Lieber Herr Ulmer, ich denke auch, dass wir nicht soweit auseinander liegen und ich würde sehr gerne diese Diskussion mit Ihnen vertiefen - gerne nach der Buchmesse. Trotzdem erlauben Sie mir bitte noch ein paar Bemerkungen: Ich glaube, dass wir zuerst verstehen müssen, dass es überhaupt nicht um eBooks geht. Es geht vielmehr um die Gestaltung der digitalen Welt als Ganzes. Wir können eBooks nicht ohne die neuen Distributionswege anderer Inhalte wie Filme oder Musik denken. Die Playstation 3 oder die XBOX360 ist beispielsweise keine Gaming-Konsole sondern eine multioperable Medienplattform. Wir müssen auch Themen wie Social-Media, Gaming oder das Mobile Internet beleuchten. Zudem müssen wir uns überlegen, wie das von mir angesprochenen Dreieck aus Unternehmen wie Amazon und Google, Verlagen und Buchhandel (beim Buchhandel bin ich sehr skeptisch was die Überlebensprognose angeht) und Bibliotheken, Schulen, Museen etc. entwickelt und aktiviert werden kann. Ich behaupte wir können die digitale Welt nur gemeinsam gestalten - nicht gegeneinander. Wir müssen ebenso verstehen, dass es bei der digitalen Welt um eine neue Kultur bzw. neue Denk- und Arbeitsweisen geht. Das heißt, die Strukturen und Denk- und Arbeitsweisen aller Beteiligten werden sich ändern müssen. Unternehmen wir Amazon oder Google sind stark, weil deren Kultur bereits mit der der digitalen Welt kompatibel ist - nicht weil sie über große finanzielle Ressourcen verfügen. Wir werden uns auch über neue Crossover-Geschäftsmodelle Gedanken machen müssen. Ich habe neulich auf einer Konferenz meinen Vortrag mit der Aussage begonnen, dass ich bereit wäre, einer Bibliothek eine Jahresgebühr von 1.000.- € zu zahlen, wenn ich dafür die Services bekomme, die ich im Moment nutze. Wer mir diese Services bietet ist mir egal... Was ich damit sagen will ist: vielleicht werden wir über völlig neue Formen der Zusammenarbeit und Kooperation nachdenken müssen. Ich halte auch wenig davon, dieses Thema über Gesetze und Gerichte klären zu wollen - dies wird nicht funktionieren. Es wird aber auch nicht funktionieren, die Bibliotheken in ein Gebühren- und Nutzungsmodell zu zwingen. Das wird letztlich vor allen den Verlagen schaden und nicht den Bibliotheken. Verlage sind davon abhängig, Inhalte zu haben für deren Nutzung die Menschen zahlen. Bibliotheken haben diese Abhängigkeit nur bedingt, denn Ihnen steht das gesamte Netz als Inhalt zur Verfügung. Beste Grüße nach Frankfurt Christoph Deeg -- Christoph Deeg Dipl. Instru. Mu. Sedanstrasse 5 12167 Berlin Tel.: +49(0)157-73808447 Mail. christoph.deeg@xxxxxxxxxxxxxx Blog: www.christoph-deeg.de Xing: http://www.xing.com/profile/Christoph_Deeg Twitter: http://www.twitter.com/crocksberlin Mitmachen beim Social-Media-Gaming-Barbecue: http://www.social-media-gaming-barbecue.com Bibliotheken, eBooks, Smartphones, iPads: http://www.mobile-internet-roadshow.de Teil der Vision der Zukunftswerkstatt: http://www.zukunftswerkstatt.org Am 13. Oktober 2012 16:37 schrieb Matthias Ulmer <mulmer@xxxxxxxx>:
Lieber Herr Deeg, ich kann von der Buchmesse aus nur eingeschränkt antworten. Aber das Thema Lending ist hier vorherrschend und die Konzepte sind in der Umsetzung. Wenn ich von Geschäftsmodell spreche kann es sein, dass die Umsetzung misslingt. Aber für unser Thema hier ist das doch irrelevant: entscheidend ist, dass Lending als Geschäftsmodell kommt und ob das nun der Verband, Bertelsmann, Amazon oder wer anders macht, das spielt doch keine Rolle. Meine Aussage war, dass es kommt und für uns kommerziell wichtig wird. Ihre Beschreibung der Situation der Bibliotheken ist sehr klar und zeigt die anstehenden Aufgaben. Damit unterstreichen Sie ja meine Vermutung, dass wir auf einen Konflikt zusteuern. Vielleicht war mein Versuch einer Lösung naiv. Noch will ich aber nicht die Lösung von Herrn Müller akzeptieren, der das gerichtlich ausfechten will und sich die Erlösung ausgerechnet vom EuGH erhofft. Sehr viel wichtiger finde ich Ihren Hinweis auf ein Dreieck Amazon etc., Bibliotheken und Verlage als Angebotsspektrum für die Kunden. Ich würde das etwas variieren: Zentrale Plattformen (Amazon etc. aber auch die skizzierte Lending-Plattform und die DDB bzw Europeana), Bibliotheken und Buchhändler (statt Verlagen). Und das würde ich noch um Bildungseinrichtungen wie Schulen und VHS als vierte Ecke ergänzen. Wie viele Ecken auch immer, über die Abgrenzungen der Schnittstellen und unsere Modalitäten wird man sich einigen müssen. Diese Einigung sollte die Interessen der Autoren und der Leser genau so im Auge haben wie die ökonomischen und sozialen Anforderungen an ein nachhaltiges Angebot. Herzliche Grüße Matthias Ulmer Am 13.10.2012 um 11:38 schrieb Christoph Deeg <christoph.deeg@xxxxxxxxxxxxxx>:Sehr geehrte Listenmitglieder, ich finde diese Diskussion sehr spannend und erlaube mir, mich auch dazu zu äußern. Ich beziehe mich dabei auf öffentliche Bibliotheken: Interessant ist, dass Sie Herr Ulmer von einem Geschäftsmodell der Verlage sprechen. Welches Geschäftsmodell soll das sein? Bis jetzt kommt von den Verlagen nicht ein einziges kundenorientiertes Angebot im Bereich eBooks. Im Gegenteil, bis jetzt wurde erfolgreich versucht das Thema zu bekämpfen. Nicht die Verlage sondern Unternehmen wie Amazon, Google und Apple haben hier interessante Services geschaffen. Und wenn diese Unternehmen nun direkt mit den Autoren Verträge eingehen, können Kunden davon nur profitieren. Das wir eine Bewegung weg vom Eigentum und hin zum Zugang haben ist kein neuer Trend. Schon Jeremy Rifkin wies vor vielen Jahren in seinem Buch "Access" darauf hin: http://www.amazon.de/Access-Verschwinden-Eigentums-besitzen-ausgeben/dp/3593365413 und er beschrieb darin keine Zukunftsvision sondern eine vorhandene Situation. Anstatt nun also Bibliotheken als Konkurrenz zu sehen wäre es hilfreicher, wenn Sie sich überlegen würden, wie man als Verlag wirklich kundenfreundliche Angebote schafft. Öffentliche Bibliotheken sind keine Almosensysteme. Sie haben zwar auch einen sozialen Auftrag aber eben nicht nur. Sie sind kultureller Ort, sozialer Ort, Lernort und sie werden in Zukunft den digitalen Bereich unserer Gesellschaft mitgestalten. Wir müssen dafür sorgen, dass öffentliche Bibliotheken für alle Einkommensklassen bzw. Lebensrealitäten ein Angebot vorhalten können. Für mich als Kunden geht es z.B. nicht um einen kostenlosen Zugang zu Inhalten sondern um einen professionellen Umgang mit Inhalten. Die Herausforderung für Bibliotheken ist aber weitaus größer. Es geht längst nicht mehr nur um Bücher bzw. eBooks. Amazon, Apple, Google und Co. bieten diese Leihmodelle für eine Vielzahl an Medien an. Bei Lovefilm von Amazon habe ich für 6,99€ eine Flattrate für das Streamen von Filmen. Spotify und Audible vermarkten Musik und Hörbücher. Shoutcast bringt mir tausende Radiosender nach hause. Ganz zu Schweigen von den animierten Kinder-eBooks, die als Apps. nicht mehr in das Konzept einer Onleihe integrierbar sind. Im Rahmen meiner "Mobile Internet Roadshow für Bibliotheken" probieren die Teilnehmer auch diese Plattformen aus und das Feedback ist immer eindeutig: die Angebote sind kundenorientiert und machen Spass. Für Bibliotheken geht es also um viel mehr. Immer mehr Inhalte/Medien können nicht mehr in der Bibliothek als Teil des Bestandes verortet werden. Sei es, weil die Distributionsmodelle eine Integration in die Bibliothek nicht mehr zulassen oder sei es, weil sie frei zugänglich sind wie z.B. Youtube-Videos oder Blogs. Es geht also um einen Wandel von der Bestands- zur Serviceorientierung. Was Amazon seinen Kunden bietet ist ein Service. Die Menschen zahlen für diesen Service, nicht für den Inhalt. Es geht um die Frage, wie Bibliotheken mit den Inhalten arbeiten können, die nicht mehr klassisch Teil des Bestandes sind. Letztlich wird es auch darum gehen, neue Kooperationsmodelle zu entwickeln. Verlage gegen Amazon, Google und Co. wird nicht viel bringen. Dafür fehlt es den Verlagen in der Breite an Innovationskraft. Verlage gegen Bibliotheken macht noch weniger Sinn, denn Verlage werden die Bibliotheken brauchen. Wir werden ein Dreieck aus Verlagen, Bibliotheken und Unternehmen wie Amazon und Google entwickeln müssen um den Kunden, und nur um die sollte es gehen, interessante Angebote anbieten zu können. Beste Grüße Christoph Deeg Am Freitag, 12. Oktober 2012 schrieb Matthias Ulmer :Lieber Herr Mittermaier, eigentlich zeigt Ihre Substitution doch nur, dass in der Logik daraus Fehlschlüsse entstehen. Aber das spielt letztlich auch keine Rolle, wer wann wo Konkurrenz bekommen hat. Wir haben eine technische Entwicklung, die das Leser- bzw. besser Nutzerverhalten verändert. Und wir haben einen Trend, der weg von Besitz und hin zu Zugriff geht. Für die Rechteinhaber bedeutet das, dass sie von Print zu Digital und von Verkauf zu Vermietung wechseln. Das ist kein Buchtrend, das ist ein allgemein gesellschaftlicher Trend. Weiter gibt es seit Jahrzehnten eine Veränderung im Verständnis des Bibliotheksauftrags. Um mal das Extrem zu nehmen: die Unesco formuliert die Versorgung aller Bevölkerungsgruppen mit Information, Kultur, Medien als Auftrag der Bibliotheken. Wer jetzt wann welche Erstgeburtsrechte auf Verleih hat ist irrelevant. Dass es einen Konflikt gibt, den sich niemand, weder Bibliotheken noch Rechteinhaber wünschen ist klar. Dass das kommerzielle Geschäftsmodell der Ausleihe beginnt ist jetzt auch offensichtlich. Gerade heute hat Amazon die Ausleihe in Deutschland gestartet, siehe Pressemeldung in Buchreport etc. Damit Bibliotheken das Angebot an E-Book Ausleihe ausbauen können benötigen sie Medien. Die bekommen sie entweder von Verlagen, wenn die beiden Ausleihmodelle nicht zu sehr miteinander konkurrieren. Oder sie müssen auf die nächste Schranke im nächste Korb hoffen. Ich halte es angesichts der ökonomischen Bedeutung der Ausleihe für unrealistisch hier viel zu erwarten, da der Eingriff in die Eigentumsrechte der Rechteinhaber in diesem Konflikt bei der angedeuteten Marktentwicklung zu massiv wäre. Realistisch ist vielleicht die Bindung an die Räumlichkeiten der Bibliothek und an spezielle Lesegeräte. Aber bis das soweit ist vergehen Jahre. Das finde ich sind ausreichend Gründe gemeinsam nach einer Lösung zu suchen und nicht historische Feindschaften zu beschwören. Gruss Matthias Ulmer Am 12.10.2012 um 08:53 ngschrieb "Mittermaier, Bernhard" < B.Mittermaier@xxxxxxxxxxxxx <javascript:;>>:Lieber Herr Ulmer, wenn man Ihre Argumentation bei den E-Books akzeptiert, dann sehe ichkeinen Grund, sie für den print-Bereich nicht zu akzeptieren. Und so wird vielleicht deutlich, dass Sie letztlich aussagen, dass die Bibliotheken den Verlagen das Geschäft kaputt machen (gestern war ich bei einer Veranstaltung in Frankfurt, bei der viele Verlage *mit* vielen Bibliothek Geschäfte machen, aber das nur nebenbei).Ich erläutere Ihnen dies durch die Methode des Substitution: Wenn ich indem Zitat aus boersenblatt.net "E-Book" durch "Buch", "zu speichern" durch "ins Regal zu stellen" und "Onleihe" durch "Ausleihe" ersetze, dann ergibt sich:Matthias Ulmer nimmt an, dass künftig mehr *Buch*-Leser dazu übergehenwerden, Titel nicht dauerhaft *ins Regal zu stellen*, sondern nach Bedarf auf sie zuzugreifen. In diesem Zusammenhang erwachse den Verlagen eine Konkurrenz aus den *Ausleihe*-Angeboten der öffentlichen Bibliotheken, die auf Dauer das Geschäftsmodell der Verlage gefährden könnten. Längst sprächen die Bibliotheken nicht mehr ihre ursprüngliche, eher einkommensschwache Zielgruppe an, sondern einen wesentlich größeren Nutzerkreis. Hier steuere man auf einen Konflikt zu.Vereinfacht gesagt, war das Geschäftsmodell der Verlage bislang diePublikation und der Verkauf von Büchern; Bibliotheken haben Bücher gekauft und verliehen. Wer erzeugt denn nun eine Konkurrenzsituation?Herzlichen Gruß Bernhard Mittermaier ########################################### Dr. Bernhard Mittermaier Forschungszentrum Jülich Leiter der Zentralbibliothek / Head of the Central Library Tel ++49-2461-613013 Fax ++49-2461-616103 -----Ursprüngliche Nachricht----- Date: Thu, 11 Oct 2012 19:24:48 +0200 From: Matthias Ulmer <mulmer@xxxxxxxx> Subject: Re: AW: [InetBib] Klartext: Suppenküche Öffentliche Bibliothek To: Internet in Bibliotheken <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx> Message-ID: <C1A275F3-EB4B-41F5-A944-7FA335F65B37@xxxxxxxx> Content-Type: text/plain; charset=utf-8 Lieber Herr Müller, mit der E-Book Ausleihe bzw. Vermietung hat das nichts zu tun, oder? Nursicherheitshalber, damit ich nichts falsch verstehe...Sie wollen partout eine große ewige Feindschaft zwischen Verlagen undBibliotheken. Wenns Spaß macht... Aber dem müssen ja nicht alle folgen.Wenn die Bibliothekstantieme Ihr Beweis dafür ist, dass die Verlage dieBibliotheken als Konkurrenz betrachten, kann sein, dass das eine Diskussion war. Man muss aber tief in den Archiven kramen um das als Beleg heran zu ziehen.Wie hoch die Bibliothekstantieme oder unser jährlicher Anteil daran ist?Keine Ahnung. Dass Verlage und Urheber in den Gremien seit Jahren problemlos zusammenarbeiten und beide Seiten das Urteil des LG München absurd finden können Sie gerne ignorieren. Auch die von Ihnen gewünschte allgemeine Feindschaft zwischen Autoren und Verlagen gibt es nicht.In Ihren Augen wäre ja jede Geschäftsbeziehung zwischen Bibliothek undVerlag ein Beweis für Konkurrenzdenken und aus der Welt wäre das erst, wenn die Verlage den Bibliotheken alles umsonst geben. Sehr eigenwillig.Das mit den Prozessen: obwohl es sinnlos ist erlaube ich mir den Hinweisauf die eigenartige Argumentation, nach der man zum Vorwurf bekommt sich gegen eine Rechtsverletzung zu wehren. Ich weiß von drei Verfahren, eins zu 52b und zwei zu 52a. Ein wirklich unglaublicher Vorgang, dass hier drei Musterverfahren zu zwei neuen Paragrafen gemacht wurden. Und ob Klagen berechtigt sind kann man doch auch am rechtsverbindlichen Urteil ablesen.Und Heidelberg ist doch Kurpfalz und nicht Baden? Na ja, aber vielleicht haben Sie zum Thema E-Book-Ausleihe doch nocheine Anmerkung?Freundliche Grüße Matthias Ulmer------------------------------------------------------------------------------------------------ ------------------------------------------------------------------------------------------------Forschungszentrum Juelich GmbH 52425 Juelich Sitz der Gesellschaft: Juelich Eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Dueren Nr. HR B 3498 Vorsitzender des Aufsichtsra--http://www.inetbib.de-- -- Christoph Deeg Dipl. Instru. Mu. Sedanstrasse 5 12167 Berlin Tel.: +49(0)157-73808447 Mail. christoph.deeg@xxxxxxxxxxxxxx Blog: www.christoph-deeg.de Xing: http://www.xing.com/profile/Christoph_Deeg Twitter: http://www.twitter.com/crocksberlin Mitmachen beim Social-Media-Gaming-Barbecue: http://www.social-media-gaming-barbecue.com Bibliotheken, eBooks, Smartphones, iPads: http://www.mobile-internet-roadshow.de Teil der Vision der Zukunftswerkstatt: http://www.zukunftswerkstatt.org -- http://www.inetbib.de-- http://www.inetbib.de
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