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Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels, hier: Der Eid auf Gott
- Date: Mon, 23 Jun 2014 13:32:47 +0200
- From: Peter Mulzer <mulzerbooks@xxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels, hier: Der Eid auf Gott
Lieber Herr Umstätter,
unwidersprochen soll Ihre These nicht bleiben, auch wenn Sie uns solche
ungeheuerlichen Gedankengänge reichlich themenfremd einschmuggeln - von der
(selbstverständlich zu bejahrenden) Aufnahmepflicht aller Arten von
Dokumenten durch die Bibliothek, auch der umstrittenen, zur
Gewissensbeschaffenheit des Kommunisten...
Lassen Sie sich von einem altgedienten Linkssozialisten sagen, daß sein
Eid auf seiner persönlichen E h r e, auf seinem Verantwortungsgefühl der
Menschheit gegenüber, auf seiner Bereitschaft, allen Hilfsbedürftigen zur
Seite zu stehen, beruht. Das ist hundertmal Verpflichtender als der Schwur
auf eine undeutliche, spekulativ-historische Schattenfigur namens Gott, auf
ein umstrittenes, tausendmal verfälschtes angebliches Dokument namens Bibel
- daß wir nicht gar von der "Furcht vor Gott" oder der "Bestrafung von
Sünden" sprechen, darf ich doch voraussetzen.
Linkssozialisten und Friedenskämpfer fühlen sich ihrem eigenen Gewissen
und damit der Grundidee ihres Lebens verpflichtet. Sie blicken mit
Unverständnis auf die Schwüre ihrer konservativen Kollegen, die "bei Gott"
schwören. Daß sich Sozialisten von den dogmatischen Kommunisten abgrenzen,
liegt eben in der Ablehnung spekulativ-dogmatischer kommunistischer
Gedankengebäude, die dem Mythos "Gott" nur zu eng verwandt sind.
Vom Hocker hat mich Ihre Bewertung der "Stasi" gekippt. "Stasiartige
Strukturen" entstanden aus mancherlei Gründen, bei denen das
kapitalistische Verführungsprinzip durch Vorteile, Geld, Waren und
Warenwert immer noch die größte Rolle spielt(e). Kaum je wurde ein soziales
Gebilde so dauerhaft, umfassend und gnadenlos angegriffen wie die DDR -
dieser streckenweise durchaus infame Beschuß fand seine Antwort durch das
kafkaeske Stasi-Gebilde.
Mich überfiel natürlich bei jeder Zeitungslektüre in der DDR das große
Elend, besonders was die Provinzpresse anging, und die Quälereien mit den
Zensurabsurditäten an der Staatsbibliothek waren für mich Westler
scheußlich mitzuerleben, noch weniger vergessen ist die beständige Angst
vor Bespitzelung zwischen Dresden und Rostock - aber den Eid, das
persönliche Gewissen, die Grundstruktur des Linkssozialismus lasse ich mir
von Ihnen nicht in einem Nebensatz besudeln.
Freundlich grüßt Sie
Peter Mulzer, Buchantiquar in Freiburg
"...-aber dass dahinter das sehr fundamentale
Problem steht, wie zuverlässig ein Eid ist, bei dem man sich nicht auf
das alte ?So wahr mir Gott helfe? beruft, dürfte nur den wenigsten
Menschen klar sein. Denn es war kein Zufall, dass man im atheistischen
Kommunismus, wo man die Rache Gottes beim Jüngsten Gericht nicht kennt,
Stasiartige Strukturen zwingend brauchte, weil Vertrauen zwar gut, aber
Kontrolle besser ist. Insofern ist es nachvollziehbar, wenn Florian
Havemann feststellt: ?Kommunisten haben kein so ausgeprägtes Verhältnis
zur Wahrheit.? (Havemann. S. 120; Suhrkamp Verl., Frankfurt a.M. (2007).
(Das heißt zwar nicht, dass Christen grundsätzlich glaubwürdiger sein
müssen, insbesondere nicht die Schafe im Wolfspelz ;-) aber die Frage
nach einem möglichst zuverlässigen Eid, ist schon etwas recht
grundsätzliches, und wird gesellschaftspolitisch sicher wieder virulent."
--
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