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Re: [InetBib] Grundsätzliche Frage



Lieber Herr Wohlgemuth,   wenn jemand mit einem einigermassen plausiblen Namen 
in dieser Liste auftritt, bedeutet das noch nicht zwingend, dass er oder sie 
auch genau die Person ist, die er oder sie vorgibt, zu sein. Man kann sich mit 
einer x-beliebigen Adresse in dieser Liste anmelden, niemand überprüft das. Ich 
könnte - etwas überspitzt formuliert - behaupten, ich wäre Olaf Scholz oder 
Alice Schwarzer - woher will man wissen, ob das stimmt?   Insofern halte ich es 
für wenig hilfreich, eine Debatte pro oder contra Pseudonymität in der Liste zu 
führen. Die Netiquette verlangt, dass man keine Pseudonyme verwendet, die 
Mehrheit der Listenteilnehmerinnen und -teilnehmer macht dies, das war bislang 
nie ein Problem. Ich denke, es gibt aber auch eine Reihe von Personen, die hier 
unter einem anderen Namen auftreten, als sie tatsächlich tragen - nur hat das 
bislang niemand bemerkt, und auch das war bislang nie ein Problem. Im richtigen 
Internet-Leben ist das Realität - ob das gut ist oder schlecht, sei dahin 
gestellt.   Junia des Esseintes befürchtet nun berufliche Nachteile, weil er 
oder sie den Klarnamen preisgibt. Ich kann das gut verstehen. In 28 
Berufsjahren habe ich mehr als einmal erlebt, dass Personen berufliche 
Nachteile erlebt haben, weil sie öffentlich eine Meinung geäußert haben, die 
anderen nicht gepasst hat. Ich habe sogar erlebt, dass Personen gemaßregelt 
wurden, weil sie sich in dieser Liste geäußert haben.    Auch ich würde es 
bevorzugen, wenn Junia des Esseintes sich unter ihrem/seinen echten Namen 
äußern würde. Tut sie/er aber nicht. Das ist aber ihr/sein gutes Recht. Sie/er 
war immerhin so fair, offenzulegen, dass sie/er unter einem Pseudonym schreibt. 
Das sollte man anerkennen, solange sie oder er sich sachlich und höflich 
verhält. Das war meiner Meinung nach der Fall.   Immerhin hat sie/er die 
Courage, einige sehr differenzierte und sachlich begründete Gedanken mit der 
Liste zu teilen, über die es sich in meinen Augen nachzudenken lohnt. Wenn man 
anderer Meinung ist, steht es einem frei, sich - ebenso sachlich - dazu zu 
äußern. Leider tun das aber nur wenige - wie Herr Dr. Knoch und Sie (meinen 
Respekt dafür).   Mir persönlich wären ein paar sachliche und fundierte, wenn 
auch unter einem Pseudonym geäußerte Beiträge zu Fachthemen in dieser Liste 
zehnmal lieber als eine weitere fruchtlose Debatte über kleinteilige Aspekte 
einer Netiquette, die immer noch aus den Anfangszeiten des Internets stammt und 
ungeachtet vieler immer noch gültiger und sehr wichtiger Aspekte doch einmal 
ein wenig den veränderten Verhältnissen angepasst werden sollte.    Freundliche 
Grüße   Uwe Böttcher (der übrigens genau der ist, der er vorgibt, zu sein. Wer 
das überprüfen möchte, darf sich gerne mit mir in Verbindung setzen ... :-) 

Am 13-May-2022 12:19:24 +0200 schrieb inetbib@xxxxxxxxxx: 
Lieber Herr Koch,

ich danke Ihnen für diese Grundsatzfrage. Als Ostdeutscher der in einem System 
aufwuchs, in dem die freie Meinungsäußerung teilweise sanktioniert wurde, kann 
ich diese Zuschreibung einer Cancel Culture nicht unkommentiert stehen lassen.

Ist es wirklich zutreffend, dass in der Bibliothekswelt ein Binnenklima 
kultiviert wird, " in dem offenbar manche Leute Angst haben, in großer Runde 
und zu allen Themen frei ihre Meinung zu äußern"? Gibt es Kolleginnen oder 
Kollegen, die nach ihrer freien Meinungsäußerung mit beruflichen Nachteilen 
konfrontiert wurden? Oder ist diese Angst nicht eher auf die individuelle 
Persönlichkeit zurückzuführen?

Nicht jeder von uns wagt die öffentliche Auseinandersetzung mit anderen 
Standpunkten, die als "Mehrheitsmeinung" betrachtet werden. Das ist erst einmal 
ok. Ohne diese Meinungsäußerung kann dieser Standpunkt dann aber leider auch 
nicht in den öffentlichen Meinungsbildungsprozessen berücksichtigt werden. 
Grollend neben der Arena zu stehen bzw. unter Decknamen Debattenbeiträge 
anstoßen zu wollen und dabei befürchtete berufliche Nachteile vorzuschieben, 
bringt den Diskurs keinen Schritt weiter. Ein solches Verhalten birgt noch 
weiter gedacht die Gefahr, grundsätzlich das Vertrauen in diese sozialen 
Aushandlungsprozesse zu untergraben. Und das können wir uns nicht leisten.

In diesem Sinne Junia des Esseintes: Ich setze mich gerne mit Ihren Argumenten 
auseinander, um mir eine eigene Meinung bilden zu können. Ohne das Wissen von 
wem und ggf. mit welchen Interessen derartige Debattenbeiträge eingebracht 
werden, ist mir das leider nicht möglich.

Mit besten Grüßen
Michael Wohlgemuth

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib  Im Auftrag von Stefan Knoch via InetBib
Gesendet: Freitag, 13. Mai 2022 10:50
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: [InetBib] Grundsätzliche Frage

Liebe Kolleginnen,
liebe Kollegen,

nachdem nun eine Woche ins Land gegangen ist und hier noch niemand eine Frage 
gestellt hat, die sich zumindest mir regelrecht aufdrängt, greife ich nun 
selbst zur Tastatur.

Am Donnerstag der vergangenen Woche hat eine Kollegin (oder ein Kollege?), die 
sich Junia des Esseintes nennt, hier zu Protokoll gegeben, daß sie berufliche 
Nachteile befürchtet, wenn sie unter Klarnamen ihre Meinung auf Inetbib 
vertritt. Mir geht es jetzt nicht um das Thema, das die Kollegin in ihrer 
E-Mail behandelt, mir geht es vielmehr um etwas ganz Grundsätzliches - und dies 
umso mehr, als mir diese Kollegin kein Einzelfall zu sein scheint: Als ich mich 
nämlich im vergangenen Jahr zum selben Thema kritisch geäußert habe, erhielt 
ich mehrere zustimmende Rückmeldungen direkt an meine E-Mail-Adresse, deren 
Verfasser sich nicht trauten, diese ihre Zustimmung über den Inetbib-Verteiler 
kund zu tun.

Da stellt sich mir (und hoffentlich auch anderen) eine ganz grundlegende Frage: 
Wie paßt es zusammen, daß eine Berufsgruppe, die einerseits besonders 
nachdrücklich für Toleranz, Vielfalt und gegenseitigen Respekt eintritt, 
andererseits ein Binnenklima kultiviert, in dem offenbar manche Leute Angst 
haben, in großer Runde und zu allen Themen frei ihre Meinung zu äußern?

Viele Grüße

Stefan Knoch

Dr. Stefan Knoch
Stellvertreter der Bibliotheksdirektorin Staatsbibliothek Bamberg Neue 
Residenz, Domplatz 8, 96049 Bamberg
Telefon: 0951 / 95503-114

Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.