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Re: [InetBib] Weltnormentag
Liebe Liste,
die Geschichte zum Normungsvertrag hat einen Hintergrund.
So hat in den frühen 70er Jahren die sozialliberale Koalition ("mehr
Demokratie wagen") über ein neues Normengesetz diskutiert, denn
Normungsarbeit ist gesetzgeberische Arbeit. Die deutsche Industrie sah
sich bereits dem Untergang geweiht. Der reine Horror: ein demokratisch
gewählter Abgeordneter sitzt neben einem Diplom-Ingenieur und diskutiert
über Schraubgewinde. So kam als neue Legitimitätsgrundlage die
Konstruktion eines Normungsvertrags zwischen Staat und einer
Organisation privaten Rechts zustande. Die Normungsarbeit in Deutschland
befindet sich seitdem weiterhin in einem gesetzesfreien Raum.
Was bedeutet das konkret? Verstösst das DIN gegen seine vertraglichen
Pflichten, müsste der Bund vor Gericht erst eine Leistungsklage erheben,
anstatt per Verwaltungsakt einfach tätig werden zu können. Das Ergebnis
einer solchen Klage wäre höchstens die Vertragskündigung. Und das DIN
hat umgekehrt keinen Anspruch auf staatliche Finanzierung, die es aber
dringend nötig hätte. Über den Wert eines solchen Vertrages lässt sich
also einiges denken. Dennoch ist es so, dass eine Beleihung des DIN
(Übertragung einer staatlichen Aufgabe) über diesen Vertrag erfolgte.
Desaströs jedenfalls war unter diesen Umständen die Ausweitung des
Urheberrechts im Jahr 2003 auch auf DIN-Normen, gegen den Widerstand des
Bundesrates. Mit diesem Schritt erhielten auch die private Normen, wie
sie etwa in staatlichen Landesbauordnungen enthalten sind, plötzlich
eine privilegierte Stellung, sie fielen unter die Schutzbestimmungen des
Urheberrechts. Das sah der BGH in seiner Entscheidung I ZR 79/88 von
1990 noch differenzierter.
Die Allgemeinheit wurde nach 2003 auch nicht für die entgangenen Rechte
entschädigt, die sie vorher durch den Zugang zu Normen in amtlichen
Schriften hatte. Das DIN übt heute faktisch ein Hoheitsrecht aus, ohne
jedoch die Normen als amtliche Schriften herausgeben zu müssen. So kam
es auch zur Gründung einer Bürgerinitiative "IDIN" gegen die
UrhG-Novellierung von 2003, siehe
http://www.enev24.de/idin/news/pub/home.php Und Thomas Fuchs hat 2004
einiges zur Gemeinfreiheit von DIN-Normen zusammengetragen:
http://delegibus.com/2004,8.pdf
Ein Detail: der Normungsvertrag von 1975 gilt übrigens nicht für
Fachgebiete, die den Kompetenzrahmen des Bundes nach dem Grundgesetz
überschreiten (siehe §10). Meines Wissens nach haben die Länder seit
einigen Jahren die Hoheit über das Bildungswesen (und damit über den
Bibliotheksbereich) und nicht der Bund.
Ob der Normungsvertrag demokratisch gesehen noch zeitgemäss ist, stelle
ich mal dahin. In Österreich gibt es seit 1971 jedenfalls ein
Normengesetz, siehe
http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10011426
Angesprochen wurden die leeren Kassen, beim DIN, beim Staat, und bei der
Industrie. Ich finde das wunderbar. Man stelle sich vor, das DIN wird
einfach unter dem Druck der leeren Kassen unter einen Rettungsschirm
gestellt, wie es mit so manch notleidender Bank geschah, und mit
ähnlichen staatlichen Einrichtungen wie etwa dem Deutschen Patent- und
Markenamt (DPMA) oder der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB)
zusammengelegt. Mit DIN-Normen als amtliche Veröffentlichungen, die
sicherlich nicht nur in Klaus Graf und mir eine zufriedene Leserschaft
hätten.
Viele Grüße
Jörg Prante
--
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