Nachdem. liebe KollegInnen, ich mit der Portfolio-Analyse zitiert
werde, und gleichweit sehr wohl für die Sonntagsöffnung bin, möchte
ich mich doch mal zu der Diskussion losgelöst von Funktionen äussern,
bevor ich später noch offiziell in Sachen BIB und Sonntagsöffnung
poste…..
alles weitere unten eingefügt….
Ihr
Tom Becker
===
Professor für Medienmanagement und Medienvermittlung in Bibliotheken
(FH)
FH Köln
Fakultät für Informations- und Kommunikationswissenschaften
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Am 30.11.2014 um 14:51 schrieb Peter Delin <peter.delin@xxxxxx>:
Liebe Liste!
Wenn man ernst nimmt, was Herr Pampuch schreibt:
"Ich würde mir einen Fokus wünschen, der auf die Frage abzielt, ob
niedrigschwellige Bildungseinrichtungen wie Öffentliche Bibliotheken
einen konstruktiven Beitrag zur politischen Bildung leisten können
bzw. was genau die Gründe dafür sind, dass letzterer trotz sinkender
Wahlbeteiligung, des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien und des
dauerhaft kriselnden Neoliberalismus so ein geringer Stellenwert
beigemessen wird. "
... muß man sich fragen, ob Öffentliche Bibliotheken diesen Anspruch
überhaupt noch erfüllen können oder wollen. Dazu hier ein Hinweis auf
die EKZ-Tagung "Chancen 2012: Information 2.0 - Wie geht es weiter mit
dem Sachbuch?" :
http://www.bib-info.de/fileadmin/media/Dokumente/Lektoratskooperation/Sachbuchportfolio_im_Dialog_BIDKongress2013kurz.pdf
Nach der dort durchgeführten Portfolioanalyse gehört Literatur zu
gesellschaftlichen und politischen Fragen oder zur Geschichte in den
Öffentlichen Bibliotheken eher zu den "Armen Hunden" oder zu
Bereichen, die zu schwach ausgebaut sind (sog. "Fragezeichen")
... dazu folgendes Zitat aus diesem Vortrag:
"Mit der festgestellten überproportionalen Berücksichtigung der ‘Armen
Hunde’ beim
Bestandsaufbau wird vorrangig der (selbstgestellte?)
Informationsauftrag der Bibliothek,
nicht aber vorrangig das Kundeninteresse, bedient. Der ID
[Informationsdienst der EKZ und der Lektoratskooperation] sollte sich
dem entgegenwirkend noch stärker auf ein höheres Angebot in den
Sektoren Milchkühe und Stars konzentrieren."
Wer seine Leser als Kunden sieht, kann legitimerweise wohl keine
Sonntagsöffnung fordern.
Nur wer seine LeserInnen als KundInnen sieht, kann es als
selbstverständlich ansehen, diesen unter bestimmten Rahmenbedingungen
die Türen auch sonntags zu öffnen. Informelle Bildung, die Verknüpfung
von Freizeit, von Treffen und von Bildung kann an wenigen Orten so
kommerzfrei geschehen wie am ‚3.Ort Öffentlicher Bibliothek‘ - wo eben
nicht nur die hehre ausgeformte Mündigkeit in intellektueller
Vervollkommnung sich an guter, wahrer und schöner (auch
gesellschaftlich und politisch relevanter Literatur) laben kann,
sondern jeder frei von Sanktionen schnuppern darf, sich durch die
Comic- und Krimi-Abteiung wühlen kann, in Zeitschriften und Zeitungen
elektronisch und physisch stöbern kann, fragen kann, ohne
gemassregelt zu werden und Zeit hat, wo man eReader testen kann und
sich inspirieren lassen kann, wenn man will, oder wo man abhängen
kann, im Warmen, im Trockenen….
Wer je gehört (oder erlebt) hat, wie entspannt und interessiert
KundInnen in Bremen, in Rheydt oder in Siegburg den Sonntag annehmen
oder angenommen haben (und dabei das lästige Kriterium der Ausleihe en
passent noch überproportional erfüllt haben, so möglich), der kann
nicht nicht öffnen wollen, der muss - auch aus Portfolio-Gründen (die
m.E. in dem Kontext wirklich nahezu irrelevant sind) öffen können
dürfen….
Walter Umstetter liegt mit seiner steten Warnung vor einer
einseitigen Freizeitausrichtung der Öffentlichen Bibliotheken m. E.
ganz richtig. Kein Wunder, dass Gerichte sie jetzt umstandslos auf
eine Ebene mit kommerziellen Videotheken stellen.
Nur wer Freizeit leben kann, kann auch Kraft und Inspiration zur
persönlichen Entwicklung und Entfaltung schöpfen. Und zur Ausrichtung
von Öffentlichen Bibliotheken: wenn der Unterhaltsträger eine
Freizeiteinrichtung will, und die BürgerInnen diese nutzen und
akzeptieren - was ist da denn schlecht dran? Wollen Sie lieber eine
Bibliothek, die in diesem Ort Regale vollgemüllt hat mit
intellektuellen Schriften mit in Ihrem Sinne relevanter Literatur, die
keine Sau interessiert und die als tote Hunde im Regal liegen?
Dann können Bibliothekare bald nicht mehr nur Sonntags von daheim am
Sofa grüssen….
Schöne, alte Welt….
Und: da ich ja gerne politisch bin - und auch ich gesellschaftliche
Relevanz in den Bibliotheken gerne höre, lese und erlebe - bietet
Politik und Öffentlichkeit doch auch sonntags einen Frühschoppen an -
die Bibliothek als moderne geistlich-geistige Institution - hätte doch
was, oder?
Darauf ein Kölsch auf unseren Berufsstand! Nüchtern sind wir oft nicht
zu ertragen *g*
Grüße…
TB
Schöne Sonntagsgrüße von
Peter Delin
Peter Delin und Ursula Müller-Schüssler
Ringstraße 100
12203 Berlin
Tel.: 030/81305675
Mobil: 015787311689
Mail: peter.delin@xxxxxx
Gesendet: Samstag, 29. November 2014 um 11:43 Uhr
Von: sebastian.pampuch@xxxxxxxxxx
An: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Keine Sonntagsöffnung mehr für Bibliotheken? -
Liebe Liste,
die Debatte um die Sonntagsöffnung von Öffentlichen Bibliotheken
scheint in inetbib primär auf der Ebene Wissenschaft vs. Kirche
geführt zu werden, gewerkschaftliche Positionen sind selten. Hier ein
Link auf einen Leserbrief von mir in der ver-di Zeitschrift
http://publik.verdi.de/2013/ausgabe-08/gesellschaft/briefe/seite-14/A1
sowie ein Link auf die ausschließlich negativen Reaktionen:
https://publik.verdi.de/2014/ausgabe-01/gesellschaft/briefe/seite-14/A0[https://publik.verdi.de/2014/ausgabe-01/gesellschaft/briefe/seite-14/A0]
Die Bücherhallenbewegung und ihre historischen Hintergründe sind
vielen Gewerkschaftsmitgliedern, die in Bibliotheken arbeiten,
entweder unbekannt oder nicht erwähnenswert. Ich würde mir einen Fokus
wünschen, der auf die Frage abzielt, ob niedrigschwellige
Bildungseinrichtungen wie Öffentliche Bibliotheken einen konstruktiven
Beitrag zur politischen Bildung leisten können bzw. was genau die
Gründe dafür sind, dass letzterer trotz sinkender Wahlbeteiligung, des
Erstarkens rechtspopulistischer Parteien und des dauerhaft kriselnden
Neoliberalismus so ein geringer Stellenwert beigemessen wird.
Viele Grüße,
Sebastian Pampuch
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Ethnologie
der Humboldt-Universität zu Berlin
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