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Re: [InetBib] Abgeleitete Textformate/ TDM-Schranke (§ 60d UrhG)
- Date: Tue, 10 Nov 2020 16:54:28 +0100
- From: Falk Hartwig via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Abgeleitete Textformate/ TDM-Schranke (§ 60d UrhG)
Lieber Herr Brettschneider, Kolleginnen und Kollegen,
schafft man sich das in Rede stehende Problem nicht erst dadurch, dass
plötzlich alles ein Forschungsdatum sein kann. Einen literarischen Text zu
einem Forschungsdatum zu erklären, ist absurd. Ein Forschungsgegenstand war er
schon immer und ist er auch weiterhin. Ein Text kann eine Schöpfungshöhe
aufweisen, die einen Urheberrechtsschutz rechtfertigt. Erhobene, gemessene,
erstellte oder aggregierte Daten haben keine Schöpfungshöhe. Wohl kann ich aber
mit oder aus Daten ein Werk schaffen, das seinerseits einen Urheberrechtsschutz
genießt. Einen Sack voll Sand nennen wir doch auch einen Sack voll Sand und
nicht Sandkorn oder einen Sack Sandkörner.
Beste Grüße, Falk Hartwig
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Peter Brettschneider via InetBib [mailto:inetbib@xxxxxxxxxx]
Gesendet: Dienstag, 10. November 2020 16:09
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Abgeleitete Textformate/ TDM-Schranke (§ 60d UrhG)
Lieber Herr Röpke,
vielen Dank für den spannenden Beitrag den Sie und Ihre Mitstreiterinnen und
Mitstreiter verfasst haben! Gerade weil das Recht der aus wissenschaftlicher
Perspektive gewünschten Nutzung urheberrechtlich geschützter Daten Grenzen
setzt und auch nach der anstehenden Urheberrechtsänderung im Sommer 2021 weiter
setzen wird, finde ich den von Ihnen verfolgten technischen Lösungsansatz
außerordentlich interessant.
Lieber Herr Hartmann,
ich begrüße und teile Ihr Eintreten für ein wissenschaftsfreundliches
Urheberrecht. Gleichwohl habe ich mit Ihrer Aussage "Daten sind
urheberrechtsfrei" - zumindest in dieser Pauschalität - meine Probleme.
Wenn diese zutreffen würde, dann wäre § 60d UrhG weitgehend überflüssig.
Er wäre höchstens noch als Schranke der Rechte an Datenbanken notwendig.
Trotzdem haben Sie unzweifelhaft recht, sofern man eine Datendefinition
zugrunde legt, die auf Bits und Bytes abzielt. Wenn man als Forschungsdatum
hingegen z.B. den Text eines Literaten, den Zeitungsbeitrag eines Journalisten
oder die Satellitenaufnahme eines Astronomen versteht, wird schnell deutlich,
dass Forschungsdaten im Einzelfall sehr wohl urheberrechtlichen Schutz genießen
können. Anders
ausgedrückt: Ob Daten urheberrechtsfrei sind, muss leider für jedes
Forschungsvorhaben gesondert geprüft werden. In manchen Fälle ist dies einfach
zu bejahen, in anderen hingegen mit erheblichem Aufwand verbunden (z.B. wenn
Gemeinfreiheit eingetreten sein könnte und dafür das Todesdatum von Urhebern zu
ermitteln ist).
Ich verstehe aber Ihre Intention und danke Ihnen dafür, dass Sie daran
erinnern, dass man den urheberrechtlichen Schutz von Forschungsdaten nicht
einfach pauschal unterstellen sollte.
Mit besten Grüßen
Peter Brettschneider
Am 10.11.2020 um 11:34 schrieb Thomas Hartmann via InetBib:
Guten Morgen Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Röpke,
besten Dank für den Hinweis auf diesen Artikel, in dem detaillierter
TDM, dessen urheberrechtlichen Einzelheiten und eher politische
Einordnungen vorgestellt werden. Über den angesprochenen Ausweg,
Datencorpora eher segmentiert bzw. sequentiell zu nutzen, und damit
eventuelle vereinzelte Urheberrechtsbarrieren technologisch zu
umgehen, haben wir auch schon nachgedacht; generell erscheint es
natürlich nicht wünschenswert, einzelne Methoden oder Tools in einem
Innovationsfeld wie TDM speziell bzw. "nur" vorauseilend wegen
eventueller Urheberrechtsunklarheiten zu empfehlen.
Ich möchte dazu aufrufen, sich zuerst nur zwei Grundprinzipien des
Urheber- und Immaterialgüterrechts zu vergegenwärtigen:
1.) Daten sind urheberrechtsfrei (!)
2.) "Das TDM selbst ist in der Regel keine urheberrechtsrelevante
Handlung" (!), Quelle: Artikel
Wenn wir dann noch berücksichtigen, dass die dem TDM zugrunde
liegenden Daten- und Textcorpora von unseren öffentlichen
Einrichtungen regelmäßig umfassend eingekauft werden, sollten wir
nicht unreflektiert urheberrechtlich schmale Argumente v.a. der
Rechteinhaber annehmen, die ihren Ursprung vor vielen Jahrzehnten
haben. Die in dem Artikel näher besprochenen Bestimmungen bringen
Komplexität und Unsicherheit für die Anwender/innen mit sich, welche
die Nutzung von TDM behindern kann (denken Sie nur an andere
"Vorbilder" wie Zweitveröffentlichungsrechte, elektronische Leseplätze).
Das ist keine Kritik speziell an dem Artikel, in dem die Autoren/innen
immerhin stellenweise - wenn auch vorsichtig - konstatieren, dass die
Sache "schief" liege. Grundlegender positioniert sich (generell zum
Urheberrecht) das vor wenigen Tagen von einer interdisziplinären
Forschergruppe veröffentlichte "Urheberrecht 2030– Memorandum zur
Zukunft des kreativen Ökosystems in Europa", siehe
https://eu2020-bmjv-intellectual-property.de/storage/documents/Copyrig
ht_2030_de.pdf
Viele Grüße, Thomas Hartmann (FIZ Karlsruhe)
Am 09.11.2020 um 21:58 schrieb Röpke, Jörg via InetBib:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
hiermit möchte ich Sie auf den Artikel "Abgeleitete Textformate: Text
und Data Mining mit urheberrechtlich geschützten Textbeständen",
erschienen in der "Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften"
(ZfdG), aufmerksam machen.
http://dx.doi.org/10.17175/2020_006
Das "Text und Data Mining" (TDM) mit urheberrechtlich geschützten
Texten unterliegt trotz der TDM-Schranke (§ 60d UrhG) weiterhin
Einschränkungen, die u. a. die Speicherung, Veröffentlichung und
Nachnutzung der entstehenden Korpora betreffen und das volle
Potenzial des TDM in den Digital Humanities ungenutzt lassen. Als
Lösung werden "abgeleitete Textformate" vorgeschlagen: Hier werden
urheberrechtlich geschützte Textbestände so transformiert, dass alle
wesentlichen urheberrechtlich relevanten Merkmale entfernt werden,
verschiedene einschlägige Methoden des TDM aber weiterhin zum Einsatz
kommen können. Bibliotheken und Archiven kommt hierbei eine zentrale
Rolle bei der Etablierung abgeleiteter Textformate zu, weil sie
rechtmäßigen Zugang zu umfangreichen urheberrechtlich geschützten
Textbeständen haben.
Grüße
Jörg Röpke
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