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Re: [InetBib] Ich bin ein Informatiker, AMA



[2017-03-28 21:44] markus schnalke via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>

Warum haben Bibliotheken/Archive solche Probleme wirklich
gute Informatiker zu rekrutieren bzw. zu halten?


Dazu wurde mir privat geschrieben:

Öööhm... Man redet ja wohl nicht drüber, aber KÖNNTE das evtl was
mit Tarifverträgen und der generell für Informatiker / Computernerds
deutlich geringeren Bezahlung im Öffentlichen Dienst als in der
freien Wirtschaft zu tun haben? Und mit teils heftig verkrusteten
Strukturen?

Würde mich sehr interessieren, wenn/ falls du das als nachrangig
betrachtest, warum du das tust.

Eigentlich will ich vermeiden zu viele Antworten zu geben,
weil ich es wichtig finde und darin einen grossen Teil der
Loesung sehe, dass ihr euch aktiv mit der Frage beschaeftigt,
was diese Informatiker fuer Menschen sind.


Natuerlich gibt es nicht *den* Informatiker, darum muss man
meine Aussagen als Schlaglichter auf einzelne Aspekte ansehen.

Es gibt sicher eine Reihe von Informatikern, die viel Geld
verdienen wollen. Diese wird man nicht fuer sich gewinnen.
Punkt. Aber es gibt daneben auch eine Menge Informatiker,
denen die Hoehe ihrer Gehaelter klar hinter anderen Aspekten
ihrer Arbeit steht. (Das ist doch bei den Bibliothekaren
ebenso.) Am Finanziellen kann man im oeffentlichen Dienst am
wenigsten aendern, und doch wird im Bezug auf Informatiker
das am oeftesten erwaehnt. Warum versucht man denn nicht
vielmehr in den Aspekten, bei denen man etwas anderen kann
(d.h. koennte) etwas zu aendern?

Klar, mit E10 befristet wird man keinen *guten* Informatiker
bekommen. Aber die guten Bibliothekare bekommt man mit E10
befristet schliesslich auch nicht. (Auch hier sollte aber
erstmal ueberlegt werden, was man denn unter der Eigenschaft
``gut'' versteht. Ich nehme fuer diese Aussagen einfach meine
eigene Definition an.)


Ich haette ueberhaupt kein Problem damit, meinen guten
Informatikerfreunden eine Stelle im Bibliothekswesen
vorzuschlagen mit der Anmerkung, dass sie halt nur soundso
eingruppiert ist. Wenn alles andere passt und man finanziell
ueber die Runden kommt, waere das fuer die durchaus eine
Option, behaupte ich.

Das Finanzielle ist nicht das Problem. Das Problem ist das
``alles andere'', weil das stimmt halt einfach nicht.

Ich weiss wie meine Freunde leiden wuerden, wenn sie in der
Bibliothek arbeiten muessten. Sie wuerden sich nicht wohl
fuehlen. Sie wuerden sich nicht zuhause fuehlen. Sie wuerden
sich nicht verstanden fuehlen. Ihre Beduerfnisse wuerden
nicht befriedigt werden. Sie koennten ihre Staerken nicht
ausspielen. Sie haetten keinen Spass. Sie wuerden nicht
selbst voran kommen. Sie wuerden sich wie im Exil fuehlen,
eingesperrt. Darum klappt es nicht.

Ich habe keinem einzigen meiner Informatikerfreunde empfohlen
einen Job in der Bibliothek anzunehmen, weil ich ihnen nichts
empfehlen kann was sie ungluecklich machen wuerde.


Versteht mich nicht falsch, ich glaube, dass es gute Jobs
fuer Informatiker in Bibliotheken gibt und dass es die
passenden Informatiker fuer diese Jobs gibt, aber meine
Freunde (und die sind gute Informatiker) waeren es nicht.


Viele gute Informatiker, die ich kenne, muss man eher als
Kuenstler ansehen: Sie wollen ihre Lebenszeit fuer das
nutzen, was ihnen inhaltlich wichtig ist und ihnen Freude
macht. Geld muss nur soviel da sein um davon leben zu koennen.
Diese Personen, die ich kenne, sind kein Sonderfall. Da
draussen gibt es zigtausende Programmierer, die in ihrer
Freizeit jede Woche viele Stunden lang freie Software
entwickeln oder abendelang ihr Wissen in Internetforen an
andere weitergeben. Denen geht es nicht ums Geldverdienen;
denen geht es um Sinnhaftigkeit und um Freude an ihrer
Taetigkeit.



Nun, koenntet ihr Informatikern mehr Geld bieten, dann
wuerde sich das Problem auf die Weise loesen, dass ihr die
Informatiker, die fuer gutes Geld beliebige gute Arbeit
leisten, fuer euch gewinnen koenntet. Da ihr aber nicht mehr
Geld bieten koennt, faellt diese Option weg. Ihr muesst euch
also auf die anderen Optionen konzentrieren.

Und ich frage euch nochmal: Wuerdet ihr als Bibliothekar unter
lauter Informatikern in einem Programmierschuppen arbeiten
wollen? Und wenn nicht, was braeuchte es, damit ihr es doch
tun wuerdet? Versetzt euch in die Lage der guten Informatiker,
die ihr fuer euch gewinnen wollt! Und wenn ihr das nicht
koennt, dann lernt sie kennen! Ladet sie ein! Redet mit ihnen!
Zeigt euch offen und lernfaehig! Experimentiert!

Die guten Informatiker kommen nicht auf magische Weise, sie
kommen nur, wenn ihr euch ernsthaft bemueht. Das muss als
Prozess verstanden werden. Und ihr muesst euch eben fragen, ob
ihr den beschreiten wollt.

Falls nicht, dann wurde euch auch schon ein Alternativweg
aufgezeigt: Ihr koennt eure technikaffinen Bibliothekare
fortbilden.

Mir ist egal, ob ihr den oder den Weg waehlt, oder noch einen
anderen. Das einzige was mich wirklich nervt ist dieses
ohnmaechtige Beklagen, dass es so schwer waere gute
Informatiker zu bekommen, ohne, dass man bereit ist, dafuer
etwas zu investieren, wo es ganz offensichtlich ist, dass ein
einseitiger Wunsch der Zusammenarbeit zwischen Bibliothekaren
und Informatikern vorliegt.


markus


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.