Lieber Herr Umstätter,
unwidersprochen soll Ihre These nicht bleiben, auch wenn Sie uns
solche
ungeheuerlichen Gedankengänge reichlich themenfremd einschmuggeln - von
der
(selbstverständlich zu bejahrenden) Aufnahmepflicht aller Arten von
Dokumenten durch die Bibliothek, auch der umstrittenen, zur
Gewissensbeschaffenheit des Kommunisten...
Lassen Sie sich von einem altgedienten Linkssozialisten sagen, daß
sein
Eid auf seiner persönlichen E h r e, auf seinem Verantwortungsgefühl
der
Menschheit gegenüber, auf seiner Bereitschaft, allen Hilfsbedürftigen
zur
Seite zu stehen, beruht. Das ist hundertmal Verpflichtender als der
Schwur
auf eine undeutliche, spekulativ-historische Schattenfigur namens Gott,
auf
ein umstrittenes, tausendmal verfälschtes angebliches Dokument namens
Bibel
- daß wir nicht gar von der "Furcht vor Gott" oder der "Bestrafung von
Sünden" sprechen, darf ich doch voraussetzen.
Linkssozialisten und Friedenskämpfer fühlen sich ihrem eigenen
Gewissen
und damit der Grundidee ihres Lebens verpflichtet. Sie blicken mit
Unverständnis auf die Schwüre ihrer konservativen Kollegen, die "bei
Gott"
schwören. Daß sich Sozialisten von den dogmatischen Kommunisten
abgrenzen,
liegt eben in der Ablehnung spekulativ-dogmatischer kommunistischer
Gedankengebäude, die dem Mythos "Gott" nur zu eng verwandt sind.
Vom Hocker hat mich Ihre Bewertung der "Stasi" gekippt. "Stasiartige
Strukturen" entstanden aus mancherlei Gründen, bei denen das
kapitalistische Verführungsprinzip durch Vorteile, Geld, Waren und
Warenwert immer noch die größte Rolle spielt(e). Kaum je wurde ein
soziales
Gebilde so dauerhaft, umfassend und gnadenlos angegriffen wie die DDR -
dieser streckenweise durchaus infame Beschuß fand seine Antwort durch
das
kafkaeske Stasi-Gebilde.
Mich überfiel natürlich bei jeder Zeitungslektüre in der DDR das große
Elend, besonders was die Provinzpresse anging, und die Quälereien mit
den
Zensurabsurditäten an der Staatsbibliothek waren für mich Westler
scheußlich mitzuerleben, noch weniger vergessen ist die beständige
Angst
vor Bespitzelung zwischen Dresden und Rostock - aber den Eid, das
persönliche Gewissen, die Grundstruktur des Linkssozialismus lasse ich
mir
von Ihnen nicht in einem Nebensatz besudeln.
Freundlich grüßt Sie
Peter Mulzer, Buchantiquar in Freiburg
"...-aber dass dahinter das sehr fundamentale
Problem steht, wie zuverlässig ein Eid ist, bei dem man sich nicht auf
das alte ?So wahr mir Gott helfe? beruft, dürfte nur den wenigsten
Menschen klar sein. Denn es war kein Zufall, dass man im atheistischen
Kommunismus, wo man die Rache Gottes beim Jüngsten Gericht nicht kennt,
Stasiartige Strukturen zwingend brauchte, weil Vertrauen zwar gut, aber
Kontrolle besser ist. Insofern ist es nachvollziehbar, wenn Florian
Havemann feststellt: ?Kommunisten haben kein so ausgeprägtes Verhältnis
zur Wahrheit.? (Havemann. S. 120; Suhrkamp Verl., Frankfurt a.M.
(2007).
(Das heißt zwar nicht, dass Christen grundsätzlich glaubwürdiger sein
müssen, insbesondere nicht die Schafe im Wolfspelz ;-) aber die Frage
nach einem möglichst zuverlässigen Eid, ist schon etwas recht
grundsätzliches, und wird gesellschaftspolitisch sicher wieder
virulent."