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Re: [InetBib] Grundsätzliche Frage



Lieber Herr Wohlgemuth,

es ist doch seit vielen Jahren so, dass man auf kritische Kommentare in dieser 
Liste immer Zuschriften bekam, die genau das äußerten: Sie waren dankbar für 
die Meinungsäußerung und baten um Verständnis, dass sie mit abweichenden 
Meinungen auf der Liste zu schlechte Erfahrungen gemacht hatten und sich 
deshalb nicht mehr dort äußern wollten.
Das Problem wurde auch mehrfach in der Liste offen angesprochen.

Zu einer Bibliotheksszene als angstfreier Raum ist es noch ein weiter Weg.

Sie schreiben, dass Sie sich mit Meinungen gerne auseinander setzen, wenn Sie 
wissen, von wem und warum die Meinung geäußert wurde. Ist denn ein Argument in 
seinem Wahrheitsgehalt so sehr vom Absender abhängig, dass es auf die Person 
ankommt, ob Sie es glauben oder nicht?

In der Antwort auf die Argumente von Junia schrieb Frau Dr. Ebrecht für mich 
sehr nachvollziehbar und genau so plausibel wie die Ausgangsargumente von Junia:

 2.  Gendern ist auch ein Stellvertreterkrieg. Das wahre Problem ist die 
gesellschaftliche und berufliche Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern. 
Das ist ein Missstand, der lange Zeit ertragen wurde, jetzt aber nicht mehr, 
und das führt zu Spannungen.
 3.  Gendern soll auf diesen Missstand aufmerksam machen. Gegenderte 
Sprachäußerungen sollen nicht "ökonomisch" oder "ästhetisch" sein, sondern ein 
Stein des Anstoßes.

Gendern als Stein des Anstoßes, das finde ich gut formuliert. Und dann kann man 
auch nachvollziehen, warum Argumente zur Barrrierefreiheit von Sprache in 
diesem Diskurs am Thema vorbei sind.
Wenn ich aber Sprache einsetze, um Stein des Anstoßes zu sein, wenn ich 
versuche Menschen zu einer Sprache zu verpflichten, die sie ablehnen, dann ist 
das ja eine bewusste Gewaltausübung. Es ist eine kleine Rache für über 
Generationen erlittene Benachteiligung.
Ob Sprache als Rache geeignet ist? Ob sich Gendern etabliert, wenn es bewusst 
als Stolperstein in der Sprache fungiert?

Wie gesagt, ich kann beide Positionen gut nachvollziehen. Man sollte nur nicht 
sagen, dass eine von beiden falsch ist.

Herzliche Grüße
Matthias Ulmer



Am 13.05.2022 um 12:18 schrieb Wohlgemuth, Michael via InetBib 
<inetbib@xxxxxxxxxx<mailto:inetbib@xxxxxxxxxx>>:

Lieber Herr Koch,

ich danke Ihnen für diese Grundsatzfrage. Als Ostdeutscher der in einem System 
aufwuchs, in dem die freie Meinungsäußerung teilweise sanktioniert wurde, kann 
ich diese Zuschreibung einer Cancel Culture nicht unkommentiert stehen lassen.

Ist es wirklich zutreffend, dass in der Bibliothekswelt ein Binnenklima 
kultiviert wird, " in dem offenbar manche Leute Angst haben, in großer Runde 
und zu allen Themen frei ihre Meinung zu äußern"? Gibt es Kolleginnen oder 
Kollegen, die nach ihrer freien Meinungsäußerung mit beruflichen Nachteilen 
konfrontiert wurden? Oder ist diese Angst nicht eher auf die individuelle 
Persönlichkeit zurückzuführen?

Nicht jeder von uns wagt die öffentliche Auseinandersetzung mit anderen 
Standpunkten, die als "Mehrheitsmeinung" betrachtet werden. Das ist erst einmal 
ok. Ohne diese Meinungsäußerung kann dieser Standpunkt dann aber leider auch 
nicht in den öffentlichen Meinungsbildungsprozessen berücksichtigt werden. 
Grollend neben der Arena zu stehen bzw. unter Decknamen Debattenbeiträge 
anstoßen zu wollen und dabei befürchtete berufliche Nachteile vorzuschieben, 
bringt den Diskurs keinen Schritt weiter. Ein solches Verhalten birgt noch 
weiter gedacht die Gefahr, grundsätzlich das Vertrauen in diese sozialen 
Aushandlungsprozesse zu untergraben. Und das können wir uns nicht leisten.

In diesem Sinne Junia des Esseintes: Ich setze mich gerne mit Ihren Argumenten 
auseinander, um mir eine eigene Meinung bilden zu können. Ohne das Wissen von 
wem und ggf. mit welchen Interessen derartige Debattenbeiträge eingebracht 
werden, ist mir das leider nicht möglich.

Mit besten Grüßen
Michael Wohlgemuth






-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib <inetbib-bounces@xxxxxxxxxx<mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx>> Im 
Auftrag von Stefan Knoch via InetBib
Gesendet: Freitag, 13. Mai 2022 10:50
An: inetbib@xxxxxxxxxx<mailto:inetbib@xxxxxxxxxx>
Betreff: [InetBib] Grundsätzliche Frage

Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen,

nachdem nun eine Woche ins Land gegangen ist und hier noch niemand eine Frage 
gestellt hat, die sich zumindest mir regelrecht aufdrängt, greife ich nun 
selbst zur Tastatur.

Am Donnerstag der vergangenen Woche hat eine Kollegin (oder ein Kollege?), die 
sich Junia des Esseintes nennt, hier zu Protokoll gegeben, daß sie berufliche 
Nachteile befürchtet, wenn sie unter Klarnamen ihre Meinung auf Inetbib 
vertritt. Mir geht es jetzt nicht um das Thema, das die Kollegin in ihrer 
E-Mail behandelt, mir geht es vielmehr um etwas ganz Grundsätzliches - und dies 
umso mehr, als mir diese Kollegin kein Einzelfall zu sein scheint: Als ich mich 
nämlich im vergangenen Jahr zum selben Thema kritisch geäußert habe, erhielt 
ich mehrere zustimmende Rückmeldungen direkt an meine E-Mail-Adresse, deren 
Verfasser sich nicht trauten, diese ihre Zustimmung über den Inetbib-Verteiler 
kund zu tun.

Da stellt sich mir (und hoffentlich auch anderen) eine ganz grundlegende Frage: 
Wie paßt es zusammen, daß eine Berufsgruppe, die einerseits besonders 
nachdrücklich für Toleranz, Vielfalt und gegenseitigen Respekt eintritt, 
andererseits ein Binnenklima kultiviert, in dem offenbar manche Leute Angst 
haben, in großer Runde und zu allen Themen frei ihre Meinung zu äußern?

Viele Grüße

Stefan Knoch


Dr. Stefan Knoch
Stellvertreter der Bibliotheksdirektorin Staatsbibliothek Bamberg Neue 
Residenz, Domplatz 8, 96049 Bamberg
Telefon: 0951 / 95503-114




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Wollgrasweg 41 - 70599 Stuttgart-Hohenheim
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mulmer@xxxxxxxx<mailto:mulmer@xxxxxxxx>
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Sitz Stuttgart
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Geschäftsführer: Matthias Ulmer





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