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Re: [InetBib] Grundsätzliche Frage
- Date: Fri, 13 May 2022 10:18:16 +0000
- From: "Wohlgemuth, Michael via InetBib" <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Grundsätzliche Frage
Lieber Herr Koch,
ich danke Ihnen für diese Grundsatzfrage. Als Ostdeutscher der in einem System
aufwuchs, in dem die freie Meinungsäußerung teilweise sanktioniert wurde, kann
ich diese Zuschreibung einer Cancel Culture nicht unkommentiert stehen lassen.
Ist es wirklich zutreffend, dass in der Bibliothekswelt ein Binnenklima
kultiviert wird, " in dem offenbar manche Leute Angst haben, in großer Runde
und zu allen Themen frei ihre Meinung zu äußern"? Gibt es Kolleginnen oder
Kollegen, die nach ihrer freien Meinungsäußerung mit beruflichen Nachteilen
konfrontiert wurden? Oder ist diese Angst nicht eher auf die individuelle
Persönlichkeit zurückzuführen?
Nicht jeder von uns wagt die öffentliche Auseinandersetzung mit anderen
Standpunkten, die als "Mehrheitsmeinung" betrachtet werden. Das ist erst einmal
ok. Ohne diese Meinungsäußerung kann dieser Standpunkt dann aber leider auch
nicht in den öffentlichen Meinungsbildungsprozessen berücksichtigt werden.
Grollend neben der Arena zu stehen bzw. unter Decknamen Debattenbeiträge
anstoßen zu wollen und dabei befürchtete berufliche Nachteile vorzuschieben,
bringt den Diskurs keinen Schritt weiter. Ein solches Verhalten birgt noch
weiter gedacht die Gefahr, grundsätzlich das Vertrauen in diese sozialen
Aushandlungsprozesse zu untergraben. Und das können wir uns nicht leisten.
In diesem Sinne Junia des Esseintes: Ich setze mich gerne mit Ihren Argumenten
auseinander, um mir eine eigene Meinung bilden zu können. Ohne das Wissen von
wem und ggf. mit welchen Interessen derartige Debattenbeiträge eingebracht
werden, ist mir das leider nicht möglich.
Mit besten Grüßen
Michael Wohlgemuth
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib <inetbib-bounces@xxxxxxxxxx> Im Auftrag von Stefan Knoch via
InetBib
Gesendet: Freitag, 13. Mai 2022 10:50
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: [InetBib] Grundsätzliche Frage
Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen,
nachdem nun eine Woche ins Land gegangen ist und hier noch niemand eine Frage
gestellt hat, die sich zumindest mir regelrecht aufdrängt, greife ich nun
selbst zur Tastatur.
Am Donnerstag der vergangenen Woche hat eine Kollegin (oder ein Kollege?), die
sich Junia des Esseintes nennt, hier zu Protokoll gegeben, daß sie berufliche
Nachteile befürchtet, wenn sie unter Klarnamen ihre Meinung auf Inetbib
vertritt. Mir geht es jetzt nicht um das Thema, das die Kollegin in ihrer
E-Mail behandelt, mir geht es vielmehr um etwas ganz Grundsätzliches - und dies
umso mehr, als mir diese Kollegin kein Einzelfall zu sein scheint: Als ich mich
nämlich im vergangenen Jahr zum selben Thema kritisch geäußert habe, erhielt
ich mehrere zustimmende Rückmeldungen direkt an meine E-Mail-Adresse, deren
Verfasser sich nicht trauten, diese ihre Zustimmung über den Inetbib-Verteiler
kund zu tun.
Da stellt sich mir (und hoffentlich auch anderen) eine ganz grundlegende Frage:
Wie paßt es zusammen, daß eine Berufsgruppe, die einerseits besonders
nachdrücklich für Toleranz, Vielfalt und gegenseitigen Respekt eintritt,
andererseits ein Binnenklima kultiviert, in dem offenbar manche Leute Angst
haben, in großer Runde und zu allen Themen frei ihre Meinung zu äußern?
Viele Grüße
Stefan Knoch
Dr. Stefan Knoch
Stellvertreter der Bibliotheksdirektorin Staatsbibliothek Bamberg Neue
Residenz, Domplatz 8, 96049 Bamberg
Telefon: 0951 / 95503-114
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.