Lieber Herr Ulmer,
leider muß ich Sie enttäuschen: Sie werden es nicht schaffen, die
Bibliothekswelt für dumm zu verkaufen. Sie verschweigen nämlich einige
winzige, aber entscheidende Details, weshalb Ihre Argumentation sanft
verpufft.
Die Verlage haben sehr wohl die Tätigkeit von Bibliotheken als
Konkurrenz angesehen. Das läßt sich in den einschlägig bestückten
Bibliotheken nachlesen. Sie sollten mal die Gesetzgebungsmaterialien
zur Einführung der Bibliothekstantieme 1972 durchforsten. Seitdem
haben wir folgende Regelung im Urheberrechtsgesetz:
§ 27 Vergütung für Vermietung und Verleihen
(1) ...
(2) Für das Verleihen von Originalen oder Vervielfältigungsstücken
eines Werkes, deren Weiterverbreitung nach § 17 Abs. 2 zulässig ist,
ist dem Urheber eine angemessene Vergütung zu zahlen, wenn die
Originale oder Vervielfältigungsstücke durch eine der Öffentlichkeit
zugängliche Einrichtung (Bücherei, Sammlung von Bild- oder Tonträgern
oder anderer Originale oder Vervielfältigungsstücke) verliehen werden.
Verleihen im Sinne von Satz 1 ist die zeitlich begrenzte, weder
unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienende
Gebrauchsüberlassung; § 17 Abs. 3 Satz 2 findet entsprechende
Anwendung.
(3) …
Wären Sie bitte so freundlich, mal mit einigen Zahlen rüberzukommen.
Wieviel streichen die ach so kulturfreudigen Verlage gemäß dieser
Regelung jährlich ein? Warum hat der Gesetzgeber die Lösung dieses
Interessengegensatzes nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen?
Warum sind die Autoren, d.h. die eigentlich Kreativen hier die Dummen,
wie der interessante Rechtstreit zeigt, den die VG WORT vor dem
Landgericht München erst mal verloren hat? Sind es nicht Steuergelder,
die hierbei in Ihre Tasche fließen?
In Bezug auf digitale Medien gibt es derzeit keine adäquate,
passende Lösung. Deshalb werden wir noch solange Prozesse durch alle
Instanzen führen, bis der Gesetzgeber den Regelungsbedarf erkennt.
Solange der Punkt nicht erreicht ist, werde ich meine Forderung gemäß
dem Vorbild des alten Cato ("ceterum censeo Carthaginem esse
delendam!") stur wiederholen:
Bibliotheken vor die Gerichte!<<< Je mehr Prozesse, umso besser!
Ach ja, bevor Sie jetzt irgend etwas einwenden: waren es nicht die
Verlage in Deutschland, die mit Prozessen gegen Bibliotheken
angefangen haben? Und zwar in einem Ausmaß, wie in keinem anderen
Staat der Erde. Das weiß ich aufgrund meiner langjährigen Arbeit bei
IFLA. Die ausländischen Kollegen wundern sich immer wieder über die
zahlreichen Gerichtsverfahren in Deutschland. Deren Kommentar lautet
dann: "Offensichtlich geht es den deutschen Verlage zu gut, weil sie
sich solchen Schwachsinn leisten können".
So, jetzt dürfen Sie sich in Ihren Maserati setzen und mit Ihrem
Navi einen Dialog über die ach so desorientierten Bibliothekare
führen.
Beste Grüße aus dem historisch rebellischen Baden!
Dr. Harald Müller
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und
Völkerrecht / Bibliothek
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International
Law / Library
Im Neuenheimer Feld 535; D-69120 Heidelberg
Phone: +49 6221 482 219; Fax: +49 6221 482 593
Mail: hmueller@xxxxxxx
________________________________________
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx]" im Auftrag von
"Matthias Ulmer [mulmer@xxxxxxxx]
Gesendet: Donnerstag, 11. Oktober 2012 17:39
Bis: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Klartext: Suppenküche Öffentliche Bibliothek
Lieber Herr Steinhauer,
wenn Sie dabei gewesen wären, dann wäre der Dialog hier so
differenziert ausgefallen, wie es sonst Ihre Art ist. Und wenn der DBV
die Gespräche zum Thema nicht abgebrochen hätte, dann würde man sich
vielleicht auch mit dem Bemühen um Verständnis und nicht um maximale
Aufregung über das Thema austauschen.
Ich habe heute nichts anderes gesagt wie schon bei anderen
Gelegenheiten mit Bibliotheksvertretern:
Bibliotheken müssen ihren Nutzern E-Books anbieten können, das
müssen Verlage kapieren. und Bibliotheken müssen kapieren, dass ihre
E-Book Ausleihmodelle die Geschäftsmodelle der Verlage stark
gefährden. Also kann es nur eine Lösung geben, bei der die Interessen
beider Seiten gewahrt sind das sollte eigentlich klar sein. (Leider
gibt es Bibliothekare, die meinen, man kann gegen den Willen der
Rechteinhaber so etwas gesetzlich durchsetzen, genau so wie es
Verleger gibt, die Bibliotheken gar nicht zu beliefern gedenken.
Beides kann ich nicht ernst
nehmen).
Bleibt also die Frage, wie eine Abgrenzung aussehen kann. Ich habe
mich da an den Auftrag öffentlicher Bibliotheken gehalten, wie er vom
Geldgeber, dem Steuerzahler bzw. seinem Vertreter formuliert wird. Da
geht es dann zentral um Leseförderung und Bildung und um Teilhabe für
die, die sonst von Information, Kultur und Bildung ausgeschlossen
wären. Diese Formulierungen habe ich nicht erfunden, sondern gefunden.
Das findet sich fast wörtlich auch bei den Statements der IFLA.
Dass ich das als denkbare Abgrenzung ausgesprochen habe, damit ziehe
ich mir nun den Zorn aller zu. Wie blöd. Ich bin dankbar für jede
bessere Lösung. Aber wie oben gesagt, wer keine Lösung anstrebt und
das im Konflikt zu lösen gedenkt, den nehme ich nicht ernst.
Mein Vorschlag war: dicht am formulierten Auftrag wird der Kreis der
Nutzer immer weiter gezogen und der Tarif für die Bibliothek
entsprechend ausgerichtet.
Das beginnt mit der Nutzung im Lesesaal, was praktisch keine
Ausleihe ist und von den Verlagen quasi kostenlos angeboten werden
könnte.
Dann folgen die Kinder und Jugendlichen in der Kommune sowie die
sozial Schwachen in der Kommune. Hier sehe ich keine Konkurrenz zu
Geschäftsmodellen von Verlagen und der Tarif könnte entsprechend sehr
niedrig sein.
Danach kommen die normalen Bürger einer Kommune. Hier ist die
Konkurrenz zu Verlagsangeboten direkt, die Vertriebsleistung der
Bibliothek aber auch zu bewerten, der Tarif müsste irgendwo in der
Mitte liegen.
Und schließlich kommen Nutzer außerhalb der Kommune, hier wäre der
Tarif etwa identisch mit dem aus einem kommerziellen Modell.
Es wäre nun Aufgabe der Kommune zu entscheiden, wie weit sie den
Bildungsauftrag ihrer Bibliothek fassen wollen, was sie als originäre
Aufgabe einer Kommune betrachten.
Es mag vielleicht eine ungewohnte Diskussion sein. Aber kommen wir
gemeinsam wirklich drum herum?
Die Situation ist auch neu. Im Bereich gedruckter Bücher haben
Verleger eigentlich nie eine Konkurrenzsituation gesehen und die
Leistungen der Bibliotheken zur Leseförderung, kulturellen und
Bildungsarbeit geschätzt und gefördert. Bei E-Books ist eine ganz
andere Nutzungssituation gegeben. Das zu leugnen bringt auch nicht
weiter.
Im übrigen werden Autoren umsatzbezogen honoriert, wenn also ein
kommerzielles Mietmodell entsteht, dann werden die Autoren an den
Erlösen daraus beteiligt, verdienen also an jeder Ausleihe. Das ist
kein Thema der Verwertungsgesellschaft, meines Wissens...
Herzliche Grüße
Matthias Ulmer