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Re: [InetBib] Wikipedia, Google und die Studierenden 2015+
- Date: Tue, 23 Oct 2007 12:56:44 +0200 (CEST)
- From: Eric Steinhauer<eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Wikipedia, Google und die Studierenden 2015+
Lieber Herr Dudeck,
die Frage der künftigen Sichtbarkeit von Informationen, die online stärker sein
wird als offline,
impliziert keinen Fortschrittsoptimismus. Diese Entwicklung ist an sich
neutral. Wie Sie richtig bemerken, ist das Wissen der meisten Schüler (von mir
aus auch Studenten, Menschen im allgemeinen) flach. Andererseits bietet die
sehr reichhaltige Online-Welt enorme Wissenschancen. Der entscheidende Punkt
ist nur, wie kommt man dazu, diese Wissenschancen auch zu realisieren.
Hier ist kein naiver Optimismus am Platz. Lesen Sie einmal die Mediendebatten
bei der Einführung des Fernsehens nach. Bildung für alle, etc. Man kennt diese
Lobeshymnen. Gekommen ist das Unterschichten-TV.
Andererseits sollte man auch keinen Kulturpessimismus verbreiten. Gerade das
Internet ist im Gegensatz zum Fernsehen ein höchst differenziertes Medium. Sie
können den ganzen Tag auf Pornoseiten herumsurfen, aber auch in Inkunabeln
blättern. Das ist letztlich, anders als beim Fernsehen, wo immer ein
entsprechendes Programm verfügbar sein muss, eine Entscheidung des Nutzers.
Realistisch gesehen werden auch in der schönen neuen Online-Welt immer nur
wenige die Möglichkeiten fundierten Wissens tatsächlich nutzen. Die Schüler,
die Sie vor Augen haben, gehören zu der von mir so betitelten Kategorie der
"Dummen": die drucken einfach aus oder coyp&pasten was ihnen (nach welchem
Maßstab eigentlich?) passend erscheint.
Hier wäre nun tatsächlich die Schule als Bildungseinrichtung gefragt, die
Schüler zu besserem Wissenserwerb anzuleiten. Aber wollen die das auch? Wie
sieht es denn in den Elternhäusern aus? Wird gelernt, werden die Kinder zum
Lernen angehalten, weil sie ein Wissen erwerben wollen? Oder will man nicht
einfach nur irgendeine Arbeit bestehen, eine gute Note erzielen, einen
Abschluss machen, einen beruflichen Status einnehmen?
Schöne Übung: Gucken Sie sich doch einmal bei Jurastudenten um. Sie werden
wenige treffen mit einer Leidenschaft für juristische Fragen, für schöne
Argumente, für gerechte Entscheidungen. Stattdessen werden sie eine breite
Masse von Leuten finden, die eine irre Büffelei auf sich nehmen, nicht um
Wissen zu erwerben, nein, um Porsche zu fahren. Am Ende haben Sie den
"promovierten Proleten", der bei jeder Gelegenheit auf seine rite erworbenen
zwei Buchstaben nebst Punkt dahinter Wert legt, ansonsten aber jeder
tiefergehenden juristischen Fachdiskussion geflissentlich aus dem Weg geht.
Wenn das aber so ist, können Sie tun, was Sie wollen. Sie werden, um zur Schule
zurückzukehren, bei den Schülern kein Interesse an Wissen als solchem erwecken.
Dieses Interesse speist sich letztlich aus ganz intrinsischen Motiven und
Leidenschaften, vor allem aus Neugier. Und diese Neugier ist eine unvertretbare
Handlung. Sie ist entweder da oder nicht. Man kann sie stimulieren, aber nicht
erzeugen. Ohne diese Neugier sind alle Visionen der Wissensgesellschaft
letztlich schöne Utopien. Denn ohne diese Neugier ist Wissenserwerb nur ein
notwendiges Übel, um andere Ziele zu erreichen. Wenn sich dann jenseits
anstrengenden Lernens vordergründig erfolgreiche Schleichwege abzeichnen,
werden diese gnadenlos genutzt. Dann sind wir nicht in der schönen neuen
Online-Welt, sondern in der Welt von "Copy, Paste und Plagiat". Aber ganz
ehrlich, war das jemals anders? Oder wird es heute nicht bloß leichter und
einfacher sichtbar.
So, Ich denke das war genug Fortschrittsoptimismus. :))
Eric Steinhauer
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.