein schönes Beispiel, weitere lassen sich leicht finden, bietet dieser
Text : Gutav Freytag, /Luxus und Schönheit im modernen Leben. Die Anlage
von Hausbibliotheken/. In: Die Grenzboten 11/2, 1852, S. 102-109).
Quelle bei Google:
http://books.google.de/books?id=rxhGAAAAcAAJ&lpg=PA102&ots=xwsdYqx-DM&dq=%22Luxus%20und%20Sch%C3%B6nheit%20im%20modernen%20Leben.%20Die%20Anlage%20von%20Hausbibliotheken%22&hl=de&pg=PA102#v=onepage&q=%22Luxus%20und%20Sch%C3%B6nheit%20im%20modernen%20Leben.%20Die%20Anlage%20von%20Hausbibliotheken%22&f=false
Hier eine kleine Leseprobe in der Qualität des Google-OCR (Fraktur!):
"Die laufenden literarischen Bedürsnisse der übrigen Zeit befriedigen
die Leihinstitute. Dieses knickerige Verhalten sehr vieler wohlhabender
Privatleute hat auf die gesammte deutsche Literatur großen Einfluß
ausgeübt, und viel dazu beigetragen, die Schriststeller sowol, als den
Buchhandel zu drücken, ja zuweilen zu eorrumpiren und au/ Abwege zu
führen; ferner aber hat es einen eigentümlichen Industriezweig zu großer
Ausdehnung gebracht, die Leihinstitute für Bücher, Zeitschriften u. s.
w. Der große Nutzen dieser Leihanstalten soll hier nicht verkannt
werden, aber ihre Stellung zum deutschen Bücherverkauf ist eine sehr
gefährliche geworden."
Der Konflikt, den Sie bei den eBooks beschreiben, ist also alt. Genauso
alt ist aber die Verantwortung, die Verlage und Bibliotheken gemeinsam
für ein kulturelles "Ökosystem" tragen. Oder um ein ländliches Bild zu
gebrauchen: eine gute Kuh düngt die Weide, auf der sie frisst. :)
Herzlicher Gruß
Eric Steinhauer
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Dr. Eric W. Steinhauer
Dezernent für Medienbearbeitung
Fachreferent für Allgemeines, Rechts-, Staats- und Politikwissenschaft
Fernuniversität in Hagen - Universitätsbibliothek
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