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Re: [InetBib] Konsortium Baden-Württemberg unterzeichnet Vertrag mit dem Wissenschaftsverlag Elsevier
- Date: Wed, 19 Aug 2015 08:02:05 +0000
- From: Annette Kustos <Annette.Kustos@xxxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Konsortium Baden-Württemberg unterzeichnet Vertrag mit dem Wissenschaftsverlag Elsevier
Liebe Diskussionsteilnehmer,
meine beruflich-persönliche Erfahrung als Bibliothekarin und Bundesbürgerin ist
nicht, dass unsere Politik sehr intensiv daran interessiert ist, lobbyistische
Wirtschaftsinteressen von Konzernen zu unterbinden. Wenn man schon
ordnungspolitisch zum Beispiel durch ein geeignetes Wissenschaftsurheberrecht
nur sehr langsam auf das Interesse von Wissenschaft und Forschung, des
Gemeinwesens reagiert, -- hier passiert ja schon mittlerweile was, aber wir
wissen mit welchem hohen Einsatz unserer Verbände oder Vereine das erarbeitet
werden musste - könnte man wenigstens wettbewerbsrechtlich schon lange gegen
die Preispolitik der Konzerne vorgehen.
Hier passiert schlicht nichts.
Nach dem Rezept des erfolgreichen Cacheurs werden sehr freiheitlich und
demokratisch klingende Gesetze beschlossen, während sich die Verteilungsmodi
weiter ungehindert in Richtung Aushöhlung bewegen. Als schuldig wird immer
wieder die Exekutive hingestellt, die unter diesen Bedingungen wirtschaftlich
arbeiten und das Gemeinwesen schützen soll.
Aus dieser Perspektive ärgern mich die ständigen völlig willkürlichen Pranger
manchmal, der böse Bibliothekar, der fieslich das Geld der Bundesbürger ausgibt
und so.
Tja, vielleicht ist es auch nur unsere gemeinsame Verzweiflung.
Sicher kann man schon etwas tun. Allein diese ganzen Impactdatenbanken da, die
die fehlgehenden Meßinstrumente für angebliche Wissenschaft auch noch in den
Mittelverwaltungen verankern.. können wir die noch abbestellen? Hm. Tja.
Wir haben auch bereits seit Jahren angefangen, uns selber nach diesen Systemen
zu beurteilen, also nach irgendwie meßbaren Effizienzbeweisen. Als wäre
"Billig" und "Häufig" allein ein Qualitätsmerkmal von Bibliotheken geht es nur
noch um Effizienz, garniert mit politisch-medialem Erfolg statt um Aufgaben im
Kontext einer sozialen Umgebung, im Interesse von Lesern, die sich angeblich
nur in Ausleihzahlen äußern. Das stimmt schlicht nicht. Eine abgrundtiefe
Abneigung habe ich seit langem für den Begriff "Kunde" in Bezug auf öffentliche
Literaturversorgung und Wissenschafts-, Lern- und Kulturräume.
Ich weiß nicht, ob man noch in der Lage ist, hier immer gegenzuhalten und bin
mit Vorwürfen vorsichtig.
Im Einzelnen wäre es ganz gut, den OA Gedanken intensiver in Konsortialsystemen
zu verankern. Das wird ja auch versucht. Die Transparenzkeule wünsche ich mir
für das Bibliothekswesen so nicht. Das wird allenfalls den Druck auf diejenigen
erhöhen, die das Vergnügen haben, die Folgen falscher politischer
Entscheidungen auszubaden und deren Handlungsmöglichkeiten noch weiter
einschränken. Man kommt hier nur langsam voran, in kleinen Schritten. Es kann
nur der etwas ändern der verhandelt, wer nicht mehr verhandeln darf, weil er
öffentlich vorgeführt wird, kann leider gar nichts mehr tun.
Darin sehe ich wenig echten Gewinn. Man wird sich wohl eher mit Systemen
beschäftigen, irgendwie aus der Medien-Pranger-Klemme zu kommen oder sich
schlicht für unzuständig oder handlungsunfähig erklären (müssen).
Wettbewerbsrechtlich passiert ja leider auch weiterhin nichts. Die Konzerne
dürfen ungehindert jedes Jahr mehr Gewinn für ihre Börsianer abschöpfen und die
öffentlichen Kassen dafür schröpfen.
Unabhängig von diesen Thesen dennoch unverdrossen
A. Kustos
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von
Christian Gutknecht
Gesendet: Dienstag, 18. August 2015 21:54
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Konsortium Baden-Württemberg unterzeichnet Vertrag mit
dem Wissenschaftsverlag Elsevier
Herr Umstätter,
Wenn ich mich in die Situation eines UB-Direktors versetze, bräuchte ich
ehrlich gesagt keine Juristen um zu erkennen, wie absurd das traditionelle
System (angesprochene Zugangsmiete etc.) geworden ist. Die Frage ist als
UB-Direktor wohl eher: Gebe finde ich mich mit dieser Situation ab oder habe
ich den Willen und die Fähigkeit strategisch etwas zu ändern. Wenn ich
letzteres wirklich möchte, könnte ich die Expertise der Juristen auch explizit
einholen, um für meine strategischen Ziele zu nutzen. Ein gutes Beispiel ist
hier die Universität Zürich die relativ früh ein Rechtsgutachten zu Open Access
(http://doi.org/spk) in Auftrag gegeben hat, um den rechtlichen Rahmen in der
Schweiz auszuloten. Das Gutachten war in der Folge bei der Argumentation für OA
gegenüber unsicheren Autoren oder ignoranten Verlagen sehr hilfreich.
Ich wage zu behaupten, hätte man vor Jahren in derselben Tiefe die rechtlichen
Grundlagen (Öffentlichkeitsgesetz, öffentliches Beschaffungswesen) von den
klassischen Lizenzverträgen durch ausgewiesene Juristen überprüfen lassen,
hätte sich vermutlich schnell herauskristallisiert, dass sich die
eingeschlichene Praxis von Geheimhaltungsvereinbarungen sich rechtlich nicht
halten lässt. Auch politisch gesehen, ist Transparenz bei öffentlichen
Beschaffungen inzwischen mehrheitsfähig. Ende letztes Jahr hat das Schweizer
Parlament den Willen geäussert, das bestehende Transparenzgebot sogar zu
verschärfen. Künftig müssen Beschaffungen des Bundes - betrifft also auch die
Bibliotheken des ETH-Bereichs - über 50’000 CHF jährlich maschinenlesbar
verfügbar gemacht werden:
http://www.parlament.ch/d/suche/Seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20143045
<http://www.parlament.ch/d/suche/Seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20143045>.
Meines Erachtens stehen Bibliotheken des Bundes aber schon seit Jahren in der
Pflicht freihändig vergebene Aufträge für Dienstleistungen über 230’000 CHF
gemäss Verordnung des öffentlichen Beschaffungswesen Art 28
(https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19950538/index.html#a28
<https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19950538/index.html#a28>)
zu deklarieren. Von daher denke ich, dass ein früher Bezug von Juristen schon
längstens hätte aufzeigen können, dass eine öffentlich finanzierte Bibliothek
keine Geheimhaltungsvereinbarung eingehen kann. Das Wissen um diese rechtliche
Situation, hätte wiederum dem Konsortium bei den Verhandlungen den Rücken
gestärkt und wir könnten bereits heute die längst überfällige Diskussion zu den
Kosten von Subskriptionen führen.
Apropos, es ist eine widerlegte Behauptung, dass Verlage ohne
Geheimhaltungsvereinbarung nicht bereit sind zu verkaufen. Bitte einfach mal
kurz die Policy der Cornell University Library lesen:
https://www.library.cornell.edu/about/inside/policies/nondisclosure
<https://www.library.cornell.edu/about/inside/policies/nondisclosure> (Und als
Beweis gerne meine entsprechende Nachfrage:
https://wisspub.files.wordpress.com/2014/10/auskunft-cornell-library-nondisclosure-agreements.pdf
<https://wisspub.files.wordpress.com/2014/10/auskunft-cornell-library-nondisclosure-agreements.pdf>).
freundliche Grüsse
Christian Gutknecht
Am 04.08.2015 um 12:28 schrieb h0228kdm <h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx>:
Am 2015-07-27 13:24, schrieb Christian Gutknecht:
Herr Umstätter,
Ich bin mir ehrlich gesagt nicht so sicher, ob die Bibliotheken auf
das rechtlich dünne Eis geschickt werden (von wem den bitte?), oder
ob sie es nicht - wenn nicht aktiv, dann fahrlässig - selber begehen.
Sehr geehrter Herr Gutknecht,
Im Prinzip bin ich ja gleicher Meinung wie Sie. Wenn ich mich aber kurz in
die Situation eines UB-Direktors versetze, und die Juristen sagen mir, dass
ich elektronische Dokumente nicht wirklich erwerben, sondern für horrendes
Geld nur begrenzte Zeit nutzen darf, kann ich etliches, was ich eigentlich
für meine Wissenschaftler verfügbar halten müsste nicht gewährleisten.
Außerdem, wenn mir ein großer Verlag sagt, dass er mir seine Produkte nur
anbietet, wenn wir über die Verhandlungen Verschwiegenheit verinbaren, habe
ich nur zwei Möglichkrit. 1. Mich an diese Vereinbarung zu halten. 2. Auf die
Verlagsprodukte zu verzichten, was meine Wissenschftler dann rasch verstimmt.
Fazit, die Juristen schicken zur Zeit etliche Bibliotheken auf das besagte
dünne Eis.
Ich stimme Ihnen aber insofern auch hier zu, dass einige Bibliotheken zu
wenig Widerstand gegen diese momentane Entwicklung leisten.
Mit freundlichen Grüßen
Walther Umstätter
In den Schlichtungsverhandlungen, die ich kürzlich u.a. mit dem
Schweizer Konsortium beim Eidgenössischen Datenschutz- und
Öffentlichkeitsbeauftragten führte, zeigte sich, dass auf Seitens
Konsortium nur ein geringen Verständnis des seit 2006 geltenden
Öffentlichkeitsgesetz auf Bundesebene vorhanden war. Auch bei der
Frage, ob die Subskriptionsverträge nicht den
WTO-Ausschreibungsregelungen unterliegen (d.h. Deklarationspflicht
bei eigenhändigen Vergaben), bestand grosse Unsicherheit. Dass solche
gewichtige Fragen bei dem grossen Einkaufsvolumen des Konsortiums
bislang nicht sauber geklärt wurden, deutet meiner Meinung nach schon
auf langjährige Versäumnisse der Bibliotheken hin.
Immerhin kommen wir der Klärung in der Schweiz etwas näher. Der
Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) hat
den ETH-Bibliotheken kürzlich empfohlen die Beträge offenzulegen:
http://wisspub.net/2014/10/13/intransparenz-bei-den-bibliotheksausgab
en-von-schweizer-hochschulen/#update_20_07_2015
<http://wisspub.net/2014/10/13/intransparenz-bei-den-bibliotheksausga
ben-von-schweizer-hochschulen/#update_20_07_2015
<http://wisspub.net/2014/10/13/intransparenz-bei-den-bibliotheksausga
ben-von-schweizer-hochschulen/#update_20_07_2015>>
-
Und ja, die Meldung des Konsortium Baden-Württemberg zum
Elsevier-Vertrag ist schon ein ziemlicher Kontrast zu der kürzlichen
Meldung aus den Niederlanden wo inzwischen das dritte Angebot von
Elsevier dieses Jahres abgelehnt wurde, weil es zuwenig
Entgegenkommen bezüglich OA beinhaltete:
http://www.vsnu.nl/files/documents/Publications/Factsheets/33_Elsevie
ropenaccessnegotioationsindeadlock.pdf
<http://www.vsnu.nl/files/documents/Publications/Factsheets/33_Elsevi
eropenaccessnegotioationsindeadlock.pdf>
<http://www.vsnu.nl/files/documents/Publications/Factsheets/33_Elsevi
eropenaccessnegotioationsindeadlock.pdf
<http://www.vsnu.nl/files/documents/Publications/Factsheets/33_Elsevi
eropenaccessnegotioationsindeadlock.pdf>>
Den „herausgehobener Akteur“ den das Land BW in seiner E-Science
Strategie zu Open Access
(https://mwk.baden-wuerttemberg.de/de/forschung/forschungslandschaft/
e-science/) sein möchte, kann ich bei dem verkündeten Elsevier-Deal
als Aussenstehender leider nicht erkennen. Der strategischen
Weitblick, dass das Fortführen von Closed-Access Deals, den
Transformationsprozess zu Open Access massiv behindert und teuerer
macht, scheint in BW, wie leider auch in der Schweiz, nicht vorhanden
zu sein.
-
Noch ein Wort zu Nationallizenzen. Wissenschaftliches Publizieren ist
ein internationales Unterfangen. Weshalb schaffen wir es nicht
globale Lösungen dafür zu finden? Das sollte doch weiss Gott hundert
mal einfacher sein, als eine Lösung für den Klimawandel zu finden.
Bei Gold Open Access - welche Nationallizenzen überflüssig machen -
überschneiden sich die Interessen der Bibliotheken stark und sollten
sich bündeln lassen. Bei SCOAP3 haben wir es doch auch geschafft! Es
wäre sehr ineffizient, wenn sich jedes Land, mit Misstrauen auf die
OA-Efforts der anderen, sich weiter den Abschlüssen von
Nationallizenzen hingeben würde. Da kann ich Stephen Curry nur recht
geben: Nationallizenzen sind nicht die Lösung:
http://occamstypewriter.org/scurry/2015/04/08/open-access-a-national-
licence-is-not-the-answer/
freundliche Grüsse
Christian Gutknecht
Am 18.07.2015 um 14:58 schrieb h0228kdm <h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx>:
Im Prinzip muss ich Dr. Graf leider zustimmen, auch wenn ich die damit
verbundene Diktion ablehne. Es wäre auch interessant zu erfahren, was die
knapp 2.500 Zeitschriften pro Jahr kosten. Denn es geht nach meiner
Auffassung nicht an, dass solche öffentlich relevanten Erwerbungen geheim
gehalten werden. Das führt doch nur zu einer Unehrlichkeit bei der
Preisgestaltung. Bei der Buchpreisbindung achtet das Verlagswesen möglichst
genau auf die Einhaltung, aber wenn es darum geht, die Bibliotheken
gegeneinander auszuspielen, wird heimlich geschachert. (Divide et impera)
Im Prinzip sind Bibliotheken verpflichtet, mit Hilfe ihrer Kataloge
nachzuweisen, was sie für wie viel Geld erworben haben.
MEDLARS (von der National Library of Medicine) ist ursprünglich dadurch
entstanden, dass der US-Amerikanische Steuerzahler das Recht hat, zu
erfahren, was mit seinen Steuergeldern in der medizinischen Forschung
finanziert wird?
Aus meiner Sicht werden die Bibliotheken damit rechtlich immer weiter auf
dünnes Eis geschickt. Das begann schon damit, dass sie elektronische
Dokumente nicht mehr kaufen, sondern nur noch Nutzungsrechte erwerben
dürfen, und nun geben sie Gelder aus, von denen niemand weiß, ob die Höhe
gerechtfertigt ist, was zwangsläufig dazu führt, dass Dr. Graf
unterstellt, dass hier Elsevier „hofiert“ wurde.
Das begann vor zwanzig Jahren, als ISI den Engländern einen verlockenden
Preis für den elektronischen Science Citation Index machte, so dass sich
immer mehr Länder gezwungen sahen nachzuziehen, und ihre
Bibliothekserwerbungen über Konsortien zu organisieren. Danach erhielten
die Bibliotheken immer mehr Zugriffsrechte, über deren Kauf sie aber immer
seltener entscheiden durften. Außerdem wurde ihnen diese externen
Finanzierungen entzogen, so dass sie permanent sinkende Etats beklagten,
obwohl Elsevier, so weit erkennbar, immer besser verdiente.
Bezüglich der Nationallizenz wäre auch an GASCO zu denken.
MfG
Walther Umstätter
Am 2015-07-18 14:29, schrieb Juergen Fenn:
Am 18.07.2015 um 13:54 schrieb Klaus Graf
<klaus.graf@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx>:
<http://www.pr.uni-freiburg.de/pm/interne-nachrichten/zugang-zu-kn
app-2.500-zeitschriftentiteln> Von Open Access ist keine Rede. In
den Niederlanden will man Elsevier boykottieren, hier hofiert man
ihn.
http://archiv.twoday.net/search?q=elsevier
Wer heute Lizenzverhandlungen nicht für einen klaren und
eindeutigen Einstieg in Open Access nutzt, hat nichts begriffen.
Zum einen dies; hilfsweise wäre eine Nationallizenz wünschenswert
gewesen. Und wie kommt es überhaupt, daß hier ein Bundesland sich
vom Rest der Republik abhebt und ausklinkt? Warum wird so ein
Vertrag nicht bundesweit geschlossen?
Viele Grüße,
Jürgen Fenn.
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