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[InetBib] Antw: Re: Grundsätzliche Frage



Liebe Kollegen,

wir haben ja eine Meinungsfreiheit und jeder darf seine Meinung haben,
man sollte auch immer bedenken, dass wir Angestellte im öffentlichen
Dienst sind und wenn man als Angestellter im öffentlichen Dienst
Meinungen vertritt, die mit unserem Verständnis von Freiheit und
Demokratie nicht vereinbar sind, sollte man sich schon fragen, ob man
dann im öffentlichen Dienst richtig ist, da man ja den Staat vertritt.
Wenn man als Angestellter in einer Kommune, Bund oder Land eine Meinung
äußert, die z.B. Menschengruppen diskriminiert, wären Konsequenzen
vorhersehbar. Das Problem hatte ja auch die Polizei mit den rechten
Inhalten in Chats.

"Ulmer, Matthias via InetBib" <inetbib@xxxxxxxxxx> 13.05.2022 14:23

Lieber Herr Wohlgemuth,

es ist doch seit vielen Jahren so, dass man auf kritische Kommentare in
dieser Liste immer Zuschriften bekam, die genau das äußerten: Sie waren
dankbar für die Meinungsäußerung und baten um Verständnis, dass sie mit
abweichenden Meinungen auf der Liste zu schlechte Erfahrungen gemacht
hatten und sich deshalb nicht mehr dort äußern wollten.
Das Problem wurde auch mehrfach in der Liste offen angesprochen.

Zu einer Bibliotheksszene als angstfreier Raum ist es noch ein weiter
Weg.

Sie schreiben, dass Sie sich mit Meinungen gerne auseinander setzen,
wenn Sie wissen, von wem und warum die Meinung geäußert wurde. Ist denn
ein Argument in seinem Wahrheitsgehalt so sehr vom Absender abhängig,
dass es auf die Person ankommt, ob Sie es glauben oder nicht?

In der Antwort auf die Argumente von Junia schrieb Frau Dr. Ebrecht für
mich sehr nachvollziehbar und genau so plausibel wie die
Ausgangsargumente von Junia:

2.  Gendern ist auch ein Stellvertreterkrieg. Das wahre Problem ist die
gesellschaftliche und berufliche Benachteiligung von Frauen gegenüber
Männern. Das ist ein Missstand, der lange Zeit ertragen wurde, jetzt
aber nicht mehr, und das führt zu Spannungen.
3.  Gendern soll auf diesen Missstand aufmerksam machen. Gegenderte
Sprachäußerungen sollen nicht "ökonomisch" oder "ästhetisch" sein,
sondern ein Stein des Anstoßes.

Gendern als Stein des Anstoßes, das finde ich gut formuliert. Und dann
kann man auch nachvollziehen, warum Argumente zur Barrrierefreiheit von
Sprache in diesem Diskurs am Thema vorbei sind.
Wenn ich aber Sprache einsetze, um Stein des Anstoßes zu sein, wenn ich
versuche Menschen zu einer Sprache zu verpflichten, die sie ablehnen,
dann ist das ja eine bewusste Gewaltausübung. Es ist eine kleine Rache
für über Generationen erlittene Benachteiligung.
Ob Sprache als Rache geeignet ist? Ob sich Gendern etabliert, wenn es
bewusst als Stolperstein in der Sprache fungiert?

Wie gesagt, ich kann beide Positionen gut nachvollziehen. Man sollte
nur nicht sagen, dass eine von beiden falsch ist.

Herzliche Grüße
Matthias Ulmer



Am 13.05.2022 um 12:18 schrieb Wohlgemuth, Michael via InetBib
<inetbib@xxxxxxxxxx<mailto:inetbib@xxxxxxxxxx>>:

Lieber Herr Koch,

ich danke Ihnen für diese Grundsatzfrage. Als Ostdeutscher der in einem
System aufwuchs, in dem die freie Meinungsäußerung teilweise
sanktioniert wurde, kann ich diese Zuschreibung einer Cancel Culture
nicht unkommentiert stehen lassen.

Ist es wirklich zutreffend, dass in der Bibliothekswelt ein Binnenklima
kultiviert wird, " in dem offenbar manche Leute Angst haben, in großer
Runde und zu allen Themen frei ihre Meinung zu äußern"? Gibt es
Kolleginnen oder Kollegen, die nach ihrer freien Meinungsäußerung mit
beruflichen Nachteilen konfrontiert wurden? Oder ist diese Angst nicht
eher auf die individuelle Persönlichkeit zurückzuführen?

Nicht jeder von uns wagt die öffentliche Auseinandersetzung mit anderen
Standpunkten, die als "Mehrheitsmeinung" betrachtet werden. Das ist erst
einmal ok. Ohne diese Meinungsäußerung kann dieser Standpunkt dann aber
leider auch nicht in den öffentlichen Meinungsbildungsprozessen
berücksichtigt werden. Grollend neben der Arena zu stehen bzw. unter
Decknamen Debattenbeiträge anstoßen zu wollen und dabei befürchtete
berufliche Nachteile vorzuschieben, bringt den Diskurs keinen Schritt
weiter. Ein solches Verhalten birgt noch weiter gedacht die Gefahr,
grundsätzlich das Vertrauen in diese sozialen Aushandlungsprozesse zu
untergraben. Und das können wir uns nicht leisten.

In diesem Sinne Junia des Esseintes: Ich setze mich gerne mit Ihren
Argumenten auseinander, um mir eine eigene Meinung bilden zu können.
Ohne das Wissen von wem und ggf. mit welchen Interessen derartige
Debattenbeiträge eingebracht werden, ist mir das leider nicht möglich.

Mit besten Grüßen
Michael Wohlgemuth






-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib
<inetbib-bounces@xxxxxxxxxx<mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx>> Im
Auftrag von Stefan Knoch via InetBib
Gesendet: Freitag, 13. Mai 2022 10:50
An: inetbib@xxxxxxxxxx<mailto:inetbib@xxxxxxxxxx>
Betreff: [InetBib] Grundsätzliche Frage

Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen,

nachdem nun eine Woche ins Land gegangen ist und hier noch niemand eine
Frage gestellt hat, die sich zumindest mir regelrecht aufdrängt, greife
ich nun selbst zur Tastatur.

Am Donnerstag der vergangenen Woche hat eine Kollegin (oder ein
Kollege?), die sich Junia des Esseintes nennt, hier zu Protokoll
gegeben, daß sie berufliche Nachteile befürchtet, wenn sie unter
Klarnamen ihre Meinung auf Inetbib vertritt. Mir geht es jetzt nicht um
das Thema, das die Kollegin in ihrer E-Mail behandelt, mir geht es
vielmehr um etwas ganz Grundsätzliches - und dies umso mehr, als mir
diese Kollegin kein Einzelfall zu sein scheint: Als ich mich nämlich im
vergangenen Jahr zum selben Thema kritisch geäußert habe, erhielt ich
mehrere zustimmende Rückmeldungen direkt an meine E-Mail-Adresse, deren
Verfasser sich nicht trauten, diese ihre Zustimmung über den
Inetbib-Verteiler kund zu tun.

Da stellt sich mir (und hoffentlich auch anderen) eine ganz
grundlegende Frage: Wie paßt es zusammen, daß eine Berufsgruppe, die
einerseits besonders nachdrücklich für Toleranz, Vielfalt und
gegenseitigen Respekt eintritt, andererseits ein Binnenklima kultiviert,
in dem offenbar manche Leute Angst haben, in großer Runde und zu allen
Themen frei ihre Meinung zu äußern?

Viele Grüße

Stefan Knoch


Dr. Stefan Knoch
Stellvertreter der Bibliotheksdirektorin Staatsbibliothek Bamberg Neue
Residenz, Domplatz 8, 96049 Bamberg
Telefon: 0951 / 95503-114




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