Lieber Herr Holzbach,
Sie machen in Ihren Mails mehrere thematische Fässer auf, auf die ich
der Reihe nach kurz einmal eingehen möchte.
1. Die Entscheidung des BVerwG
Wir allen kennen noch nicht das Urteil, sondern nur die
Pressemitteilung. Zum rechtlichen Hintergrund nur soviel: § 9 ArbZG
ist hier nicht so relevant, sondern eher § 10 ArbZG, der in weitem
Umfang die Ausnahmen regelt und in seinem Abs. 1 Nr. 6 den Kirchen,
aber auch den Gewerkschaften für ihre eigenen Veranstaltungen quasi
eine Blankettvollmacht (!!) zur bezahlten Sonntagsarbeit in ihrem
Bereich ausstellt.
Für wissenschaftliche Präsenzbibliotheken ist in Abs. 1 Nr. 7 bezahlte
Sonntagsarbeit ebenfalls möglich. Das gilt auch für
Freizeiteinrichtungen. Hier (!) liegt der Knackpunkt. Öffentliche
Bibliotheken verstehen sich nicht mehr bloß als Ausleihstationen,
sondern als Begegnungsorte für eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Mit
dem Erlass von Bibliotheksgesetzen, in denen dieser Paradigmenwechsel
mittlerweile mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kommt, hat der
Begriff der "Bibliothek" eine rechtliche Akzentuierung erfahren, die
vom BVerwG nicht einfach ignoriert werden kann. Diese rechtliche
Aktzentuierung vorzunehmen, sind auf Grundlage ihrer Kulturhoheit
übrigens allein (!) die Länder berufen.
Vom (rechts)soziologischen Standpunkt gibt die Entscheidung des BVerwG
ebenfalls zu denken, da die Richter offenbar keine eigene Anschauung
moderner öffentlicher Bibliotheken haben. Anders kann man sich die
sachlich vollkommen verfehlte Argumentation mit der Buchausleihe kaum
erklären. Hier wiederholt sich ein Phänomen, das wir auch bei
Politikern häufig finden: Leute, die aufgrund ihres Einkommens ihren
Buchbedarf selbst stillen können, haben in ihrer Jugendzeit zuletzt
eigene Erfahrungen mit öffentlichen Bibliotheken gemacht. Entsprechend
"aktuelle" Leitbilder finden Sie in den Köpfen dieser Leute.
2. Kirchen
Öffentliche Bibliotheken als einer der letzten kulturellen
Begegnungsorte ohne (!) Konsumzwang neben kommerziellen
Veranstaltungen wie Freizeitparks, die viele Familien sich gar nicht
leisten können, oder Kinos und dergleichen auch am Sonntag anzubieten,
finde ich kulturpolitisch wichtig und richtig. Dass ausgerechnet die
Kirchen damit ein Problem haben sollten, erschließt sich mir nicht.
Man darf nicht vergessen, dass es der "Erfolg" dieses tollen Prozesses
ist, dass nun Sportwetten am Sonntag den höchstrichterlichen Segen
haben. Ob das ein gesellschaftpolitischer Fortschritt ist, wage ich zu
bezweifeln.
Und ja, ich bleibe dabei, dass es bigott ist, tausende Ehrenamtler an
Sonntagen unentlohnt in den öffentlichen kirchlichen Bibliotheken
arbeiten zu lassen, aber gegen die Möglichkeit, für eine solche Arbeit
auch eine Entlohnung bekommen zu können, zu prozessieren. Wo Sie ja in
Vallendar arbeiten, habe ich ein weiteres schönes Beispiel für diese
Bigotterie: Warum soll es gegen den Sonntagsschutz verstoßen, eine
nicht kommerzielle Stadtbibliothek für einige Stunden mit entlohnter
Arbeit am Sonntag zu öffnen, es im Gegensatz dazu aber ganz
unproblematisch sein, wenn ein konservativer katholischer Verlag seine
Buchhandlung, wohl um des besseren Umsatzes willen, regelmäßig am
Sonntag geöffnet hat:
http://www.schoenstatt-verlag.de/OEffnungszeiten/?parent=home ?
Um es auf die Spitze zu treiben: Für die Möglichkeit einer
unentgeltlichen Lektüre von Büchern in einer Bibliothek, was man auch
als "kulturelle Diakonie" bezeichnen könnte, Menschen zu bezahlen,
verstößt gegen die Sonntagsruhe, die gleichen Bücher aber gegen Geld
zu verkaufen, ist mit entlohntem Personal in Ordnung?
Diese Argumentation hat übrigens nichts mit Kirchenfeindlichkeit zu
tun und ist auch nicht "links", sondern ist eine ernste Anfrage an
eine große Institution, die einen gesellschaftspolitischen
Gestaltungsanspruch erhebt. Wenn hier nur noch reflexhaft formales
Besitzstandsdenken verteidigt wird, untergräbt das die
Glaubwürdigkeit. Eine differenzierte Klage, die etwa die Bibliotheken
ausgespart, die Wettbüros und Videotheken aber betroffen hätten, wäre
intelligenter gewesen, als einem der wenigen Orte niederschwelliger
gesellschaftlicher Integration Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Falls Sie wegen des Hinweises auf einen Beitrag in der taz Bedenken
über meinen "weltanschaulichen Standpunkt" hegen sollten, was ich in
dieser Form eher erheiternd finde, so darf ich kurz bemerken, dass es
meine Stellungnahme zum Kulturfördergesetz Nordrhein-Westfalen war,
die in letzter Minute noch zu einer Einbeziehung der Kirchen in das
Anhörungsverfahren geführt hat, vgl. Stellungnahme 16/2251, S. 11 f.
(http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-2251.pdf).
Das können Sie auch dem Protokoll der Anhörung entnehmen, wo der
Vertreter des Evangelischen Büros NRW dies gesagt hat: "Die
Katholischen Bistümer und die Evangelischen Landeskirchen haben
zusammen eine Stellungnahme abgegeben. Wir waren zunächst sehr
überrascht, dass die Kirchen in diesem Gesetzentwurf gar nicht benannt
wurden. Ich danke ausdrücklich Herrn Prof. Steinhauer dafür, dass er
dies benannt hat." (APr. NRW 16/714, S. 31). Daran sehen Sie, dass ich
sehr wohl die kultur- und gesellschaftspolitische Bedeutung der
Kirchen sehe und bejahe. Das heißt aber nicht, dass man dabei auch
seinen Kopf abschaltet und unüberlegtes Handeln auf dieser Seite nicht
auch mit guten Gründen kritisieren dürfte.
3. Verschiedenes
Inetbib ist kein wissenschaftliches Forum, sondern dient dem
Meinungsaustausch. Daher ist es legitim, zugespitzt, mitunter auch
polemisch die Dinge zu thematisieren. Sie als Freund der alten
Fakultäten sollten hier die Rhetorik nicht vergessen, deren ehener
Grundsatz immer die Adressatenbezogenheit ist. Soweit und solange in
der Liste niemand persönlich angegriffen oder Schmähkritik geübt wird,
sind Rufe zur Sachlichkeit in diesem Kontext etwas deplaziert. Für den
Hinweis auf die verschiedenen Möglichkeiten, nach einem theologischen
Studium arbeiten zu können, danke ich. Was den historisch noch recht
jungen studierten "Laientheologen" betrifft, finden Sie bei Bedarf
hier Hinweise und Vertiefungen: Steinhauer, Eine kurze Geschichte der
Ausbildung katholischer Theologen in Deutschland, in: Heinz Finger,
Reimund Haas, Hermann-Josef Scheidgen (Hrsg.), Ortskirche und
Weltkirche : kölnische Kirchengeschichte zwischen Mittelalter und
Zweitem Vatikanum : Festgabe für Norbert Trippen zum 75. Geburtstag. -
Köln [u.a.] : Böhlau, 2011 (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte ;
28), S. 899-913, insbesondere S. 907-911.
Herzlich grüßt
Eric Steinhauer
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Prof. Dr. Eric W. Steinhauer
Dezernent für Medienbearbeitung
Fachreferent für Allgemeines, Rechts-, Staats- und Politikwissenschaft
Fernuniversität in Hagen - Universitätsbibliothek
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