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Re: [InetBib] Urheberrechtsreform - Planungen



Lieber Herr Ulmer,

interessante finde ich Ihre Bewertung des wissenschaftlichen Schrifttums, der 
ich entnehmen 
muss, dass die privatwirtschaftliche Organisation dieser speziellen Literatur 
marginal ist.
(Und man Sie deshalb besser in andere Hände legt?)

Auf jeden Fall schliesse ich daraus, dass in der geheimen Diskussionsrunde nur 
die großen 
Publikumsverlage vertreten sind und keine Vertreter der großen, aber dennoch 
marginalen 
Wissenschaftsverlage. Können Sie mir das bestätigen?

Viele Grüße
Herbert Spille



Am 12.08.2011 14:45, schrieb Matthias Ulmer:
Lieber Herr Hilf,

danke für die ausführliche Antwort. Ich hatte schon befürchtet, statt eine 
Antwort zu
bekommen werde ich jetzt gleich aus der Liste gelöscht.

Der Dissens bezieht sich auf wenige Punkte. Und bei denen werden wir über den 
Dissens wohl
nie hinaus kommen. Wenigstens will ich versuchen Ihnen klar zu machen, dass 
Ihre Position
auch nur Meinung und nicht Wahrheit ist, auch wenn SIe das anders vorbringen.

Ja, man kann eine Diskussionsgruppe mit allen Betroffenen einrichten. (Dass 
in einer
ordentlichen Demokratie nur die Betroffenen dazu gehören sollen muss einen 
mir verborgenen
Witz enthalten. Denn zu den Besonderheiten der Demokratie gehört ja, dass man 
die Beteiligung
der Nichtbetroffenen akzeptieren muss.) Sie können aber nicht ernsthaft 
fordern, dass immer
alle Betroffenen an allen Diskussionsrunden dabei sein müssen. Manchmal ist 
das sinnvoll,
manchmal nicht. Wenn man nachher das Ergebnis als repräsentativ bezeichnen 
will, dann wird
man auch die Beteiligten danach auswählen. Aber in den meisten 
Diskussionsrunden geht es ja
nicht um Repräsentativität. Und bei der genannten Runde haben wir uns nur auf 
das Thema
Bücher konzentriert, nicht Zeitschriften, nicht Bilder, nicht Filme, nicht 
Musik usw.

Wenn man nun das Thema ausschließlich aus der Perspektive der Wissenschaft 
sieht, dann sind
manche Punkte sicher etwas anders zu bewerten. Wir haben in diesen 
Diskussionen explizit die
Aufgabe, das gesamte Spektrum der Buchverlage zu berücksichtigen. Ihre 
Kommentare beziehen
sich nur auf den Bereich Wissenschaft. Um das bewerten zu können muss man 
schon die Frage
nach der Relation der Wissenschaft zum Rest stellen. Mit den genannten 6,8% 
haben Sie die
aktuellsten Zahlen der Buchumsätze aller Bereiche der Wissenschaften. Und das 
ist weit
gefasst, weil ein erheblicher Teil dieser Zahlen Lehrbücher sind und vor 
allem im Bereich
Medizin und Jura Fachliteratur für Berufsgruppen darstellt. Aber selbst mit 
diesen, also in
einer sehr weiten Definition, beträgt die Zahl aktuell 6,8%.

Eine Betrachtung nach dem Umsatzvolumen ist nicht ganz falsch, weil es bei 
der Frage der
verwaisten Werke um die Frage geht, wie groß der Eingriff in das Eigentum der 
Rechteinhaber
ist. Und das bemisst sich nicht in wichtigen oder unwichtigen Büchern, 
sondern realistischer
in Euro.

Man muss natürlich fragen, ob wissenschaftliche Werke überproportional oder 
unterproportional
in den verwaisten Werke vertreten sind. Ich habe vermutet, dass sie nicht 
stark vertreten
sind. Sie sagen: "Leider doch, das ist Ihnen als Nichtwissenschaftler, und 
Verlag, fuer den
wiss. Publizieren eher randstaendig ist und auch nur einen sehr kleinen 
Marktanteil da hat,
nur nicht klar." Das würde mich schon interessieren, ob sie hier nur eine 
Behauptung
aufstellen, oder ob Sie als Wissenschaftler das auch auf Fakten beziehen. 
Meine Vermutung
basierte darauf, dass das wissenschaftliche Publizieren in Deutschland der 
Verlagsbereich mit
der höchsten Konzentration und den ältesten Unternehmen ist und Metadaten, 
Verzeichnisse oder
Nachweissysteme dort eher perfektioniert werden, während wir in den Bereichen 
Sachbuch,
Literatur, Ratgeber eine fast atomisierte Anbieterstruktur haben mit sehr 
häufigen
Firmengründungen und Schließungen, weshalb sich die Spuren der Rechteinhaber 
hier schneller
verlieren.

Ich glaube gerne, dass von der Nutzerseite her vor allem die Wissenschaft ein 
großes Problem
mit verwaisten Werken hat, während das andere Gruppen eher  weniger spannend 
finden. Aber um
die Interessen der Nutzer geht es an diesem Punkt nicht, sondern um die 
Betroffenen. Und von
einem Eingriff in die Eigentumsrechte sind nicht die betroffen, die diesen 
fordern, sondern
die, die ihn ertragen sollen. Und das sind nicht die Nutzer sondern die 
Rechteinhaber, die
Autoren und die Verlage.

Auch Ihre Behauptung, dass es für einen wissenschaftlichen Autor nur darum 
geht gelesen zu
werden, habe ich in Diskussionen auch schon anders gehört: es gehe den 
Wissenschaftlern
vornehmlich darum, publiziert zu werden. Ich mag nicht entscheiden, wie das 
ist. Ich kenne
meine Autoren und zahlreiche Gespräche. Sie kennen andere. Und unser 
Rechtssystem ist so oder
so eindeutig: Es ist egal, was Sie oder ich als Motivation der Autoren 
vermuten, es bleibt
deren freier Wille das selbst zu entscheiden.

Der Staat zumindest kann sich nicht auf eine Argumentationskette beziehen, 
die besagt, dass
vermutlich die meisten Nutzer Wissenschaftler sind und vermutlich viele 
verwaiste Werke
wissenschaftliche Werke und vermutlich deren Autoren und Erben auf Geld 
verzichten weil ihnen
vermutlich gelesen zu werden wichtiger ist und man deshalb schadlos enteignen 
darf.

Das ist eine aus bitterer Not heraus konstruierte Begründung. Wir sollten 
doch offener sein
und ehrlich sagen: der Zugriff auf alle verfügbaren Informationen und damit 
auch die
Digitalisierung vergriffener Werke hat für die Wissenschaft außerordentliche 
Bedeutung. Und
es ist eine Schande, dass die Gesellschaft die dafür  notwendigen Mittel 
nicht bereit stellt.
Den Rechteinhabern ihre Rechte abzusprechen schmälert nicht die Schande der 
Gesellschaft
sondern vergrößert sie nur noch.

Herzliche Grüße Matthias Ulmer




_________________________________________________________________ Verlag 
Eugen Ulmer Matthias
Ulmer Postfach 700561 - 70574 Stuttgart Wollgrasweg 41 - 70599 
Stuttgart-Hohenheim Tel: +49
(0)711-4507-164 FAX: +49 (0)711-4507-225 mulmer@xxxxxxxx www.ulmer.de



Eugen Ulmer KG Sitz Stuttgart Registergericht Stuttgart, HRA 581 
Geschäftsführer: Matthias
Ulmer





Am 12.08.2011 um 11:37 schrieb Eberhard R. Hilf:

<lieber Herr Ulmer, (wenn Sie es eilig haben, lesen Sie die Schlusssaetze 
zuerst..)

1. Kernpunkt des Dissenses bleibt doch:
eine Koordination der Interessen durch gegenseitige Information über
Interessenlagen, ein Ausloten des Machbaren.

und dazu gehoeren eben die Dienstleister und! die Betroffenen, in einer 
ordentlichen
Demokratie natuerlich nur die Betroffenen; der Gesetzgeber setzt dann den 
Rahmen, der die
Anforderungen der Forschung bestmoeglichst sicherstellt; in diesem Rahmen 
haben dann die
kommerziellen Service-Provider eine gesicherte Basis, ihre Geschaeftsmodelle 
zu entwickeln,
und die von der Wissenschaft geforderten Dienste (die alle jeweils 
verfuegbaren technischen
Moeglichkeiten ausschoepfen) als Service-Provider zu entwickeln und 
anzubieten.


2.
Solche Gespräche führt man ja nur mit Personen oder Institutionen, 
gegenüber denen man
ein gewisses Vertrauen hat.

Dass die Dienstleister (VG-Wort, Verlage) unter sich verwandte Interessen 
haben, naemlich
Geld zu verdienen, ist ja fein. Aber die Nutzer/Autoren und deren 
Vertretungen
auszuschliessen, ist absurd. Und dass Sie sagen, die Verlage und VG-Wort 
haetten kein
Vertrauen in die Nutzervertretungen ihrer Dienstleistungen, spricht Baende. 
Dass in einer
Lobby-Gruppe eines Industriezweiges, und darum handelt es sich ja hier, 
untereinander 'ein
gewisses Vertrauen' herrscht, glaube ich Ihnen.

3.
Die Urheber sind an den Gesprächen indirekt beteiligt, durch die Verlage 
und die VG
Wort.

Das ist der Kernpunkt: 'indirekt beteiligt durch die Dienstleister'. Soll 
mein Baecker mich
jetzt 'indirekt an meiner Kaufentscheidung beteiligen', indem er mit dem 
Gesetzgeber
zusammen ohne mich beraet, was ich zu bekommen habe und wann? Eine 
Lobbygruppe, die sich
als Vertretung der Kunden darstellt: starkes Stueck.

4.
Ich empfinde das Aktionsbündnis nicht als repräsentative Vertretung für
Autoreninteressen. Es drückt viel eher Nutzerinteressen aus

Empfinden ist gut: Tatsache ist, dass in der Wissenschaft im Gegensatz zur 
Belletristik
oder Gartenbuechern alle aktiven Wissenschaftler sowohl Autoren wie Nutzer 
sind.

Im AB haben sich die wissenschaftlichen Vertretungen/Institutionen in 
Deutschland
zusammengeschlossen, die Sie, verstaendlicherweise als Lobbyist, aus Angst 
ausgrenzen
wollen.


5.
die vom Aktionsbündnis vertretene Wissenschaft nur ein kleiner Teil des 
gesamten
Urheberspektrums ist, kommerziell gesehen im Buchhandel etwa gerade noch 
6,8% ausmacht,
weiter abnehmend.

Auch das betrifft den Kern: sie wollen uns Wissenschaftler, mit ihren 
Notwendigkeiten fuer
eine effektive Forschung hier marginalisieren, weil sie kommerziell nicht so 
essentiell
seien. Mein Vorschlag hiess ja nicht, die belletristischen Autoren 
auszuschliessen, sondern
keine der Nutzergruppen auszuschliessen, und jedenfalls: jede Diskussion 
ueber
Marktrahmenbedingungen, die das wiss. Informartionsmanagement betrifft, so 
sie serioes ist,
verlangt die gleichrangige Teilnahme und aktive Hinzuziehung der
Autoren/Nutzer-Vertretungen, genauer: erst die Betroffenen, 
AUtoren/Nutzer/Leser, soweit
sie Wissenschaftler sind, dann, wenn ueberhaupt, die Verlage (s.o.).

6.
Das sind  Parikularinteressen

eben, jeder der Beteiligten, auch Ihr Verlag hat seine Partikularinteressen. 
Die
'Partikulargruppe' der Wissenschaft in Deutschland ist in ihrem 
'Arbeitskreis' ueberhaupt
nicht vertreten.

7.
Und ich vermute, dass beim Thema verwaiste Werke das wissenschaftliche 
Schrifttum keine
besonders große Rolle spielt.

Leider doch, das ist Ihnen als Nichtwissenschaftler, und Verlag, fuer den 
wiss. Publizieren
eher randstaendig ist und auch nur einen sehr kleinen Marktanteil da hat, 
nur nicht klar.

8.
Zur Vergütung:
Fuer die Belletristik etc. haben Sie Recht. Fuer den wissenschaftlichen 
Sektor ist das
einfacher: bei verwaisten Werken kann der Staat davon ausgehen, (der letzte 
Privatgelehrte
war wohl Dr. de Broglie), dass das Werk von einem Autor in staatlichem 
Dienst oder von ihm
finanziert entstanden ist mit dem Ziel, die Wissenschaft zu foerdern, 
verfuegbar zu
bleiben, barrierefrei zugaenglich und lesbar zu bleiben, dass der Wille des 
Autors (und
der seines Auftraggebers/Finanziers) war, gelesen zu werden und dadurch in 
den wiss.
Nachkommen und deren Werken Wirkung zu erzeugen, also wissenschaftlich 
'beruehmt' zu
werden. Das geht so weit, dass viele Autoren ihre Werke nicht einmal bei 
VG-Wort anmelden,
wie ich und die mir bekannten Kollegen.


9.
naheliegend, dass die Vergütung irgend wann beim Rechteinhaber ankommt.

Auch hier haben Sie - fuer den Staat eben kein marginaler Sektor 
'wissenschaftliche
Forschung' nicht verstanden, was in diesem Sektor entscheidend ist und von 
den Erben i.A.
auch als Wille des Autors respektiert wird: gelesen zu werden, zum Lesen 
gefunden zu
werden; wenn dies eingeschraenkt wird, damit einige Dienstleister damit mehr 
Geld verdienen
koennen, versuendigt sich dieser an dem Willen des wiss. Autors, an dem 
Staatswillen nach
effektiver Forschung (Wissen aus kommerziellen Interessen der Forschung 
vorzuenthalten).

Fazit: Ihre 'AG' aufloesen und eine offene Diskussion mit Allen fuehren, wie 
sich das in
einer Demokratie gehoert.

Nichts fuer ungut, Ihr Eberhard Hilf, http://www.isn-oldenburg.de/~hilf

P.S.: als Abendlektuere empfehle ich Ihnen das sehr genaue Studium von 1.
http://www.iupap.org/wg/communications/ethics/index.html Workshop on 
Scientific Misconduct
and the Role of Physics Journals in its Investigation and Prevention; IUPAP 
International
Union for Pure and Applied Physics; da waren uebrigens die relevanten wiss. 
Verlage
vertreten..

2. dass uebrigens wir, im Gegensatz zu Ihnen, offen und konstruktiv das 
Gespraech der
Wissenschaft mit den Dienstleistern von Anfang an gesucht und organisiert 
haben, sehen Sie
aus der offenen Mitgliederliste der AG ElFiKom on Electronic Information and 
Communication
(1995).






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Herbert Spille
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Herbert Spille
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