Am 27.11.2014 um 15:46 schrieb Walther Umstaetter
<walther.umstaetter@xxxxxxxxxxxxxxxx>:
Am 2014-11-27 11:04, schrieb Eric Steinhauer:
Lieber Herr Holzbach,
Sie machen in Ihren Mails mehrere thematische Fässer auf, auf die ich
der Reihe nach kurz einmal eingehen möchte.
1. Die Entscheidung des BVerwG
Wir allen kennen noch nicht das Urteil, sondern nur die
Pressemitteilung. Zum rechtlichen Hintergrund nur soviel: § 9 ArbZG
ist hier nicht so relevant, sondern eher § 10 ArbZG, der in weitem
Umfang die Ausnahmen regelt und in seinem Abs. 1 Nr. 6 den Kirchen,
aber auch den Gewerkschaften für ihre eigenen Veranstaltungen quasi
eine Blankettvollmacht (!!) zur bezahlten Sonntagsarbeit in ihrem
Bereich ausstellt.
Für wissenschaftliche Präsenzbibliotheken ist in Abs. 1 Nr. 7 bezahlte
Sonntagsarbeit ebenfalls möglich. Das gilt auch für
Freizeiteinrichtungen. Hier (!) liegt der Knackpunkt. Öffentliche
Bibliotheken verstehen sich nicht mehr bloß als Ausleihstationen,
sondern als Begegnungsorte für eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Mit
dem Erlass von Bibliotheksgesetzen, in denen dieser Paradigmenwechsel
mittlerweile mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kommt, hat der
Begriff der "Bibliothek" eine rechtliche Akzentuierung erfahren, die
vom BVerwG nicht einfach ignoriert werden kann. Diese rechtliche
Aktzentuierung vorzunehmen, sind auf Grundlage ihrer Kulturhoheit
übrigens allein (!) die Länder berufen.
Danke für diesen Hinweis.
Soweit ich es beobachte, macht man sich in immer mehr Ländern berechtigte
Sorgen um das Bibliothekswesen der absehbaren Zukunft. Dabei scheint man im
Strategiepapier der Niederlande
www.bibliotheksportal.de/service/nachrichten/einzelansicht/article/niederlande-neues-strategiepapier-zur-zukunft-der-bibliothek.html
<http://www.bibliotheksportal.de/service/nachrichten/einzelansicht/article/niederlande-neues-strategiepapier-zur-zukunft-der-bibliothek.html>
die Öffentlichen Bibliotheken zu einer zeitgenössischen Agora und zu einem
soziokulturellen Kommunikationszentrum machen zu wollen. Wie weit die
Bibliothekare bis 2025 zu community leaders und "für eine sinnvolle
Freizeitgestaltung" gecoached werden können, wird sich zeigen. Insofern ist
es eine interessante Frage, ob man diese Herzen der Gesellschaft in
Deutschland aus rechtlichen Gründen nur an Werktagen schlagen lassen wird,
oder hier einen anderen Weg einschlagen möchte.
Anders gefragt, will man aus kirchlicher Sicht, das Nachdenken über Gott und
die Welt im christlichen Bereich grundsätzlich nur auf die Stunde am Sonntag
in der Kirche beschränken? Ich gebe ja zu, in so mancher öffentlichen
Bibliothek auch schon recht agnostische und sogar atheistische Lektüre
gesehen zu haben, aber auch schon so manches, was beim Studium über Gott und
die Welt recht nachdenklich macht, auch außerhalb des christlichen Glaubens.
Zumindest bin ich nicht sicher, ob mir ein Pfarrer bei der Sonntagspredigt
heute das notwendige Rüstzeug liefern kann, um S. Hawkings Behauptung „Das
Universum braucht keinen Gott„ zu entkräften. Möglicherweise wäre es besser,
sich in der Literatur dazu sachkundig zu machen, dass eine Schöpfung mit den
bekannten Naturgesetzen auch den Zufall mit allen seinen
Wahrscheinlichkeiten mit einschließen muss, sonst gäbe es keine Evolution,
Willensfreiheit und auch keine Verantwortung. In Zeiten, in denen noch kaum
jemand lesen konnte, war es hilfreich und gut an Sonntagen Vorleser zu haben,
die auch noch die Texte interpretieren konnten. Seit Luther gab es
bekanntlich nicht nur in Deutschland Strömungen, die Bibel zunehmend auch
selbst zu lesen. Und seit dem es öffentlich zugängliche Bibliotheken gibt,
lohnt es sich für gebildete Menschen auch in andere Wissenschaftsbereiche
hinein zu schauen. Ich verstehe Gewerkschaftler, die Bibliothekare vor
Sonntagsarbeit schützen möchten, es gab aber Zeiten, in denen diese
Interessenvertreter darum kämpften, den Weg zu mehr Bildung frei zu kämpfen.
Wahrscheinlich treibt aber eine solche Rechtsprechung das alte
Bibliothekswesen wieder rascher in die e-Library und schwächt das gedruckte
Buch, das am Sonntag nicht ausgeliehen werden kann. Insofern ist der moderne
Blick dieser Richter nicht zu übersehen, und deckt sich damit, e-Books nicht
als Bücher sondern als Dateien, im Besitz der Verlage, zu betrachten. Da
Bibliotheken e-Books nicht mehr erwerben können, ist der Gedanke "Van
collectie tot connectie" durchaus schlüssig.
MfG
Walther Umstätter