On Wed, 28 Nov 2007 19:08:01 +0100
Rainer Kuhlen <rk_iw@xxxxxx> wrote:
im Prinzip ein guter Rat an die Bibliotheken, sich
einfach an das Digitalisieren zu machen. Aber ob die
Interpretation der Gültigkeit von Vereinbarungen
zwischen
Börsenverein und Bibliotheken wirklich juristisch
haltbar
ist? Der überwiegende Bestand der Bibliotheken stammt
zudem aus Verlagen außerhalb des Einzugsbereich des
Börsenvereins.
Ich habe doch nicht behauptet, dass diese Vereinbarung
juristisch haltbar ist. Ein Gericht kann ohne weiteres
zum
Schluss kommen, dass Herr Steinhauer Recht hat, was die
Auslegung von § 52b UrhG angeht.
Wenn sich die Funktionaere und juristisch Gebildeten des
DBV und die Vertretung der deutschen Verlage
zusammensetzen, um eine brisante Materie zu klaeren und
dann zu dem Schluss kommen, die Bibliotheken duerfen dann
digitalisieren und an den Leseplaetzen anbieten, wenn die
Verlage kein annehmbares elektronisches Angebot machen,
dann bedeutet das nichts anderes als dass beide Partner
bei
dieser Selbstverpflichtung stillschweigend davon
ausgegangen sind, dass es keines gesonderten
Vervielfaeltigungsrechts der Bibliotheken nach § 53 UrhG
bedarf. Waere der Boersenverein der Ansicht gewesen, eine
Vervielfaeltigung muesse erst aufgrund von § 53 UrhG
zugelassen sein und die Bibliotheken duerften nur
vergriffene Buecher digitalisieren, haette er sich die
Vereinbarung sparen koennen. Ein solches Minimal-Recht
haette keiner klarstellenden Vereinbarung bzw.
gegenseitigen Selbstverpflichtung bedurft.
Aus meiner Auslegung des § 53 UrhG ergibt sich, dass
aufgrund des Weiterverwertungsverbots der so erstellten
Kopien gar nichts fuer § 52b UrhG in Betracht kommt, wenn
man es wie Steinhauer streng zu nehmen beliebt.
Steinhauer
weiss doch selbst am besten, dass "eigener Gebrauch" nach
allgemein herrschender Lehre nur den internen Gebrauch
meint, aber nie die Zugaenglichmachung an externe
Benutzer.
Wenn man am Buchstaben des Gesetzes festhaelt wie
Steinhauer kann man zu dem Schluss kommen, dass die in §
52b vorausgesetzten Vervielfaeltigungen ueberhaupt nicht
hergestellt werden duerfen, da eine ausdrueckliche
Suspendierung von § 53 Abs. Abs. 6 durch den Gesetzgeber
ja
nicht erfolgt. Absatz 6 lautet:
"Die Vervielfältigungsstücke dürfen weder verbreitet noch
zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. 2Zulässig ist
jedoch, rechtmäßig hergestellte Vervielfältigungsstücke
von
Zeitungen und vergriffenen Werken sowie solche Werkstücke
zu verleihen, bei denen kleine beschädigte oder abhanden
gekommene Teile durch Vervielfältigungsstücke ersetzt
worden sind."
Bei § 52b geht es aber um oeffentliche Wiedergabe an
Leseplaetzen.
Nach § 53 UrhG koennen die Bibliotheken zwar Kopien
herstellen, aber diese koennen, wenn mans ganz genau
nimmt,
aufgrund von Absatz 6 nicht fuer § 52b genutzt werden.
Das waere ersichtlich eine absurde Konsequenz, denn das
wuerde bedeuten, dass die Bibliotheken zur Ausuebung des
Rechts elektronische Vervielfaeltigungsstuecke von den
Rechteinhabern erwerben muessten, was also eine
Lizensierung bedeuten wuerde. Die Rechteinhaber sind aber
keineswegs verpflichtet, fuer die Bibliotheken zu
kopieren
oder die Genehmigung zur Kopie zu geben. Das kann der
Gesetzgeber nicht gewollt haben.
Daher ist die Deutung, der Gesetzgeber habe ein
Annex-Vervielfaeltigungsrecht unabhaengig von § 53 UrhG
stillschweigend eingeraeumt, immer noch am plausibelsten.
Diese Deutung entspricht exakt dem, wovon offenkundig DB
und Boersenverein ausgegangen sind.
Natuerlich bindet eine gegenseitige Selbstverpflichtung
keine auslaendischen Verlage, aber wenn diese an einer
Digitalisierung Anstoss nehmen, sollen sie klagen und die
Frage wird dann gerichtlich geklaert. Dass im
Unterliegensfall empfindliche Konsequenzen den
Bibliotheken, die digitalisiert und zur Nutzung
bereitgestellt haben, drohen, halte ich angesichts der
handwerklichen Maengel des Gesetzes und der dadurch
bedingten Unklarheit fuer eine absolut abwegige Annahme.
Es
kann Unterlassung verlangt werden, aber wenn sich
herausstellt, dass die DBV-Interpretation von einem
Gericht
nicht akzeptiert wird, werden die Bibliotheken das
Digitalisieren ohnehin lassen. Ein Schadensersatzanspruch
setzt einen Schaden voraus. Wie soll man diesen Schaden
durch die unerlaubte Vervielfaeltigung, die einer
erlaubten
Nutzung zugrundegelegt wurde, messen?
Aber selbst wenn man Steinhauers Position akzeptiert,
dass
es kein Annex-Vervielfaeltigungsrecht gibt, ist meine
Ansicht nicht widerlegt, dass die digitale Archivkopie
vom
eigenen Werkstueck (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UrhG) § 52b
zugrundegelegt werden darf, was keine Einschraenkung der
zu
digitalisierenden Medien bedeutet. Dass es sich um das
eigene Archiv handeln muss, ist kein Hinderungsgrund,
denn
hier kann man entweder Steinhauers eigenartige
Interpretation des "eigenen Gebrauchs" heranziehen oder
eben meine Position, dass diese Schrankenschranke
vernuenftigerweise aufgehoben werden muss, wenn man § 53
UrhG zur Voraussetzung von § 52b macht. Es ist anerkannt,
dass die Bibliotheken zur Bestandserhaltung
digitalisieren
duerfen. Daher koennen diese Digitalisate im Rahmen von §
52b Verwendung finden!
Steinhauers juristische Logik ist von einem
kulturpolitischen Ziel diktiert, das er offen zugegeben
hat: Die Bibliotheken sollen sich strikt an das Gesetz
halten und die Benutzer ggf. dazu bewegen, den
Gesetzgeber
zu einer bibliotheksfreundlichen Klarstellung zu bewegen.
Das ist benutzerfeindliche Politik, Politik auf Kosten
der
Beduerfnisse der Benutzer, denn wie sollen Benutzer (die
ohnehin nicht zu einer starken Organisation gegen die
Zumutungen der Bibliotheken zusammengefunden haben) gegen
etwas protestieren, das sie gar nicht kennen bzw. was
ganz
im Bereich der Bibliotheken angesiedelt ist? Steinhauer
nimmt den Benutzer als Geisel, was man aus Benutzersicht
kaum erfreulich finden kann.
Steinhauer und die wenigen anderen juristischen
Haarspalter, die das Annexvervielfaeltigungsrecht
vermissen, verkennen, dass es eine pragmatisch anwendbare
schluessige Auslegung der Norm gibt, die den Bibliotheken
das Digitalisieren in weitem Umfang erlaubt. Soweit
eigene
elektronische Angebote der Verlage betroffen sind, haben
sich die Bibliotheken natuerlich an die
Selbstverpflichtung
des DBV zu halten. Der Boersenverein wuerde sich zu
seinem
eigenen Handeln beim Aushandeln der Vereinbarung in
Widerspruch setzen, wenn er ploetzlich erklaerte, die
Sache
mit dem Annexvervielfaeltigungsrecht wuerde nun ja alles
aendern. Solange er nichts dazu verlauten laesst, stimmt
er
stillschweigend der seinerzeitigen Vereinbarung zu (qui
tacet, consentire videtur - Justiziar Dr. Sprang verfolgt
diese Debatte sicher aufmerksam als Listenmitglied). Was
also Buecher der vom Boersenverein vertretenen Verlage
angeht, kann demnach mit der Digitalisierung begonnen
werden. Das Risiko erscheint mir ertraeglich.
Jeder, der eine Schranke des Urheberrechts in Anspruch
nimmt, setzt sich einem Risiko aus, dass sie auf seinen
Fall nicht zutrifft. Niemand haette annehmen koennen,
dass
das Anbringen einiger lustiger Sprueche von Karl Valentin
in einem oeffentlichen Raum als Wanddekoration eine
Urheberrechtsverletzung darstellt, die die Rechteinhaber
mit Feuer und Schwert verfolgen wuerden. Wenn ich einem
Studenten eine Seite kopiere, besteht die Moeglichkeit,
dass dies Beihilfe zu einer Straftat ist, da keine
Privatkopie vorliegt und der wissenschaftliche Gebrauch
nicht als "geboten" angesehen wird. Wenn mans genau
nimmt,
sollte man ueberhaupt die Finger von den Schranken des
Urheberrechts lassen und fuer jede Nutzung ganz viel den
Rechteinhabern bezahlen. Life is risk, aber die
Bibliotheken denken, sie muessten Risiken ausschliessen,
indem sie einen offenkundig vom Gesetzgeber eingeraeumten
Spielraum nicht nutzen.
Nichts tun und warten bis der Gesetzgeber seinen Pfusch
klarstellt, hilft den Informationsbeduerfnissen der
Benutzer nicht. Diese muessen Vorrang haben.
Klaus Graf