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Re: [InetBib] Warnung vor Wegfall § 52a Urheberrechtsgesetzes am 31.12.2012



Lieber Kollege Kuhlen,

ich denke auch, dass es darum geht „ein umfassendes Bildungs- und  
Wissenschaftsprivileg für eine freie Nutzung zumindest des mit 
öffentlichen Mitteln unterstützten und publizierten Wissens zu 
erreichen.“

Im Prinzip ist es doch einfach. Das publizierte Wissen der Welt muss 
allgemein verfügbar sein, weil anderenfalls nicht alle dabei helfen 
können, die dringendsten Probleme von heute zu lösen. Das gilt 
insbesondere für die totalitären Staaten, die durch ihre Ideologie die 
jeweiligen Bevölkerung bis zum Zusammenbruch zu verdummen versuchen.

Das war auch der Grund, warum die USA nach dem zweiten Weltkrieg den 
free flow of information  u.a. mit der Amerika Gedenkbibliothek nach 
Deutschland brachten und warum es 1974 zum IuD-Programm kam. Der Mangel 
an Informationsfreiheit war damals als der eigentliche Grund für die 
Nazi-Erfolge erkannt worden.

Die Zahl unserer Probleme wächst seit Jahrhunderten in erster Näherung 
konstant mit einer Verdopplungsrate von 20 Jahren, ebenso wie die Zahl 
der Wissenschaftler.

Die Notwendigkeit einer öffentlichen Zugänglichmachung von allgemein 
wichtiger publizierter Information für Unterricht und Forschung ist und 
bleibt also eine Selbstverständlichkeit.

Länder die diese Selbstverständlichkeit missachten, spüren es früher 
oder später bei den Defiziten ihrer „Nationalökonomie des Geistes“ (A. 
v. Harnack 1921).

Es ist sicher kein Versehen, dass in den USA z.Z. eine Online Education 
for free entsteht.
www.npr.org/2012/09/30/162053927/online-education-grows-up-and-for-now-its-free

Dass es demgegenüber Menschen gibt, die das Wissen verknappen möchten, 
um daraus Kapital zu schlagen, liegt nahe. Dass sie dies mit der 
Erklärung tun, das Geld, dass sie zum Wissenserwerb investiert haben, 
zurück zu gewinnen bzw. für neue Investitionen noch mehr zu akquirieren, 
erscheint zunächst logisch, ist es aber nicht. Insbesondere die 
Argumentation, dass die Zahl der Kopien einer Publikation irgendetwas 
mit dem Aufwand der Wissensvermehrung, der Qualität des Wissens oder dem 
Wissensfortschritt zu tun habe ist völlig abwegig.

Wie allgemein bekannt, stammt diese Kostenerstattung für jede Kopie aus 
der Zeit, als Verlage ihr investiertes Geld zurück gewinnen mussten. 
Ebenso bekannt ist, dass die immensen Kosten der Wissenschaft in keiner 
Relation zu den Kosten einer Buch- oder Zeitschriftenproduktion steht. 
Es ist reiner Lobbyismus zu behaupten, dass Autoren durch 
Verlagsprodukte für ihre Leistung entlohnt werden.

Das publish or perish hat einen völlig anderen Hintergrund. Wenn 
wissenschaftliche Autoren es nicht schaffen, durch ihre Publikationen 
die Fachwelt davon zu überzeugen, dass ihre weitere Arbeit gefördert 
werden sollte, scheitern sie. Das hat wenig mit der Redundanz einer 
Information zu tun, die ein Verleger für sie erzeugt. Im Gegenteil. In 
erster Näherung gilt, die größten Dummheiten in Massenmedien haben die 
höchsten Auflagen.

Wirklich wissenschaftliche Arbeiten zeichnen sich weniger durch hohe 
Auflagen aus, sondern eher dadurch, dass sie nur eine kleine Minderheit 
von Spezialisten verstehen. Erst wenn diese kleine aber kritische Masse 
reagiert, kommt es zu einer Kettenreaktion, von der die allgemeine 
Gesellschaft Kenntnis nimmt. Was dann alles über die Urheber behauptet 
und publiziert wird, hat auch immer weniger mit diesen Autoren und ihren 
Erkenntnissen zu tun. Man sehe sich nur an, was alles über Einstein und 
seine Relativitätstheorie schon an Unsinn publiziert wurde.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass Verlage die zur Verbreitung einer 
Information Geld investieren, auch das Recht haben müssen, dies 
inklusive ihrer Risikoabschätzung zurück zu gewinnen. Aber es hört sich 
schon recht monopolkapitalistisch an, wenn es in § 52a
heißt: „Der Anspruch kann nur durch eine Verwertungsgesellschaft 
geltend gemacht werden.“ Damit wird deutlich, wer an diesem Paragraphen 
das größte Interesse hat. Das sind eindeutig nicht die Urheber.

In § 52a geht es im Prinzip nicht darum, dass ein Verlag investiert hat 
und dieses Geld zurück gewinnt, sondern darum, dass Menschen auf eigene 
Kosten kopieren und damit die Bekanntheit des Urhebers erhöhen, indem 
sie sich mit seinem geistigen Eigentum kritisch auseinandersetzen. Nicht 
selten liegt der Wissenszuwachs in Schulen und Hochschulen darin, dieses 
geistige Eigentum des Urhebers ad absurdum zu führen. Man erinnere sich 
nur an den geballten Unsinn im „Dritten Reich“, den wir seit Jahrzehnten 
im Geschichtsunterricht nur lernen, damit sich so etwas nicht 
wiederholt.

Wir übernehmen mit jedem Wissen auch die Verantwortung dafür, so dass 
wir schon als Schüler zu kritischem Denken erzogen werden, und gerade in 
der Geschichte gibt es viel, was sich bekanntlich nie wiederholen darf 
und wovon wir uns distanzieren.

Auch wenn ich befürchte, dass M. Gandhi nicht ganz Unrecht hatte als er 
sagte: „Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die 
Menschen nichts lehrt.“, weil sie die Geschichte zu oft falsch 
interpretieren, so geben wir die Hoffnung auf Wissenszuwachs in der 
Menschheit berechtigterweise nicht auf. A. Hitler war beispielsweise gar 
kein Judenhasser. Er missbrauchte ihre Existenz nur um alle Fehler auf 
sie zu schieben, und er war sich sicher, dass diese Lüge so infam war, 
dass kaum jemand glauben konnte, dass er so dreist lügt. Man kann das in 
„Mein Kampf“ nachlesen.
S. 129 „Es gehört zur Genialität eines großen Führers, selbst 
auseinanderliegende Gegner immer als nur zu einer Kategorie gehörend 
erscheinen zu lassen, weil die Erkenntnis verschiedener Feinde bei 
schwächlichen und unsicheren Charakteren nur zu leicht zum Anfang des 
Zweifels am eigenen Rechte führt.
Sowie die schwankende Masse sich im Kampfe gegen zu viele Feinde sieht, 
wird sich sofort die Objektivität einstellen und die Frage aufwerfen, ob 
wirklich alle anderen unrecht haben und nur das eigene Volk oder die 
eigene Bewegung allein sich im Rechte befinde“

Er hielt einen solchen Schwachsinn wirklich für Genialität und 
veröffentlichte ihn deshalb. So wie er ohnehin der Objektivität den 
Kampf angesagt hat.
S. 124 Man „verpeste nicht schon die Kinderherzen mit dem Fluche 
unserer Objektivität“. Das war die Grundlage, bestimmte publizierte 
Informatioenen später unter Todesstrafe zu stellen.

Die Masse fällt  „mithin bei der primitiven Einfalt ihres Gemütes einer 
großen Lüge leichter zum Opfer ... als einer kleinen.“ S. 252

Darf dieser Schwachsinn unter Verschluss gehalten werden, so dass die 
Schüler von heute die Entstehung des Desaster von damals kaum wirklich 
nachvollziehen können, und nicht begreifen können, dass die 
Judenverfolgung von Anfang an eine abgekartete Sache zur Machtergreifung 
war. Mit Rassenhass hatte das nur insofern zu tun, als dieser für die 
eigenen Interessen ausgebeutet werden konnte. Das publizierte Wissen der 
Welt (nicht alles Wissen der Welt) ist ein Öffentliches Gut und muss 
allen Menschen zur Verfügung stehen. Nur so kann rasch falsifiziert 
werden, was falsch ist.

Mit freundlichen Grüßen

Walther Umstätter


Am 02.10.2012 08:37, schrieb Rainer Kuhlen:
Habe dazu in Facebook (http://www.facebook.com/rainer.kuhlen) 
geschrieben:

Die Fachwelt (z.B. Kanzler der Universitäten, Fachverbände wie der 
dbv
oder das Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft")
macht sich derzeit einige Sorgen, ob im Urheberrecht die sogenannte
Wissenschaftsschranke (§ 52a UrhG) erhalten bleibt.

Wenn nichts passiert, fällt 52a mit Ende des Jahres weg. Das wäre 
nichts
Anderes als eine Katastrophe für Bildung und Wissenschaft. Das
Justizministerium hat mehrfach in Aussicht gestellt, dass der 
Paragraph
verlängert wird. Nun drängt die Zeit, und niemand weiss, um welche 
Frist
erneut verlängert werden soll; erst recht nicht, wie das jetzt noch
verfahrensmäßig umgesetzt werden soll.

Fast, aber nicht ernsthaft, könnte man sich eine Politik des
An-die-Wand-Fahrens wünschen (also das Nichtstun), damit der breiten
Öffentlichkeit bei Wegfall von 52a bewusst wird, wie sträflich die
regierende Politk die Interessen von Bildung und Wissenschaft in 
Sachen
Urheberrecht vernachlässigt.

Es geht Bildung und Wissenschaft eigentlich gar nicht mehr um eine
Verlängerung eines an sich schlechten unzureichenden Paragraphen,
sondern darum endlich ein umfassendes Bildungs- und
Wissenschaftsprivileg für eine freie Nutzung zumindest des mit
öffentlichen Mitteln unterstützten und publizierten Wissens zu
erreichen. Aber natürlich - erst einmal sollte doch die Minimallösung
52a weiterbestehen. Muss doch möglich sein!

RK

Am 02.10.2012 01:14, schrieb Upmeier Arne Dr. TU Ilmenau:
Sehr geehrter Herr Prof. Kummer,

das mögliche Auslaufen von § 52a UrhG zum Jahresende ist tatsächlich 
das derzeit dringendste unter den vielen Problemen mit dem deutschen 
Urheberrecht. Der dbv hat deshalb frühzeitig und immer wieder bei der 
Politik vorgesprochen.
Die Informationen sind derzeit wie folgt: Das 
Bundesjustizministerium hat dem dbv bereits im Juni mündlich und 
schriftlich versichert, dass eine Verlängerung von § 52a UrhG um "zwei 
bis drei Jahre" kommen werde (!). Ebenfalls bereits im Juni hat der 
dbv darauf hingewiesen, dass ein entsprechender Gesetzesentwurf dann 
möglichst zügig auf den Weg gebracht werden müsse ("noch vor der 
Sommerpause, damit der Entwurf rechtzeitig durchs Kabinett geht"). 
Auch Parlamentarier beider Regierungsfraktionen haben dem dbv auf 
Nachfrage versichert, dass eine Verlängerung gewollt ist - wobei 
allerdings noch umstritten ist, ob um zwei oder drei Jahre.

Für ein "ordentliches" Gesetzgebungsverfahren ist es inzwischen aber 
tatsächlich zu spät. (Der Entwurf müsste dafür erst in die 
Ressortabstimmung, dann ins Kabinett, dann in den Bundestag mit den 
zuständigen Ausschüssen und in den Bundesrat. In den zwölf 
verbleibenden Wochen ist dies nicht zu schaffen. Alleine der Bundesrat 
hätte sechs Wochen Zeit für eine Stellungnahme).

Es gibt jedoch noch zwei "zeitsparende" Möglichkeiten, die im Moment 
in Berlin wohl gerade beide erwogen werden. Entweder könnte es eine 
Gesetzgebungsinitative aus dem Bundestag geben oder ein "Aufsatteln" 
auf ein bereits laufendes Gesetzgebungsverfahren zu einem ähnlichen 
Thema. (Eine gut verständliche Erklärung des "Aufsattelns" findet sich 
z.B. bei Eric Steinhauer 
http://www.zlb.de/aktivitaeten/bd_neu/heftinhalte2011/Recht020111_BD.pdf 
ab S. 84).

Ich persönlich gehe derzeit davon aus, dass § 52a UrhG so oder so 
rechtzeitig vor Jahresende verlängert wird, vermag aber keine Prognose 
abzugeben, ob um ein oder zwei Jahre.
Sinnvollere Alternativen, wie die völlige Entfristung und Ausweitung 
des Paragraphen sind leider chancenlos.

Mit freundlichen Grüßen,

Arne Upmeier

--
Dr. Arne Upmeier

Universitätsbibliothek Ilmenau
Dezernent Benutzung
Fachreferent für Wirtschaft und Recht
Ausbildungsleitung
Langewiesener Str. 37
DE - 98693 Ilmenau
Tel.: 03677/69-4534, Fax.: 03677/69-4530
E-Mail: arne.upmeier@xxxxxxxxxxxxx


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx 
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Kummer
Gesendet: Freitag, 28. September 2012 21:55
An: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: [InetBib] Warnung vor Wegfall § 52a Urheberrechtsgesetzes 
am 31.12.2012

Noch 12  Wochen bis zum Wegfall § 52a UrhG !

In der Zeitschrift "Die neue Hochschule DNH" Bonn 2012-4, S. 126,  
ISSN 0340-448X warnen die Hochschulkanzler  "vor  massiven 
Einschnitten in die Qualität und Freiheit der Lehre sowie vor einem 
erheblichen Kostenanstieg für die Hochschulen" unter der Überschrift 
"Änderung des Urheberrechtsgesetzes gefährdet die Freiheit der Lehre"
"Die für Ende des Jahres vorgesehene Streichung des § 52a des 
Urheberrechtsgesetzes (UrhG) bringt schwerwiegende Konsequenzen für 
die Hochschulen mit sich. Lehrende werden künftig einen hohen 
administrativen Auswand betreiben müssen, um urheberrechtlich 
geschützte Werke in Lehre und Forschung nutzen zu können.
Darüber hinaus wird die Kostenerhebung zu einer gesteigerten 
Verwendung kostengünstiger Literatur führen, was laut Bernd Klöver, 
Sprecher der Hochschulkanzler Deutschlands und Kanzler der HAW 
Hamburg, an eine Zensur der Lehre grenzt. Selbst wenn die Abrechnung 
über eine Pauschale erfolge, sei mit so hohen Kosten zu rechnen, dass 
den Hochschulen die Finanzierung nur aufgrund von Personaleinsparungen 
möglich sein werde.
Seit 2003 ermöglicht §52a UrhG die Nutzung kleiner Teile 
elektronisch veröffentlichter Materialien in Forschung und Lehre. 
Diese Regelung dient dazu, einem abgrenzbaren Kreis von Studierenden 
Inhalte zu veranschaulichen und für die eigene wissenschaftliche 
Forschung zur Verfügung zu stellen, solange keine kommerziellen Zwecke 
verfolgt werden. Auf Drängen der Wissenschaftsverlage und des 
Börsenvereins des deutschen Buchhandels wurde die Gültigkeitsdauer des 
§ 52a UrhG vom Bundestag begrenzt, derzeit bis Ende 2012. Die bisher 
von den Ländern als Pauschale gezahlten Kosten für die Nutzung 
urheberrechtlich geschützter Werke gehen auf die Hochschulen über.
Den Kanzlerinnen und Kanzlern zufolge ist dies weder den Hochschulen 
insgesamt noch den individuell Betroffenen zuzumuten.
Grundsätzlich sei ein offener Zugang zu sämtlichem vorhandenen und 
publizierten Wissen inklusive seiner kostenfreien Nutzung für eine 
optimale Qualität in Lehre und Forschung an den Hochschulen 
erforderlich. Da dieses Ziel jedoch offenbar in weiter Ferne liege, 
müsse im Sinne einer Minimallösung wenigstens § 52a UrhG dauerhaft 
bestehen bleiben. Für die Aufrechterhaltung des Forschungs- und 
Lehrbetriebs und insbesondere die Etablierung der 
ELearning-Aktivitäten sei zumindest die ohnehin sehr restriktiv 
formulierte Sonderregelung unverzichtbar.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat in 
einer ersten Reaktion mitgeteilt, dass sie sich für eine Verlängerung 
der Geltungsdauer dieser Regelung einsetzen wird.
Hochschulkanzler"

Gibt es eine berechtigte Aussicht auf Verlängerung der Frist 
innerhalb der nächsten 12 Wochen?
Wenn nicht, was dann? Welche konkreten Konsequenzen sind zu 
erwarten?
"Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.
Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue der Verfassung" 
(GG Art. 5/3) Wird die Verfassung  die Freiheit der Lehre  schützen?

Prof. em. Dietmar Kummer
Stuttgarter Allee 18
04209 LEIPZIG
0341-4223102 Rudoskar@xxxxxxxxxxxx

--
http://www.inetbib.de


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Prof. Dr. Rainer Kuhlen
Department of Computer and Information Science
University of Konstanz, Germany

Website: www.kuhlen.name
Email: rainer.kuhlen@xxxxxxxxxxxxxxx
Skype: rainer.kuhlen - Blog: www.netethics.net

Prof. Dr. Rainer Kuhlen
Rochstr. 4 - 10178 Berlin, Germany
0049 (0)30 27594241
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