[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
[InetBib] www.was-verlage-leisten.de - hier: angeblicher Rosinenkuchen
- Date: Mon, 27 Nov 2006 13:06:49 +0100
- From: christian.sprang@xxxxxx
- Subject: [InetBib] www.was-verlage-leisten.de - hier: angeblicher Rosinenkuchen
Lieber Herr Steinhauer,
zu Ihrer in dieser Liste veröffentlichten Auseinandersetzung mit den Texten auf
unserer Website www.zweiter-korb.de folgende Replik:
Zeitschriftenangebot künstlich aufgebläht
Sie kritisieren, dass das Angebot wissenschaftlicher Zeitschriften künstlich
aufgebläht und überteuert sei. Wie Sie wissen, gilt für Wissenschaftler die
Regel „publish or perish“. Wenn die Mittel für die Forschungsförderung wachsen
– und das tun sie seit Jahren weltweit -, dann wächst auch die Zahl die
Forschungsergebnisse und damit der Publikationsdruck auf die Verlage und/oder
open access-Anbieter. Entsprechend wachsen die absolute Zahl wissenschaftlicher
Zeitschriften / OA-Websites und die Umfänge dieser Zeitschriften bzw. die Zahl
der OA angebotenen Titel.
Warum diese Aufblähung „künstlich“ sein soll, erschließt sich mir nicht.
Natürlich führt dieses Phänomen dazu, dass sich irgendwie und irgendwo ein
„dirty low end of publishing“ bildet (übrigens im OA-Bereich genauso wie bei
den Journals). Geschieht dies bei Verlagsangeboten, liegt Ihre Funktion als
Bibliothekar darin, durch Ihr Bestellverhalten dafür zu sorgen, dass
Zeitschriften, bei denen das Preis-Leistungsverhältnis nicht stimmt, keine
Nachfrage finden. Seien Sie sicher, dass es diese Zeitschrift dann nicht mehr
lange geben wird, wenn es dem Verlag nicht gelingt, sie nachhaltig zu
verbessern und attraktiv zu machen. Ob es im OA-Bereich eine ähnlich schnelle
und wirkungsvolle Regulierung gibt, weiß ich übrigens nicht.
Zeitschriftenangebot überteuert
In den letzten drei Jahren hat sich die durchschnittliche jährliche
Preissteigerungsrate bei wissenschaftlichen Zeitschriften weltweit um etwa
sieben Prozent bewegt. Dies entspricht der Kumulation des jährlichen weltweiten
Zuwachses von veröffentlichten Forschungsergebnissen von knapp vier mit der
durchschnittlichen Inflationsrate in den USA von etwa drei Prozent. Wenn das
„Überteuerungen“ sind, dann wüsste ich nicht, wie diese bei OA-Angeboten
ausbleiben sollten. Der Verlag Wiley VCH hat im vergangenen Jahr gut 30 Prozent
mehr eingesandte Beiträge bei seinen wissenschaftlichen Zeitschriften
verzeichnet mit der Folge, dass er aufgrund erhöhter Kosten und einer erhöhten
Ablehnungsrate seine Zeitschriftenpreise erhöhen musste. Aber auch der
OA-Anbieter, der bisher jeden zweiten eingereichten Artikel veröffentlicht hat
und wegen vermehrter Einsendungen oder zur Erhöhung seiner impact rate die
Ablehnungsquote verdoppelt, wird den Autoren höhere Kosten auferlegen m
üssen. (Jedenfalls, wenn er den durch die abgelehnten Artikel veröffentlichten
Aufwand auf jene Autoren abwälzt, deren Forschungsergebnisse veröffentlicht
werden. Wenn jeder Autor unabhängig von einer späteren Veröffentlichung seines
Artikels eine Gebühr zur Kostendeckung zahlt, stellt sich dieses Problem nicht.
Dafür muss der Autor bei diesem Modell die Kosten faktisch aus eigener Tasche
zahlen, wenn er seiner Anstellungs- oder Förderorganisation nicht begründen
will, warum die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse abgelehnt wurde.)
Staatlich angeordneter open access?
Sie stellen in Abrede, dass hinter den Bemühungen des Kulturausschusses des
Bundesrats um die Ergänzung von § 38 UrhG der Wunsch steckt, open
access-Veröffentlichungen dienstrechtlich anordnen zu können.
Zunächst einmal stimme ich Ihnen zu, dass es hochgradig verfassungswidrig wäre,
wenn der Staat dies täte. Anders als Sie würde ich aus diesem Umstand aber
nicht herleiten, dass darin nicht dennoch die Motivation für den
Änderungsvorschlag zu § 38 UrhG liegt. Bereits der ursprüngliche Vorschlag aus
den Reihen der Kultusministerkonferenz (vgl. Pflüger/Ertmann, ZUM 2004, 436
ff.) zielte darauf ab, über eine Änderung des § 43 UrhG den
Anstellungskörperschaften von Professoren und Mitarbeitern
öffentlich-rechtlicher Forschungseinrichtungen ein gesetzliches Recht auf open
access-Veröffentlichung auf ihren Websites zu verschaffen. Nachdem sich dieser
Plan aufgrund des verfassungsrechtlich begründeten Widerstands als zunächst
nicht durchsetzbar erwies, wurde errsatzweise der § 38 UrhG-E lanciert. Dass
sich an dem Wunsch und Willen der KMK, § 38 UrhG-E mit einer Verpflichtung
angestellter Wissenschaftler zu OA-Veröffentlichungen via Dienstvertrag zu
koppeln, nichts
geändert hat, sollten Sie sich vielleicht von Dr. Pflüger aus dem
baden-württembergischen Kultusministerium einmal persönlich bestätigen lassen.
Aber auch wenn man diese zweite Ebene hinweg denkt, überzeugt § 38 UrhG-E
nicht. Welchen Forscher bringt es ernsthaft weiter, auf nicht zitierfähige
Veröffentlichungen frei zugreifen zu können? Lassen sich im Hinblick darauf,
dass § 38 UrhG-E letztlich nur das bewirkt, Investitionen in eine solche
OA-Parallelwelt rechtfertigen, oder sollte man die Gelder nicht lieber in die
Zugänglichmachung zitierfähiger Versionen stecken? Zumal sich die notwendigen
Investitionen wohl zu einem nicht geringen Teil darauf richten würden, den
unter § 38 UrhG-E veröffentlichten Artikel mit dem dazu gehörigen Original in
Verbindung zu stellen, um auf diese Weise Investitionen und Renommee des
ursprünglichen Veröffentlichungsortes zu schmarotzen.
Wenn man sich unter www.sherpa.com ansieht, dass der weit überwiegende Teil der
Verlage und wissenschaftlichen Gesellschaften in den schnelllebig
publizierenden Wissenschaften längst den grünen Status erreicht hat, muss aber
vor allem die Frage gestattet sein, ob § 38 UrhG-E nicht ein Problem löst, dass
sich in der Praxis längst nicht mehr stellt. Offensichtlich hat die „Abstimmung
mit den Füßen“ der Wissenschaftler, die von ihrem Verlag eine liberale
Einstellung zu post-print-Veröffentlichungen erwarten, doch längst
stattgefunden und den Markt gezwungen, auf breiter Front zu reagieren.
Retrodigitalisierung älterer Zeitschriftenjahrgänge
Mit einigem Witz weisen Sie auf einen scheinbaren Widerspruch in der
Argumentation auf www.zweiter-korb.de hin. Dort wird tatsächlich sowohl
hervorgehoben, dass viele Verlage ihre (Zeitschriften-)Bestände bis ins 19.
Jahrhundert retrodigitalisiert haben, als auch die geplante Schaffung einer
Vorschrift zur erleichterten Digitalisierung geschützter Werke durch den
ursprünglichen Vertragspartner des Autors (§ 137l UrhG-E) unterstützt.
Dieser Widerspruch lässt sich allerdings mit einem Blick in
www.nationallizenzen.de auflösen. Dort kann man nämlich feststellen, dass es im
Wesentlichen die angloamerikanischen Verlage sind, die ihre backfiles digital
anbieten, weil dies von der dortigen Rechtsordnung ermöglicht wird.
Zeitschriften deutscher Wissenschaftsverlage sind dagegen so gut wie nicht
vertreten, weil dies aufgrund der derzeitigen urheberrechtlichen Situation –
die auch das DigiZeitschriften-Projekt nicht löst, sondern geflissentlich
ignoriert – nicht mit zumutbarem Aufwand möglich ist.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Sprang
(Börsenverein)
Liebe Liste,
der Börsenverein hat auf seiner Seite ein rhetorisch sehr anerkennenswertes
Dokument mit seiner Sicht der Dinge zum Zweiten Korb und zu Open Access
plaziert.
http://www.was-verlage-leisten.de/images/stories/faqs%20gesamtversion%20061030.pdf
Nach der Lektüre kommt man sich als Bibliothekar richtig schlecht vor, wenn man
gar noch durch sein Engagement für OA schuld daran ist, wenn wichtige
Innovationen der traditonsreichen Verlage unterbleiben.
Nach dieser ersten Verstimmung zeigt ein zweiter Blick aber, daß der
Börsenverein einen leckeren Rosinenkuchen in den Zweiten Korb gelegt hat. Man
kann die Dinge so sehen, wie dort beschrieben. Nur vollständig ist diese Sicht
nicht. Hier ein paar Eindrücke, ganz subjektiv natürlich und nicht vollständig.
"Wissenschaftler in den Bereichen Technik, Naturwissenschaften und Medizin
(sog. STM-Segment) lesen heute 44% mehr Artikel als vor 25 Jahren und nutzen
dabei doppelt so viele Zeitschriften. Haben sie 1977 im Schnitt 150 Artikel
gelesen, sind es heute 216. Dabei sind die Kosten pro genutztem Artikel
dramatisch gesunken.7 Die Artikel stammten 1977 aus 13 Zeitschriften, heute aus
23. ... Für kleinere Bibliotheken, die früher im Schnitt 106 gedruckte
Zeitschriften abonniert hatten, hat sich mit 1221 die Zahl der zugänglichen
Zeitschriften vervielfacht."
Hm, wenn man im STM-Bereich aber nur 23 Titel braucht, reichen 106 doch
vollkommen aus. Es scheint, als will der Börsenverein für "Porschefahren in der
Spielstraße" werben. Das Zeitschriftenangebot ist künstlich aufgebläht und
daher überteuert.
Die Kritik zu § 38 UrhG des Bundesratsentwurfs ist ein hübscher Juristentrick à
la "Legt ihr's nicht aus, so legt ihr's unter":
"Verfolgt wird vielmehr das Ziel, alle in öffentlichen
Beschäftigungsverhältnissen stehenden wissenschaftlichen Autoren separat
(arbeitsvertraglich) zu verpflichten, ihre Beiträge in einem repository
abzuliefern."
Das ist nun tatsächlich Blödsinn. Das vorgeschlagene
Zweitveröffentlichungsrecht gibt allein dem Autor die Möglichkeit, anderweitig
und eben auch OA zu publizieren. Von einer Pflicht dazu ist überhaupt nicht die
Rede. Bei Wissenschaftlern können derartige Pflichten arbeitsvertraglich oder
dienstrechtlich wegen Art. 5 III 1 GG (Wissenschaftsfreiheit) gar nicht
begründet werden. So jedenfalls die ganz h.M. Ich darf hier verweisen auf: Jörg
Geerlings, Urheberrechtliche Konfliktlagen des Beamten im Dienstverhältnis, in:
DÖD 2006, H. 9, S. 195-199, besonders S. 197.
"Um den Verwertungsstau von älteren Werken in digitalen Medien zu lösen
(„Hebung der Archivschätze“), wird in § 137 l UrhG-E eine Übergangsregelung für
solche Nutzungsarten eingeführt, die zwischen dem Inkrafttreten des
Urheberrechtsgesetzes im Jahre 1966 und der jetzigen Novelle neu erfunden
worden sind. Zur Nutzung berechtigt werden dabei solche Vertragspartner, denen
ein Urheber alle wesentlichen Nutzungsrechte ausschließlich sowie räumlich und
zeitlich unbegrenzt eingeräumt hat, sofern der Urheber der Nutzung nicht
widerspricht."
Dazu möchte ich auf den hervorragenden Aufsatz von Spindler und Heckmann
verweisen:
Der rückwirkende Entfall unbekannter Nutzungsrechte (§ 137 I UrhG-E) - Schließt
die Archive?, in: ZUM 2006, H. 8/9, S. 620-630.
http://bibliotheksrecht.blog.de/2006/09/15/unbekannte_nutzungsrechte_in_korb_zwei~1127500
Wie gesagt, das Papier des Börsenvereins ist rhetorisch sehr gut. Besonders
beeindruckt hat mich die Argumentation, daß die neuen technischen Entwicklungen
die erhöhten Bezugspreise für Zeitschriften rechtfertigen. Es geht nicht um
Gewinne der Verlage. Nein, es geht um Investitionen in die
Informationsinfrastruktur. Das ist also die richtige Optik.
Dazu gehört dann wohl auch dies:
"Um dafür die Möglichkeiten moderner Digitaltechnologien optimal zu nutzen,
haben die wissenschaftlichen Fachverlage in den vergangenen 10 Jahren ganz
erheblich in die neuen Medien investiert. Mittlerweile sind viele Verlage im
Stande, digitalisierte Fassungen ihrer Zeitschriften bis zurück ins 19.
Jahrhundert anzubieten."
Als Vorschlag zur rhetorischen Verbesserung des Papiers sollte angesichts des
noch nicht in Kraft befindlichen § 137 l UrhG-E dieses Argument nicht fehlen:
"Die Verlage konnten diese Anstrengung nur leisten, weil sie alle Autoren der
vor 1995 erschienenen Artikel bzw. ihre Rechtsnachfolger mit hohem Aufwand
ausfindig gemacht und ihr Einverständnis eingeholt haben." Ja, und
bewundernswert, daß keiner widersprochen hat. Oder, habe ich da etwas falsch
verstanden...
;-)
Eric Steinhauer
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.