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Re: [InetBib] Wikipedia, Google und die Studierenden 2015+





Sehr geehrter Herr Steinhauer,

vielen Dank für Ihre Einschätzung. Ich teile Ihre Meinung voll und ganz.

Viel schlimmer aber, Sie treffen einen ganzen Kern des Bestandsaufbaus: das 
Sachbuch in Öffentlichen Bibliotheken. Die Nachschlageecke gehört bereits der 
Vergangenheit an. Schaut man nach ASB die Bestandsausleihen der letzten Jahre 
an, so erkennt man die Ausleiheinbrüche in ganzen Bereichen. Gesetzestexte 
stellt mir das Justizministerium zur Verfügung. Für Fragen in der EDV gibt es 
Online zu jedem Thema ein Forum. Das gleiche gilt für Haustiere, Hobbys und 
Autos.

Was soll eine Bibliothek denn da noch vorhalten? In welchen Bereichen kann man 
den Bestandsaufbau einstellen? Vielleicht läßt sich die letzte 
Medienetatkürzung sogar damit auffangen. Gehen wir vom PISA-Bildungsauftrag gar 
wieder zurück zur Freizeiteinrichtung?

Die Fragen stelle hoffentlich nicht nur ich mir. "Was ist mein politischer 
Auftrag?" hieß es mal in einer Fortbildung. Wozu braucht man heute noch die 
Stadtbibliothek um die Ecke? Haben Sie Antworten parat?

Die pure Ausleihbibliothek wird in Zukunft kaum noch eine Chance haben. 
Bibliothek ist mehr und das muß verkauft werden. Positive Beispiele sind die 
gelebten Bildungspartnerschaften. Die Schüler kommen nicht mehr nur in die 
Bibliothek, die Mitarbeiter kommen auch in die Schule. Nach 1 Std. in der 11. 
Klasse zum Thema Facharbeiten kommen die Schüler von ganz alleine in die 
Bücherei, nachdem Online bewiesen wurde, was wir leisten können. Sie kennen 
dann die aktuellen Grenzen des Netzes.

Das zeigen wir in allen Schulen und allen Klassen, wenn es gewünscht wird. 
Lesen macht Spaß. Leseförderung und Sachthemen schließen sich nicht aus - das 
ist dann schon bald Jungenleseförderung.

Was kann Bibliothek noch? Wer ein Bibliotheksportal hat kann auch die 
Schulbibliothek oder die Archivbibliothek mit ins System einbinden. Egal, wo 
die Sachen stehen, recherchiert wird im Onlineopac der örtlichen Bücherei. Und 
wenn es da quasi als Zweigstelle hineinkatalogisiert ist, werden die Treffer 
der Bücherei mit angezeigt. Bücherei als örtlicher Dienstleister und 
Querschnittsamt. Noch eine Aufgabe.

Die Senioren treffen sich zum Internetkurs in Zusammenarbeit mit der 
Seniorenbeauftragten der Stadt. Wlan für ungestörtes Arbeiten - wir haben 
durchgehend geheizt! Strom für Laptops gibt es auch noch umsonst!

Die Öffnungszeiten sind dann vielleicht nicht so konkurrenzfähig, aber der 
Medienbriefkasten und die virtuelle Bibliothek werden da bald Besserung 
verschaffen. Dafür sind die Kolleginnen aktiv mit der Vermittlung von 
Medienkompetenz beschäftigt - überall in der Stadt. Das Fazit: Kunden kommen, 
Schüler sind auch darunter.

Doch ich schweife aus und komme zurück zum Thema Sachmedien. Es gibt Bereiche, 
wo das Internet (noch) nicht greift: z.B. Reiseführer, 
Sprachmedienkombinationen, die Wirtschaftsecke (Bilanzen, Kostenrechnung, etc.) 
und die Heimatliteratur. Das wird ausgebaut zuungunsten anderer Bereiche, wo 
das Internet die Fragen beantwortet. Schön, das es das Internet gibt - schön, 
das ab Punkt X die Stadtbücherei einspringt. Wenn wir das auch noch den 
Geldgebern vermitteln ist die öffentliche Bibliothek auch morgen noch nicht von 
gestern.

 

Mit freundlichem Gruß

Gerald Schleiwies

50226 Frechen

http://www.stadtbuecherei-frechen.de [http://www.stadtbuecherei-frechen.de]


*Von:* Internet in Bibliotheken <INETBIB@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
*Gesendet:* 23.10.07 08:50:46
*An:* Internet in Bibliotheken<INETBIB@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
*Betreff:* [InetBib] Wikipedia, Google und die Studierenden 2015+


Liebe Liste,

das Praxisbeispiel vom Kollegen Delin finde ich sehr instruktiv. 
Wenn wir über Bücher vs. Online diskutieren, sollte man die 
Informationsgewohnheiten 
der künftigen Studierenden bedenken. Beobachten kann man dies heute in der 
Grundschule.

Wenn die Kinder hier ein Referat zu einem Thema, sagen wir mal "Wale", zu 
halten haben, ist durchgängig 
die Wikipedia die Quelle der Wahl. Informationskompetenz bei den einzelnen 
Kindern zeigt sich nicht in der Vermeidung
von Wikipedia zugunsten gedruckter Quellen, die gerade im ländlichen Raum 
ohnehin nicht mit vertretbarem Aufwand verfügbar sind, sondern im richtigen 
Zugang und Umgang mit dem Einträgen bei Wikipedia.

Der "Dumme" druckt einfach aus oder schreibt ab.

Der "Informierte" erarbeitet sich zunächst ein Vorverständnis (vielleicht mit 
einem "Was-ist-Was-Buch", das in der Regel aber nicht in aktueller Ausgabe im 
öffentlichen Bücherbestand verfügbar ist, schon gar nicht in Klassenstärke, 
sondern von den Eltern gekauft werden muss), konsultiert dann Wikipedia und 
selektiert die für ihn wichtigen Informationen, die dann mit eigenen Worten 
zusammengefaßt werden.

Der "Profi" geht darüber hinaus, indem er auf anderen guten Webseiten, etwa von 
Organisationen oder öffentlichen Stellen, weitere Inhalte zusammensucht.

Und wo bleiben die Bücher? Bücher werden von dieser Generation zur Lektüre von 
Bellestristik und Literatur sowie zur Grundlageninformation verwendet. Beim 
Heraussuchen von Informationen über ein womöglich sogar aktuelles Thema, 
spielen sie keine Rolle.

Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass der für die Kinder verfügbare 
öffentliche Bücherbestand zur intensiven Recherche vollkommen unzureichend ist. 
In großen Städten mag das anders aussehen. Gleichwohl werden unsere 
Studierenden 2015+ die Schule mit eingefahrenen Online-Recherchegewohnheiten 
verlassen. Für die meisten gilt: Was nicht im Netz ist, existiert nicht. 

Man mag dies belächeln, aber die Aussage wird immer richtiger. 

Auch wenn es riskant ist, mediengeschichtliche Parallelen zu ziehen, scheint 
mir unsere Zeit eine Zeit des Übergangs zu sein, vergleichbar der 
spätantik-frühmittelalterlichen Epoche des Umschreibens der schriftlichen 
Überlieferung von Papyrus auf Pergament. Natürlich verschwanden die Papyri 
nicht sogleich, auf lange Sicht aber war das, was nicht umgeschrieben wurde, 
für die weitere kulturelle Überlieferung nicht mehr präsent. Ich denke, mit den 
online verfügbaren Informationen wird es ähnlich gehen. Das Nutzerverhalten der 
künftigen Studierenden jedenfalls nimmt diese Entwicklung eindrucksvoll vorweg.

Letztlich werden Bücher natürlich nicht verschwinden. Sie werden sich da 
behaupten, wo sie praktisch sind. So war es immer und mit allen neuen Medien. 
Sie verdrängen die alten nur soweit, aber dann auch gewiss, wo sie praktischer 
sind als das Vorhandene. Und hier sollte man gerade beim Thema "Buch vs. 
Online" durchaus die hybride Form ins Kalkül ziehen. Bei umfangreichen Texten 
sind Online und Buch allein für sich genommen nicht sonderlich praktisch, 
beides zusammen aber eine große Arbeits- und Rechercheerleichterung. 

Eric Steinhauer

        



        
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Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.