Sehr geehrter, lieber Herr Ulmer!
Tja, die Zukunft des Urheberrechts in Europa wird genauso aussehen, wie Sie
es in Ihrer Mail andeuten. Es mehren sich die Stimmen, die das Urheberrecht
dahingehend umformen wollen, daß in Normen (Gesetzen) nur noch allgemeine
Rechtsbegriffe enthalten sein sollen, die dann am konkreten Sachverhalt durch
ein Gericht zu überprüfen wären. Im anglo-amerikanischen Recht macht man das
seit jeher so mit z.B. dem Begriff "fair use". Darunter wird dann etwa das
Zitatrecht subsumiert. Fragen Sie mal ihre Schwester, die kann Ihnen das
bestimmt noch viel besser erklären als ich armer Provinzbibliothekar.
Die bisherige Lösung urheberrechtlicher Konflikte durch eine immer weiter
zerfasernde Detailbeschreibung von Sachverhalten in Paragraphen scheint ja
zum Scheitern verurteilt zu sein, wie die genwärtigen Diskussionen zeigen.
Das Urheberrecht versagt in seiner aktuellen Ausformung vor den digitalen
Medien und Techniken.
Deshalb empfehle ich allen Verlagen und dem Börsenverein, möglichst schnell
ausreichend finanzielle Rücklagen für die auf Sie zukommenden Prozesse zu
bilden. Schluß mit den Porsches für Verlagsleiter!
Ach ja, damit keine Unklarheiten bestehen: Ich fordere nachdeücklich alle
Bibliotheken, Archive, Bildungseinrichtungen usw. Auf sich im Sinne des
zivilen Ungehorsams zu betätigen und keinem, aber auch wirklich keinem Prozeß
um Urheberrechtsfragen aus dem Weg zu gehen.
Bibliotheken vor die Gerichte!!!
MfG
Dr. Harald Müller
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht /
Bibliothek
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law /
Library
Im Neuenheimer Feld 535; D-69120 Heidelberg
Phone: +49 6221 482 219; Fax: +49 6221 482 593
Mail: hmueller@xxxxxxx
-----Original Message-----
From: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] On Behalf Of Matthias Ulmer
Sent: Friday, September 21, 2012 12:34 AM
To: Internet in Bibliotheken
Subject: Re: [InetBib] BGH und EuGH bzgl. 52b
Vor der Gesetzesformulierung hatten Bibliotheksverband und Verlegerverband
eine gemeinsame Formulierung gefunden, mit der beide Seiten leben konnten.
Dann hat der Gesetzgeber einen Text erlassen, der voller Ungereimtheiten ist.
Nun müssen wir mit hohen Kosten klären lassen, wie das in der Praxis zu
verstehen ist. Und selbst der BGH kann nicht mehr tun, als wie schon die
Land- und Oberlandesgerichte: den Gesetzestext kopfschüttelnd interpretieren
und auf die Ungereimtheiten hinweisen. Es wird einen weiteren sechsstelligen
Betrag kosten, weitere drei Jahre dauern, bis der EuGH die Auslegung und
Übersetzung der Richtlinie geprüft und beurteilt hat, bevor die Sache ein
Ende findet. Im Beschluss des BGH eine Überraschung zu erhoffen, das ist
Fantasie. Wenn es daraus etwas zu lernen gibt, dann ist es die Tatsache, dass
gemeinsame Gespräche und Lösungen immer besser sind als später Konflikte
auszutragen. Vorausgesetzt, der Gesetzgeber übernimmt sie dann auch. Wenn sie
mit Einigkeit vorgetragen werden, dann ist die Chance immerhin größer, eine
Garantie leider auch nicht. Aber Konflikt statt Gespräch schadet in jedem
Fall den gemeinsamen Interessen, auf die wir uns konzentrieren sollten:
Verbesserung der Situation von Entstehung und Angebot von qualitativ
hochwertigen Lehrmedien für Studenten.
Matthias Ulmer
Am 21.09.2012 um 00:11 schrieb Dietrich Pannier <dietrich.pannier@xxxxxx>:
Am 20.09.2012 18:36, schrieb Klaus Graf:
Aus der PM geht ja nun eindeutig hervor, dass der Wortlaut
des Beschlusses vorliegen muss, sonst haette er nicht
vorgelegt werden koennen oder seh ich da was falsch? Anders
als das Bundesverfassungsgericht ist der BGH regelmaessig
unorganisiert genug, Nutzer auf den Volltext sehr lange
warten zu lassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist es nicht immer wieder erstaunlich, dass Personen in der Lage sind,
auch die verstecktesten Fehler von Bibliotheken zu finden und Ihnen
unter die Nase zu halten, während es Ihnen in rechtlichen Dingen nicht
gelingt, die eiligst aufgestellten Schmähungen auch nur ansatzweise mit
einer einfachen Recherche über das Zivilprozessrecht wenigstens ein
wenig abzusichern?
Ich gestatte mir daher heute ein wenig Werbung für die Justiz zu machen.
Wie würden sie es finden, wenn Sie als Parteien an einem Tag wie heute
vor einem Bundesgericht grundsätzliche Rechtsfragen verhandelten, Ihre
Rechtsanwälte gegenseitig alle ihre schlagenden Argumente vorbringen und
am Ende zieht sich das Gericht zurück, berät mehrere Stunden die an
diesem Tag verhandelten vier Verfahren und am Ende präsentiert das
Gericht am Abend in zwei dieser Rechtssachen nicht nur
Presseerklärungen, sondern auch noch mehrseitige und genau
ausformulierte Entscheidungen, von denen eine gar eine Vorlage an den
EuGH auf den Weg schickt?
So mag sich Klein-Fritzchen die Justiz vorstellen, aber hätten Sie da
nicht Zweifel, wofür die Verhandlungsgefechte überhaupt stattfanden,
wenn der Senat die Dinge doch in so kurzer Zeit schon so ausformuliert
präsentieren kann?
Die Wirklichkeit ist eben anders. Der Senat hat sich natürlich bis zur
Verhandlung die Rechtssache gründlich angesehen, es gibt auch regelmäßig
einen Entscheidungsvorschlag (Votum) des Berichterstatters. Der Senat
verkündet aber am Verhandlungstag die Entscheidung nur in ihren
Grundzügen und benötigt danach etliche Zeit, damit sich die fünf an der
Verhandlung teilhabenden Richter auf einen gemeinsamen Text einigen
können, den Sie dann zu unterschreiben haben.
Die Frage kann also gar nicht lauten "warum nicht sofort", sondern nur
"bis wann?"
Die ständige Rechtsprechung greift immer wieder auf eine Entscheidung
des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zurück, auf
die man im Internet auch mehrfach als Zitat
(z.B. bei
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.pyGericht=bgh&Art=en&sid=f2c7817269498066e813050b3fd7075f&nr=57920&pos=0&anz=1)
stößt und die z.B. in der Neuen Juristischen Wochenschrift des Jahres
1993 auf S. 2603 abgedruckt ist.
Sie findet sich aber auch als schlichter Text im Internet unter
http://www.betriebsraete.de/Gem.Sen.OGB/GmS-OGB%201-92.txt
Darin hat dieser Spruchkörper, in den alle Obersten Gerichtshöfe des
Bundes Teilnehmer entsenden (weshalb er auch sehr selten zusammentritt)
ausgeführt:
"Ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil ist i. S.
des § VwGO § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand
und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung
schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und
der Geschäftsstelle übergeben worden sind."
Dieser Rechtsgrundsatz gilt, da ihn der GmSOGB so entschieden hat, auch
für die Zivilgerichte, die nach der ZPO verfahren welche die gleichen
Grundsätze kennt.
(siehe weiteres auch bei
http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=GmS-OGB%201/92)
Ich möchte für alle Beteiligten hoffen, dass der I. Zivilsenat des BGH
von dieser Frist nicht sehr viel nutzt, es besteht aber nun rechtlich
und tatsächlich kein Anlass, ihn und das ganze Gericht am Tage der
Verhandlung für einen fehlenden Text zu schmähen.
Dietrich Pannier
--
http://www.inetbib.de
--
http://www.inetbib.de
--
http://www.inetbib.de