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Re: [InetBib] Keine Sonntagsöffnung mehr für Bibliotheken? - Milchkühe und arme Hunde



Nachdem. liebe KollegInnen, ich mit der Portfolio-Analyse zitiert werde, und 
gleichweit sehr wohl für die Sonntagsöffnung bin, möchte ich mich doch mal zu 
der Diskussion losgelöst von Funktionen äussern, bevor ich später noch 
offiziell in Sachen BIB und Sonntagsöffnung poste…..

alles weitere unten eingefügt….

Ihr

Tom Becker
===
Professor für Medienmanagement und Medienvermittlung in Bibliotheken (FH) 

FH Köln 
Fakultät für Informations- und Kommunikationswissenschaften 
Raum B5 431.A

Hausanschrift: 
Claudiusstr. 1
D 50678 Köln 
+49 221 8275 3495

Postanschrift:
Gustav-Heinemann-Ufer 54
D 50968 Köln

Am 30.11.2014 um 14:51 schrieb Peter Delin <peter.delin@xxxxxx>:


Liebe Liste!
 
Wenn man ernst nimmt, was Herr Pampuch schreibt:
 
"Ich würde mir einen Fokus wünschen, der auf die Frage abzielt, ob 
niedrigschwellige Bildungseinrichtungen wie Öffentliche Bibliotheken einen 
konstruktiven Beitrag zur politischen Bildung leisten können bzw. was genau 
die Gründe dafür sind, dass letzterer trotz sinkender Wahlbeteiligung, des 
Erstarkens rechtspopulistischer Parteien und des dauerhaft kriselnden 
Neoliberalismus so ein geringer Stellenwert beigemessen wird. "
 
... muß man sich fragen, ob Öffentliche Bibliotheken diesen Anspruch 
überhaupt noch erfüllen können oder wollen. Dazu hier ein Hinweis auf die 
EKZ-Tagung "Chancen 2012: Information 2.0 - Wie geht es weiter mit dem 
Sachbuch?" :
http://www.bib-info.de/fileadmin/media/Dokumente/Lektoratskooperation/Sachbuchportfolio_im_Dialog_BIDKongress2013kurz.pdf
 
Nach der dort durchgeführten Portfolioanalyse gehört Literatur zu 
gesellschaftlichen und politischen Fragen oder zur Geschichte in den 
Öffentlichen Bibliotheken eher zu den "Armen Hunden" oder zu Bereichen, die 
zu schwach ausgebaut sind (sog. "Fragezeichen")
... dazu folgendes Zitat aus diesem Vortrag:
 
"Mit der festgestellten überproportionalen Berücksichtigung der ‘Armen Hunde’ 
beim
Bestandsaufbau wird vorrangig der (selbstgestellte?) Informationsauftrag der 
Bibliothek,
nicht aber vorrangig das Kundeninteresse, bedient. Der ID [Informationsdienst 
der EKZ und der Lektoratskooperation] sollte sich dem entgegenwirkend noch 
stärker auf ein höheres Angebot in den Sektoren Milchkühe und Stars 
konzentrieren."
 
Wer seine Leser als Kunden sieht, kann legitimerweise wohl keine 
Sonntagsöffnung fordern.

Nur wer seine LeserInnen als KundInnen sieht, kann es als selbstverständlich 
ansehen, diesen unter bestimmten Rahmenbedingungen die Türen auch sonntags zu 
öffnen. Informelle Bildung, die Verknüpfung von Freizeit, von Treffen und von 
Bildung kann an wenigen Orten so kommerzfrei geschehen wie am ‚3.Ort 
Öffentlicher Bibliothek‘ - wo eben nicht nur die hehre ausgeformte Mündigkeit 
in intellektueller Vervollkommnung sich an guter, wahrer und schöner (auch 
gesellschaftlich und politisch relevanter Literatur) laben kann, sondern jeder 
frei von Sanktionen schnuppern darf, sich durch die Comic- und Krimi-Abteiung 
wühlen kann, in Zeitschriften und Zeitungen elektronisch und physisch stöbern 
kann, fragen kann,  ohne gemassregelt zu werden und Zeit hat, wo man eReader 
testen kann und sich inspirieren lassen kann, wenn man will, oder wo man 
abhängen kann, im Warmen, im Trockenen….

Wer je gehört (oder erlebt) hat, wie entspannt und interessiert KundInnen in 
Bremen, in Rheydt oder in Siegburg den Sonntag annehmen oder angenommen haben 
(und dabei das lästige Kriterium der Ausleihe en passent noch überproportional 
erfüllt haben, so möglich), der kann nicht nicht öffnen wollen, der muss - auch 
aus Portfolio-Gründen (die m.E. in dem Kontext wirklich nahezu  irrelevant 
sind) öffen können dürfen….

 Walter Umstetter liegt mit seiner steten Warnung vor einer einseitigen 
Freizeitausrichtung der Öffentlichen Bibliotheken m. E. ganz richtig. Kein 
Wunder, dass Gerichte sie jetzt umstandslos auf eine Ebene mit kommerziellen 
Videotheken stellen.

Nur wer Freizeit leben kann, kann auch Kraft und Inspiration zur persönlichen 
Entwicklung und Entfaltung schöpfen. Und zur Ausrichtung von Öffentlichen 
Bibliotheken: wenn der Unterhaltsträger eine Freizeiteinrichtung will, und die 
BürgerInnen diese nutzen und akzeptieren - was ist da denn schlecht dran? 
Wollen Sie lieber eine Bibliothek, die in diesem Ort Regale vollgemüllt hat mit 
intellektuellen Schriften mit in Ihrem Sinne relevanter Literatur, die keine 
Sau interessiert und die als tote Hunde im Regal liegen?

Dann können Bibliothekare bald nicht mehr nur Sonntags von daheim am Sofa 
grüssen…. 
Schöne, alte Welt….

Und: da ich ja gerne politisch bin - und auch ich gesellschaftliche Relevanz in 
den Bibliotheken gerne höre, lese und erlebe - bietet Politik und 
Öffentlichkeit doch auch sonntags einen Frühschoppen an -  die Bibliothek als 
moderne geistlich-geistige Institution - hätte doch was, oder?

Darauf ein Kölsch auf unseren Berufsstand! Nüchtern sind wir oft nicht zu 
ertragen *g*

Grüße…

TB


 
Schöne Sonntagsgrüße von
Peter Delin
 
 
Peter Delin und Ursula Müller-Schüssler
Ringstraße 100
12203 Berlin

Tel.: 030/81305675
Mobil: 015787311689
Mail: peter.delin@xxxxxx
 
 

Gesendet: Samstag, 29. November 2014 um 11:43 Uhr
Von: sebastian.pampuch@xxxxxxxxxx
An: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Keine Sonntagsöffnung mehr für Bibliotheken? -
Liebe Liste,

die Debatte um die Sonntagsöffnung von Öffentlichen Bibliotheken scheint in 
inetbib primär auf der Ebene Wissenschaft vs. Kirche geführt zu werden, 
gewerkschaftliche Positionen sind selten. Hier ein Link auf einen Leserbrief 
von mir in der ver-di Zeitschrift 
http://publik.verdi.de/2013/ausgabe-08/gesellschaft/briefe/seite-14/A1 sowie 
ein Link auf die ausschließlich negativen Reaktionen: 
https://publik.verdi.de/2014/ausgabe-01/gesellschaft/briefe/seite-14/A0[https://publik.verdi.de/2014/ausgabe-01/gesellschaft/briefe/seite-14/A0]
Die Bücherhallenbewegung und ihre historischen Hintergründe sind vielen 
Gewerkschaftsmitgliedern, die in Bibliotheken arbeiten, entweder unbekannt 
oder nicht erwähnenswert. Ich würde mir einen Fokus wünschen, der auf die 
Frage abzielt, ob niedrigschwellige Bildungseinrichtungen wie Öffentliche 
Bibliotheken einen konstruktiven Beitrag zur politischen Bildung leisten 
können bzw. was genau die Gründe dafür sind, dass letzterer trotz sinkender 
Wahlbeteiligung, des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien und des 
dauerhaft kriselnden Neoliberalismus so ein geringer Stellenwert beigemessen 
wird.

Viele Grüße,
Sebastian Pampuch

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Ethnologie der 
Humboldt-Universität zu Berlin









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