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Re: [InetBib] Friede den plumpen Servern
- Date: Wed, 1 Apr 2009 14:02:45 +0200
- From: Walther Umstaetter < h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Friede den plumpen Servern
On Mar 31, 2009, at 11:43 PM, Matthias Ulmer wrote:
Mein Angebot zur Abrüstung:
Open Access ist ein gutes Modell (unter anderen) für
wissenschaftliches Publizieren.
Es wird nicht billiger (von den Produktionskosten her) wenn die
Hochschulen es selbst machen.
Aber das ist nicht mein Problem als Verleger, sondern als
Steuerzahler (aber das ist Aufgabe des Rechnungshofes).
Die naturwissenschaftlichen Zeitschriften einiger weniger Verlage
sind skandalös teuer. Und die große Zahl der kleinen und mittleren
Verlage tragen als Kolateralschaden nun die Folgen.
Die Budgets für Bildung und Wissenschaft sind skandalös niedrig.
Eine Schande. Ein gemeinsamer Protest hier hätte uns alle viel
weiter gebracht.
Herzlichst
Ihr Matthias Ulmer
Sehr geehrter Herr Ulmer,
ich denke, hier bringen Sie das eigentliche Problem auf den Punkt.
Einige wenige Verlage schoepfen in den Bibliotheken fast die gesamten
Etats ab. Sobald diese erhoeht werden,
verlangen die wenigen Verlage entsprechend mehr, und der
"Kolateralschaden" waechst entsprechend mit.
Open Access ist die zwangslauefige Folge dieser Verlagspolitik, die
sich auf ein Copyright stuetzt, dass zur Zeit nur die reichsten
Verlage schuetzt, auf Kosten der zahllosen OA-Bemuehungen, kleinen und
mittleren Verlage. Wenn man bedenkt, was die Bundesrepublik an immer
hoeheren Nationallizenzen, die Laender, die Verbuende, die UBs und
nicht zuletzt die Forschungsfoerderung fuer das wissenschaftliche
Publikationswesen zahlen, dann bringt es leider nichts, hoehere
Budgets zu fordern, die lediglich die Gewinne von Elsevier, Thomson
etc. in die Hoehe treiben.
Deren elektronische Produkte werden laengst zu hoch gewinnbringend
vermarktet. Ich kenne die Impact Factors zu gut, um nicht zu wissen,
wie viel Unsinn darueber schon geschrieben wurde.
Das eigentliche Problem liegt darin, dass Produkte, die nur wenige
Cent fuer Tausende von Nutzern kosten duerften, von wenigen Benutzer
mit tausendfach ueberhohten Kosten belegt werden. Das ueber
Wissensbanken in den Griff zu bekommen ist das eigentliche Problem von
WEB 2.0, und daran wird ja auch fleissig gearbeitet.
Fuer eine wissenschaftliche Publikation in einer Zeitschrift 40 Euro
zu bezahlen, um dann als Wissenschaftler festzustellen, dass sie
unsinnig ist, was ich aber erst beurteilen kann,
nach dem ich sie sehr genau gelesen und auch ihre Referenzen, die
ebenso teuer sind, geprueft haben, ist im Prinzip absurd. Ich spreche
hier natuerlich nur von diesem schmalen Publikationsbereich der
Wissenschaft, der in diesem Fall allerdings auch Lehrbuecher
einschliesst. Denn wenn man in ein Fachgebiet immer tiefer eindringt,
erkennt man auch immer haufiger, wie viel Fehler zwangslaeufig auch in
Lehrbuechern stehen.
Sonst brauchten wir keine Wissenschaft mehr.
Im Moment haben wir bei E-Books die selbe Crux. Die Preise sind viel
zu hoch, weil die Verlage, vereinfacht gesagt, davon ausgehen, dass
mit jedem verkauften E-Book hunderte von Kopien mitlaufen. Und nun
wird versucht, die Information mit allen erdenklichen Mitteln zu
verknappen, damit sie in das veraltete Marktschema der
Wirtschaftwissenschaftler passt.
Ueber den z.T. groben Unfug, der in der Belletristik vermarktet wird,
will ich mich hier gar nicht naeher auslassen, denn wer heute in einen
Buchladen geht, kann rasch erkennen, wie viel Unsinn von den Verlagen
mit hohen Werbekosten hier vermarktet wird. Da waere eher an
Sanktionen bei denen zu denken, die diese Volksverdummung
verursachen ;-) Das war einst der Grund zur Einfuehrung Oeffentlicher
Bibliotheken, dieses Publikationsunwesen einzudaemmen. Eine Aufgabe
die von Bibliotheken wieder staerker in den Fokus gerueckt werden
sollte.
Es gibt Verlage mit hohem Qualitaetsanspruch, deren Feinde sind nicht
die Bibliotheken, sondern die skrupellosen Verlage. Das gute Buch ist
weitgehend von den "Bestsellern" verdraengt worden, und dazu gehoeren
Beispiele, wie die "Feuchtgebiete". Nur weil zu viele Menschen
aufgrund irrefuehrender Reklame einiger Verlage nicht mehr zwischen
gut und schlecht, geschweige besser und schlechter zu unterscheiden
vermoegen, schreiben inzwischen Massenmedien vor, was diese Woche
gelesen werden muss, um Inn zu sein. Als gaebe es in dieser Welt
nichts wichtigeres zu tun.
Was wir brauchen ist einen gemeinsamen Protest gegen Skrupellosigkeit
(nicht nur bei Banken ;-), damit die Etats (hoeher als heute) an die
richtigen Stellen bei den Autoren und Verlegern fliessen koennen.
Das muss das Ziel von WEB 2.0 sein. Im Moment ist das aber noch nicht
erkennbar. Im Moment werden nur die Grossen immer groesser, auf Kosten
der kleinen (und es klingt nach Platituede, ist aber Realitaet), und
die Reichen immer reicher auf Kosten der Armen. Insofern sehe ich es
in Twitter beispielsweise auch eher als eine Frage der
Informationskompetenz, was man nicht nutzt, nicht liest und an Unsinn
nicht verbreitet, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu
koennen. In der Informationstheorie nennt man das Rauschen, das
unterdrueckt werden muss, um die echte Information und insbesondere
das Wissen herausfiltern zu koennen. Es gibt auch im Verlagswesen zu
hohe Rauschquellen, die zu viel Schaden anrichten.
MfG
W. Umstaetter
P.S. Da ich gerade die Ankuendigung "Wissenschaftliche Bibliothekare
im Nationalsozialismus" sehe, denke ich, dass man die eigentliche
Problematik der damaligen Zeit, die der damals modernen Bibliothekare,
die sich zunehmend als Dokumentare verstanden, nicht uebersehen
sollte, so schmerzlich das fuer Deutschland war und ist. Die Tatsache,
dass damals das "Gute Buch" grundsaetzlich ein nationalsozialistisches
Buch werden sollte, hat ja das "Gute Buch" so in Verruf gebracht, so
dass sich nun, nach der zusaetzlichen Erfahrung mit dem guten
kommunistschen Buch, kaum noch jemand traut zu sagen, was ein "Gtes
Buch" ist. Damals konnten sich aus meiner Sicht, Bibliothekare vor dem
Nationalsozialismus nur retten, in dem sie moeglichst historisch
arbeiteten. Der Schaden fuer das moderne Bibliotheksesen ist noch bis
heute spuerbar.
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.