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Re: [InetBib] BGH und EuGH bzgl. 52b



Lieber Herr Müller,

ich bin da optimistischer als Sie, ein so grundsätzlicher Wechsel in der 
Rechtskultur scheint mir ein Brett, das noch dicker ist als eine Reform des 
Urheberrechts. Da bin ich zuversichtlich, dass Justizminister, die nicht einmal 
Körbchen tragen können, solche Reformen gar nicht erst angehen.

Es erstaunt mich allerdings schon, wie besinnungslos gerade nach einem Fair use 
gerufen wird. Das Verfahren um Google Books sollte ja zeigen, dass Fair use in 
Punkto Rechtssicherheit und Geschwindigkeit nicht das überlegene System ist. 
Wer hätte das gedacht, dass das alte Europa schneller eine Regelung für 
verwaiste Werke hinbekommt als Google die entsprechenden Inhalte legal auf den 
Schirm.
Wenn gerade in den Medien ständig wiederholt wird, dass ein Urheberrecht für 
den Nutzer verständlich sein muss, damit es überhaupt den Anspruch auf 
Gültigkeit haben kann, dann wäre das ja ein ganz grundsätzliches Argument gegen 
Fair use. Hatte nicht kürzlich eine amerikansiche Professorin in Deutschland 
über Fair use gesprochen und zur Veranschaulichung eine lIste von 300 Cases 
mitgebracht, die zeigen sollen, wie Fair use von den Gerichten ausgelegt wird? 
Bevor man das gelesen hat hat man unsere Schranken in drei Sprachen auswendig 
gelernt. 

Da zitiere ich sie einmal verfälschend:

Die bisherige Lösung urheberrechtlicher Konflikte durch eine immer weiter 
zerfasernde Detailbeschreibung von Sachverhalten in Paragraphen CASES scheint 
ja zum Scheitern verurteilt zu sein, wie die gegenwärtigen Diskussionen zeigen. 

Übrigens fahren Verlagsleiter nicht Porsche sondern Maserati. Porsche fahren 
unsere Angestellten.

Freundlich grüßt
Matthias Ulmer

_________________________________________________________________
Verlag Eugen Ulmer
Matthias Ulmer
Postfach 700561 - 70574 Stuttgart
Wollgrasweg 41 - 70599 Stuttgart-Hohenheim
Tel: +49 (0)711-4507-164
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Eugen Ulmer KG
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Geschäftsführer: Matthias Ulmer





Am 21.09.2012 um 09:03 schrieb Müller, Harald:

Sehr geehrter, lieber Herr Ulmer!

Tja, die Zukunft des Urheberrechts in Europa wird genauso aussehen, wie Sie 
es in Ihrer Mail andeuten. Es mehren sich die Stimmen, die das Urheberrecht 
dahingehend umformen wollen, daß in Normen (Gesetzen) nur noch allgemeine 
Rechtsbegriffe enthalten sein sollen, die dann am konkreten Sachverhalt durch 
ein Gericht zu überprüfen wären. Im anglo-amerikanischen Recht macht man das 
seit jeher so mit z.B. dem Begriff "fair use". Darunter wird dann etwa das 
Zitatrecht subsumiert. Fragen Sie mal ihre Schwester, die kann Ihnen das 
bestimmt noch viel besser erklären als ich armer Provinzbibliothekar.

Die bisherige Lösung urheberrechtlicher Konflikte durch eine immer weiter 
zerfasernde Detailbeschreibung von Sachverhalten in Paragraphen scheint ja 
zum Scheitern verurteilt zu sein, wie die genwärtigen Diskussionen zeigen. 
Das Urheberrecht versagt in seiner aktuellen Ausformung vor den digitalen 
Medien und Techniken.

Deshalb empfehle ich allen Verlagen und dem Börsenverein, möglichst schnell 
ausreichend finanzielle Rücklagen für die auf Sie zukommenden Prozesse zu 
bilden. Schluß mit den Porsches für Verlagsleiter!

Ach ja, damit keine Unklarheiten bestehen: Ich fordere nachdeücklich alle 
Bibliotheken, Archive, Bildungseinrichtungen usw. Auf sich im Sinne des 
zivilen Ungehorsams zu betätigen und keinem, aber auch wirklich keinem Prozeß 
um Urheberrechtsfragen aus dem Weg zu gehen.

Bibliotheken vor die Gerichte!!!

MfG


Dr. Harald Müller

Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht / 
Bibliothek
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law / 
Library
Im Neuenheimer Feld 535; D-69120 Heidelberg
Phone: +49 6221 482 219; Fax: +49 6221 482 593
Mail: hmueller@xxxxxxx

-----Original Message-----
From: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx 
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] On Behalf Of Matthias Ulmer
Sent: Friday, September 21, 2012 12:34 AM
To: Internet in Bibliotheken
Subject: Re: [InetBib] BGH und EuGH bzgl. 52b

Vor der Gesetzesformulierung hatten Bibliotheksverband und Verlegerverband 
eine gemeinsame Formulierung gefunden, mit der beide Seiten leben konnten. 
Dann hat der Gesetzgeber einen Text erlassen, der voller Ungereimtheiten ist. 
Nun müssen wir mit hohen Kosten klären lassen, wie das in der Praxis zu 
verstehen ist. Und selbst der BGH kann nicht mehr tun, als wie schon die 
Land- und Oberlandesgerichte: den Gesetzestext kopfschüttelnd interpretieren 
und auf die Ungereimtheiten hinweisen. Es wird einen weiteren sechsstelligen 
Betrag kosten, weitere drei Jahre dauern, bis der EuGH die Auslegung und 
Übersetzung der Richtlinie geprüft und beurteilt hat, bevor die Sache ein 
Ende findet. Im Beschluss des BGH eine Überraschung zu erhoffen, das ist 
Fantasie. Wenn es daraus etwas zu lernen gibt, dann ist es die Tatsache, dass 
gemeinsame Gespräche und Lösungen immer besser sind als später Konflikte 
auszutragen. Vorausgesetzt, der Gesetzgeber übernimmt sie dann auch. Wenn sie 
mit Einigkeit vorgetragen werden, dann ist die Chance immerhin größer, eine 
Garantie leider auch nicht. Aber Konflikt statt Gespräch schadet in jedem 
Fall den gemeinsamen Interessen, auf die wir uns konzentrieren sollten: 
Verbesserung der Situation von Entstehung und Angebot von qualitativ 
hochwertigen Lehrmedien für Studenten.

Matthias Ulmer



Am 21.09.2012 um 00:11 schrieb Dietrich Pannier <dietrich.pannier@xxxxxx>:

Am 20.09.2012 18:36, schrieb Klaus Graf:
Aus der PM geht ja nun eindeutig hervor, dass der Wortlaut
des Beschlusses vorliegen muss, sonst haette er nicht
vorgelegt werden koennen oder seh ich da was falsch? Anders
als das Bundesverfassungsgericht ist der BGH regelmaessig
unorganisiert genug, Nutzer auf den Volltext sehr lange
warten zu lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ist es nicht immer wieder erstaunlich, dass Personen in der Lage sind, 
auch die verstecktesten Fehler von Bibliotheken zu finden und Ihnen 
unter die Nase zu halten, während es Ihnen in rechtlichen Dingen nicht 
gelingt, die eiligst aufgestellten Schmähungen auch nur ansatzweise mit 
einer einfachen Recherche über das Zivilprozessrecht wenigstens ein 
wenig abzusichern?

Ich gestatte mir daher heute ein wenig Werbung für die Justiz zu machen.

Wie würden sie es finden, wenn Sie als Parteien an einem Tag wie heute 
vor einem Bundesgericht grundsätzliche Rechtsfragen verhandelten, Ihre 
Rechtsanwälte gegenseitig alle ihre schlagenden Argumente vorbringen und 
am Ende zieht sich das Gericht zurück, berät mehrere Stunden die an 
diesem Tag verhandelten vier Verfahren und am Ende präsentiert das 
Gericht am Abend in zwei dieser Rechtssachen nicht nur 
Presseerklärungen, sondern auch noch mehrseitige und genau 
ausformulierte Entscheidungen, von denen eine gar eine Vorlage an den 
EuGH auf den Weg schickt?

So mag sich Klein-Fritzchen die Justiz vorstellen, aber hätten Sie da 
nicht Zweifel, wofür die Verhandlungsgefechte überhaupt stattfanden, 
wenn der Senat die Dinge doch in so kurzer Zeit schon so ausformuliert 
präsentieren kann?
Die Wirklichkeit ist eben anders. Der Senat hat sich natürlich bis zur 
Verhandlung die Rechtssache gründlich angesehen, es gibt auch regelmäßig 
einen Entscheidungsvorschlag (Votum) des Berichterstatters. Der Senat 
verkündet aber am Verhandlungstag die Entscheidung nur in ihren 
Grundzügen und benötigt danach etliche Zeit, damit sich die fünf an der 
Verhandlung teilhabenden Richter auf einen gemeinsamen Text einigen 
können, den Sie dann zu unterschreiben haben.

Die Frage kann also gar nicht lauten "warum nicht sofort", sondern nur 
"bis wann?"

Die ständige Rechtsprechung greift immer wieder auf eine Entscheidung 
des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zurück, auf 
die man im Internet auch mehrfach als Zitat
(z.B. bei 
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.pyGericht=bgh&Art=en&sid=f2c7817269498066e813050b3fd7075f&nr=57920&pos=0&anz=1)
stößt und die z.B. in der Neuen Juristischen Wochenschrift des Jahres 
1993 auf S. 2603 abgedruckt ist.
Sie findet sich aber auch als schlichter Text im Internet unter 
http://www.betriebsraete.de/Gem.Sen.OGB/GmS-OGB%201-92.txt

Darin hat dieser Spruchkörper, in den alle Obersten Gerichtshöfe des 
Bundes Teilnehmer entsenden (weshalb er auch sehr selten zusammentritt) 
ausgeführt:

"Ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil ist i. S. 
des § VwGO § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand 
und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung 
schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und 
der Geschäftsstelle übergeben worden sind."
Dieser Rechtsgrundsatz gilt, da ihn der GmSOGB so entschieden hat, auch 
für die Zivilgerichte, die nach der ZPO verfahren welche die gleichen 
Grundsätze kennt.

(siehe weiteres auch bei 
http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=GmS-OGB%201/92)

Ich möchte für alle Beteiligten hoffen, dass der I. Zivilsenat des BGH 
von dieser Frist nicht sehr viel nutzt, es besteht aber nun rechtlich 
und tatsächlich kein Anlass, ihn und das ganze Gericht am Tage der 
Verhandlung für einen fehlenden Text zu schmähen.

Dietrich Pannier

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