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Re: [InetBib] FAZ und taz zu open access



nun Rudolf Walther in der taz
<http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=ku&dig=2009%2F03%2F20%2Fa0133&cHash=878a0175af>:
 

Im Jahr 2005 kostete es die Universität Yale noch 4.648 Dollar,
ihren Forschern einen einzigen Artikel aus einer digital
erscheinenden hochspezialisierten biomedizinischen Zeitschrift
zugänglich zu machen. Ein Jahr später verlangten die
Quasi-Monopolisten 31.625 Dollar pro Artikel.

Hä??? Hier verstehe ich etwas nicht. Wie können solche Kosten
auflaufen?

Hier wird doch offenbar mit digitaler Publikation schwer Geld
verdient; von einem mittelständischen Unternehmen vermutlich, oder gar
von einem Weltkonzern. Dabei wird noch nicht einmal ein Baum gefällt.
Ist das deshalb weniger anständig, weil es digital abgewickelt wird
(da es anscheinend zu verteidigen gilt, Gewinne zu machen)? Was hat
das mit Open Access zu tun?

Ich hatte darunter bisher verstanden, daß die Publikation elektronisch
erfolgen sollte, was gar keine oder nur extrem geringe Kosten
verursachen dürfte. Punktum. Was ich allerdings am Rande mitbekam:
flugs werden, wie in jeder Startup-Firma, Leute eingestellt, und zwar
eine ganze Menge. Wozu? Na gut, wenn's jemand bezahlt.

Damit die typografischen Standards gehalten werden können, hat Donald
Knuth bekanntlich bereits in den Siebzigern Jahre seines Lebens
geopfert und TeX entwickelt, und zwar für die Druckindustrie, die
zusammen mit den Verlagen gern bereit war, diese Standards im Namen
des technischen Fortschritts über Bord zu werfen. Die Wissenschaftler
haben anschließend gelernt, mit diesem Werkzeug beziehungsweise seiner
Abwandlung LaTeX umzugehen, um den Verlagen wie verlangt druckfertige
Manuskripte zu liefern, kostenlos selbstverständlich, damit diese
damit ihre Gewinne machen können. Die Kapitalrendite war so hoch, daß
selbst Knuth irgendwann auf die Barrikaden gestiegen ist (leider hat
er seinem offenen Brief zum Thema inzwischen gelöscht; sollte dieses
inzwischen erledigt sein?).

Hardware ist bekanntlich extrem billig und wird immer billiger
beziehungsweise leistungsfähiger. Software muß einmal entwickelt
werden und dann eventuell gepflegt. Die benötigte Infrastruktur kann
so schwierig nicht sein. Jeder digitale Text kann jederzeit auf Papier
verewigt werden, notfalls auf dem eigenen Bürodrucker. Komplette
Buchfertigungsstraßen passen heute in einen Kleintransporter und
kosten auch nicht die Welt. Demnächst sollen diese Dinger in allen
Buchhandlungen aufgestellt werden. Wo ist das Problem?

Freilich frage ich mich bei den enormen Kosten, die von der
öffentlichen Hand für Internetdienste gezahlt werden, wo diese Kosten
entstehen (ich meine mich zu erinnern, daß der neue Internetauftritt
der Agentur für Arbeit - der im übrigen vollständig verunglückt ist
und nicht leistet, was er soll - über 20 Mio. ? gekostet haben soll)?
Honorare für Programmierer sind bekannt. Wie viele Programmierer
braucht man, um solche Summen zu verfrühstücken? Die Entwicklung
dieser Anwendungen sollte sich üblicherweise nicht über Jahre
hinziehen. Die Kosten dürften damit sehr überschaubar sein, denn man
kann nicht Hunderte Programmierer an so eine Sache setzen. Wo bleibt
das Geld also?

Open Library beispielsweise beschäftigt im Minimum drei, im Maximum
vielleicht sechs Programmierer, von denen mir nicht bekannt ist, ob
sie Vollzeit-Jobs haben; es wäre durchaus denkbar, daß die das sogar
nach Feierabend machen, ohne Honorar. Ähnlich die Wikipedia; seit sie
groß geworden ist und riesige Serverfarmen betreut werden müssen,
braucht man natürlich eine Handvoll Vollzeitkräfte, aber erst seit
dann.

Sehr viele Open Source-Projekte werden von einem einzigen
Programmierer betreut, die meisten von einer ganz kleinen Gruppe.
Viele solche Projekte haben auch nur eine begrenzte Laufzeit, weil das
Projekt dann nämlich mehr oder weniger abgeschlossen ist und nicht
weiterbetreut werden muß.

Brewster Kahle hat in einem der Interviews, die ich angeführt hatte,
erklärt, wie sparsam er vorgehen muß, und wie sich das in Bezug auf
die Hardware auswirkt, weil er zwar nicht die Mengen an Zugriffen hat,
mit der die Wikipedia klarkommen muß, dafür aber desto mehr
Datenmengen anfallen, angesichts derer man schon schwach werden kann.

Open Access heißt für mich zunächst einmal nur, daß der Zugang mehr
oder weniger öffentlich ist, nicht aber, daß die Infrastruktur günstig
sein muß. Möglicherweise verbirgt sich dahinter sogar ein
Geschäftsmodell, das auf andere Art und Weise erlaubt, Leute
abzuzocken - egal ob das nun die Universitäten sind oder die
Gesellschaft insgesamt ist.

Ich weiß noch, wie entsetzt ich vor Jahren war, als ein früherer
Freund, der sich für eine aufstrebende Partei engagierte, mir ganz
selbstverständlich erklärte, daß es in den Koalitionsverhandlungen
nach dem Wahlsieg vor allen Dingen darum geht, wem welche Pfründe
zugeschustert werden können, daß man bei dieser Gelegenheit wirklich
einmal zulangen kann. Nur so kann ich mir die oben genannten Summen
erklären. Aber möchte ich glauben, daß die Welt so übel gestrickt ist?

Werner Popken



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