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Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels
- Date: Fri, 27 Jun 2014 19:50:22 +0200
- From: "Felicitas Noeske" <f.noeskehh@xxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels
Liebe Liste, geehrter Dr. Upmeier,
den Unterschied zwischen Freihand und Magazin kenne ich schon, ich wollte
lediglich überspitzt formulieren, was mir bei der Diskussion durch den Kopf
ging.
Abgesehen von den rechtlichen Bedingungen (die mir zu wenig geläufig sind),
scheint es mir in der Diskussion um zwei verschiedene Aspekte zu gehen: 1. Die
Kennzeichnung von Werken als zweifelhaft durch die Bibliothek und 2. Die
Entfernung zweifelhafter Werke aus dem Bereich des unkontriollierten Zugriffs
einer Bibliothek. Ad 1: Das Ansinnen der Bibliothek, Werke für den Leser
inhaltlich zu markieren oder zu kommentieren, stellt für mich eine
Unterschätzung von Wissenschaft, vor allem aber deren durchaus langlebiger
Erinnerungstradition, dar; blieb z. B. im 18. und 19. Jahrhundert der
"Ossian"-Zweifel noch weitestgehend im akademischen Kreis, so reicht heute
Google jedermann, also auch einem ersten Semester, als Gedächtnis. Ad 2: Viele
Unibibliotheken sind auch Landes- oder Staatsbibliotheken, richten sich also an
den Bürger, akademisch oder nicht. Der Bürger muss auch aus reiner Neugier oder
Schadenfreude zum Buch greifen dürfen; ein solchermaßen begehrtes Werk
nachträglich(!) seitens der Bibliothek aus Besorgnis um den Leser (aber wohl
mehr ums sich selbst?) vom Freihandbereich ins Magazin zu tun, empfinde ich als
eine gewisse Geringschätzigkeit des Bürgers.
Herzlich,
Felicitas Noeske
Gesendet: Freitag, 27. Juni 2014 um 15:20 Uhr
Von: "Upmeier Arne Dr. TU Ilmenau" <arne.upmeier@xxxxxxxxxxxxx>
An: "'Internet in Bibliotheken'" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels
Liebe Liste,
ich habe offenbar mit der Verwendung des Ausdrucks "geschlossenes Magazin" in
meiner Mail bei einigen Lesern ein Missverständnis ausgelöst. Mit dem
geschlossenen Magazin ist nur gemeint, dass das Buch nicht länger im
Freihandbereich steht, sondern über den OPAC bestellt werden muss. Es wird dann
zur freien Ausleihe bereitgestellt. Es handelt sich also keinesfalls um einen
"Giftschrank". - Das Umstellen in einen "Giftschrank" würde ja auch allem
widersprechen, was ich sonst in meiner Mail geschrieben und in den verlinkten
Interviews gesagt hatte. Mir geht es ja gerade darum, dass auch solche Texte
zugänglich bleiben.
Bei dieser Gelegenheit noch eine kurze Erwiderung zu den datenschutzrechtlichen
Erwägungen von Eric Steinhauer (wobei der "Datenschutz-Hysteriker" von Klaus
Graf kaum einer Kommentierung bedarf: Datenschutz ist wichtig und der Einsatz
dafür sollte keiner Rechtfertigung bedürfen). So sehr ich den ethischen
Überlegungen von Herrn Rösch und Herrn Umstätter auch beipflichte: Mit der
Abwägung Recht gegen Ethik ist es so eine Sache. Es gibt gute ethische Gründe
(außer im Falle extremster Ungerechtigkeit), sich zunächst ans Recht zu halten
und Fragen, wie etwas ethisch sein sollte, zunächst an den Gesetzgeber zu
richten.
Aber: auch juristisch bin ich in diesem Fall anderer Auffassung als Steinhauer.
Er geht davon aus, der Titelentzug sei ein Verwaltungsakt, bei dem der Autor
der Arbeit der einzige Betroffene sei. Daher dürfe der zugrunde liegende
Verwaltungsakt nur ihm bekannt gegeben werden. Ich sehe das anders: Bei der
Entscheidung zum Titelentzug handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit
Drittwirkung, der der betroffenen Öffentlichkeit bekanntgegeben werden darf
(und sollte). Die öffentliche Bekanntgabe kann einfach durch die Mitteilung an
die eigene Hochschulbibliothek erfolgen, die als Minimum dann einen
entsprechenden Eintrag im jeweiligen Verbundkatalog vornimmt. Es besteht
nämlich nicht nur ein rechtliches Interesse der jeweiligen Fakultät, nicht mit
erschlichenen Prüfungsleistungen assoziiert zu werden (z.B. VGH Kassel BeckRS
1999, 23273), sondern auch ein Interesse der Öffentlichkeit, wissen zu können,
wer welchen Titel zu Recht oder Unrecht führt (§ 132a StGB). Last not least
ergibt sich die Berechtigung, den Umstand eines Titelentzugs öffentlich zu
machen, e contrario aus der Veröffentlichungspflicht (!) bei Dissertationen.
Der Hochschulschriftenvermerk in der Vorlage steht nämlich nicht aufgrund einer
freiwilligen Angabe des Verfassers darin, sondern weil er sich aus
Prüfungsrecht ergibt.
Also unverändert meine, auch juristische, Meinung: Fragliche Texte nicht aus
dem Bestand nehmen, aber über den Umstand eines Titelentzugs deutlich
informieren.
Einmal mehr: viele Grüße,
Arne Upmeier
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Annette
Kustos
Gesendet: Donnerstag, 26. Juni 2014 10:43
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels
Liebe Liste,
Bibliotheken haben aus meiner Sicht keinesfalls die Aufgabe, "Stellen" im
Bereich von Prüfungs- oder Promotionswesen von irgendwas zu informieren. Wofür
Bibliotheken so zuständig sind, kann man gerade wieder sehr wohl formuliert in
einem juristischen Text nachlesen. Ich bin auch nicht begeistert, wenn
Bibliothekare im Sinne einer angeblichen "Öffentlichkeitsverpflichtung" solches
zum Gegenstand machen. Wir schaffen Öffentlichkeit, Nutzung und Bewahrung
publizierter Informationen für bestimmte Zwecke der Wissenschaft, Bildung und
Kultur. Bzgl. Giftschrank sind wir zum verschlossenen Verwahren von
Publikationen verpflichtet, die aufgrund eines GESETZES nicht so ohne weiteres
jedermann zugänglich gemacht werden dürfen, z. B. des Jugendschutzes etc. Der
Vorrang eines Gesetzes für Eingriffe in das Recht anderer ist eine äußerst
wertvolle Angelegenheit.
Eine rechtliche Grundlage für das Entfernen von falschen Informationen oder
bloßen Behauptungen (im Grunde ist eine ghostgewritete oder durchplagiierte
Diss eine bloße Behauptung eigener Autorenschaft, teilweise inhaltlich aber gar
nicht falsch!) gibt es Gott sei Dank nicht. Man bedenke auch, was dies nach
sich zöge, wenn die öffentliche Meinung sich mal irrt oder missliebige
Wissenschaft nicht hören mag..
Ich wäre ungern freiwillig der verlängerte Arm von je nach Zeitgeist
geforderter Texthygiene.
Freundliche Grüße
A. Kustos
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von
Felicitas Noeske
Gesendet: Mittwoch, 25. Juni 2014 21:04
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels
Sehr geehrter Herr Meier,
warum sollten Druckwerke, bei deren Verfasser ein Titelentzug erfolgte, ins
"geschlossene Magazin"? Seit Urzeiten sind Schriften doch voller Irrtümer und
Fehler, auch voller Schummeleien - und gehören allein deshalb doch ans Licht,
oder? Irrtümer, Fehler und Schummeleien verbreiten sich auch ohne Giftschrank;
und nichts bereitet mehr Vergnügen, als anderen in Vergangenheit und Gegenwart
auf die Schliche gekommen zu sein; oder irre ich mich da?:-)
Herzlichen Gruß,
Felicitas Noeske
Gesendet: Montag, 23. Juni 2014 um 11:53 Uhr
Von: Joachim.Meier@xxxxxx
An: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels
Von einem Titelentzug erfahren Bibliotheken, die die betroffene Diss. im
Bestand haben, wenn überhaupt nur zufällig (es sei denn, es handelt sich um
prominente Personen).
Der Titelentzug erfolgt durch die Universität, die den Titel verliehen hatte.
Das zuständige Gremium darf also nicht vergessen, die eigene UB über den
Titelentzug zu informieren.
Die UB müsste ihren Bibliotheksverbund und die DDB informieren, damit der
Hinweis auf Titelentzug in die Stammdaten der Verbundkataloge eingepflegt wird
und bestenfalls alle die Diss. besitzenden Bibliotheken informieren, damit
diese im Exemplar den Hinweis anbringen und das Exemplar evtl. in das
geschlossene Magazin verlagern.
Ich vermute, dass der skizzierte Meldeweg so oder ähnlich nicht existiert und
für die hoffentlich wenigen Fälle erst eingerichtet werden muss.
Das müsste dann auch international erfolgen, da Titelentzug kein rein deutsches
Phänomen ist.
Besten Gruß
Joachim Meier
____________________________________________________
Dr.-Ing. Joachim E. Meier
Referatsleiter Q.11, Wissenschaftliche Bibliotheken Physikalisch-Technische
Bundesanstalt (PTB) (http://www.ptb.de) PF 3345 Tel. +49-531-592-8131
38023 Braunschweig Fax. +49-531-592-8137 GERMANY E-mail: Joachim.Meier@xxxxxx
____________________________________________________
Von: "Upmeier Arne Dr. TU Ilmenau" <arne.upmeier@xxxxxxxxxxxxx>
An: Internet in Bibliotheken <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>,
Datum: 21.06.2014 15:14
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels
Gesendet von: "Inetbib" <inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Lieber Herr Dr. Kuhn,
ich schließe mich der Meinung von Herrn Prof. Steinhauer und möchte Sie
bestärken, das fragliche Buch zugänglich zu halten. Allerdings würde ich schon
einen Vermerk in Katalog und /oder Buch empfehlen. Auch an unsere Bibliothek
ist in den letzten Tagen die Bitte gegangen, ein Buch zurückzugeben, das wir
vorher im Wege des Schriftentausches erhalten hatten. Als Anregung hier meine
gestrige Antwort:
"Sehr geehrte Frau XX,
haben Sie vielen Dank für den Hinweis auf den Titelentzug bei Herrn XY.
Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir die korrumpierte 'Dissertationsschrift'
aus grundsätzlichen Erwägungen nicht aus dem Bestand nehmen wollen.
Insbesondere das Beispiel der 'Dissertation' von Theodor zu Guttenberg hatte
gezeigt, dass auch Plagiate von zeithistorischer Bedeutung sein können - im
Falle 'zu Guttenberg' sogar sicher über den Wert des originären Inhalt hinaus.
Würden solche Schriften aus den Regalen verbannt, wäre auch die Entscheidung
des Fakultätsrates zum Titelentzug nicht mehr nachvollziehbar. Außerdem würden
korrekte Verweise in späteren wissenschaftlichen Publikationen leer laufen,
wenn einmal veröffentlichte Titel depubliziert würden. Wichtig ist uns jedoch,
umfassend über den Titelentzug zu informieren, damit niemand, der das Buch
künftig in die Hand nimmt, es unwissentlich für 'bare Münze' nimmt. Wir haben
daher am Buch und beim entsprechenden Katalogeintrag jeweils einen Hinweis auf
den Titelentzug angebracht. Außerdem wird es in unser geschlossenes Magazin
umgestellt, damit niemand versehentlich am Regal darauf stößt, ohne den Hinweis
zur Kenntnis zu nehmen."
Die Frage des Umgangs mit Plagiatsschriften war bereits vor einiger Zeit Thema
in diversen Presseartikeln, z.B.:
http://www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html[http://www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html][http://www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html[http://www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html]]
http://www.goethe.de/wis/bib/fdk/de8708106.htm[http://www.goethe.de/wis/bib/fdk/de8708106.htm]
Eine Rechtspflicht der Bibliothek, solche Werke zu entfernen, schwärzen oder
zurückzugeben gibt es nicht.
Mit besten Grüßen zum Wochenende,
Arne Upmeier
---
Dr. Arne Upmeier
Universitätsbibliothek Ilmenau
Dezernent Benutzung
Fachreferent für Politik, Recht und Wirtschaft Langewiesener Straße 37
98693 Ilmenau
Tel.: 03677/69-4534
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von
Steinhauer, Eric
Gesendet: Freitag, 20. Juni 2014 23:39
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels
Lieber Herr Kollege,
die Antwort lautet ganz klar: Nein!
Die Bibliothek ist kein "Grundbuchamt" für Doktortitel. Ich bin sogar dagegen,
den Promotionsvermerk im Katalog zu löschen, denn die nachträgliche Aberkennung
ändert nichts am Inhalt der Vorlage, deren exakte Beschreibung das Ziel der
Katalogisierung ist.
Die Aberkennung des Titels ist allein das persönliche Problem des Betroffenen.
Allenfalls eventuell noch vorhandene Tauschexemplare sind von der Aberkennung
betroffen. Hier sollte die Bibliothek diese im Wege des Schriftentausches nicht
mehr als Dissertation anbieten.
Viele Grüße
Eric Steinhauer
_E_______________________________________
Von: Inetbib [inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx]" im Auftrag von
"Kuhn, Karl-Heinz [kuhn@xxxxxxxxxxxxx]
Gesendet: Freitag, 20. Juni 2014 14:35
An: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
bitte erlauben Sie eine Frage zum Umgang mit Dissertationen, deren Verfasser
der Doktortitel im Nachhinein entzogen wurde.
Kann eine Universitätsbibliothek dazu verpflichtet werden, ihr Exemplar einer
Dissertation, das sie durch Tausch oder auf einem anderen Weg (Geschenk, Kauf)
erhalten hat, auszusondern oder an die Einrichtung, von der sie ein Exemplar
erhalten hat (z.B. Tauschstelle der UB, an der die Promotion stattfand), wieder
zurückzugeben?
Herzlichen Dank und freundliche Grüße
sendet
Dr. Karl-Heinz Kuhn
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http://www.inetbib.de[http://www.inetbib.de][http://www.inetbib.de[http://www.inetbib.de]]
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