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Re: [InetBib] Datenschutz in Bibliotheken
Lieber Herr Rohde,
lieber Herr Prof. Umstätter.
Es gibt durchaus ein Recht auf Vergessen und Vergessen werden. Hier gab es
unlängst mal ein Symposion der Universität Köln zum Thema digitales Gedächtnis
und zwar von den Problematiken des Pflichtexemplars und den Möglichkeiten der
Pflichtexemplarbibliotheken, über digitale Langzeitarchivierung bis hin zur
Frage des Persönlichkeitsrechtes inkl. dessen, Anspruch auf Löschung von
biographischen Daten zu haben.
http://www.ub.uni-koeln.de/bibliothek/veranstaltung/lvt/digibib2012/index_ger.html
Man ging ziemlich gut informiert, aber auch einigermaßen fragebeladen aus der
Veranstaltung.
Und das Thema ist in der Tat hochsensibel, ich finde aber bzgl. des
Reußartikels sollten wir hier nicht hinwandern. Das lenkt von falscher Stelle
auf dieses ansonsten hochwichtige Thema.
Im Reußartikel ging es um die Behauptung, Bibliotheken würden Nutzerverhalten
flächig ungeschützt an Konzerne übermitteln. Das stimmt so bitteschön nicht.
Selbstverständlich werden diese Gefahren wohl täglich größer .... besonders
wenn rechtliche Regelungen nebulös bleiben und man in Bezug auf die
Cloudtechnik (die auch nicht der Entwicklung letzte Stufe sein wird!) nur deren
(angebliche) Wirtschaftlichkeit fokussierte o. ä.
Die Frage, ob es Bibliotheken aufgebürdet werden kann, tausende von Bios nach
Persönlichkeitsrecht zu pflegen, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Ich
denke es gibt nun auch qua Publikation die Öffentlichkeit, für die wir hier
zuständig sind. Wenn man hier den Fokus so umdreht, das nur auf
Individualrechte Rücksicht genommen werden muss, aber kein öffentliches
Interesse mehr existiert, und nicht einmal mehr biographisch Grundlegendes wie
Geburtsdatum eines Autors, Namen, Wirkungsort etc. in Bezug auf eine
Publikation gespeichert werden dürfen, können alle möglichen Einrichtungen ihre
Arbeit einstellen.
Grüße
A.K.
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Rohde
Bernd Martin
Gesendet: Samstag, 16. November 2013 08:03
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Datenschutz in Bibliotheken
Lieber Herr Umstätter, liebe Kollegen/innen,
Es gab mal vor vielen Jahren in den Nachrichten für Dokumentation
eine Publikation darüber, ob es unter Datenschutzgesichtspunkten
überhaupt noch Publikationen geben dürfte, da Autoren unter ihrem
Namen Ansichten äußern, die gezielt recherchierbar sind. Spätestens
dann, wenn man sich daran erinnert, wie viele Autoren heute nicht mehr
wissen wollen, was sie vor 40 oder 80 Jahren veröffentlicht haben,
wird diese Betrachtung besonders gut verständlich. In England ist es
darum um so beunruhigender, dass der Guardian nun berichtet: “The
Conservatives have removed a decade of speeches from their website and
from the main internet library” (http://gu.com/p/3kcvk/tw)
1. Menschen entwickeln sich und dazu gehört auch, dass jemand mit zunehmendem
Alter seine früheren Ansichten revidiert/revidieren darf.
Wenn jemand seine älteren Publikationen daher verstösst, liegt dann vielleicht
nicht eher auf ein persönliches Problem jener Person mit sich selbst vor?
2. Mangelndes Geschichtsbewusstsein (nicht ausschliesslich in Bezug auf
Zeitgeschichte) ist wohl nicht nur in England ein Problem, wie die aktuelle
Weltwoche schreibt (http://www.weltwoche.ch):
"So viel Schweiz war lange nicht mehr. Wer sind wir? Die SRG trifft mit ihrer
Serie «Die Schweizer» einen Nerv – und füllt ein Vakuum: An den Schulen wird
die Entstehung der Schweiz nur am Rande behandelt. Im Lehrplan 21 ist
Geschichte nicht einmal als eigenständiges Fach vorgesehen."
Hier wird also schulisch kaum Geschichtsbewusstsein produziert. Und durch das
Fernsehen allenfalls eines à la Gerhard Polt: "Hätte ich die ganzen Nero-Filme
nicht gesehen, ich wüsste heute nicht, dass der Ustinov Rom angezündet hat."
Bibliothekarisch ist das zweifellos kontraproduktiv, da ich nur
zustimmen kann, dass es „zu unseren Kernaufgaben [gehört], die
Aufbereitung, Aufbewahrung und Vermittlung von Informationen, darunter
eben auch Personeninformationen“. Das Problem ist nur: „Diese
Zusammenführung von verschiedensten Beiträgen in der Digitalen
Bibliothek des Internets zum jeweils selben Urheber wurde darum eine
wichtige Aufgabe der letzten Jahre bei ISNI (International Standard
Name Identifier der ISO) , ORCID (Open Researcher and Contributor ID)
und anderen Projekten“ (Password 11/13 S.13). Und daran sind nicht nur
die Bibliothekare interessiert, sondern auch die Geheimdienste, so
dass nun in den Nymwars ("pseudonym" und "wars") ein Kampf um die
Identitäten im Internet tobt. Wie weit Google zu Personen, die
wichtigsten Informationen bereits zusammenträgt, kann bereits jeder
sehen, wenn er oder sie Angela Merkel eingibt. Dass unter meinem Namen
„Wird auch oft
gesucht: Engelbert Plassmann, Karl Löffler, Fritz Milkau, Rainer
Kuhlen, Michael Seadle, Hubert Laitko“ erscheint, hat mich schon etwas
über Googles Eigenleben erstaunt.
Das betrifft letztendlich jeden Anbieter solcher Informationen, ob ich nun
GND/LoCNA/VIAF, den klassischen Biographienzettelkasten im Luzerner Stadtarchiv
oder die entsprechenden Angebote von Munzinger nehme: Diese Daten können und
werden auch abgegraben. Da können wir wohl kaum etwas dagegen tun. Genausowenig
können wir es beeinflussen, wie jene Daten dann interpretiert werden. Was wir
tun können, ist mit korrekten Inhalten dafür Sorge zu tragen, dass nicht
aufgrund von uns erfassten Fehlinformationen in jenen Daten andere Menschen zu
Schaden kommen.
Und was Googles Eigenleben angeht, kann man ja schon froh sein, dass
andererseits bei der Eingabe von "Switzerland" nicht auftaucht "Meinten Sie
Swaziland?" Schnitzer dieser Art gibt es da eben auch. Auch hier gilt eben,
dass die Suchmaschine im Browser nicht das eigene Hirn ersetzt. Es kann halt
mitunter schwer sein, dies manchem Benutzer in der Bibliothek klarzumachen.
Freundliche Grüsse
Bernd Martin Rohde
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Bernd Martin Rohde
Dipl.-Bibl. (FH), UP in Rare Book Librarianship (Univ. Basel)
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