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Re: [InetBib] Keine Sonntagsöffnung mehr für Bibliotheken?



Am 2014-11-27 19:32, schrieb Mathis Holzbach:
Lieber Herr Umstätter,

hier ging es nicht um eine historische Begründung der Frage, ob
Sonntags die Bibliotheken geöffnet werden sollen oder nicht, sondern
nur um die rechtliche Einordnung des jüngsten Urteils.

Lieber Herr Holzbach,

ich befürchte, Sie haben meine Zeilen missverstanden. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass eine solche rechtliche Einordnung, auch für die Zukunft des Bibliothekswesens in Deutschland Konsequenzen haben dürfte. Ich hoffe, dass das hier erlaubt ist. Wobei ich nicht sicher bin, ob Bibliotheken auch in Zukunft von Juristen, Kirchen, Gewerkschaftlern und Politikern so eingeschätzt werden wie heute. Mir sagte vor längerer Zeit ein englischer Kollege, dass er eine Gefahr darin sehe, dass Public Libraries zu sehr als leisure activities gesehen werden. Bei uns hieß das des öfteren Lesecafe, etc. Seit den PISA-Studien konzentrieren sich die Öffentlichen Bibliotheken darum hier in Deutschland immer öfter auf die Leseförderung. Zur Zeit von E. Ackerknecht und M. Dewey, sollten es eher Bildungseinrichtungen sein. Ebenso wie bei den zahlreichen kleinen kirchlichen Bibliotheken, die früher extra sonntags öffneten (was der Kollege Steinhauer bereits andeutete). Da ist seit Jahrzehnten ein Wandel, der für die Zukunft der Digitalen Bibliothek (z.B. mit den LibraryLabs s. www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/BAK14b_Vortrag.pdf) sicher wichtig sein wird - auch für deren rechtliche Einordnung.

Wenn die Bibliotheken weiter privatisiert werden (s. GATS) zählen sie möglicherweise bald zu den Vergnügungsparks ;-)

Hier geht es
doch nicht nur um die Kirchen. (Außerdem: die katholische Kirche
bezieht sich nicht auf Luther, obwohl er katholisch war ;-)).

Wie weit Luther noch katholisch bzw. schon Protestant war, dürfte weitgehend klar sein. Aber hier ging es "nicht nur um die Kirche" es geht um die Öffnung von Bibliotheken und das Lesen in Bibliotheken an Sonntagen.

Es geht
allein um die Frage, wie es Herr Steinhauer hervorgehoben hat, ob die
öffentlichen Bibliotheken rechtlich als kulturelle Begegnungszentren
angenommen werden können oder nicht und ob im Bezug auf das jüngste
Urteil dieser Stellenwert Sonntagsöffnungen weiterhin rechtfertigen
würde.

Genau da hatte ich thematisch angesetzt, dass die Niederlande in diese Richtung von Öffentlichen Bibliotheken als "kulturelle Begegnungszentren" zu gehen beabsichtigen, und das wäre für Deutschland durchaus auch denkbar.

Und es geht auch nicht ums Bibellesen am Sonntag. Im CIC geht
klar hervor, dass es um die gemeinsame Eucharistie geht (Sacrosanctum
Concilium: Can. 1246 §1); Can. 1247), nicht um eine alleinige
Beschäftigung mit der Heiligen Schrift.
Inwieweit die Bibliothek als zeitgenössische Αγορά (!) aufzufassen ist
(von ἁγορεύειν· = in der Versammlung sich betätigen/ öffentlich
reden), erschließt sich mir nicht so ganz. Eher würde ich die inetbib
als eine solche bezeichnen, wo Leute zusammenkommen und sich
gegenseitig beraten. Dieses Miteinander im antiken Sinne kann ich eher
in heutiger Zeit im Parlament wiederfinden und auch in gewisser Weise
in der Kirche, da - nach Homer - die Αγορά ebenso als Kultplatz zur
Verehrung der Götter genutzt wurde (Hom. Il, 11,807). Diesen
Stellenwert kann meines Erachtens die Bibliothek nun wirklich nicht
für sich in Anspruch nehmen.

Was meinen Sie ferner mit "altem Bibliothekswesen"????

Ich meine die Vorläufereinrichtungen der Digitalen Bibliothek (s. Lehrbuch des Bibliotheksmanagements S. 16 Hiersemann Verl. 2011)

Es ist nun einmal so, dass in Deutschland bestimmte Gesetze
existieren, die die Sonntagsruhe betreffen. Immer wieder werden
Klagen, die die Liberalisierung des Sonntags betreffen von staatlicher
Seite zurückgewiesen. Man muss sich mit diesen Gesetzen
auseinandersetzen. Ein direktes Sonntagsarbeitsverbot von kirchlicher
Seite kann ich allerdings nicht erkennen,

Hat das hier irgendjemand behauptet?

wohl aber die Hervorhebung
der Eucharistiefeier am Sonntag. Meine Frage bzgl. einer möglichen
Benachteiligung von konfessionsgebundenen Arbeitnehmern im  Zuge einer
allgemeinen (!) Legalisierung von Sonntagsarbeit ist berechtigt.

In Kanada zum Beispiel - die katholische Kirche  ist dort die größte
Religionsgemeinschaft -  ist die Sonntagsöffnung in Bibliotheken bei
gleichzeitiger Wahrung der Religionsausübung kein Problem. Dort
existiert jedoch auch ein anderes Staatsverständnis. Keiner käme dort
ferner auf die Idee, mit atheistischen Überzeugungen religiöse
Glaubensvorstellungen zu entkräften.

Andererseits stellt sich auch die Frage, ob die Bevölkerung
tatsächlich eine Sonntagsöffnung will. Wenn sie sich schon - nach
einer Umfrage- gegen einen verkaufsoffenen Sonntag ausspricht, bleibt
die Frage, welchen Stellenwert sie der Bibliothek einräumt; sicherlich
nicht als Αγορά, sondern eher als Dienstleister und Arbeitszentrum.
Das was sie immer war und auch in Zukunft trotz und gerade auch
aufgrund moderner Informationssysteme immer sein wird.

Und genau um diese Frage ging es mir. Bibliotheken sind im Wandel und sollten Bildungseinrichtungen sein, im Sinne von Geistes-, Herzens- Körper- und Seelenbildung, auch bzw. gerade weil immer weniger Menschen wissen was Humboldt mit seiner Proportionierlichkeit darunter verstand.


Übrigens gegen Hawking - nicht ohne den Respekt für ihre Überzeugungen
-   kann ich Einstein, wenn Sie wollen, dagegen halten, der einen Gott
nie ausgeschlossen hat. Dieses „Gegeneinanderhalten"  führt aber zu
nichts. Bleiben wir lieber bei den rechtlichen Fakten.


Ihre Anmerkung zu A. Einstein ist richtig, nur Hawking ist etwas zeitgemäßer und damit für heutige Diskussionen im Zusammenhang mit R. Dawkins und den anderen äußerst aktiven Mitstreitern erheblich virulenter. Aber den Unsinn vom Selfish Gene, und dem der Gegenbewegung zu den Kreationisten, führt hier in der Widerlegung beider Extreme leider zu weit. Das ist aber auch eine Frage der Bildung, und keinesfalls nur ein „Gegeneinanderhalten". Das ist der Jahrtausend alte Kampf der Wissenschaft gegen die natürliche Unwissenheit, bis hin zur selbst verschuldeten Unwissenheit, der Dummheit.

MfG

Walther Umstätter


Mit herzlichem Gruß

Mathis Holzbach




Am 27.11.2014 um 15:46 schrieb Walther Umstaetter <walther.umstaetter@xxxxxxxxxxxxxxxx>:

Am 2014-11-27 11:04, schrieb Eric Steinhauer:
Lieber Herr Holzbach,
Sie machen in Ihren Mails mehrere thematische Fässer auf, auf die ich
der Reihe nach kurz einmal eingehen möchte.
1. Die Entscheidung des BVerwG
Wir allen kennen noch nicht das Urteil, sondern nur die
Pressemitteilung. Zum rechtlichen Hintergrund nur soviel: § 9 ArbZG
ist hier nicht so relevant, sondern eher § 10 ArbZG, der in weitem
Umfang die Ausnahmen regelt und in seinem Abs. 1 Nr. 6 den Kirchen,
aber auch den Gewerkschaften für ihre eigenen Veranstaltungen quasi
eine Blankettvollmacht (!!) zur bezahlten Sonntagsarbeit in ihrem
Bereich ausstellt.
Für wissenschaftliche Präsenzbibliotheken ist in Abs. 1 Nr. 7 bezahlte
Sonntagsarbeit ebenfalls möglich. Das gilt auch für
Freizeiteinrichtungen. Hier (!) liegt der Knackpunkt. Öffentliche
Bibliotheken verstehen sich nicht mehr bloß als Ausleihstationen,
sondern als Begegnungsorte für eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Mit
dem Erlass von Bibliotheksgesetzen, in denen dieser Paradigmenwechsel
mittlerweile mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kommt, hat der
Begriff der "Bibliothek" eine rechtliche Akzentuierung erfahren, die
vom BVerwG nicht einfach ignoriert werden kann. Diese rechtliche
Aktzentuierung vorzunehmen, sind auf Grundlage ihrer Kulturhoheit
übrigens allein (!) die Länder berufen.

Danke für diesen Hinweis.
Soweit ich es beobachte, macht man sich in immer mehr Ländern berechtigte Sorgen um das Bibliothekswesen der absehbaren Zukunft. Dabei scheint man im Strategiepapier der Niederlande www.bibliotheksportal.de/service/nachrichten/einzelansicht/article/niederlande-neues-strategiepapier-zur-zukunft-der-bibliothek.html <http://www.bibliotheksportal.de/service/nachrichten/einzelansicht/article/niederlande-neues-strategiepapier-zur-zukunft-der-bibliothek.html> die Öffentlichen Bibliotheken zu einer zeitgenössischen Agora und zu einem soziokulturellen Kommunikationszentrum machen zu wollen. Wie weit die Bibliothekare bis 2025 zu community leaders und "für eine sinnvolle Freizeitgestaltung" gecoached werden können, wird sich zeigen. Insofern ist es eine interessante Frage, ob man diese Herzen der Gesellschaft in Deutschland aus rechtlichen Gründen nur an Werktagen schlagen lassen wird, oder hier einen anderen Weg einschlagen möchte.

Anders gefragt, will man aus kirchlicher Sicht, das Nachdenken über Gott und die Welt im christlichen Bereich grundsätzlich nur auf die Stunde am Sonntag in der Kirche beschränken? Ich gebe ja zu, in so mancher öffentlichen Bibliothek auch schon recht agnostische und sogar atheistische Lektüre gesehen zu haben, aber auch schon so manches, was beim Studium über Gott und die Welt recht nachdenklich macht, auch außerhalb des christlichen Glaubens. Zumindest bin ich nicht sicher, ob mir ein Pfarrer bei der Sonntagspredigt heute das notwendige Rüstzeug liefern kann, um S. Hawkings Behauptung „Das Universum braucht keinen Gott„ zu entkräften. Möglicherweise wäre es besser, sich in der Literatur dazu sachkundig zu machen, dass eine Schöpfung mit den bekannten Naturgesetzen auch den Zufall mit allen seinen Wahrscheinlichkeiten mit einschließen muss, sonst gäbe es keine Evolution, Willensfreiheit und auch keine Verantwortung. In Zeiten, in denen noch kaum jemand lesen konnte, war es hilfreich und gut an Sonntagen Vorleser zu haben, die auch noch die Texte interpretieren konnten. Seit Luther gab es bekanntlich nicht nur in Deutschland Strömungen, die Bibel zunehmend auch selbst zu lesen. Und seit dem es öffentlich zugängliche Bibliotheken gibt, lohnt es sich für gebildete Menschen auch in andere Wissenschaftsbereiche hinein zu schauen. Ich verstehe Gewerkschaftler, die Bibliothekare vor Sonntagsarbeit schützen möchten, es gab aber Zeiten, in denen diese Interessenvertreter darum kämpften, den Weg zu mehr Bildung frei zu kämpfen.

Wahrscheinlich treibt aber eine solche Rechtsprechung das alte Bibliothekswesen wieder rascher in die e-Library und schwächt das gedruckte Buch, das am Sonntag nicht ausgeliehen werden kann. Insofern ist der moderne Blick dieser Richter nicht zu übersehen, und deckt sich damit, e-Books nicht als Bücher sondern als Dateien, im Besitz der Verlage, zu betrachten. Da Bibliotheken e-Books nicht mehr erwerben können, ist der Gedanke "Van collectie tot connectie" durchaus schlüssig.

MfG

Walther Umstätter



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