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Re: [InetBib] Wikipedia nicht problematisch



Sehr geehrte Kollegin Payer,

Ihre Beobachtung:
Eine Diplomandin aus dem letzten Jahr erzählte mir, dass sie für ihr Thema
eine Reihe einschlägiger Bücher durchgearbeitet habe, aber die beste
Definition im Wikipedia-Artikel gefunden habe - aber die durfte sie nicht
nehmen.
scheint mir wirklich auf ein etwas abwegiges Verständnis von
wissenschaftlicher
Quellennutzung hinzuweisen. Da gebe ich Ihnen völlig Recht.
Es gibt sicher Quellen, die so fehlerhaft und unwissenschaftlich sind, dass
sich eine
Zitierung nicht lohnt, oder sogar weitgehend verbietet,
das kann aber für Wikipedia keinesfalls allgemein gültig behauptet werden.
Wenn also jemand "die beste Definition im Wikipedia-Artikel gefunden" hat,
würde ich es als Unterlassungssünde ansehen, sie nicht zu zitieren.

Wie soll das denn gehen? Soll die Autorin es unzitiert als eigene Definition
ausgeben,
oder die richtige Definition als nicht vorhanden verschweigen.

Ansonsten gibt es für wissenschaftlich Tätige doch fast nichts schöneres,
als Fehler in
Brockhaus, Duden, Encyclopedia Britannica, Wikipedia etc. aufzudecken.

Wenn man die "Zitierbarkeit der Wikipedia" zum Tabu erklären wollte,
könnte die Wissenschaft eine Quelle die Fehlerhaft ist, nicht mehr als
solche bezeichnen.

Glücklicherweise habe ich in der "Bildzeitung" noch nie eine beste
Definition für etwas gefunden
(vermutlich lese ich sie dazu auch zu selten), aber wenn das der Fall wäre,
würde ich nicht zögern, bei Bedarf diese Quelle zu zitieren.
Anderenfalls würde ich ja Plagiat begehen, und bei diesem Thema waren wir
heute schon.

MfG

W. Umstätter

----- Original Message -----
From: "Margarete Payer" <payer-loisl@xxxxxxxxxxx>
To: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Sent: Sunday, December 09, 2007 5:30 PM
Subject: Re: [InetBib] Wikipedia nicht problematisch


Liebe Diskutierende,

die Mails sind vom Thema etwas abgekommen, daher nochmal zurück zur
Ausgangsfrage der Problematik von Wikipedia.
In meiner Jugendzeit (50er Jahre) hatte ich als Dorfkind nur die
Möglichkeit
aufgekommene Fragen in dem mehrbändigen Lexikon von Herder nachzuschlagen
(damit war ich unter den Dorfkindern schon priveligiert!). Meine Mutter
mahnte mich, dass ich kritisch gegenüber den Texten sein sollte, da man
nicht immer die Richtigkeit erwarten könne, weil das Lexikon katholisch
geprägt sei. Eine Vergleichsmöglichkeit in einer Öffentlichen Bibliothek
oder einer Schulbibliothek gab es schlicht nicht.
Heute kann sich fast jedes Dorfkind in Wikipedia informieren, mit einem
Klick weitere eventuell alternative Internettexte ansehen und in den
meisten
Fällen in gut sortierte Öffentliche Bibliotheken gehen. In den
Wikipedia-artikeln ist im allgemeinen ein Basiswissen so verständlich
aufgearbeitet, dass man meistens eine gute Einführung bekommt. Die Artikel
wollen eben keine wissenschaftlichen Abhandlungen mit Apparat usw. sein,
sondern wollen ständig verbessert werden. Die kritische Hinterfragung ist
heute ja viel einfacher.
Ich bewundere die vielen meist anonymen Verfasser in Wikipedia, sie
schreiben nicht des Geldes oder der Ehre wegen. Wikipedia ist ein
wichtiger
Beitrag zur Demokratie, denn jeder kann ein gut informierter Bürger
werden.
Wikipedia ist auch keine Konkurrenz zu Bibliotheken, sondern führt sogar
in
Bibliotheken. Für einige Artikelverfasser beschreibt das der
Stern-Artikel,
auf den ich durch die Inetbib-Diskussion aufmerksam wurde und das Heft
(print!) gekauft habe.
Und warum sollte man eigentlich nicht einen Text als Zitat aus Wikipedia
übernehmen? Wenn der Inhalt nicht korrekt ist, blamiere ich mich wegen
einer
Übernahme.
 Eine Diplomandin aus dem letzten Jahr erzählte mir, dass sie für ihr
Thema
eine Reihe einschlägiger Bücher durchgearbeitet habe, aber die beste
Definition im Wikipedia-Artikel gefunden habe - aber die durfte sie nicht
nehmen.
Und wenn ich aus der Kollegenschaft höre, dass wir den Studierenden
verbieten sollen, Wikipedia zu lesen, halte ich das schlicht für Zensur.

Schöne Grüße aus einem Dorf
Margarete Payer

----- Original Message -----
From: "Tim Bartel" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
To: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Sent: Sunday, December 09, 2007 2:49 PM
Subject: Re: [InetBib] Wikipedia IST höchst problematisch - Fallbeispiele


Stefan Weber schrieb am 09.12.2007 11:54:
Solche Ablenkungsmanöver macht die Wikipedia seit Jahren.

Diese konkrete Aussage möchte ich dann noch mal aufgreifen - zusammen
mit deiner Äußerung "Wikimedia hat übrigens selbst über eine Kooperation
mit Yahoo! offenbar folgendes geschrieben" (über einen Artikel aus dem
Meta-Wiki) oder allgemein fast allen Verschwörungstheorien, die über
'die Wikipedia' oder 'die Admins' existieren.

Die Menge der Wikipedianer - und auch die Menge der Administratoren -
ist viel zu heterogen, als dass diese Theorien greifen könnten. Es gibt
so gut wie kein Thema, bei dem Einigkeit oder ein gemeinsames Vorgehen
herrschen würde.

Sehr schön hat das neulich ein Administrator der englischsprachigen
Wikipedia in einem Slashdot-Kommentar festgehalten (der sich amüsant
liest, aber durchaus im Kern die Wahrheit wiedergibt):

"I've been accused of being part of the 'cabal' because I'm an
administrator who pissed off a bunch of people last year, and have
on-again off-again been hounded by characters who keep baying
conspiracy and trying to get folks worked into a lather.
Until now, I assumed that people would be able to properly set the
bozo bit on these guys, but now that they've gotten The Register
convinced, it's time for the big secret to come out:
We (the Wikipedia admins) aren't competent enough to form a
conspiracy. Seriously. We all have our own agendas, our own skillsets,
varying levels of intelligence, and wildly different ideas on how the
project should run. Accusing us of having the ability to form a global
star-chamber of sorts that seeks to control the nature of truth is
like accusing us of keeping the metric system down or making Steve
Gutenberg a star.
We're just editors with some extra tools, and we fight like rabid cats.
But thanks for the compliment."

Soviel zu Theorien, die Absprachen zwischen der Gesamtheit oder größeren
Personenzahlen voraussetzen. Anders könnte das natürlich bei einer
kleineren Gruppe von Administratoren aussehen oder einer kleineren
Gruppe von Mitgliedern der Wikimedia Foundation. Nur - eine
Zusammenarbeit mit einer kleineren Gruppe halte ich für nicht möglich.
Eine Kooperation zwischen z.B. Google und der WMF müsste verschiedene,
vollkommen unterschiedliche Personen mit einbeziehen - z.B. die
Techniker, die entsprechende Änderungen/Anpassungen umsetzen müssten
(davon gibt es bei uns nur eine handvoll) und viel wichtiger: die nicht
eingeweihten Personen dürften von einer solchen Absprache ja nichts
merken. Das ist insofern problematisch, als dass ich persönlich keinen
Zusammenschluss von Personen kenne, der transparenter ist, als "die
Wikipedia".

Eine kleine Anmerkung zu einer von Mathias Aussagen habe ich dann doch
noch:

* Die Kooperation zwischen Yahoo und Wikimedia umfasst das
Bereitstellen von etwa 20 Servern in Asien und die Lieferung eines
Datenfeeds mit Wikipedia-Inhalten.

Das liest sich für mich so, als ob das eine das andere Bedingen würde.
Dem ist nicht so. Die Server werden - je nach Definition des Wortes -
nicht von Yahoo "bereitgestellt", sondern wurden der WMF von Yahoo ohne
irgendwelche Gegenleistungen (mit Ausnahme von 'wir machen eine
Pressemeldung draus') gespendet. Die Rechner sind im Besitz von der WMF
und diese kann damit tun und lassen was sie will. Es gibt hier keine
irgendwie gearteten Abhängigkeiten.

Und auch noch zur Erläuterung: der angesprochene Datenfeed ist nicht
irgendwas besonderes. Diesen bietet die WMF seit geraumer Zeit an. Viele
Suchmaschinenbetreiber (auch deutsche) beziehen diesen von der WMF.

Mit freundlichen Grüßen,
Tim Bartel

--
http://wikipedistik.de






Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.