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Re: [InetBib] Eric Steinhauer: Was ist ein Buch? (2005)



Am 2013-05-04 21:42, schrieb Matthias Ulmer:
Lieber Herr Umstätter,

man kann beim Alten bleiben, warum soll man sich die Mühe einer neuen
Definition machen.

Der Grund könnte z.B. die Online-Revolution des letzten Jahrhunderts sein.

Ich nenne Ihnen drei Gründe:
Als Verleger weiß ich, dass es getrennte Kulturen von Buch und
Zeitschrift gibt. Und die setzen sich auch im Digitalen fort, auch
wenn die Produkte ähnlicher werden. Mir stellt sich damit die Frage
nach dem Kern des Produktes, der die Unterscheidung auch unabhängig
von seiner Materialität ausmacht.
Zum Zweiten: gerade das Verleihen oder Verschenken von E-Books zeigt,
dass man die Trennung von Inhalt und Träger beachten muss. Auch beim
gedruckten Buch kann ich den Inhalt nicht ohne Träger verschenken,
sonst macht man eine Kopie auf einen neuen Träger. Genau so ist es
beim E-Book. Mit dem Reader oder dem Computer darf man es immer
verleihen, nicht aber indem man es auf einen neuen Träger dupliziert.

Sie duplizieren doch schon beim lesen auf einen neuen Träger,
in dem Sie Teile in ihrem Gehirn speichern.
Von Exzerpten ganz zu schweigen. Wollen Sie das auch verbieten?

Zum Dritten: ein Inhaltsverzeichnis oder Register war zwar bislang oft
Bestandteil des Buches. Im Digitalen wird das aber heute oft von der
Software, vom Verlag oder Leser erzeugt, ist also nicht mehr zwingend
Autorenleistung und sollte deshalb vom eigentlichen Inhalt
differenziert werden.
Das sind nur drei Gründe, die eine neue Definition nahelegen.

Hatten Sie oben nicht das Gegenteil (beim Alten zu bleiben) angekündigt?

Bauernschläue der Verleger können Sie streichen. Mir ist kein Punkt
bekannt, wo wir Rechte durch Definitionstricks beanspruchen. Die
Verlagsverträge sehen heute eine umfassende Rechteübertragung vor,
ohne Tricks.
Wie gesagt: man darf auch weiterhin Wellensittiche Aras nennen, wenns
beliebt. Man muss sich nicht um Differenzierung bemühen.

Das klingt zwar erfrischend tolerant, ist es aber nicht. Toleranz kann
bzw. muss man einkalkulieren bei jedem natürlichen Fehlerbereich den ein Wert oder eine Aussage hat. Falschaussagen sind aber nicht tolerierbar, weil sie der Grund für die unzähligen Missverständnisse in dieser Welt sind. Dazu lernt man Deutsch in der Schule. Wenn man sich nicht um Differenzierung in der Sprache bemüht macht man außerdem nur die eigene Ahnungslosigkeit deutlich - gewollt oder ungewollt.

Ich hatte auf
den Versuch einer Buchdefinition über das Materielle reagiert. Die
scheint mir unbefriedigend. Anderen mag sie reichen.

Ihnen scheint entgangen zu sein, dass ich genau das gleiche tat.
Sie können es aber noch nachlesen ;-)

Apropos lesen, da unterscheiden wir zunächst auch nicht ob wir ein gedrucktes oder ein
elektronisch gespeichertes Buch gelesen haben.
Wenn wir den Unterschied deutlich machen wollen, müssen wir es dazu sagen.

MfG

Walther Umstätter

Herzliche Grüße
Matthias Ulmer

Am 04.05.2013 um 19:10 schrieb h0228kdm <h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx>:

Lieber Herr Ulmer,

der Sinn von Definitionen ist es, zu einer möglichst exakten Kommunikation beizutragen, in dem man Worte in ihren Wortfeldern klar begrenzt. Menschliche Sprache ist eigentlich dazu da, Missverständnisse zu minimieren. Dass das insbesondere für Kinder anfangs sehr schwierig ist, wenn alles nur ein Dingsda ist, und dass unsere Muttersprache uns trotzdem die Möglichkeit geben muss, auch mit wenig exaktem Wissen uns auszudrücken, wird oft übersehen. Eine differenzierte Sprache ist damit ein Zeichen von Bildung. Für viele Kinder sind kurze Zeit lang alle Vierbeiner Wauwaus. Dass viele Eltern daraus „Hund“ machen wollen ist eigentlich unsinnig, weil ich auch schon hörte, wie ein Kind zu einem Elefanten im Zoo tief beeindruckt Wauwau sagte. Dagegen waren alle Vögel, auch Aras, Gagags. Von einem solchen Kind zu verlangen, dass es zum Ara Ente sagt ist pädagogisch nicht besonders einfallsreich. Das Kind kennt aber in einer bestimmten Entwicklungsphase nur Vögel und Vierbeiner.

Ein Buch ist ein Informationsmedium (Oberbegriff) und besteht damit aus seiner Information und und ihrem Informationsträger. Seine "materiellen Eigenschaften" betreffen also nur einen Teil, den Informationsträger.

Wenn ich ein Buch gelesen habe, und dies jemandem mitteile, ist es egal ob ich das E-Book oder den Print-out dessen las. Darum haben doch die Verlage so viel Wert darauf gelegt, sie identisch zu machen, damit die Urheberrechte bzw. Verwertungsrechte beim Digitalisat bei ihnen bleiben. Außerdem erhielten wir damit identische Zitierungen. Da kann man doch nicht im Nachhinein einfach behaupten ein gedrucktes Buch und sein identisches E-Book seien ewig getrennte Begriffe, nur weil man nun plötzlich den Lesern von E-Books alle Besitzrechte absprechen möchte.

Es ist ja bekannt, wie unlogisch Menschen werden können, wenn sie nur nach ihrem eigenen Vorteil trachten – das nennt man Bauernschläue, weil man in der Geschichte der Menschheit die Bauern gern als dumm bezeichnet hat, und diese das dann zu ihren Gunsten ausnutzten. Ärgerlich wird es, wenn sogar akademisch gebildete Menschen (Banker, Juristen, Ärzte, Politiker etc.) sich entsprechend dumm stellen, und ihre guten Ruf damit ruinieren.

Der Versuch, das gedruckte Buch durch „Linearität des Inhalts“ zu definieren funktioniert doch auch nicht, sonst hätten die Autoren bzw. Verleger nicht längst Schlagwortregister, Fußnoten, Querverweise etc. eingebracht. Übrigens hatte Ted Nelson seinen „Hypertext“ noch ohne Apple Computer oder WWW entworfen.

Die heiße Diskussion vor etlichen Jahren um den Begriff Datenbank, hatte einen anderen Hintergrund. Als Datenbanken die Abstracts der Zeitschriften übernahmen, entstand die Frage, wofür sie ein Copyright beanspruchten. Sie hatten ihre Angaben ja lediglich aus Zeitschriften- und Buchpublikationen übernommen. Ausgedruckt hießen die Literaturdatenbanken damals noch Bibliografien. Die Argumentation war dann, dass schon die Ordnung bzw. Umordnung der Dokumente durch Schlagwörter eine eigene intellektuelle Leistung ist. Dass wir bei Büchern auch zwischen Lexika, Nachschlagewerken, Lehrbüchern, Monografien (thematische „Abgeschlossenheit“), sog. Vielautorenwerken, Bibliografien etc. unterscheiden macht deutlich, dass man jedes Buch auch als Datenbank aufbereiten kann – das war ja der Witz der Volltextdatenbanken.

Ansonsten dachte ich, dass es gerade für Sie als Verleger nicht ganz gleichgültig ist, ob jemand von einer Broschüre, einem Buch, einer Loseblattsammlung oder einem Zeitschriftenband spricht. Eine solche Abgrenzung muss eine Definition leisten.

Es ist doch ganz einfach, wenn jemand heute ein gedrucktes Buch oder ein E-Book meint soll er das auch sagen, und nicht nur Buch oder Dingsda ;-)

MfG

Walther Umstätter

Am 2013-05-04 16:31, schrieb Matthias Ulmer:
Wenn man das Buch rein durch seine materiellen Eigenschaften
beschreibt, dann bleiben Buch und E-Book ewig getrennt. Und ein
aufgebundener Zeitschriftenjahrgang wird auch zum Buch.
Abstrahiert man zunächst vom Materiellen, dann kann man Buch
vielleicht durch Textlichkeit, Konzentration von Autor bzw Leser,
Abgeschlossenheit und Linearität des Inhalts charakterisieren. Das
hätte den überraschenden Effekt, dass der Brockhaus und andere Lexika
in dieser Definition kein Buch mehr sind, sondern eine Datenbank, die
mal als digitale Version, mal als Kartei und mal als Buch angeboten
wird.
Das ist auch keine absolut widerspruchsfreie Definition, sie führt
aber vielleicht weiter als "49 Seiten Papier, gebunden, meist 19x27cm
mit Auflage über 19 Ex..."
Gruss
Matthias Ulmer
Am 04.05.2013 um 15:45 schrieb h0228kdm <h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx>:
Hallo,
zur Definition,
„Dem Wortsinn nach wird eine Diplomarbeit sicher ein Buch sein, insofern man darunter eine "in einem Umschlag oder Einband durch Heftung zusammengefaßte, meist größere Anzahl von leeren, beschriebenen oder bedruckten einzelnen Papierblättern oder Lagen bzw. Bogen" versteht. So liest es sich bei Hiller, Wörterbuch des Buches.“ Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, auch wenn die Abgrenzung zu gebundenen Periodka oder auch Broschüren nicht ganz unwichtig ist. Als „Handhabare Informationseinheit ist es sicher kein juristischer Begriff, der sich mehr auf Urheber-, Verwertungs- oder Kopierrecht bezieht. Die können sich auch auf eine einzelne Seite oder ein Bild beziehen. Das im Buchhandel erscheinende Buch ist ebenso ein Unterbegriff von Buch, wie das e-Book, die Diplom-, Magisterarbeit, Dissertation, Habilitation etc. E-Books sind ja absichtlich zum gedruckten Buch soweit möglich identisch gemacht worden, können aber an verschiedenen Orten der Welt (auch auf Papier) angesehen werden. Auf die Auflagenhöhe würde ich hier auch keinen Bezug nehmen, da sich diese z.B. bei Neuauflagen oder beim publishing-on-demand jederzeit ändern kann. Die Definition des Buches im „Lehrbuch des Bibliotheksmanagements“ S. 9 (2010) lautet daher: „Buch im eigentlichen Sinne ist nach seiner Form ein nicht periodisch erscheinendes Druckwerk mit meist hundert bis tausend Seiten, die durch Heftung oder Leimung verbunden und durch einen Einband oder Umschlag geschützt sind. Trotz erheblicher Schwankungen in Form und Größe nimmt es im Regal meist weniger als 3 x 25 x 25 cm ein. Es ist damit eine handhabbare ,Informationseinheit’. In elektronischer Form spricht man vom E-Book. Entsprechend der UNESCO sollte bei Büchern die Zahl von 49 Seiten nicht unterschritten werden. Anderenfalls spricht man von einer Broschüre. Obwohl die Broschur (softcover) sich vom Namen her auf den flexiblen Umschlag bezieht, ist sie auch insofern ein Kennzeichen für den Umfang, da sich diese Einbandform vorwiegend für Publikationen mit weniger als drei Oktavbögen eignet. Nach seiner Funktion wird das Buch zur Verbreitung von Literatur eingesetzt und dient zur Übermittlung von Schrift und Bild. Das ,digitale Buch' oder E-Book war anfangs zweifellos nichts anderes, als die digital gespeicherte Form herkömmlicher Bücher. Daraus entwickelte sich allerdings im Laufe der letzten Jahre eine Publikationsform, die durch zusätzliche Ton und Bewegtbildeigenschaften, durch Animation und Modellierung multimedialen Charakter gewann. Hier sprechen wir nicht mehr vom Buch, sondern von Multimediaangeboten.“
MfG
Walther Umstätter
Am 2013-05-04 13:28, schrieb Karl Dietz:
Hallo,
neulich gingen zwei Buchhinweise von H. Steinhauer an inetbib.
Am 23.04.2013 konnte eines davon für umme down-geloaded werden.
Und liegt nun sicher auf etlichen Festplatten.
Eine Frage vor der wdh. aus 2005, die damals an inetbib ging:
Kann dieses eBook nun auch verliehen werden?
zB an Freunde? in einer Bibliothek? ...
On 9/7/05
Ein Buch im Sinne von § 53 Abs. 4 UrhG? Eine Legaldefinition kenne ich
nicht. Ist Buch hier ein besondrer Rechtsbegriff oder ist der allgemeine,
gar der buchwissenschaftliche Buchbegriff zugrundezulegen. Für Juristen
eine
herrliche Frage! Dem Wortsinn nach wird eine Diplomarbeit sicher ein Buch
sein, insofern man darunter eine "in einem Umschlag oder Einband durch
Heftung zusammengefaßte, meist größere Anzahl von leeren, beschriebenen
oder
bedruckten einzelnen Papierblättern oder Lagen bzw. Bogen" versteht. So
liest es sich bei Hiller, Wörterbuch des Buches. Danach ist eine
Diplomarbeit, sofern sie nicht als lose Blätter in einer Juris-Mappe
angeboten wird, ein Buch im tatsächlichen Sinn. Nun könnte man vom Sinn
und
Zweck des § 53 Abs. 4 UrhG  eine einschränkende Auslegung vornehmen und
nur
solche Bücher als Buch gelten lassen, die im Buchhandel erschienen sind.
Auf
die erhebliche Auflagenhöhe würde ich hierbei nicht abstellen, da hier
Widersprüche mit den Vorschriften über Pflichtexemplare auftreten können.
Dort unterliegen schon Auflagen ab 20 Exemplaren einer
Ablieferungspflicht,
vgl. etwa § 3 Abs. 1 Nr. 3 PflExG Berlin. Als gesetzgeberischer Zweck für
§
53 Abs. 4 findet sich in der Kommentarliteratur der Gedanke, daß eine
Einsparung von Anschaffungskosten durch Kopien verhindert werden soll.
Also
kann man sagen, was ich nicht anschaffen kann, weil es nicht anschaffbar
ist, da kann ich auch keine Anschaffungskosten ungerechtfertigt
einsparen.
Also wäre § 53 Abs. 4 UrhG bei nicht im Handel erhältlichen
Diplomarbeiten
unanwendbar. Hinter dem Schutz der Anschaffung steht aber der Schutz der
wirtschaftlichen Interessen der Nutzungsberchtigten, also etwa des
Autors.
Meiner Ansicht nach ist er auch im Falle einer nicht gehandelten Arbeit
insoweit schützenswert, als er immerhin die Möglichkeit hat, die Arbeit
im
Handel anzubieten. Er würde dann aber durch die freie Kopiermöglichkeit
seiner "ungehandelten" Diplomfassung in seinen Absatzchancen geschmälert.
Wenn ich die Ansicht von Herrn Müller zugrundelege, dann kann nämlich
folgendes passieren: Die nicht im Buchhandel erhältliche Diplomarbeit von
Dipl.-Ing. Emsig steht mit seiner Zustimmung in seiner
Hochschulbibliothek.
Diese Arbeit dürfte frei kopiert werden. Wenn Emsig sich entscheidet, auf
eigene Kosten seine Arbeit völlig textidentisch bei einem
Print-on-demand-Anbieter im Buchhandel mit ISBN erscheinen zu lassen,
dann
dürfte dieses Buchhandelsexemplar nicht kopiert werden. Das ist
merkwürdig.
Das Urhberrecht schützt doch Werke als geistige Schöpfungen und nicht
Werkstücke. Das Werk aber ist in beiden Ausgaben, Diplom-Version und
ISBN-Buch, völlig identisch. Von daher würde ich meine Lösung vorziehen
und
für § 53 Abs. 4 UrhG einen tatsächlichen, lebensweltlichen Buchbegriff
zugrundelegen. Das scheint mir konsequenter.
Unterhalten kann man sich freilich darüber, ob man nicht bei einer
"bloßen"
Diplomarbeit zwei Jahre nach Einstellen in die Bibliothek § 53 Abs. 4
UrhG
doch entsprechend anwendet. Anderenfalls wäre der Schutz der im
Buchhandel
nicht vertriebenen Arbeit weitergehend. Wie schon im letzten posting
geschrieben, bin ich hier etwas unschlüssig. Tendiere jetzt aber doch
wohl
zu einem vorsichtigen ja was die Möglichkeit einer Ganzkopie in den
Grenzen
von § 53 Abs. 4 UrhG angeht.
Eric Steinhauer
In: www inetbib de
Eine der vielen high light mails in nun bald 20 Jahren inetbib.
s.a.
Helmut Hiller: Wörterbuch des Buches, 1967
http://books.google.de/books?id=12tMAAAAMAAJ
+
Leiter/in Stb Denkendorf. StZ 04.05.2013
+
MfG, Karl Dietz
blog.karldietz.de
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