On Mar 31, 2009, at 11:43 PM, Matthias Ulmer wrote:
Mein Angebot zur Abrüstung:
Open Access ist ein gutes Modell (unter anderen) für
wissenschaftliches Publizieren.
Es wird nicht billiger (von den Produktionskosten her) wenn die
Hochschulen es selbst machen.
Aber das ist nicht mein Problem als Verleger, sondern als
Steuerzahler (aber das ist Aufgabe des Rechnungshofes).
Die naturwissenschaftlichen Zeitschriften einiger weniger Verlage
sind skandalös teuer. Und die große Zahl der kleinen und mittleren
Verlage tragen als Kolateralschaden nun die Folgen.
Die Budgets für Bildung und Wissenschaft sind skandalös niedrig.
Eine Schande. Ein gemeinsamer Protest hier hätte uns alle viel
weiter gebracht.
Herzlichst
Ihr Matthias Ulmer
Sehr geehrter Herr Ulmer,
ich denke, hier bringen Sie das eigentliche Problem auf den Punkt.
Einige wenige Verlage schoepfen in den Bibliotheken fast die
gesamten Etats ab. Sobald diese erhoeht werden,
verlangen die wenigen Verlage entsprechend mehr, und der
"Kolateralschaden" waechst entsprechend mit.
Open Access ist die zwangslauefige Folge dieser Verlagspolitik, die
sich auf ein Copyright stuetzt, dass zur Zeit nur die reichsten
Verlage schuetzt, auf Kosten der zahllosen OA-Bemuehungen, kleinen
und mittleren Verlage. Wenn man bedenkt, was die Bundesrepublik an
immer hoeheren Nationallizenzen, die Laender, die Verbuende, die
UBs und nicht zuletzt die Forschungsfoerderung fuer das
wissenschaftliche Publikationswesen zahlen, dann bringt es leider
nichts, hoehere Budgets zu fordern, die lediglich die Gewinne von
Elsevier, Thomson etc. in die Hoehe treiben.
Deren elektronische Produkte werden laengst zu hoch gewinnbringend
vermarktet. Ich kenne die Impact Factors zu gut, um nicht zu
wissen, wie viel Unsinn darueber schon geschrieben wurde.
Das eigentliche Problem liegt darin, dass Produkte, die nur wenige
Cent fuer Tausende von Nutzern kosten duerften, von wenigen
Benutzer mit tausendfach ueberhohten Kosten belegt werden. Das
ueber Wissensbanken in den Griff zu bekommen ist das eigentliche
Problem von WEB 2.0, und daran wird ja auch fleissig gearbeitet.
Fuer eine wissenschaftliche Publikation in einer Zeitschrift 40
Euro zu bezahlen, um dann als Wissenschaftler festzustellen, dass
sie unsinnig ist, was ich aber erst beurteilen kann,
nach dem ich sie sehr genau gelesen und auch ihre Referenzen, die
ebenso teuer sind, geprueft haben, ist im Prinzip absurd. Ich
spreche hier natuerlich nur von diesem schmalen Publikationsbereich
der Wissenschaft, der in diesem Fall allerdings auch Lehrbuecher
einschliesst. Denn wenn man in ein Fachgebiet immer tiefer
eindringt, erkennt man auch immer haufiger, wie viel Fehler
zwangslaeufig auch in Lehrbuechern stehen.
Sonst brauchten wir keine Wissenschaft mehr.
Im Moment haben wir bei E-Books die selbe Crux. Die Preise sind
viel zu hoch, weil die Verlage, vereinfacht gesagt, davon ausgehen,
dass mit jedem verkauften E-Book hunderte von Kopien mitlaufen. Und
nun wird versucht, die Information mit allen erdenklichen Mitteln
zu verknappen, damit sie in das veraltete Marktschema der
Wirtschaftwissenschaftler passt.
Ueber den z.T. groben Unfug, der in der Belletristik vermarktet
wird, will ich mich hier gar nicht naeher auslassen, denn wer heute
in einen Buchladen geht, kann rasch erkennen, wie viel Unsinn von
den Verlagen mit hohen Werbekosten hier vermarktet wird. Da waere
eher an Sanktionen bei denen zu denken, die diese Volksverdummung
verursachen ;-) Das war einst der Grund zur Einfuehrung
Oeffentlicher Bibliotheken, dieses Publikationsunwesen
einzudaemmen. Eine Aufgabe die von Bibliotheken wieder staerker in
den Fokus gerueckt werden sollte.
Es gibt Verlage mit hohem Qualitaetsanspruch, deren Feinde sind
nicht die Bibliotheken, sondern die skrupellosen Verlage. Das gute
Buch ist weitgehend von den "Bestsellern" verdraengt worden, und
dazu gehoeren Beispiele, wie die "Feuchtgebiete". Nur weil zu viele
Menschen aufgrund irrefuehrender Reklame einiger Verlage nicht mehr
zwischen gut und schlecht, geschweige besser und schlechter zu
unterscheiden vermoegen, schreiben inzwischen Massenmedien vor, was
diese Woche gelesen werden muss, um Inn zu sein. Als gaebe es in
dieser Welt nichts wichtigeres zu tun.
Was wir brauchen ist einen gemeinsamen Protest gegen
Skrupellosigkeit (nicht nur bei Banken ;-), damit die Etats (hoeher
als heute) an die richtigen Stellen bei den Autoren und Verlegern
fliessen koennen.
Das muss das Ziel von WEB 2.0 sein. Im Moment ist das aber noch
nicht erkennbar. Im Moment werden nur die Grossen immer groesser,
auf Kosten der kleinen (und es klingt nach Platituede, ist aber
Realitaet), und die Reichen immer reicher auf Kosten der Armen.
Insofern sehe ich es in Twitter beispielsweise auch eher als eine
Frage der Informationskompetenz, was man nicht nutzt, nicht liest
und an Unsinn nicht verbreitet, um sich auf das Wesentliche
konzentrieren zu koennen. In der Informationstheorie nennt man das
Rauschen, das unterdrueckt werden muss, um die echte Information
und insbesondere das Wissen herausfiltern zu koennen. Es gibt auch
im Verlagswesen zu hohe Rauschquellen, die zu viel Schaden anrichten.
MfG
W. Umstaetter
P.S. Da ich gerade die Ankuendigung "Wissenschaftliche
Bibliothekare im Nationalsozialismus" sehe, denke ich, dass man die
eigentliche Problematik der damaligen Zeit, die der damals modernen
Bibliothekare, die sich zunehmend als Dokumentare verstanden, nicht
uebersehen sollte, so schmerzlich das fuer Deutschland war und ist.
Die Tatsache, dass damals das "Gute Buch" grundsaetzlich ein
nationalsozialistisches Buch werden sollte, hat ja das "Gute Buch"
so in Verruf gebracht, so dass sich nun, nach der zusaetzlichen
Erfahrung mit dem guten kommunistschen Buch, kaum noch jemand traut
zu sagen, was ein "Gtes Buch" ist. Damals konnten sich aus meiner
Sicht, Bibliothekare vor dem Nationalsozialismus nur retten, in dem
sie moeglichst historisch arbeiteten. Der Schaden fuer das moderne
Bibliotheksesen ist noch bis heute spuerbar.