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Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels, hier: Der Eid auf Gott



Lieber Herr Mulzer,

ich habe in keiner Weise irgend einen Eid "besudeln" wollen, ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass hinter der Frage, wie man in einem Staat bzw. einer Staatengemeinschaft einen Eid ablegt, ein sehr fundamentales und Jahrhunderte altes Problem liegt, dass in der Dissertation von Herrn Guttenberg mit sehr vielen Belegen diskutiert wird (wobei er bekanntermaßen die Quellen unzureichend kenntlich gemacht hat ;-) und dass ich es für wahrscheinlich halte, dass diese Dissertation durchaus noch für den einen oder anderen Leser (möglicherweise auch für Sie) höchst lesenswert ist.

Dankenswerterweise bestätigen Sie mit Ihren kurzen Ausführungen meine Einschätzung. Leider ist Inetbib nicht die richtige Plattform, um auf die von Ihnen angesprochene Argumentation näher einzugehen, darum war es bei mir auch nur ein "Nebensatz". Das Problem hat aber durch Europa neuen Auftrieb bekommen, und da gibt es Menschen, die auf Gott nicht mehr schwören können, und darüber hat sich Herr Guttenberg Gedanken gemacht.

Meine Aussage ging in die Richtung, bei Publikationen nicht nur stumpfsinnige Computer-Textvergleiche zu machen, sondern sich auch zu fragen, welchen geistigen Gewinn man daraus ziehen kann, ganz im Sinne von Plinius dem Älteren: „Kein Buch ist so schlecht, dass es nicht [bei den richtigen Lesern] in irgendeiner Weise Nutzen stiften könnte“. Auch wenn der Einschub [] von mir, oder genauer gesagt von Ranganathan („Every reader his book“), stammt.

MfG
Walther Umstätter



Am 2014-06-23 13:32, schrieb Peter Mulzer:
Lieber Herr Umstätter,

unwidersprochen soll Ihre These nicht bleiben, auch wenn Sie uns solche ungeheuerlichen Gedankengänge reichlich themenfremd einschmuggeln - von der
(selbstverständlich zu bejahrenden) Aufnahmepflicht aller Arten von
Dokumenten durch die Bibliothek, auch der umstrittenen, zur
Gewissensbeschaffenheit des Kommunisten...

Lassen Sie sich von einem altgedienten Linkssozialisten sagen, daß sein Eid auf seiner persönlichen E h r e, auf seinem Verantwortungsgefühl der Menschheit gegenüber, auf seiner Bereitschaft, allen Hilfsbedürftigen zur Seite zu stehen, beruht. Das ist hundertmal Verpflichtender als der Schwur auf eine undeutliche, spekulativ-historische Schattenfigur namens Gott, auf ein umstrittenes, tausendmal verfälschtes angebliches Dokument namens Bibel
- daß wir nicht gar von der "Furcht vor Gott" oder der "Bestrafung von
Sünden" sprechen, darf ich doch voraussetzen.

Linkssozialisten und Friedenskämpfer fühlen sich ihrem eigenen Gewissen
und damit der Grundidee ihres Lebens verpflichtet. Sie blicken mit
Unverständnis auf die Schwüre ihrer konservativen Kollegen, die "bei Gott" schwören. Daß sich Sozialisten von den dogmatischen Kommunisten abgrenzen,
liegt eben in der Ablehnung spekulativ-dogmatischer kommunistischer
Gedankengebäude, die dem Mythos "Gott" nur zu eng verwandt sind.

 Vom Hocker hat mich Ihre Bewertung der "Stasi" gekippt. "Stasiartige
Strukturen" entstanden aus mancherlei Gründen, bei denen das
kapitalistische Verführungsprinzip durch Vorteile, Geld, Waren und
Warenwert immer noch die größte Rolle spielt(e). Kaum je wurde ein soziales
Gebilde so dauerhaft, umfassend und gnadenlos angegriffen wie die DDR -
dieser streckenweise durchaus infame Beschuß fand seine Antwort durch das
kafkaeske Stasi-Gebilde.

 Mich überfiel natürlich bei jeder Zeitungslektüre in der DDR das große
Elend, besonders was die Provinzpresse anging, und die Quälereien mit den
Zensurabsurditäten an der Staatsbibliothek waren für mich Westler
scheußlich mitzuerleben, noch weniger vergessen ist die beständige Angst
vor Bespitzelung zwischen Dresden und Rostock - aber den Eid, das
persönliche Gewissen, die Grundstruktur des Linkssozialismus lasse ich mir
von Ihnen nicht in einem Nebensatz besudeln.

 Freundlich grüßt Sie

 Peter Mulzer, Buchantiquar in Freiburg




 "...-aber dass dahinter das sehr fundamentale

Problem steht, wie zuverlässig ein Eid ist, bei dem man sich nicht auf

das alte ?So wahr mir Gott helfe? beruft, dürfte nur den wenigsten

Menschen klar sein. Denn es war kein Zufall, dass man im atheistischen

Kommunismus, wo man die Rache Gottes beim Jüngsten Gericht nicht kennt,

Stasiartige Strukturen zwingend brauchte, weil Vertrauen zwar gut, aber

Kontrolle besser ist. Insofern ist es nachvollziehbar, wenn Florian

Havemann feststellt: ?Kommunisten haben kein so ausgeprägtes Verhältnis

zur Wahrheit.? (Havemann. S. 120; Suhrkamp Verl., Frankfurt a.M. (2007).

(Das heißt zwar nicht, dass Christen grundsätzlich glaubwürdiger sein

müssen, insbesondere nicht die Schafe im Wolfspelz ;-) aber die Frage

nach einem möglichst zuverlässigen Eid, ist schon etwas recht

grundsätzliches, und wird gesellschaftspolitisch sicher wieder virulent."

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