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Re: [InetBib] Wikipedia, Google und die Studierenden 2015+



Lieber Herr Dudeck,

die Frage der künftigen Sichtbarkeit von Informationen, die online stärker sein 
wird als offline, 
impliziert keinen Fortschrittsoptimismus. Diese Entwicklung ist an sich 
neutral. Wie Sie richtig bemerken, ist das Wissen der meisten Schüler (von mir 
aus auch Studenten, Menschen im allgemeinen) flach. Andererseits bietet die 
sehr reichhaltige Online-Welt enorme Wissenschancen. Der entscheidende Punkt 
ist nur, wie kommt man dazu, diese Wissenschancen auch zu realisieren. 

Hier ist kein naiver Optimismus am Platz. Lesen Sie einmal die Mediendebatten 
bei der Einführung des Fernsehens nach. Bildung für alle, etc. Man kennt diese 
Lobeshymnen. Gekommen ist das Unterschichten-TV. 

Andererseits sollte man auch keinen Kulturpessimismus verbreiten. Gerade das 
Internet ist im Gegensatz zum Fernsehen ein höchst differenziertes Medium. Sie 
können den ganzen Tag auf Pornoseiten herumsurfen, aber auch in Inkunabeln 
blättern. Das ist letztlich, anders als beim Fernsehen, wo immer ein 
entsprechendes Programm verfügbar sein muss, eine Entscheidung des Nutzers. 

Realistisch gesehen werden auch in der schönen neuen Online-Welt immer nur 
wenige die Möglichkeiten fundierten Wissens tatsächlich nutzen. Die Schüler, 
die Sie vor Augen haben, gehören zu der von mir so betitelten Kategorie der 
"Dummen": die drucken einfach aus oder coyp&pasten was ihnen (nach welchem 
Maßstab eigentlich?) passend erscheint.

Hier wäre nun tatsächlich die Schule als Bildungseinrichtung gefragt, die 
Schüler zu besserem Wissenserwerb anzuleiten. Aber wollen die das auch? Wie 
sieht es denn in den Elternhäusern aus? Wird gelernt, werden die Kinder zum 
Lernen angehalten, weil sie ein Wissen erwerben wollen? Oder will man nicht 
einfach nur irgendeine Arbeit bestehen, eine gute Note erzielen, einen 
Abschluss machen, einen beruflichen Status einnehmen? 

Schöne Übung: Gucken Sie sich doch einmal bei Jurastudenten um. Sie  werden 
wenige treffen mit einer Leidenschaft für juristische Fragen, für schöne 
Argumente, für gerechte Entscheidungen. Stattdessen werden sie eine breite 
Masse von Leuten finden, die eine irre Büffelei auf sich nehmen, nicht um 
Wissen zu erwerben, nein, um Porsche zu fahren. Am Ende haben Sie den 
"promovierten Proleten", der bei jeder Gelegenheit auf seine rite erworbenen 
zwei Buchstaben nebst Punkt dahinter Wert legt, ansonsten aber jeder 
tiefergehenden juristischen Fachdiskussion geflissentlich aus dem Weg geht. 

Wenn das aber so ist, können Sie tun, was Sie wollen. Sie werden, um zur Schule 
zurückzukehren, bei den Schülern kein Interesse an Wissen als solchem erwecken.

Dieses Interesse speist sich letztlich aus ganz intrinsischen Motiven und 
Leidenschaften, vor allem aus Neugier. Und diese Neugier ist eine unvertretbare 
Handlung. Sie ist entweder da oder nicht. Man kann sie stimulieren, aber nicht 
erzeugen. Ohne diese Neugier sind alle Visionen der Wissensgesellschaft 
letztlich schöne Utopien. Denn ohne diese Neugier ist Wissenserwerb nur ein 
notwendiges Übel, um andere Ziele zu erreichen. Wenn sich dann jenseits 
anstrengenden Lernens vordergründig erfolgreiche Schleichwege abzeichnen, 
werden diese gnadenlos genutzt. Dann sind wir nicht in der schönen neuen 
Online-Welt, sondern in der Welt von "Copy, Paste und Plagiat". Aber ganz 
ehrlich, war das jemals anders? Oder wird es heute nicht bloß leichter und 
einfacher sichtbar. 

So, Ich denke das war genug Fortschrittsoptimismus. :))

Eric Steinhauer



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