[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

[InetBib] Weiterleitung persönlicher Korrespondenz und weitere Fragen



Sehr geehrte Damen und Herren,


was die Weiterleitung von persönlicher Korrespondenz betrifft:

Sicherlich kann ich mir vornehmen, in Zukunft etwas "privater" vorzugehen,
jedenfalls hat sich bisher noch keines meiner "Opfer" bei mir oder sonst
irgendjemandem beschwert. Ich beschäftige mich übrigens auch nicht damit,
irgendwelche Photos im Internet zu veröffentlichen, noch nicht mal solche,
die keineswegs kompromittierend wären und mit Einverständnis der
aufgenommenen Personen entstanden sind.

Bekannterweise dürfte spätestens seit Edward Snowden die Rechtswirklichkeit
so aussehen, daß meine Verschwiegenheitssignatur vor allem die
Möglichkeiten betrifft, eine Weiterleitung oder ein Mitlesen rechtskräftig
belangen zu können, falls einmal konkrete Probleme entstehen sollten.
Bisher war ich jedenfalls noch nie Angeklagte in einem Strafverfahren oder
im Zivilrecht, was ich wirklich nicht von allen Personen sagen kann, die
theoretisch meine Mails mitlesen könnten.

Übrigens:

Wenn sich BibliothekarInnen oder Studierende, die an Abschlußarbeiten
schreiben, Sorgen machen sollten, daß eine Festplatte, auf der z.B. eine
Datenbank mit Texten oder Bildern gespeichert ist, abstürzt und
unwiderbringlich verloren geht - immer mit der Ruhe, keine Panik. Rufen Sie
einfach bei der NSA-Zentrale in den USA an und bitten Sie um ein backup.
Wahlweise jeden anderen Geheimdienst der Welt. Irgendjemand ist vielleicht
so gnädig, den Wissensverlust zu kompensieren. Für Belege bei gerichtlichen
Auseinandersetzungen, z.B. im Bereich von Bildrechten, kann das durchaus
entscheidend sein.

Was den Beitrag aus Chile betrifft: Ich kann den Sinn und Unsinn meiner
Mails in Bezug auf "Internet und Bibliotheken" gerne erläutern, da ich das
Verständnisproblem aber eher für einen Individualfall halte, der nicht die
Mehrheit der Listenmitglieder betrifft, schlage ich vor, diese Nachfrage
off-list zu beantworten. Gerne können Sie mich bei konkreten Postings noch
mal fragen, welche Frage oder welches Problem ich dabei jeweils diskutieren
wollte.

Übrigens findet am 30.3.2014 in Frankfurt am Main eine Veranstaltung zu
Franz Oppenheimer statt, dem (jüdischen) Begründer der sozialen
Marktwirtschaft. Über das Zentrum für Jüdische Studien in Berlin können Sie
die Details erfragen, sie haben auch eine Mailingliste mit den aktuellen
Veranstaltungshinweisen. Ich nehme an, daß das ZJS auch im Sommer zur
Urlaubszeit eine Notbesetzung hat, die auf E-Mails antworten kann.

Bertha Pappenheim, deren soziale Fürsorgeeinrichtungen vor allem den
ärmsten und schwächsten Menschen dieser Gesellschaft geholfen haben, wurde
von den NationalsozialistInnen gezwungen, die Türen nur für jüdischen
Menschen offen zu halten und anderen den Zutritt zu verbieten. Alles eine
Frage der Ökonomie und Logistik.

Zu guter Letzt: Manchen Personen in dieser Welt scheint nicht klar zu sein,
daß zumindest in der BRD die Sachverhalte der "Verleumdung" und der "üblen
Nachrede" Straftatbestände sind, die nicht nur strafrechtlich, sondern auch
zivilrechtlich im Bereich von Schadensersatzforderungen verfolgt werden
können. Dabei spricht das Gesetz von "Verbreitung" von verleumderischen
oder rufschädigenden Inhalten, dort ist nicht festgehalten, daß der Name
der gemeinten Person explizit erwähnt werden muß. Es reicht, daß ein
Gericht es als erwiesen betrachtet, daß eine Person verleumdet wurde oder
rufschädigend geredet oder geschrieben wurde.

Nicht umsonst sehen das jüdische, das christliche und das islamische Recht
vor, daß Rufschädigung grundsätzlich verwerflich ist - und zwar umso mehr,
wenn es dabei nicht nur um "üble Nachrede" geht, bei der ein
problematischer Sachverhalt deutlich gemacht wird, der z.B. den Charakter
oder eine Handlung einer Person betreffen kann, sondern insbesondere dann,
wenn es um "Verleumdung" geht, d.h. wenn Sachverhalte nahegelegt werden,
die jeder empirischen Grundlage entbehren und reine Fiktion sind. Im
Judentum gibt es im Bereich der Sprechethik ein sehr großes Bewußtsein
dafür, daß kumulative Effekte von Rufschädigung und Verleumdung sogar
"mörderisch" sein können, weil sie die praktische Konsequenz haben können,
daß eine Person Beruf, Freundschaften, Lebens-/Ehepartner bis hin zu
Wohnung und alle Möglichkeiten des Lebensunterhalts verliert. Im
schlimmsten Fall, wo kein Sozialstaat vorhanden ist, kann dies zum
Verhungern führen, Beispiele in dieser Welt bis heute gibt es genug, auch
in der BRD wegen Bürokratiekriegen des JobCenters, die teilweise (gezielt?)
zu Wohnungsverlust und Verhungern aufgrund von Bargeldmangel geführt haben,
auch zahlreiche Selbstmorde sind belegt. Im Falle der Dreyfus-Affäre hätte
auch ein Todesurteil gefällt werden können - eine kumulative Folge von
Verleumdungen, deren Opfer nicht zufälligerweise ein Jude war.

ForscherInnen im Bereich des Antisemitismus sagen meistens, der Unterschied
zwischen Vorurteilen (darunter fällt auch Islamophobie) und Antisemitismus
hat vor allem damit zu tun, daß Antisemitismus fast immer mit reiner
Fiktion operiert. Es gibt keinen einzigen belegten Fall einer
Brunnenvergiftung oder eines Ritualmordes an christlichen Kindern für
Pessach, Juden sind nicht reicher oder ärmer als andere vergleichbare
Ethnien auch (ich nehme an, daß die Sinti und Roma deutlich ärmer sind,
aber z.B. ChristInnen und MuslimInnen haben auch ihre Armen und Reichen),
die "Protokolle der Weisen von Zion" sind nachweislich eine Erfindung des
zaristischen Geheimdienstes in Rußland, die dann fröhlich vom KGB und
arabischen Organisationen weiterverbreitet wurde. Übrigens beruht der
Antisemitismus in der arabischen Welt zum großen Teil auf kommunikativem
"Import" von deutschen NationalsozialistInnen, die sich durch Emigration in
arabische Länder der erwartbaren strafrechtlichen Verfolgung gegen Ende des
Zweiten Weltkrieges entziehen wollten, von Lateinamerika ganz zu schweigen.
Wer sich mit der Frage beschäftigen möchte, warum bis zuletzt z.B. die USA
keine jüdischen Flüchtlinge aufnehmen wollten und Großbritannien sich
geweigert hat, Bomben auf die Zuggleise nach Auschwitz abzuwerfen, damit
gegen Ende wenigstens keine weiteren Todestransporte mehr stattfinden - sie
waren kaum fünf Meilen entfernt - sei auf die einschlägige
Forschungsliteratur verwiesen. Möglichkeiten des Widerstandes gab es genug,
und sie wurden von vielen jüdischen, christlichen und anderen Menschen
genutzt, auch von Deutschen, die teilweise Mitglied der SS oder Wehrmacht
waren. Kleine Formen der Redlichkeit und Menschenachtung waren auch ohne
ethischen Heroismus möglich, für fast jedeN.

Die historisch gut belegten Progrome, z.B. in Rußland und im Polen nach
Ende des Zweiten Weltkrieges, die jahrhundertelang zahlreiche jüdische
Menschenleben gefordert haben, scheinen glücklicherweise der Vergangenheit
anzugehören, auch wenn im Nahen Osten auch in jüngerer Vergangenheit immer
noch viele ZivilistInnen gestorben sind, nicht zuletzt durch Raketen aus
Gaza, bei denen jede einzelne eine Transgression des Völkerrechts
darstellt. Einzelne Gewalttaten auch in "zivilisierten" Ländern kommen
leider immer noch vor, auch in Europa - und auch sie sind das Ergebnis von
(systematischer?) Verleumdung und übler Nachrede und treffen auch jüdische
Menschen, bei denen die TäterInnen später zugeben, daß sie das nicht
gemacht hätten, wenn sie genauer gewußt hätten, wer denn da eigentlich das
Opfer der Prügelattacke oder des Messerangriffs war. Systematisches
Verschweigen des Positiven, das hätte gesagt werden können, trägt so zu
Körperverletzung bis hin zum Mord bei.

Die christlichen KollegInnen unter Uns können sich ja mal im Bereich des
Kirchenrechtes erkundigen, wenn ich mich richtig erinnere, lautet der
sprechethische Fachbegriff zu dieser Frage "detractio", die als Sünde
gewertet wird.

Warum die Juden? Mögliche Antworten darauf gibt es viele, mir persönlich
gefällt die Aussage des russischen Schriftstellers Wassili Semjonowitsch
Grossman in "Leben und Schicksal": Er schreibt, die Juden würden gehaßt,
weil sie innerlich frei seien. Sicherlich trifft das nicht auf jeden Juden
zu (siehe die Theorie von Karl Krauss zum jüdischen Selbsthaß).

Ich versenke mich jetzt lieber wieder in meine nonnenhafte Arbeit an meiner
Doktorarbeit über persönliche Ethik im antiken Griechenland - und was das
Ganze mit Politik zu tun hat, siehe Sokrates, Platons Politeia und die
Nomoi. Übrigens ist Alkibiades im Laufe der Zeit sehr in Verruf gekommen,
und das scheint nun wirklich keine Verleumdung zu sein, sondern ließ sich
wohl empirisch gut belegen. Sein politisches Schicksal und sein tragischer
Tod dürfen auch als Folge seiner mangelnden persönlichen Ethik gewertet
werden, da sind sich HistorikerInnen relativ einig. Bei Sokrates sehe ich
die Sache anders.


Mit freundlichen Grüßen


Naomi Anne Kubota
-- 
http://www.inetbib.de


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.