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Re: [InetBib] Anhoerung im Rechtsausschuss 20.11.06



Lieber Herr Kuhlen, liebe Liste,

zu Ihrem Bericht über die Anhörung im Deutschen Bundestag zu den geplanten 
neuen Urheberrechtsschranken eine Präzisierung und eine Anmerkung.

Mein heftiger Protest in der Anhörung richtete sich gegen die Behauptung von 
Herrn Prof. Hilty, der deutsche Wissenschaftsverlagsmarkt werde nur noch zu 5 
Prozent von deutschen Verlagen bedient. Dass diese Behauptung schreiend falsch 
ist, müsste Herr Hilty selbst am besten wissen. Wo sind die 95 Prozent 
ausländischer Publikationen in den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, wo 
sind sie in den Geisteswissenschaften, wo im Monographien- und Lehrbuchmarkt 
insgesamt? In all diesen Bereichen hätte man wohl eher Mühe, auf 5 Prozent 
nicht von Verlagen in Deutschland publizierten Werken zu kommen. Selbst bei 
Subito, das überwiegend Bestellungen von Artikeln aus STM-Zeitschriften erhält, 
kommen immerhin noch 13 Prozent der versandten Dokumente aus deutschen Verlagen.

Es spricht Bände, wenn sich der Direktor des Max-Planck-Institut für 
Urheberrecht solcher Behauptungen bedient, um damit zu belegen, dass „die 
deutschen Verlage“ eben das falsche Geschäftsmodell hätten und es deshalb nicht 
schlimm sei, wenn sie bei der geplanten Urheberrechtsnovelle auf der Strecke 
blieben. Letztlich ist es der Beleg dafür, dass manche Wissenschaftler in 
eigener Sache nicht sine irae et studio vorgehen, sondern Ideologien 
durchsetzen und Politik machen wollen.

Das scheint auch beim Urheberrechtsbündnis der Fall zu sein, in dessen 
Pressemitteilung sorgsam alle Argumente und Aspekte ausgespart werden, die bei 
der Anhörung gegen die ideologisch korrekte Meinung der (bzw. des?) 
Protagonisten vorgetragen wurden. Wenn Sie schon Herrn Hilty in extenso 
zitieren, dann hätten Sie bspw. auch dessen sehr bedenkenswerten Argumente 
gegen eine open access-Politik des Staates qua Urheberrecht referieren können. 
Die aber passen eben nicht in Ihr Weltbild und werden daher unterdrückt – für 
ein Bündnis, das sich für Urheberrecht und Wissenschaft einzusetzen verheißt, 
finde ich das eigentlich schade.

Herzliche Grüße

Christian Sprang
(Börsenverein)


-------- Original-Nachricht --------
Datum: Mon, 20 Nov 2006 16:56:37 +0100
Von: Rainer Kuhlen <rk_iw@xxxxxx>
An: Internet in Bibliotheken <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Betreff: [InetBib] Anhoerung im Rechtsausschuss 20.11.06

Schon mal zur Vorabinformation

R.Kuhlen

Pressemitteilung 18/06
vom 20. November 2006


Die kritischen und konstruktiven Argumente liegen alle auf dem Tisch - 
aber der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags scheint  skeptisch 
gegenüber freizügigeren Regelungen für Bildung und Wissenschaft im 
Urheberrecht zu bleiben und verschanzt sich hinter den Vorgaben der EU

Als rhetorisch  nahm Prof. Hilty vom Max-Planck-Institut u.a. für 
Geistiges Eigentum die Frage von MdB Jörg Tauss auf, ob denn die jetzige 
Vorlage der Bundesregierung bildungs- und wissenschaftsfreundlich sei. 
"Sicherlich nicht ..." - nachdem schon vorher Prof. Kuhlen, Sprecher des 
Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft", an die 
Abgeordneten appelliert hatte, der Bundesregierung zu helfen - zu 
helfen, ihr im Koalitionsvertrag festgelegtes Ziel zu erreichen, nämlich 
ein "bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht" zu schaffen. 
Um den Versuch, im Bereich Bildung, Wissenschaft und Kopienversand 
vernünftige Schranken zu formulieren, also im öffentlichen Interesse 
erforderliche  Einschränkungen der an sich exklusiven Rechte der Urheber 
bzw. Verwerter an den öffentlich gemachten Werken, ging es bei Teil III 
der Anhörung im Rechtsausschuss am 20. November in Berlin.

Hilty sah den Auftrag nicht als zufriedenstellend gelöst, dem 
öffentlichen Interesse an einer produktiven Wissenschaft und einem 
leistungsfähigen Bildungssystem auch im Urheberrecht Geltung zu 
verschaffen. Natürlich bestehe ein Anspruch auf die Sicherung dessen, 
was geistiges Eigentum genannt wird, aber der Gesetzgeber müsse dem 
stärker Rechnung tragen, dass Bildung und Wissenschaft in weitaus 
höherem Maße dem öffentlichen Interesse entsprechen als dies die
private 
Informationswirtschaft tue und tun könne. Märkte im Bereich Bildung und 
Wissenschaft sind keine klassischen Märkte, in dem durch Konkurrenz und 
Wettbewerb attraktive Angebote entstehen und eine angemessene 
Preispolitik betrieben würde. Das Produkt "Information" ist eben nicht 
austauschbar. Wenn ein Wissenschaftler einen bestimmten Artikel 
benötigt, dann braucht er diesen und kann nicht auf ein anderes Angebot 
zurückgreifen, wenn er den benötigten Artikel nicht bekommen oder nicht 
bezahlen kann. Wissenschaftliche Märkte tendieren daher zu  
Monopolmärkten mit fast beliebig festgelegten hohen Preisen vor allem 
für die Zeitschriftenprodukte. Dass dies nicht im öffentlichen Interesse
liegen kann, zeigt die dramatische Preisentwicklung, die die 
Bibliotheken außer Stande setzt, ihre Kunden noch ausreichend mit der 
benötigten Fachliteratur zu versorgen.

Ob das letztlich nur ein fiskalisches Problem sei, wurde mehrfach 
gefragt - nein, auch hier Hilty, auf Monopolmärkten nutze es nichts, 
wenn mehr Geld bereitgestellt würde, der Monopolist hole dann ab, was 
abzuholen ist. Im übrigen, so erneut Hilty, würden durch die 
Rechtezuweisung an die kommerzielle Verwertung kaum die deutschen 
Verlage geschützt - ihr Anteil am Wissenschaftsmarkt betrüge gerade mal 
5% (wogegen Dr. Sprang vom Börsenverein heftig protestierte) -, vielmehr 
würde dadurch nur die derzeitige 30%-ige Rendite der global operierenden 
internationalen Verlage gesichert. Frau Prof. Beger vom Deutschen 
Bibliotheksverband wies auf die außerordentliche ökonomische Bedeutung 
der Bibliotheken besonders für die Verlage hin - Bibliotheken geben 
jährlich etwa € 450 Millionen für Kauf und Lizenz der 
Informationsobjekte aus. Aus Sicht von Bildung und Wissenschaft ist es 
allerdings schwierig, dass sich die Bibliotheksverbände offensichtlich 
mit dem Börsenverein auf einen Deal bezüglich § 52b einigen wollen und 
die Dokumentlieferung letztlich über einen Lizenzvertrag regeln wollen. 
Prof. Kuhlen kritisierte diesen sich abzeichnenden Deal und wies auf die 
unsinnigen, Außenstehenden kaum begreiflich zu machenden Regelungen vor 
allem in § 52b hin:

Der Gesetzgeber will eine sogenannte On-the-spot-Regelung vorsehen, d.h. 
elektronische Bestände der Bibliotheken sollen nur an den in den 
Bibliotheken speziell dafür vorgesehenen Arbeitsplätzen eingesehen 
werden können. Die hohen Investitionen in lokale Netzwerke in den 
Hochschulen und die elektronische Ausstattung am Arbeitsplatz dürfen für
die informationelle Absicherung der Arbeit nicht genutzt werden. Nicht 
die Information solle zu den Nutzern kommen, vielmehr werden die Nutzer 
gezwungen, zur Information zu gehen und zwar zu den Nutzungszeiten der 
Bibliotheken. Nicht einzusehen sei, warum die Bibliotheken auch nur die 
eigenen Bestände digital bereitstellen dürfen und nicht auch die mit 
öffentlichen Mitteln schon gekauften Bestände anderer Bibliotheken. In 
einer kleinen Hochrechnung machte Prof. Kuhlen zudem deutlich, dass die 
Beschränkung des Kopienversands auf Post, Fax oder grafische Dateien 
wegen der damit verbundenen Medienbrüche - URLs in den Texten muss man 
abschreiben, kann sie nicht kopieren oder gar direkt anklicken, Zitate 
können nicht übernommen werden - gut €50 Millionen kosten werde - nur 
wenn man davon ausgeht, dass jede/r der ca. 250.000 
Wissenschaftler/innen in Deutschland nur einmal in der Woche mit solchen 
unbrauchbaren Dateien konfrontiert wird und dass dies nur 5 Minuten 
zusätzlichen Aufwand kostet. Prof. Kuhlen legte für das 
Urheberrechtsbündnis einen entsprechenden Alternativvorschlag für den §
52b vor.

An dieser Kritik an den verschiedenen Einschränkungen der Schranken 
entspann sich eine Diskussion, inwieweit der Bundestag überhaupt noch 
frei sei, sich, wie bei der On-the-spot-Regelung empfohlen, von den 
Vorgaben der EU-Richtlinie von 2001 zu entfernen. Einige, wie Prof. 
Spindler und die Vertreter der Verlagswirtschaft, sahen dabei Probleme 
wegen möglicher Verletzungen des Dreistufentests und der EU-Vorgaben. 
Prof. Schack empfahl in einer Mischung aus Skepsis und Mut eine kreative 
Auslegung der EU-Vorgaben (z.B. um auch eine campusweite Nutzung von 
Informationsobjekten als noch virtuelle  Bibliotheksnutzung zu retten). 
Prof.Kuhlen wies darauf hin, dass die EU-Richtlinie ohnehin 2007 einer 
Evaluierung mit wahrscheinlichen Revisionskonsequenzen unterzogen würde. 
Es sei nicht sinnvoll, jetzt entgegen dem Interesse der deutschen 
Öffentlichkeit an offensichtlich unsinnigen EU-Vorgaben kleben zu
bleiben.

Die Rechte der Urheber vor allem auch gegenüber den kaum im Interesse 
der Urheber/Autoren zahlungswilligen Verlagen  wurden vehement von Prof. 
Pfennig von der für Bildobjekte zuständigen Verwertungsgesellschaft 
(Zentralstelle für private Überspielungsrechte) vertreten. Wolfgang 
Schimmel mahnte beim Gesetzgeber an, dass dieser schon dafür sorgen 
müsse, dass bei den Schranken, die im Prinzip ja im Interessen von 
Bildung und Wissenschaft für sinnvoll gehalten werden, die entsprechende 
Entgelte tatsächlich und zeitnah eingenommen werden und an die Urheber 
ausgezahlt werden können. Einige Pluspunkte sammelte Andreas Baer, der 
die Bildungsmedien und damit auch die Schulbuchverlage mit ihrem reichen 
Mehrwertangeboten vertrat. Seinem Anliegen, diesen Anbietern mit hohen 
Investitionskosten ihre ohnehin knappen Märkte zu sichern, fand 
weitgehend Zustimmung - auch wenn ungeklärt bleibt, wie das mit den 
umfänglichen Investitionen der öffentlichen Hand in universitäre 
E-Learning-Projekte zusammengehen soll, die auf freizügige Nutzung der 
publizierten Materialien angewiesen sind.

Lange wurde auch diskutiert, inwieweit Open Access die Grundlage für 
neue, elektronischen Räumen angemessene Organisations- und sogar 
Geschäftsmodelle für elektronisches Publizieren bzw. Bereitstellen von 
mit öffentlichen Mitteln erzeugtes Wissen sein wird. Tatsächlich haben 
sich alle großen Wissenschaftsorganisationen in Deutschland auf Open 
Access verpflichtet und auch international setzt die Wissenschaft quasi 
als Selbsthilfe auf das Open-access-Prinzip, nach dem die Nutzung von 
mit öffentlichen Mitteln produzierten Wissensobjekten  frei ist und die 
Kosten die Urheber bzw. ihre sie tragenden Institutionen tragen sollen. 
Inwieweit dies in schon absehbare Zeit durchgängige Akzeptanz bei den 
Wissenschaftlern finden wird, wenn sie durch Gesetz oder durch 
Förderanreize (wie durch die DFG derzeit schon) quasi gezwungen werden, 
nicht mehr bevorzugt in den kommerziellen Journalen zu veröffentlichen, 
darüber bestand keine Einhelligkeit. Bedauert wurde allerdings, dass 
sich der Gesetzgeber (hier das BMJ) bislang geweigert hat, 
Open-Access-Regelungen, z.B. über Anpassungen des § 38 Urhebergesetz, 
aufzunehmen. Dies sei heute angesichts der internationalen Entwicklungen 
dringend erforderlich - verwiesen wurde z.B. auf den derzeit zur 
Diskussion stehenden Federal Research Public Act in den USA.

Ob die Anhörung die Mitglieder des Rechtsausschusses dazu bringen wird, 
noch einmal an die Schranken in Bereich Bildung, Wissenschaft und 
Kopienversand Hand anzulegen, bleibt abzuwarten. Bildung und 
Wissenschaft sind auf freizügigen Umgang mit Wissen und Information 
angewiesen. Gesellschaft und Wirtschaft sind auf leistungsfähige 
Bildungs- und Wissenschaftsbereiche angewiesen. Die Lage sollte also 
eigentlich klar sein.

Rainer Kuhlen
Sprecher des Aktionsbündnis ,,Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"

Das Aktionsbündnis ,,Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" 
(http://www.urheberrechtsbuendnis.de/) wurde 2004 im Zusammenhang mit 
der Novellierung der Urheberrechtsgesetzgebung in Deutschland gegründet. 
Das Aktionsbündnis setzt sich für ein ausgewogenes Urheberrecht ein und 
fordert für alle, die zum Zweck von Bildung und Wissenschaft im 
öffentlichen Raum tätig sind, den freien Zugang zur weltweiten 
Information zu jeder Zeit von jedem Ort. Grundlage des Aktionsbündnisses 
ist die Göttinger Erklärung zum Urheberrecht für Bildung und 
Wissenschaft vom 5. Juli 2004. Diese Erklärung wurde unterzeichnet von 
sechs Mitgliedern der Allianz der Wissenschaftsorganisationen 
(Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V., 
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V., 
Hochschulrektorenkonferenz, Max-Planck-Gesellschaft, 
Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V. und 
Wissenschaftsrat), von über 300 wissenschaftlichen Fachgesellschaften, 
Informationseinrichtungen und Verbänden sowie von mehr als 4.900 
Einzelpersönlichkeiten. Sprecher des Aktionsbündnis sind Prof. Kuhlen 
(Konstanz), Prof. Beger (Hamburg), Dr. Degkwitz (Cottbus). Weitere 
Informationen über Nachfrage an: rainer.kuhlen at uni-konstanz.de, beger 
at sub.uni-hamburg.de und degkwitz at tu-cottbus.de

Frühere Pressemitteilungen des Aktionsbündnis unter : 
http://www.urheberrechtsbuendnis.de/links.html.de

Impressum
Prof. Dr. Rainer Kuhlen
c/o Universität Konstanz
Postfach D-87
D-78457 Konstanz
Tel +49-(0) 7531-88-2879   Fax +49-(0) 7531-88-2048
rainer.kuhlen at uni-konstanz.de  www.urheberrechtsbuendnis.de



-- 
Prof. Dr. Rainer Kuhlen
UNESCO Chair in Communication
Department of Computer & Information Science - University of Konstanz
D-78457 konstanz - Box D87
email: rainer.kuhlen@xxxxxxxxxxxxxxx; URL: http://www.kuhlen.name
Phone Univ.: +49 (0)7531 - 882879; Fax: +49 (0)7531 882048
Berlin: +49 (0)30 27594241; Fax: +49 (0)30 27594260
Mobile +49 0171 452 7010


* Speaker of the Coalition "Intellectual Property Rights for
  Education and Science" -   http://www.urheberrechtsbuendnis.de/
* Member of the Committee for Information and Communication
  of the German Commission for UNESCO
* Executive Board of HI (Society for Information Science e.V.)
* Chair of NETHICS e.V. (Ethics in the Net) - www.nethics.net





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Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.