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Re: AW: [InetBib] Klartext: Suppenküche Öffentliche Bibliothek



Am 11.10.2012 19:24, schrieb Matthias Ulmer:
Lieber Herr Müller,

mit der E-Book Ausleihe bzw. Vermietung hat das nichts zu tun, oder?
Nur sicherheitshalber, damit ich nichts falsch verstehe...

Sie wollen partout eine große ewige Feindschaft zwischen Verlagen und
Bibliotheken. Wenns Spaß macht... Aber dem müssen ja nicht alle
folgen.
Wenn die Bibliothekstantieme Ihr Beweis dafür ist, dass die Verlage
die Bibliotheken als Konkurrenz betrachten, kann sein, dass das eine
Diskussion war. Man muss aber tief in den Archiven kramen um das als
Beleg heran zu ziehen.
Wie hoch die Bibliothekstantieme oder unser jährlicher Anteil daran
ist? Keine Ahnung. Dass Verlage und Urheber in den Gremien seit 
Jahren
problemlos zusammenarbeiten und beide Seiten das Urteil des LG 
München
absurd finden können Sie gerne ignorieren. Auch die von Ihnen
gewünschte allgemeine Feindschaft zwischen Autoren und Verlagen gibt
es nicht.
In Ihren Augen wäre ja jede Geschäftsbeziehung zwischen Bibliothek
und Verlag ein Beweis für Konkurrenzdenken und aus der Welt wäre das
erst, wenn die Verlage den Bibliotheken alles umsonst geben. Sehr
eigenwillig.

Das mit den Prozessen: obwohl es sinnlos ist erlaube ich mir den
Hinweis auf die eigenartige Argumentation, nach der man zum Vorwurf
bekommt sich gegen eine Rechtsverletzung zu wehren. Ich weiß von drei
Verfahren, eins zu 52b und zwei zu 52a. Ein wirklich unglaublicher
Vorgang, dass hier drei Musterverfahren zu zwei neuen Paragrafen
gemacht wurden. Und ob Klagen berechtigt sind kann man doch auch am
rechtsverbindlichen Urteil ablesen.

Und Heidelberg ist doch Kurpfalz und nicht Baden?

Na ja, aber vielleicht haben Sie zum Thema E-Book-Ausleihe doch noch
eine Anmerkung?

Freundliche Grüße
Matthias Ulmer




Am 11.10.2012 um 18:38 schrieb Müller, Harald <hmueller@xxxxxxx>:

Lieber Herr Ulmer,

leider muß ich Sie enttäuschen: Sie werden es nicht schaffen, die 
Bibliothekswelt für dumm zu verkaufen. Sie verschweigen nämlich einige 
winzige, aber entscheidende Details, weshalb Ihre Argumentation sanft 
verpufft.

Die Verlage haben sehr wohl die Tätigkeit von Bibliotheken als 
Konkurrenz angesehen. Das läßt sich in den einschlägig bestückten 
Bibliotheken nachlesen. Sie sollten mal die Gesetzgebungsmaterialien 
zur Einführung der Bibliothekstantieme 1972 durchforsten. Seitdem 
haben wir folgende Regelung im Urheberrechtsgesetz:
§ 27 Vergütung für Vermietung und Verleihen
(1) ...
(2) Für das Verleihen von Originalen oder Vervielfältigungsstücken 
eines Werkes, deren Weiterverbreitung nach § 17 Abs. 2 zulässig ist, 
ist dem Urheber eine angemessene Vergütung zu zahlen, wenn die 
Originale oder Vervielfältigungsstücke durch eine der Öffentlichkeit 
zugängliche Einrichtung (Bücherei, Sammlung von Bild- oder Tonträgern 
oder anderer Originale oder Vervielfältigungsstücke) verliehen werden. 
Verleihen im Sinne von Satz 1 ist die zeitlich begrenzte, weder 
unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienende 
Gebrauchsüberlassung; § 17 Abs. 3 Satz 2 findet entsprechende 
Anwendung.
(3) …

Wären Sie bitte so freundlich, mal mit einigen Zahlen rüberzukommen. 
Wieviel streichen die ach so kulturfreudigen Verlage gemäß dieser 
Regelung jährlich ein? Warum hat der Gesetzgeber die Lösung dieses 
Interessengegensatzes nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen? 
Warum sind die Autoren, d.h. die eigentlich Kreativen hier die Dummen, 
wie der interessante Rechtstreit zeigt, den die VG WORT vor dem 
Landgericht München erst mal verloren hat? Sind es nicht Steuergelder, 
die hierbei in Ihre Tasche fließen?

In Bezug auf digitale Medien gibt es derzeit keine adäquate, 
passende Lösung. Deshalb werden wir noch solange Prozesse durch alle 
Instanzen führen, bis der Gesetzgeber den Regelungsbedarf erkennt. 
Solange der Punkt nicht erreicht ist, werde ich meine Forderung gemäß 
dem Vorbild des alten Cato ("ceterum censeo Carthaginem esse 
delendam!") stur wiederholen:

Bibliotheken vor die Gerichte!<<<  Je mehr Prozesse, umso besser!

Ach ja, bevor Sie jetzt irgend etwas einwenden: waren es nicht die 
Verlage in Deutschland, die mit Prozessen gegen Bibliotheken 
angefangen haben? Und zwar in einem Ausmaß, wie in keinem anderen 
Staat der Erde. Das weiß ich aufgrund meiner langjährigen Arbeit bei 
IFLA. Die ausländischen Kollegen wundern sich immer wieder über die 
zahlreichen Gerichtsverfahren in Deutschland. Deren Kommentar lautet 
dann: "Offensichtlich geht es den deutschen Verlage zu gut, weil sie 
sich solchen Schwachsinn leisten können".

So, jetzt dürfen Sie sich in Ihren Maserati setzen und mit Ihrem 
Navi einen Dialog über die ach so desorientierten Bibliothekare 
führen.

Beste Grüße aus dem historisch rebellischen Baden!

Dr. Harald Müller

Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und 
Völkerrecht / Bibliothek
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International 
Law / Library
Im Neuenheimer Feld 535; D-69120 Heidelberg
Phone: +49 6221 482 219; Fax: +49 6221 482 593
Mail: hmueller@xxxxxxx
________________________________________
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx 
[inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx]&quot; im Auftrag von 
&quot;Matthias Ulmer [mulmer@xxxxxxxx]
Gesendet: Donnerstag, 11. Oktober 2012 17:39
Bis: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Klartext: Suppenküche Öffentliche Bibliothek

Lieber Herr Steinhauer,

wenn Sie dabei gewesen wären, dann wäre der Dialog hier so 
differenziert ausgefallen, wie es sonst Ihre Art ist. Und wenn der DBV 
die Gespräche zum Thema nicht abgebrochen hätte, dann würde man sich 
vielleicht auch mit dem Bemühen um Verständnis und nicht um maximale 
Aufregung über das Thema austauschen.

Ich habe heute nichts anderes gesagt wie schon bei anderen 
Gelegenheiten mit Bibliotheksvertretern:
Bibliotheken müssen ihren Nutzern E-Books anbieten können, das 
müssen Verlage kapieren. und Bibliotheken müssen kapieren, dass ihre 
E-Book Ausleihmodelle die Geschäftsmodelle der Verlage stark 
gefährden. Also kann es nur eine Lösung geben, bei der die Interessen 
beider Seiten gewahrt sind das sollte eigentlich klar sein. (Leider 
gibt es Bibliothekare, die meinen, man kann gegen den Willen der 
Rechteinhaber so etwas gesetzlich durchsetzen, genau so wie es 
Verleger gibt, die Bibliotheken gar nicht zu beliefern gedenken. 
Beides kann ich nicht ernst
nehmen).

Bleibt also die Frage, wie eine Abgrenzung aussehen kann. Ich habe 
mich da an den Auftrag öffentlicher Bibliotheken gehalten, wie er vom 
Geldgeber, dem Steuerzahler bzw. seinem Vertreter formuliert wird. Da 
geht es dann zentral um Leseförderung und Bildung und um Teilhabe für 
die, die sonst von Information, Kultur und Bildung ausgeschlossen 
wären. Diese Formulierungen habe ich nicht erfunden, sondern gefunden. 
Das findet sich fast wörtlich auch bei den Statements der IFLA.

Dass ich das als denkbare Abgrenzung ausgesprochen habe, damit ziehe 
ich mir nun den Zorn aller zu. Wie blöd. Ich bin dankbar für jede 
bessere Lösung. Aber wie oben gesagt, wer keine Lösung anstrebt und 
das im Konflikt zu lösen gedenkt, den nehme ich nicht ernst.

Mein Vorschlag war: dicht am formulierten Auftrag wird der Kreis der 
Nutzer immer weiter gezogen und der Tarif für die Bibliothek 
entsprechend ausgerichtet.
Das beginnt mit der Nutzung im Lesesaal, was praktisch keine 
Ausleihe ist und von den Verlagen quasi kostenlos angeboten werden 
könnte.
Dann folgen die Kinder und Jugendlichen in der Kommune sowie die 
sozial Schwachen in der Kommune. Hier sehe ich keine Konkurrenz zu 
Geschäftsmodellen von Verlagen und der Tarif könnte entsprechend sehr 
niedrig sein.
Danach kommen die normalen Bürger einer Kommune. Hier ist die 
Konkurrenz zu Verlagsangeboten direkt, die Vertriebsleistung der 
Bibliothek aber auch zu bewerten, der Tarif müsste irgendwo  in der 
Mitte liegen.
Und schließlich kommen Nutzer außerhalb der Kommune, hier wäre der 
Tarif etwa identisch mit dem aus einem kommerziellen Modell.
Es wäre nun Aufgabe der Kommune zu entscheiden, wie weit sie den 
Bildungsauftrag ihrer Bibliothek fassen wollen, was sie als originäre 
Aufgabe einer Kommune betrachten.

Es mag vielleicht eine ungewohnte Diskussion sein. Aber kommen wir 
gemeinsam wirklich drum herum?
Die Situation ist auch neu. Im Bereich gedruckter Bücher haben 
Verleger eigentlich nie eine Konkurrenzsituation gesehen und die 
Leistungen der Bibliotheken zur Leseförderung, kulturellen und 
Bildungsarbeit geschätzt und gefördert. Bei E-Books ist eine ganz 
andere Nutzungssituation gegeben. Das zu leugnen bringt auch nicht 
weiter.

Im übrigen werden Autoren umsatzbezogen honoriert, wenn also ein 
kommerzielles Mietmodell entsteht, dann werden die Autoren an den 
Erlösen daraus beteiligt, verdienen also an jeder Ausleihe. Das ist 
kein Thema der Verwertungsgesellschaft, meines Wissens...

Herzliche Grüße
Matthias Ulmer



Sehr geehrter Herr Ulmer,

dass das heute kaum noch jemand weiß, dass Projekte wie ADONIS, 
ARTEMIS, APOLLO etc. schon vor rund einem viertel Jahrhundert dazu 
gedacht waren, über ein europäisches Document Delivery die Bibliotheken 
auszuhebeln, erlaubt noch nicht, diese massiven Angriffe der Verlage zu 
leugnen. Denn dazu haben wir Bibliotheken, um soetwas noch nachlesen zu 
können - ohne dass ihnen inzwischen die Nutzungsrechte entzogen wurden.

Ich kann verstehen, dass die großen Verlage Google fürchten, gerade 
weil Google selbst einerseits wie ein großer Verlag agiert und 
andererseits wie eine Digitale Bibliothek. Schon die ersten Hosts, wie 
BRS, Dialog, SDC oder DIMDI haben sich vor rund vierzig Jahren 
angeschickt elektronische Bibliotheken zu werden. Damals fing 
insbesondere Elsevier an sich zu wehren, weil die Bibliotheken 
reihenweise bei Excerpta Medica ausstiegen um EMBASE zu nutzen. Das 
waren für Excerpta Medica erhebliche finanzielle Einbrüche. Danach hat 
Elsevier und ISI alles in Bewegung gesetzt, um letztendlich die Macht 
der Verlage zu stärken. Dafür fanden sie damals viel (aus heutiger Sicht 
zu viel) Verständnis, weil man sich damals ein Internet von heute noch 
nicht vorstellen konnte.

Das Monopol von Google fürchten wir alle berechtigter Weise. Aber 
Tatsache ist auch, dass der Kampf etlicher Verlage gegen Google den 
Vortschritt in der Gesellschaft massiv bremst, weil diese Verlage nicht 
mehr an der Verbreitung von Wissen, sondern an seiner zunehmenden 
Verknappung interessiert sind.

Aus meiner Sicht sollte man unter dem Aspekt der "Nationalökonomie des 
Geistes" und dem internationalen Wettbewerb im Wissenserwerb auch solche 
( 
www.theatlantic.com/technology/archive/2012/09/california-takes-a-big-step-forward-free-digital-open-source-textbooks/263047/#
 
) Entwicklungen genauer im Auge behalten.

MfG

Walther Umstätter


Am 11.10.2012 um 15:25 schrieb Eric Steinhauer 
<eric.steinhauer@xxxxxxxxxxxxxxxx>:

Liebe Liste,

in einer Pressemitteilung auf börsenblatt.net, in der ein neues
Geschäftsmodell für die Direkt-Ausleihe von eBooks über Verlage 
bzw.
Verwerter direkt an Leser vorgestellt wird, spricht Herr Ulmer vom
Börsenverein bemerkenswerten Klartext:

"Längst sprächen die Bibliotheken nicht mehr ihre ursprüngliche, 
eher
einkommensschwache Zielgruppe an, sondern einen wesentlich größeren
Nutzerkreis."
Quelle: http://www.boersenblatt.net/552865/

Öffentliche Bibliotheken sind also für sozialschwache 
Bevölkerungskreise
da. Wer den hermeneutischen Schlüssel für die Unterfinanzierung von
Bibliotheken im Vergleich zur so genannten Hochkultur sucht, hier 
ist
er. Bibliotheken sind nicht Bildungs- oder Kultureinrichtungen, wie 
man
immer denkt, sondern ressortieren offenbar bei der Armenfürsorge. 
Da die
Sozialbudgets bekanntlich die größten sind, sind das doch tolle 
Aussichten.

Außerdem können sich interessante neue Kooperationsmöglichkeiten 
mit dem
Buchhandel ergeben, denn die örtliche "Büchertafel" nimmt sicher 
gerne
Ladenhüter und Remittenden, die die Besserverdienenden nicht haben
wollen, in ihren Bestand auf. Geschenkt, versteht sich. :)

Viele Grüße
Eric Steinhauer

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