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Re: [InetBib] Keine Sonntagsöffnung mehr für Bibliotheken? - Milchkühe und arme Hunde
- Date: Mon, 1 Dec 2014 22:27:24 +0100
- From: Tom Becker <tom.becker@xxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Keine Sonntagsöffnung mehr für Bibliotheken? - Milchkühe und arme Hunde
Nachdem. liebe KollegInnen, ich mit der Portfolio-Analyse zitiert werde, und
gleichweit sehr wohl für die Sonntagsöffnung bin, möchte ich mich doch mal zu
der Diskussion losgelöst von Funktionen äussern, bevor ich später noch
offiziell in Sachen BIB und Sonntagsöffnung poste…..
alles weitere unten eingefügt….
Ihr
Tom Becker
===
Professor für Medienmanagement und Medienvermittlung in Bibliotheken (FH)
FH Köln
Fakultät für Informations- und Kommunikationswissenschaften
Raum B5 431.A
Hausanschrift:
Claudiusstr. 1
D 50678 Köln
+49 221 8275 3495
Postanschrift:
Gustav-Heinemann-Ufer 54
D 50968 Köln
Am 30.11.2014 um 14:51 schrieb Peter Delin <peter.delin@xxxxxx>:
Liebe Liste!
Wenn man ernst nimmt, was Herr Pampuch schreibt:
"Ich würde mir einen Fokus wünschen, der auf die Frage abzielt, ob
niedrigschwellige Bildungseinrichtungen wie Öffentliche Bibliotheken einen
konstruktiven Beitrag zur politischen Bildung leisten können bzw. was genau
die Gründe dafür sind, dass letzterer trotz sinkender Wahlbeteiligung, des
Erstarkens rechtspopulistischer Parteien und des dauerhaft kriselnden
Neoliberalismus so ein geringer Stellenwert beigemessen wird. "
... muß man sich fragen, ob Öffentliche Bibliotheken diesen Anspruch
überhaupt noch erfüllen können oder wollen. Dazu hier ein Hinweis auf die
EKZ-Tagung "Chancen 2012: Information 2.0 - Wie geht es weiter mit dem
Sachbuch?" :
http://www.bib-info.de/fileadmin/media/Dokumente/Lektoratskooperation/Sachbuchportfolio_im_Dialog_BIDKongress2013kurz.pdf
Nach der dort durchgeführten Portfolioanalyse gehört Literatur zu
gesellschaftlichen und politischen Fragen oder zur Geschichte in den
Öffentlichen Bibliotheken eher zu den "Armen Hunden" oder zu Bereichen, die
zu schwach ausgebaut sind (sog. "Fragezeichen")
... dazu folgendes Zitat aus diesem Vortrag:
"Mit der festgestellten überproportionalen Berücksichtigung der ‘Armen Hunde’
beim
Bestandsaufbau wird vorrangig der (selbstgestellte?) Informationsauftrag der
Bibliothek,
nicht aber vorrangig das Kundeninteresse, bedient. Der ID [Informationsdienst
der EKZ und der Lektoratskooperation] sollte sich dem entgegenwirkend noch
stärker auf ein höheres Angebot in den Sektoren Milchkühe und Stars
konzentrieren."
Wer seine Leser als Kunden sieht, kann legitimerweise wohl keine
Sonntagsöffnung fordern.
Nur wer seine LeserInnen als KundInnen sieht, kann es als selbstverständlich
ansehen, diesen unter bestimmten Rahmenbedingungen die Türen auch sonntags zu
öffnen. Informelle Bildung, die Verknüpfung von Freizeit, von Treffen und von
Bildung kann an wenigen Orten so kommerzfrei geschehen wie am ‚3.Ort
Öffentlicher Bibliothek‘ - wo eben nicht nur die hehre ausgeformte Mündigkeit
in intellektueller Vervollkommnung sich an guter, wahrer und schöner (auch
gesellschaftlich und politisch relevanter Literatur) laben kann, sondern jeder
frei von Sanktionen schnuppern darf, sich durch die Comic- und Krimi-Abteiung
wühlen kann, in Zeitschriften und Zeitungen elektronisch und physisch stöbern
kann, fragen kann, ohne gemassregelt zu werden und Zeit hat, wo man eReader
testen kann und sich inspirieren lassen kann, wenn man will, oder wo man
abhängen kann, im Warmen, im Trockenen….
Wer je gehört (oder erlebt) hat, wie entspannt und interessiert KundInnen in
Bremen, in Rheydt oder in Siegburg den Sonntag annehmen oder angenommen haben
(und dabei das lästige Kriterium der Ausleihe en passent noch überproportional
erfüllt haben, so möglich), der kann nicht nicht öffnen wollen, der muss - auch
aus Portfolio-Gründen (die m.E. in dem Kontext wirklich nahezu irrelevant
sind) öffen können dürfen….
Walter Umstetter liegt mit seiner steten Warnung vor einer einseitigen
Freizeitausrichtung der Öffentlichen Bibliotheken m. E. ganz richtig. Kein
Wunder, dass Gerichte sie jetzt umstandslos auf eine Ebene mit kommerziellen
Videotheken stellen.
Nur wer Freizeit leben kann, kann auch Kraft und Inspiration zur persönlichen
Entwicklung und Entfaltung schöpfen. Und zur Ausrichtung von Öffentlichen
Bibliotheken: wenn der Unterhaltsträger eine Freizeiteinrichtung will, und die
BürgerInnen diese nutzen und akzeptieren - was ist da denn schlecht dran?
Wollen Sie lieber eine Bibliothek, die in diesem Ort Regale vollgemüllt hat mit
intellektuellen Schriften mit in Ihrem Sinne relevanter Literatur, die keine
Sau interessiert und die als tote Hunde im Regal liegen?
Dann können Bibliothekare bald nicht mehr nur Sonntags von daheim am Sofa
grüssen….
Schöne, alte Welt….
Und: da ich ja gerne politisch bin - und auch ich gesellschaftliche Relevanz in
den Bibliotheken gerne höre, lese und erlebe - bietet Politik und
Öffentlichkeit doch auch sonntags einen Frühschoppen an - die Bibliothek als
moderne geistlich-geistige Institution - hätte doch was, oder?
Darauf ein Kölsch auf unseren Berufsstand! Nüchtern sind wir oft nicht zu
ertragen *g*
Grüße…
TB
Schöne Sonntagsgrüße von
Peter Delin
Peter Delin und Ursula Müller-Schüssler
Ringstraße 100
12203 Berlin
Tel.: 030/81305675
Mobil: 015787311689
Mail: peter.delin@xxxxxx
Gesendet: Samstag, 29. November 2014 um 11:43 Uhr
Von: sebastian.pampuch@xxxxxxxxxx
An: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Keine Sonntagsöffnung mehr für Bibliotheken? -
Liebe Liste,
die Debatte um die Sonntagsöffnung von Öffentlichen Bibliotheken scheint in
inetbib primär auf der Ebene Wissenschaft vs. Kirche geführt zu werden,
gewerkschaftliche Positionen sind selten. Hier ein Link auf einen Leserbrief
von mir in der ver-di Zeitschrift
http://publik.verdi.de/2013/ausgabe-08/gesellschaft/briefe/seite-14/A1 sowie
ein Link auf die ausschließlich negativen Reaktionen:
https://publik.verdi.de/2014/ausgabe-01/gesellschaft/briefe/seite-14/A0[https://publik.verdi.de/2014/ausgabe-01/gesellschaft/briefe/seite-14/A0]
Die Bücherhallenbewegung und ihre historischen Hintergründe sind vielen
Gewerkschaftsmitgliedern, die in Bibliotheken arbeiten, entweder unbekannt
oder nicht erwähnenswert. Ich würde mir einen Fokus wünschen, der auf die
Frage abzielt, ob niedrigschwellige Bildungseinrichtungen wie Öffentliche
Bibliotheken einen konstruktiven Beitrag zur politischen Bildung leisten
können bzw. was genau die Gründe dafür sind, dass letzterer trotz sinkender
Wahlbeteiligung, des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien und des
dauerhaft kriselnden Neoliberalismus so ein geringer Stellenwert beigemessen
wird.
Viele Grüße,
Sebastian Pampuch
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Ethnologie der
Humboldt-Universität zu Berlin
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