On Mon, 30 Mar 2009 15:11:11 +0200
"Schimmel, Wolfgang" <wolfgang.schimmel@xxxxxxxx> wrote:
Sehr geehrter Herr Graf,
nachdem ich mich ungebeten in die Debatte in die
Debatte
einmische, möchte ich vorab kurz vorstellen. Ich bin
juristischer Berater der BG I in der VG Wort und
arbeite
in der Arbeitsgruppe der VG Wort mit, die sich um eine
Lösung der mit dem Google-Settlement aufgeworfenen
Fragen
befasst.
Vorab eines: Die VG Wort hat zusammen mit der
"notification" mitgeteilt, wie eine mögliche Lösung des
Konflikts unter Einschaltung der VG Wort aussehen
könnte.
Entschieden ist noch nichts; das ist Sache von
Verwaltungsrat und Mitgliederversammlung und steht am
22.
Und 23. Mai an. Danach wird - falls die Entscheidung so
fällt - der geänderte Wahrnehmungsvertrag bekannt
gegeben
und alle Adressaten haben Gelegenheit, der Änderung im
Hinblick auf das Google-Settlement zu widersprechen, so
sie das wollen.
Ich kann also nach dem Stand der Dinge schwerlich
nachvollziehen, weshalb Sie schon jetzt die Leute
nervös
- um nicht zu sagen: verrückt - machen.
In der Sache verkennen Sie ganz offensichtlich die
Intentionen der VG Wort.
"Die Arbeitsgruppe schlägt - nach derzeitigem Stand der
Dinge - vor, dass sich die VG WORT durch eine Änderung
des Wahrnehmungsvertrages bzw. im Rahmen einer
Beauftragung folgende Rechte aus dem Google-Vergleich
übertragen lässt:
...
- Das Recht, die Entfernung von sämtlichen vergriffenen
Büchern zu verlangen. Gleichzeitig soll die VG Wort das
Recht eingeräumt bekommen, digitale Nutzungen von
vergriffenen Büchern weltweit für Google (über das
Google-Partnerprogramm) oder Dritte zu lizenzieren,
sofern nicht Autor oder Verlag dem widerspricht.
- Das Recht, die Entfernung von sämtlichen lieferbaren
Büchern zu verlangen. Gleichzeitig soll der VG Wort
möglicherweise das Recht eingeräumt werden,
Suchmaschinen
wie Google die Indexierung von Büchern (Volltextsuche
im
Buchinhalt) zu lizenzieren, sofern dem Internetnutzer
ausschließlich bibliographische Angaben und keine
Buchinhalte angezeigt werden."
Es geht darum, eine weltweite Lizenzierung zu
ermöglichen. Deshalb soll "gleichzeitig" mit der
Rücknahme der Rechte zur Zugänglichmachung nach dem
Settlement (das nur zu Zugänglichmachung innerhalb der
USA regelt und Nutzern in Deutschland wenig dienlich
ist)
eine Lizenzierung erfolgen. Eine solche Lizenzierung
könnte nach Änderung des Wahrnehmungsvertrags nicht nur
zugunsten von Google erfolgen, sondern auch für andere
Einrichtungen (z.B. "Europeana").
Vor diesem Hintergrund sind Ihre Bedenken nicht
nachvollziehbar: Ein "removal" nach dem
Google-Settlement
betrifft Wissenschaftler in Deutschland nicht; eine
Lizenzierung durch die VG Wort (auch) in Deutschland
würde hierzulande den Zugang ermöglichen und die Chance
schaffen, dass neben Google weitere
Zugangsmöglichkeiten
entstehen. Wenn Sie Autoren dazu aufrufen, der VG Wort
eine "Befugnis" zu entziehen, die sie - nebenbei -
derzeit noch nicht hat, verhindern Sie genau das. Sie
werden selbst beurteilen können, ob Sie damit der
"Forschungsfreiheit" einen Dienst tun.
Lassen Sie mich zu alledem noch klarstellen: Die VG
Wort
hat nichts weiter mitgeteilt als den vorläufigen Stand
der Überlegungen. Wie die Lösung wirklich aussehen
wird,
kann ich Ihnen nicht sagen.
Erlauben Sie noch eine letzte Anmerkung zum Thema
"Forschungsfreiheit" generell: Es ist Sache eines jeden
Wissenschaftlers, ob, wo und wie er seine
Arbeitsergebnisse publiziert. Dem steht kein
Urheberrecht
der Welt entgegen. Dass Verlage ausschließliche
Nutzungsrechte erwerben, ist Folge der Entscheidung von
Wissenschaftlern, Ihre Arbeiten eben dort zu diesen
Konditionen zu publizieren. Eine
Verwertungsgesellschaft
kann diese Wahl des Veröffentlichungswegs nur zur
Kenntnis nehmen und respektieren. Das heißt aber auch,
dass sie die vertraglich erworbenen Rechte der Verlage
zu
respektieren hat.
Ihr Protest gegen eine vermeintliche Beschränkung der
Forschungsfreiheit ist also bei der VG Wort an der
falschen Adresse. Mir erschiene es zielführender, wenn
die Gemeinde der Wissenschaftsautoren einmal unter sich
diskutieren würde, um einen Konsens darüber zu
erzielen,
unter welchen Konditionen denn nun welche
Veröffentlichungen erfolgen sollen. Dass Autor A einem
Verlag den exklusiven Vertrieb einer Veröffentlichung
überträgt, mag Autor B, der sich dann die Zeitschrift
oder das Buch kaufen muss, missfallen. Aber ist das
nicht
eine Frage, die A und B miteinander klären sollten, und
nicht ein Konflikt, der mit der zuständigen
Verwertungsgesellschaft auszutragen ist?
Mit freundlichen Grüßen
aus der Ecke der "Ewiggestrigen", der "irregeleiteten
Autorenverbände"
Wolfgang Schimmel
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
Fachbereich Medien / Verband deutscher Schiftsteller
(VS)
Königstr. 10a, 70173 Stuttgart
Telefon: +49 (711) 88788-0840
Telefax: +49 (711) 88788-0899
Mail: Wolfgang.Schimmel@xxxxxxxx
PS: Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Nachricht an
Ihren Verteiler weiterleiten würden.
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag
von Klaus Graf
Gesendet: Samstag, 28. März 2009 18:14
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Wie die VG Wort die
Forschungsfreiheit angreifen will
Zur wissenschaftlichen Anwendung von Google Buchsuche
ein
Beispiel:
39 Treffer, gleiche Suche bei Libreka 8 (was heisst,
dass
man auch Libreka nutzen sollte).
Hier geht es darum, in Art eines Citation Index
herauszufinden, wer ein bestimmtes mittelalterliches
Geschichtswerk zitiert/verwertet.
http://tinyurl.com/c3asl4
lässt sich sofort als irrelevant ausschließen, da es um
eine andere Chronik geht und dies sowohl aus dem kurzen
Exzerpt der Trefferliste als auch aus dem Schnipsel
eindeutig hervorgeht.
Die VG Wort will aber die Schnipseldarstellung und die
Trefferlistenexzerpte verbieten! Man erfuehre also nur,
dass Speyrer Chronik auf einer bestimmten Seite
vorkommt,
muesste sich also das Buch vergeblich besorgen!
http://tinyurl.com/dadu75
Hier muss man den Schnipsel konsultieren und wenn man -
wie
ich - das Werk hinreichend kennt, weiss man sofort,
dass
auf die Wiedergabe der "Scheyrer Chronik" in der
"Speyrer
Chronik" angespielt wird. Auch diesen Treffer koennte
man
bei einer grossen Anzahl von Fragestellungen dadurch
sofort
aussortieren.
Diese Forschungsmoeglichkeiten will uns die VG Wort
kuenftig verbieten!
Die Verlage koennten sie sofort anbieten im Rahmen des
Partnerprogramms und wuerden dazu noch am
Anzeigenerloes
beteiligt!
Klaus Graf
Ich habe Herrn Schimmel telefonisch gebeten, sich hier
anzumelden. Er war darueber hinaus bereit, mir seine
Position sehr ausfuehrlich zu erlaeutern.
Zur Sache moechte ich feststellen:
(1) Es trifft nicht zu, dass bei einem Removal keine
Auswirkungen auf die Anzeige ausserhalb der USA sich
ergeben.
Bei einem Removal wird das Buch aus dem
Bibliotheksprogramm
vollstaendig entfernt. Jede Art der Volltextsuche und
auch
die Schnipselanzeige sind damit weltweit UNMOEGLICH. Was
nicht in Googles Index vorhanden ist, kann nicht mehr
angezeigt oder genutzt werden.
Ein Removal im Rahmen des Settlement muss bis April 2011
erklaert werden.
(2) Scheitern die Verhandlungen der VG Wort mit Google
ueber eine Lizenzierung ausserhalb der USA, wird das
Removal fuer die vertretenen Werke erklaert und die von
mir
beschriebenen negativen Konsequenzen fuer Forschung und
Allgemeinheit (sowie die Autoren) treten ein.
Dass Herr Schimmel hinsichtlich der Verhandlungen
optimistisch ist, ist ein frommer Wunsch.
(3) Hinsichtlich der Verguetungen im Rahmen des
Settlement
werden diese unabhaengig von der Inhaberschaft
ausschliesslicher Nutzungsrechte in der ueblichen Weise
zwischen Autoren, Verlagen und - hinsichtlich der
Verwaltungskosten - VG Wort aufgeteilt.
Fuer Google waere es attraktiv, Verlage und Autoren in
einem Boot zu haben. Zwar sind die deutschen Buchautoren
in
der Regel keine US-Rechteinhaber, da sie ausschliessliche
Nutzungsrechte den Verlagen uebertragen haben, aber das
ist
Google egal. Die 60 Dollar je Buch von Google gehen also
zu
7-10 Prozent an die VG Wort fuer deren Verwaltungskosten;
im Bereich Wissenschaft wird der Rest 50:50 zwischen
Autoren und Verlagen aufgeteilt, bei der Belletristik
70:30.
(4) Die VG Wort ist nicht dazu da, die Interessen der
Wissenschaft und der Allgemeinheit zu vertreten.
Sie nimmt die Interessen der Urheber in einer Weise wahr,
die nach bisherigen Erfahrungen die Verlage beguenstigt
und
die Urheber benachteiligt. Google mag nicht "evil" sein,
aber die VG Wort ist es nach meiner Ueberzeugung ganz
gewiss.
(5) Was jetzt vorliegt, ist der vorlaeufige Kompromiss
einer Arbeitsgruppe. Entscheidend ist der Ablauf der
Hauptversammlung der VG Wort.
Natuerlich koennte die Regelung die Interessen von
Allgemeinheit und Forschung wesentlich besser
beruecksichtigen, indem etwa eine Lizenzierung der
Schnipseldarstellung fuer lieferbare Buecher erfolgt. Die
VG Wort hat aber vor, bei lieferbaren Buechern alle
Inhalte
fuer die Anzeige zu sperren.
(6) Es kommt einer Erpressung nahe, von mir zu verlangen,
ich solle gegenueber der VG Wort kuschen, da sonst die
Verlage siegen, die mehrheitlich, d.h. nach Meinung des
Boersenvereins, fuer ein vollstaendiges Removal aller
ihrer
Titel sind.
Diese Konsequenz waere fuer Allgemeinheit und Forschung
noch erheblich schmerzhafter als die jetzt ins Auge
gefasste Loesung.
Solange der Gesetzgeber und die VG Wort im Wuergegriff
der
Verlagslobby sich befindet, ist es natuerlich schwierig,
irgendetwas zu erreichen.
Moeglichkeiten bestehen aber sehr wohl:
* Der Gesetzgeber koennte die bisherige Anzeigepraxis
Googles als legal erklaeren.
* Es koennte auf die Zusammensetzung der VG Wort
Hauptversammlung Einfluss genommen werden.
* Es koennte oeffentlicher Druck auf die VG Wort, die
Autorenverbaende und die Verlage ausgeuebt werden.
* Muendige Wissenschaftsautoren und andere Autoren, die
fuer Open Access und groessere Sichtbarkeit ihrer Buecher
sind, koennen der auf der Hauptversammlung der VG Wort
beschlossenen Aenderung des Wahrnehmungs- oder
Berechtigungsvertrags widersprechen.
Nach dieser Frist laeuft nichts mehr, denn das perverse
System der VG Wort duldet keine Teilkuendigung. Wer
austreten will, kann das tun, bekommt dann aber keinen
Cent
von der VG Wort mehr, obwohl er einen gesetzlichen
Anspruch
auf die Zahlungen hat, da bestimmte Ansprueche nur durch
die VG wahrgenommen werden koennen.
Hoffnung koennte freilich von Gerichten kommen, denn eine
Vertragsaenderung durch Schweigen ist bedenklich. Wieso
man
http://www.jurpc.de/rechtspr/20090043.htm nicht analog
anwenden koennte, ist nicht ersichtlich.
Wenn sich Wissenschaftsautoren zusammenschliessen, um
ihre
Werke, soweit sie ueber die Rechte verfuegen (v.a.
Inserts), bei Google Open Access zugaenglich zu machen,
hat
das nicht automatisch die Folge, dass die VG Wort aus dem
Spiel ist und die scheussliche Boersenvereinsposition zum
Zuge kommt.
Von daher ist es durchaus geboten, dass das
Urheberrechtsbuendnis sich in der Angelegenheit intensiv
einschaltet und von den manipulativen Aeusserungen
Schimmels nicht beirren laesst.
Klaus Graf