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Re: [InetBib] Müllers Ulmer-Brief



Sehr geehrter Herr Müller,

ich wurde ja inzwischen belehrt, dass meine Briefe öffentliches Gut sind. Vieles nimmt man derzeit mit Erstaunen zur Kenntnis.

Auch von anderen im DBV wurde ich bereits belehrt, dass ich mich auf gemeinsam Besprochenes, Erarbeitetes nicht verlassen darf. Zuverlässigkeit habe ich immer als etwas Wichtiges gesehen. Aber ich werde mich auch darauf einstellen.

Ganz offensichtlich stoße ich auch mit meiner Rechtsauffassung bei Ihnen an Grenzen. Wenn ich einer Bibliothek meine Bücher als digitales Angebot zu einem Spott-Preis anbiete und diese Bibliothek lehnt das ab und nimmt stattdessen mein Buch, scannt es ein, stellt es am Leseplatz zur Verfügung und ermöglicht den unbegrenzten Download auf einen USB-Stick: da sagt mein Rechtsempfinden: das ist kriminell. Sie sagen: das ist der gesetzliche Auftrag. Na ja.

Ich bin erleichtert, wenn ich Mails von Bibliothekaren bekomme, die über diesen Vorgang auch nur den Kopf schütteln können.

Lange wurden wir Verlage von den Bibliotheken angemahnt, den Zugang zu Lehrbüchern auch digital zu ermöglichen. Die Investitionen waren nicht gering, jetzt sind von unseren Lehrbüchern fast alle digital verfügbar. In intensiven Gesprächen mit Bibliothekaren haben wir über das Modell und die Angebotspreise gesprochen, bis wir eine Lösung hatten, die auf große Zustimmung stieß. Mit den Autoren waren es ebenfalls lange Gespräche, bis wir diese davon überzeugen konnten, dass sie einwilligen. Die Angst, die Inhalte im Netz zu verlieren und damit auch die Honorare aus den Buchverkäufen zu verlieren war groß. Ich habe für Vertrauen geworben.

Mit Ihnen, mit Frau Beger und Frau Niggemann saß ich in vielen Gesprächen zusammen um darüber zu sprechen, wie man den Zugang zu verwaisten Schriften verbessern kann, wie man Lizenzierungsanfragen von Bibliotheken vereinfachen kann, wie man das Angebot von Libreka in eine zukünftige DDB integrieren kann. Ziel war immer, die Masse der älteren Schriften so verfügbar zu machen, da sie zunächst nicht im Fokus der digitalen Angebote der Verlage stehen.

Und auch in Gesprächen mit Herrn Mittler haben wir nach Möglichkeiten gesucht, dass für Seminare schwer zugängliche Schriften so digitalisiert werden können, dass daraus für die Studierenden, den Verlag und den Autor ein Vorteil erwächst. Ich habe dieses Modell genau so wie das Modell für verwaistes Schrifttum oder die Zusammenarbeit mit der DDB im Verlegerausschuss des Börsenvereins vorgetragen und dafür geworben.

Und jetzt halten Sie es für den gesetzlichen Auftrag, die 100 meistgenutzten Lehrbücher einer Bibliothek einzuscannen und zum Download zur Verfügung zu stellen? Dafür wurde der 52b gemacht? Das ist für Sie die Zukunft der Universitätsbibliothek? Das ist die Basis für qualitätvolle und moderne Lehrbücher auch in den kommenden Jahrzehnten?

Ich verstehe SIe nicht. Sie haben anders gesprochen, vor einigen Monaten. Sie sind ein Freund von Musterprozessen? Ja, das ist traurig, aber der Weg muss wohl beschritten werden.

Matthias Ulmer







Am 27.03.2009 um 09:33 schrieb Müller, Harald:

Sehr geehrter, lieber Herr Ulmer!

Wenn ich einen Fehler gemacht haben sollte, so würde mir dies leid tun.

Ihre Email war an "undisclosed recipients" gerichtet. Sie ist von diesen Damen und Herren am Mittwoch an zahllose weitere Empfänger und Listen weiterverbreitet worden. Ich selbst habe Ihre Mail von mehreren Seiten erhalten. Sie selbst fordern in Ihrer Mail dazu auf "nach(zu)fragen" und zu "besprechen". Schließlich enhält Ihre Mail keinen Disclaimer in der Art wie: "Nur für den Empfänger bestimmt. Weiterleitung nicht gestattet." Aus diesen Gründen mußte ich annehmen, daß es Ihnen nur lieb und recht ist, wenn ich Ihre Mail noch zusätzlich an eine
Liste schicke, in der weitere AutorInnen Ihres Hauses angemeldet sind.

Zur Sache: Sie werfen den Bibliotheken "Handeln...kriminelle(n) Ausmaße(s)" vor. Das ist - mit Verlaub - starker Tobak! Sie werfen mit diesen Worten einem ganzen Berufsstand strafbares Tun vor. Man könnte so etwas als Beleidigung (§ 185 StGB)
verstehen.

Ich selbst bin der Meinung, daß die Wiedergabe von digitalisierten
Bibliotheksbeständen in einer Bibliothek nicht nur gesetzlich ausdrücklich ohne irgendwelche Einschränkungen gestattet ist, sondern einem gesetzlichen Auftrag an uns Bibliothekare entspricht. Der deutsche/europäische Gesetzgeber, der Bundestag, der Vertreter des ganzen deutschen Volkes hat in einem demokratischen Verfahren den neuen § 52b UrhG beschlossen und in Kraft gesetzt. Stichwort:
Deutsche/europäische digitale Bibliothek. Bitte lesen Sie einmal die
entsprechenden legislativen Dokumente nach. Zitat: "Bildungsauftrag der genannten Einrichtungen." "Ausführlich erörtert und auf allgemeine Zustimmung gestoßen." (Begründung RegE zu § 52b UrhG). Bitte weisen Sie mir im Text von § 52b UrhG nach, daß aktuelle Lehrbücher ausgenommen sind! Wo steht etwas von Kopierverbot? Allein schon aus diesen wenigen Gründen kann ich nur alle Bibliotheken dazu ermutigen, dem gesetzlichen Auftrag(!) weiter nachzukommen und
ihre Bestände digital anzubieten.

Wenn Sie und der Börsenverein des deutschen Buchhandels glauben, daß der ausdrückliche Wille des deutschen bzw. europäischen Gesetzgebers "kriminelles Handeln" nach sich zieht, bitteschön, gehen Sie vor Gericht! Als Jurist bin ich
ein großer Freund von Musterprozessen.

Selbstverständlich könnte man den § 52b UrhG auch anders formulieren, so daß er Ihnen und dem Börsenverein gefällt. Wenn es in Verlagskreisen niemanden geben sollte, der dem Gesetzgeber einen Ihnen gefälligen Formulierungsvorschlag unterbreiten könnte, biete ich Ihnen gerne meine Hilfe an. Wieviel sind Sie denn bereit zu zahlen? Ich finanziere derzeit drei studierende Kinder und benötige jeden Euro, damit diese Studenten sich vielleicht doch mal ein Lehrbuch kaufen können. Wenn aber Gesetzgeber und Gerichte nicht bereit sind, die finanziellen Interessen der Verlage über die gesamtgesellschaftlichen Interessen an Bildung und Information zu stellen, muß ich von Ihnen fordern, die demokratische Mehrheitsentscheidung zu akzeptieren und nicht eine Gruppe zu "kriminalisieren",
die das Gesetz gar nicht zu verantworten hat.

Trotzdem mit den allerherzlichsten Grüßen
Ihr

--
Dr. Harald Müller

Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht /
Bibliothek
Max Planck Institute for Comparative Public Law
and International Law / Library
Im Neuenheimer Feld 535; D-69120 Heidelberg
Phone: +49 6221 482 219; Fax: +49 6221 482 593
Mail: hmueller@xxxxxxx

-----Original Message-----
From: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] On Behalf Of Matthias Ulmer
Sent: Thursday, March 26, 2009 5:10 PM
To: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
Subject: [InetBib] Müllers Ulmer-Brief

Sehr geehrter Herr Müller,

es freut mich auf der einen Seite, dass Sie mein Schreiben über den
Kreis unserer Autoren hinaus bekannt machen.

Auf der anderen Seite frage ich mich, ob das Ihr Stil ist, dass Sie
Briefe, die nicht an Sie gerichtet sind, im großen Umfang
weiterschicken? Sie sind der Jurist und wissen das natürlich besser.
Mein Gefühl sagt mir, dass da nicht nur die Regeln des Anstands
sondern auch des gesetzlich Zulässigen überschritten sind.

Sie schreiben, dass ich mich vermutlich im Urheberrecht nicht
auskenne. Da Sie dagegen ja als Jurist und Spezialist über profundes
Wissen verfügen, nennen Sie mir doch die Stelle im UrhG, die Ihnen
die Vervielfältigung und Verbreitung meines Briefes ohne meine
Zustimmung genehmigt.
Wenn Sie die nicht finden, dann gebe ich mich auch mit einer
einfachen Entschuldigung zufrieden.

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Ulmer





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