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Re: [InetBib] Ulmer-Brief: Verfassungsbruch?
- Date: Tue, 31 Mar 2009 17:57:47 +0200
- From: Matthias Ulmer <mulmer@xxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Ulmer-Brief: Verfassungsbruch?
Sehr geehrter Herr Steinhauer,
vielen Dank für die ausführliche und ergiebige Antwort. Ich hatte
schon befürchtet, niemand will mir dazu antworten.
Eine kleine (aber wichtige) Korrektur vorneweg: ich habe nie
behauptet, die Forderung nach OA sei ein Verfassungsbruch. Der ZWANG
zu OA ist es.
Und: die Entscheidung, wo publiziert wird, SOLL nicht Sache des
Wissenschaftlers sein, sie IST Sache des Wissenschaftlers.
Natürlich kann man ein Zweitveröffentlichungsrecht als Recht und
nicht als Pflicht bezeichnen. Aber das wäre wohl in der Realität eine
zynische Aussage, wenn die Mittelvergabe für Forschungsvorhaben bzw.
die Mittelvergabe für ein Institut an eine bestimmte
Publikationsform gebunden wird. Dann wird die Wahrnehmung des
"Rechts" zur Pflicht und Ihr "Mehr an Freiheit" hat was vom
klassischen Sklavereibeispiel: "Auch der Sklave hat einen freien
Willen, er muss ja nicht in Sklaverei gehen, er kann auch den Freitod
wählen".
Aber das ist natürlich wieder eine subjektive Bewertung, die man aus
Sicht der Bibliothekare (so viel habe ich ja jetzt gelernt!) gerade
umgekehrt sieht.
Für den Verleger, da gebe ich Entwarnung, sehe ich keinen Eingriff in
mein Eigentum. Ich bin ja frei in meiner Entscheidung, welche Werke
ich verlegen will. Wenn die Rechteübertragung mir keine
wirtschaftliche Vermarktung ermöglicht, dann mache ich keinen
Vertrag. Da hat zumindest der Verleger immer noch seine freie
Entscheidung.
Auch die Berufsfreiheit sehe ich nicht als Problem. Vielleicht bin
ich geborener Verleger. Aber dann wohl nicht geborener
Wissenschaftsverleger. Meine Aufgabe ist es nicht Wissenschaft zu
verlegen, sondern die Existenzgrundlage der Mitarbeiter und des
Unternehmens zu sichern. Wenn das in der Wissenschaft nicht mehr
möglich ist, dann gibt es zahllose andere Verlagsbereiche, auf die
ich mich freue.
Die Passage über Verknappung und überhöhte Renditen ist der eher
unsachliche Teil der Mail, darauf muss ich nicht eingehen.
Den Vorwurf, den Zugang zu Inhalten ohne Not zu erschweren nehme ich
wieder ernster. Ich wiederhole - wo immer ich bin - dass ich die
Preispolitik der handvoll Wissenschaftsverlage skandalös finde. Sie
bereichern sich auch auf meine Kosten. Aber dass ich den Zugang
verknappe oder erschwere? Der Zugang war noch nie so gut und so
umfassend wie heute. Dass er technisch noch toller sein könnte und
das aus Sicht mancher eben alles viel zu langsam geht, kann man als
"ohne Not erschweren" karikieren. Vor neutralem Auge finde ich das
nicht stichhaltig.
Der Satz mit der Sichtbarkeit als Währung ist viel wiederholt, viel
aussagen tut er nicht. Viel Sichtbarkeit und wenig Wahrheit ist
nicht wertvoller als viel Wahrheit und wenig Sichtbarkeit. Und dass
man mit Sichtbarkeit Autoren gewinnt, das sagen Sie. Wie viele Sie
schon gewonnen haben, das weiß ich nicht. Aber vom Autoren gewinnen
verstehen wir Verleger auch was. Und so wie Sie das hier schreiben,
so gehts nicht.
Absolut Zustimmen möchte ich dann wieder Ihrem Satz:
"Die Rendite dieser Verlage wird aber nicht mehr durch die
Beherrschung von content, sondern durch die Leistung von Mehrwert
erwirtschaftet." Der könnte gerade so aus einem meiner zahlreichen
Vorträge zum Thema stammen. Wer keinen Mehrwert bietet, der macht
sich überflüssig. Und von hier kommen wir auch wieder zur
Sichtbarkeit: Sichtbarkeit wird aus zwei Dingen bestehen: aus der
Verfügbarkeit und aus der Aufmerksamkeit. Und der Akzent wird auf der
Aufmerksamkeit liegen, wenn die Welt durch unendlich viele unedierte
digitalisierte Schriften und Arbeiten von Selbstverlegern und
Uniservern in einem informationellen Trommelfeuer ertaubt, dann wird
(wie schon in der Vergangenheit) die Verlagsmarke und die Qualität
der Textaufarbeitung und Texterschließung erst die Sichtbarkeit
ausmachen, nicht der plumpe Server, der nebenher vom
Institutssekretariat betrieben wird.
Aber auf diesen Wettbewerb freue ich mich sehr gelassen. Solange er
als Wettbewerb sportlich angenommen wird und nicht durch Gesetze von
Vornherein unterbunden.
Das Thema mit dem Autor als schwächere Vertragspartei halte ich dann
wieder für interessengeleitete Argumentation. Das würde sich wohl
jeder meiner rund 5000 Autoren verbitten, wenn ich ihn als schwächere
Vertragspartei sozusagen als bedingt geschäftsfähig bezeichne. Und
man muss sich auch hüten vor willigen Helfern, die einen erst mit
diesem Argument entmündigen, um dann helfend an der Seite zu stehen
um ihre eigensten Interessen durchzusetzen. Wohl ist mir nicht, wenn
SIe das skizzieren. (Aber der Vergleich mit dem Verbraucherschutz
ist bitter richtig: auch hier werden Verbraucher als schutzbedürftig
bezeichnet, nur damit man sie dann bevormunden kann um die eigenen
Interessen durchzusetzen. Das ist die moderne Form der Diktatur.)
Den ehrlichen Dialog mit den Autoren, da spreche ich Ihnen jetzt
kurzerhand mal die Kompetenz ab, den ehrlichen Dialog mit unseren
Autoren führen wir täglich. Sie können Behauptungen aufstellen, so
viel Sie mögen. Aber an diesem Punkt weiß ich es einfach besser:
unsere Autoren haben zu aller erst Sorgen, dass ihnen durch die
Digitalisierung ihre Rechte verloren gehen und sie keine Honorare
mehr bekommen. Darüber spreche ich mit meinen Autoren vertrauensvoll
und werbe darum, dass sie auf das neue Medium optimistisch und
sorglos zugehen.
Meine Erfahrungen mit den Bibliotheken und die Äußerungen hier im
Forum lassen mich daran zweifeln, ob mein Optimismus und meine
Sorglosigkeit berechtig sind.
Die Antwort ist etwas zu lange geraten. Aber ich bedanke mich für
Ihre Argumente und den sachlichen Dialog.
Herzlichst
Matthias Ulmer
_________________________________________________________________
Verlag Eugen Ulmer
Matthias Ulmer
Postfach 700561 - 70574 Stuttgart
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Registergericht Stuttgart, HRA 581
Geschäftsführer: Matthias Ulmer
Am 31.03.2009 um 11:03 schrieb Eric Steinhauer:
Sehr geehrter Herr Ulmer,
Verfassungsbruch ist ein großes Wort, das man mit Bedacht und
Verantwortung gebrauchen sollte.
Die Forderung nach Open Access als Verfassungsbruch zu
kennzeichnen, liegt nach meinem Verständnis der einschlägigen
Grundrechte neben der Sache.
Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit schützt den
Wissenschaftler in Forschung und Lehre umfassend. Ich stimme mit
Ihnen darin überein, dass auch die Entscheidung, wo publiziert
wird, Sache des Wissenschaftlers sein sollte.
Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit schützt aber auch den
Wissenschaftler bei der wissenschaftlichen Literaturrecherche.
Zugangsmonopole zu wissenschaftlicher Literatur können hier die
freie und ungehinderte Ausübung des Grundrechts empfindlich stören.
Im Bereich der gedruckt vorliegenden Literatur schützt der
Erschöpfungsgrundsatz in § 17 Abs. 2 UrhG den Zugang zu Büchern und
Zeitschriften vor einem limitierenden Zugriff der Verwerter und
sichert so die Recherchefreiheit des Wissenschaftlers, eine
notwendige Voraussetzung jeder Publikationsfreiheit.
Im Bereich der vornehmlich digital vorliegenden Werke fehlt eine
dem Erschöpfungsgrundsatz entsprechende Regel. Hier setzt das
Zweitveröffentlichungsrecht an. Es gibt dem Wissenschaftler die
Möglichkeit, seine Werke nach einer gewissen Frist unabhängig von
der konkret geschlossenen vertraglichen Vereinbarung, erneut und
für jedermann frei zugänglich zu publizieren.
Es ist ein Recht, keine Pflicht. Die Gewährung eines Rechts, also
eines Mehr an Freiheit, kann für den Wissenschaftler keine
Einschränkung seiner Publikationsfreiheit bedeuten.
Für die Verleger freilich stellt es sich als Eingriff in ihr
Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 GG und möglicherweise auch in
ihre Berufsfreiheit aus Art. 12 GG dar. Dieser Eingriff ist aber
verhältnismäßig.
Die Verwertung wissenschaftlicher Literatur ist etwas anderes als
die Verwertung etwa von Star Wars oder Harry Potter. Es gibt keine
Freiheit der Unterhaltung, die notwendigerweise den Zugang zu
einschlägiger Literatur voraussetzt, wohl aber eine Freiheit der
Wissenschaft, die ohne zugängliche Quellen nicht leben und atmen kann.
Es ist Sache des Gesetzgebers, hier angemessene Bedingungen zu
garantieren. Dazu gehört ein schonender Ausgleich aller beteiligten
Rechtspositionen. Durch eine Embargofrist wird die Investition des
Verlages geschützt, durch das bloße Veröffentlichungsrecht die
Freiheit des Wissenschaftlers, selbst über das Ausmaß seiner
Sichtbarkeit zu entscheiden. Eben das ist Publikationsfreiheit.
Das Zweitveröffentlichungsrecht ist von der Überzeugung getragen,
dass es Sache der Wissenschaft selbst sein muß, über die
Sichtbarkeit und Zugänglichkeit ihrer Publikationen zu entscheiden.
Das genau ist die im Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit letztlich
gewährleistete Selbstorganisation der Wissenschaft, die der
Gesetzgeber ermöglichen, aber eben nicht selbst in die Hand zu
nehmen hat.
Die Verfassung gibt vor diesem Hintergrund keine Freiheit, mit
wissenschaftlicher Literatur durch künstliche Verknappung überhohe
Renditen zu erzielen. Verleger mögen diese Aussage vielleicht
anstößig finden, sie folgt aber aus der durch das Grundrecht der
Wissenschaftsfreiheit verstärkten Sozialbindung des Eigentums aus
Art. 14 Abs. 2 GG.
War es wegen des Erschöpfungsgrundsatzes zum Zeitpunkt der
lediglich gedruckt vorliegenden Literatur nicht notwendig, hier
gesetzgeberisch regulierend einzugreifen und das Urheberrecht im
Sinne der Wissenschaftsfreiheit auszugestalten, so stellt sich im
digitalen Zeitalter diese Notwendigkeit mit Dringlichkeit.
Ich sehe keinen Grund, warum wissenschaftliche Verlage sich hier
verweigern sollten.
Es kann nicht angehen, einerseits von der Wertschätzung der
Wissenschaft zu leben, Zeitschriftentitel und Schriftenreihen haben
daher und zwar nur daher ihren Wert, andererseits der Wissenschaft
insbesondere im digitalen Bereich die Zugänglichkeit ohne Not zu
erschweren.
Ich stimme mit Ihnen überein, dass ein Zweitveröffentlichungsrecht
nicht an der Tatsache der öffentlichen Finanzierung von Forschung
hängen kann. Es sollte für JEDEN wissenschaftlich arbeitenden Autor
gelten. Privatgelehrte sind im Vergleich zu Hochschullehrern nicht
Grundrechtsträger zweiter Klasse. Es gibt nur ein Grundrecht der
Wissenschaftsfreiheit. Und das ist ein Jedermann-Recht.
Ob der Gesetzgeber den wissenschaftlichen Autoren tatsächlich ein
Zweitveröffentlichungsrecht zubilligen wird, vermag ich nicht zu
sagen. Es kann gut sein, dass die Überzeugungsarbeit interessierter
Kreise dieses zu verhindern weiß. Damit werden gewisse
Entwicklungen aber vielleicht eher beschleunigt. Entwicklungen, die
manchen wissenschaftlichen Verlagen vielleicht nicht lieb sind.
Sichtbarkeit ist die Währung der Wissenschaft. Wer sie gewährt,
gewinnt Autoren, wer sie nimmt, wird verschwinden. Wenn nicht der
Gesetzgeber es richten wird, der Markt wird es ganz sicher tun.
Damit hier kein Mißverständnis auftritt. Die Wissenschaft braucht
Unternehmen, die den Publikationsprozess professionell besorgen. In
diesem Sinne wird es Verlage immer geben. Die Rendite dieser
Verlage wird aber nicht mehr durch die Beherrschung von content,
sondern durch die Leistung von Mehrwert erwirtschaftet. Im
Zeitalter des Internet und der umfassenden Vernetzung wird die
Wissenschaft die Beherrschung des content durch kommerzielle
Verwerter auf Dauer nicht mehr akzeptieren. Der Mehrwert, den ich
meine, kann auch das gedruckte Buch sein, das an ein Wert an sich
ist und durch eine pdf-Datei in keiner Weise substitutiert wird.
Ein Letztes noch: Sie sagen, Autoren müssen einen Vertrag nicht
unterschreiben. Das stimmt. Aber wenn Verlage bestimmte
Zeitschriften, deren Wert sich, wie ich oben schon geschrieben
habe, allein von der Wissenschaft herleitet, wenn also Verlage den
Zugang zu diesen wichtigen Zeitschriften von Bedingungen abhängig
machen, die Autoren nicht verhandeln können, dann ist die
Vertragsfreiheit gestört, sofern der Autor aus
wissenschaftsimmanenten Gründen auf eine Publikationen in eben
dieser Zeitschrift nicht verzichten kann. Er wird zur schwächeren
Vertragspartei. Wenn hier der Gesetzgeber durch die Gewährung eines
Zweitveröffentlichungsrechts helfend zur Seite steht, ist das in
Ordnung. Im Bereich des Verbraucherschutzsrechts finden sich
vergleichbare Regelungen.
Langer Reder kurzer Sinn: Die wissenschaftlichen Verlage tun gut
daran, einen ehrlichen Dialog mit den Autoren zu beginnen und ihnen
eine angemessene Sichtbarkeit ihrer Texte zu ermöglichen. Dazu
gehört heute auch Open Access. Nebelkerzen und die unangemessene
Rede von Verfassungsbrüchen sind hier nicht zielführend. Seien Sie
sicher, wissenschaftliche Autoren denken bezeiten nach und sind
fähig, sich des eigenen Verstandes ohne Hilfe anderer zu bedienen.
Es wäre in der Tat ein herber Kulturverlust, in der künftigen Welt
des wissenschaftlichen Publizierens auf die Erfahrungen der
Vergangenheit verzichten zu müssen. Ich bin überzeugt, dass der
Verlag mit Tradtion auch eine Zukunft hat. Aber die hat er nur mit
und nicht gegen seine Autoren.
Freundliche Grüße
Eric Steinhauer
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.