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Re: [InetBib] Keine Sonntagsöffnung mehr für Bibliotheken?



Lieber Herr Umstätter,

hier ging es nicht um eine historische Begründung der Frage, ob Sonntags die 
Bibliotheken geöffnet werden sollen oder nicht, sondern nur um die rechtliche 
Einordnung des jüngsten Urteils. Hier geht es doch nicht nur um die Kirchen. 
(Außerdem: die katholische Kirche bezieht sich nicht auf Luther, obwohl er 
katholisch war ;-)). Es geht allein um die Frage, wie es Herr Steinhauer 
hervorgehoben hat, ob die öffentlichen Bibliotheken rechtlich als kulturelle 
Begegnungszentren angenommen werden können oder nicht und ob im Bezug auf das 
jüngste Urteil dieser Stellenwert Sonntagsöffnungen weiterhin rechtfertigen 
würde. Und es geht auch nicht ums Bibellesen am Sonntag. Im CIC geht klar 
hervor, dass es um die gemeinsame Eucharistie geht (Sacrosanctum Concilium: 
Can. 1246 §1); Can. 1247), nicht um eine alleinige Beschäftigung mit der 
Heiligen Schrift.
Inwieweit die Bibliothek als zeitgenössische Αγορά (!) aufzufassen ist (von 
ἁγορεύειν· = in der Versammlung sich betätigen/ öffentlich reden), erschließt 
sich mir nicht so ganz. Eher würde ich die inetbib als eine solche bezeichnen, 
wo Leute zusammenkommen und sich gegenseitig beraten. Dieses Miteinander im 
antiken Sinne kann ich eher in heutiger Zeit im Parlament wiederfinden und auch 
in gewisser Weise in der Kirche, da - nach Homer - die Αγορά ebenso als 
Kultplatz zur Verehrung der Götter genutzt wurde (Hom. Il, 11,807). Diesen 
Stellenwert kann meines Erachtens die Bibliothek nun wirklich nicht für sich in 
Anspruch nehmen.

Was meinen Sie ferner mit "altem Bibliothekswesen"???? 

Es ist nun einmal so, dass in Deutschland bestimmte Gesetze existieren, die die 
Sonntagsruhe betreffen. Immer wieder werden Klagen, die die Liberalisierung des 
Sonntags betreffen von staatlicher Seite zurückgewiesen. Man muss sich mit 
diesen Gesetzen auseinandersetzen. Ein direktes Sonntagsarbeitsverbot von 
kirchlicher Seite kann ich allerdings nicht erkennen, wohl aber die 
Hervorhebung der Eucharistiefeier am Sonntag. Meine Frage bzgl. einer möglichen 
Benachteiligung von konfessionsgebundenen Arbeitnehmern im  Zuge einer 
allgemeinen (!) Legalisierung von Sonntagsarbeit ist berechtigt.  

In Kanada zum Beispiel - die katholische Kirche  ist dort die größte 
Religionsgemeinschaft -  ist die Sonntagsöffnung in Bibliotheken bei 
gleichzeitiger Wahrung der Religionsausübung kein Problem. Dort existiert 
jedoch auch ein anderes Staatsverständnis. Keiner käme dort ferner auf die 
Idee, mit atheistischen Überzeugungen religiöse Glaubensvorstellungen zu 
entkräften. 

Andererseits stellt sich auch die Frage, ob die Bevölkerung tatsächlich eine 
Sonntagsöffnung will. Wenn sie sich schon - nach einer Umfrage- gegen einen 
verkaufsoffenen Sonntag ausspricht, bleibt die Frage, welchen Stellenwert sie 
der Bibliothek einräumt; sicherlich nicht als Αγορά, sondern eher als 
Dienstleister und Arbeitszentrum. Das was sie immer war und auch in Zukunft 
trotz und gerade auch aufgrund moderner Informationssysteme immer sein wird. 

Übrigens gegen Hawking - nicht ohne den Respekt für ihre Überzeugungen -   kann 
ich Einstein, wenn Sie wollen, dagegen halten, der einen Gott nie 
ausgeschlossen hat. Dieses „Gegeneinanderhalten"  führt aber zu nichts. Bleiben 
wir lieber bei den rechtlichen Fakten. 

Mit herzlichem Gruß

Mathis Holzbach



 
Am 27.11.2014 um 15:46 schrieb Walther Umstaetter 
<walther.umstaetter@xxxxxxxxxxxxxxxx>:

Am 2014-11-27 11:04, schrieb Eric Steinhauer:
Lieber Herr Holzbach,
Sie machen in Ihren Mails mehrere thematische Fässer auf, auf die ich
der Reihe nach kurz einmal eingehen möchte.
1. Die Entscheidung des BVerwG
Wir allen kennen noch nicht das Urteil, sondern nur die
Pressemitteilung. Zum rechtlichen Hintergrund nur soviel: § 9 ArbZG
ist hier nicht so relevant, sondern eher § 10 ArbZG, der in weitem
Umfang die Ausnahmen regelt und in seinem Abs. 1 Nr. 6 den Kirchen,
aber auch den Gewerkschaften für ihre eigenen Veranstaltungen quasi
eine Blankettvollmacht (!!) zur bezahlten Sonntagsarbeit in ihrem
Bereich ausstellt.
Für wissenschaftliche Präsenzbibliotheken ist in Abs. 1 Nr. 7 bezahlte
Sonntagsarbeit ebenfalls möglich. Das gilt auch für
Freizeiteinrichtungen. Hier (!) liegt der Knackpunkt. Öffentliche
Bibliotheken verstehen sich nicht mehr bloß als Ausleihstationen,
sondern als Begegnungsorte für eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Mit
dem Erlass von Bibliotheksgesetzen, in denen dieser Paradigmenwechsel
mittlerweile mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kommt, hat der
Begriff der "Bibliothek" eine rechtliche Akzentuierung erfahren, die
vom BVerwG nicht einfach ignoriert werden kann. Diese rechtliche
Aktzentuierung vorzunehmen, sind auf Grundlage ihrer Kulturhoheit
übrigens allein (!) die Länder berufen.

Danke für diesen Hinweis.
Soweit ich es beobachte, macht man sich in immer mehr Ländern berechtigte 
Sorgen um das Bibliothekswesen der absehbaren Zukunft. Dabei scheint man im 
Strategiepapier der Niederlande
www.bibliotheksportal.de/service/nachrichten/einzelansicht/article/niederlande-neues-strategiepapier-zur-zukunft-der-bibliothek.html
 
<http://www.bibliotheksportal.de/service/nachrichten/einzelansicht/article/niederlande-neues-strategiepapier-zur-zukunft-der-bibliothek.html>
die Öffentlichen Bibliotheken zu einer zeitgenössischen Agora und zu einem 
soziokulturellen Kommunikationszentrum machen zu wollen. Wie weit die 
Bibliothekare bis 2025 zu community leaders und "für eine sinnvolle 
Freizeitgestaltung" gecoached werden können, wird sich zeigen. Insofern ist 
es eine interessante Frage, ob man diese Herzen der Gesellschaft in 
Deutschland aus rechtlichen Gründen nur an Werktagen schlagen lassen wird, 
oder hier einen anderen Weg einschlagen möchte.

Anders gefragt, will man aus kirchlicher Sicht, das Nachdenken über Gott und 
die Welt im christlichen Bereich grundsätzlich nur auf die Stunde am Sonntag 
in der Kirche beschränken? Ich gebe ja zu, in so mancher öffentlichen 
Bibliothek auch schon recht agnostische und sogar atheistische Lektüre 
gesehen zu haben, aber auch schon so manches, was beim Studium über Gott und 
die Welt recht nachdenklich macht, auch außerhalb des christlichen Glaubens. 
Zumindest bin ich nicht sicher, ob mir ein Pfarrer bei der Sonntagspredigt 
heute das notwendige Rüstzeug liefern kann, um S. Hawkings Behauptung „Das 
Universum braucht keinen Gott„ zu entkräften. Möglicherweise wäre es besser, 
sich in der Literatur dazu sachkundig zu machen, dass eine Schöpfung mit den 
bekannten  Naturgesetzen auch den Zufall mit allen seinen 
Wahrscheinlichkeiten mit einschließen muss, sonst gäbe es keine Evolution, 
Willensfreiheit und auch keine Verantwortung. In Zeiten, in denen noch kaum 
jemand lesen konnte, war es hilfreich und gut an Sonntagen Vorleser zu haben, 
die auch noch die Texte interpretieren konnten. Seit Luther gab es 
bekanntlich nicht nur in Deutschland Strömungen, die Bibel zunehmend auch 
selbst zu lesen. Und seit dem es öffentlich zugängliche Bibliotheken gibt, 
lohnt es sich für gebildete Menschen auch in andere Wissenschaftsbereiche 
hinein zu schauen. Ich verstehe Gewerkschaftler, die Bibliothekare vor 
Sonntagsarbeit schützen möchten, es gab aber Zeiten, in denen diese 
Interessenvertreter darum kämpften, den Weg zu mehr Bildung frei zu kämpfen.

Wahrscheinlich treibt aber eine solche Rechtsprechung das alte 
Bibliothekswesen wieder rascher in die e-Library und schwächt das gedruckte 
Buch, das am Sonntag nicht ausgeliehen werden kann. Insofern ist der moderne 
Blick dieser Richter nicht zu übersehen, und deckt sich damit, e-Books nicht 
als Bücher sondern als Dateien, im Besitz der Verlage, zu betrachten. Da 
Bibliotheken e-Books nicht mehr erwerben können, ist der Gedanke "Van 
collectie tot connectie" durchaus schlüssig.

MfG

Walther Umstätter



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