Schon mal zur Vorabinformation
R.Kuhlen
Pressemitteilung 18/06
vom 20. November 2006
Die kritischen und konstruktiven Argumente liegen alle auf dem Tisch -
aber der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags scheint skeptisch
gegenüber freizügigeren Regelungen für Bildung und Wissenschaft im
Urheberrecht zu bleiben und verschanzt sich hinter den Vorgaben der EU
Als rhetorisch nahm Prof. Hilty vom Max-Planck-Institut u.a. für
Geistiges Eigentum die Frage von MdB Jörg Tauss auf, ob denn die jetzige
Vorlage der Bundesregierung bildungs- und wissenschaftsfreundlich sei.
"Sicherlich nicht ..." - nachdem schon vorher Prof. Kuhlen, Sprecher des
Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft", an die
Abgeordneten appelliert hatte, der Bundesregierung zu helfen - zu
helfen, ihr im Koalitionsvertrag festgelegtes Ziel zu erreichen, nämlich
ein "bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht" zu schaffen.
Um den Versuch, im Bereich Bildung, Wissenschaft und Kopienversand
vernünftige Schranken zu formulieren, also im öffentlichen Interesse
erforderliche Einschränkungen der an sich exklusiven Rechte der Urheber
bzw. Verwerter an den öffentlich gemachten Werken, ging es bei Teil III
der Anhörung im Rechtsausschuss am 20. November in Berlin.
Hilty sah den Auftrag nicht als zufriedenstellend gelöst, dem
öffentlichen Interesse an einer produktiven Wissenschaft und einem
leistungsfähigen Bildungssystem auch im Urheberrecht Geltung zu
verschaffen. Natürlich bestehe ein Anspruch auf die Sicherung dessen,
was geistiges Eigentum genannt wird, aber der Gesetzgeber müsse dem
stärker Rechnung tragen, dass Bildung und Wissenschaft in weitaus
höherem Maße dem öffentlichen Interesse entsprechen als dies die
private
Informationswirtschaft tue und tun könne. Märkte im Bereich Bildung und
Wissenschaft sind keine klassischen Märkte, in dem durch Konkurrenz und
Wettbewerb attraktive Angebote entstehen und eine angemessene
Preispolitik betrieben würde. Das Produkt "Information" ist eben nicht
austauschbar. Wenn ein Wissenschaftler einen bestimmten Artikel
benötigt, dann braucht er diesen und kann nicht auf ein anderes Angebot
zurückgreifen, wenn er den benötigten Artikel nicht bekommen oder nicht
bezahlen kann. Wissenschaftliche Märkte tendieren daher zu
Monopolmärkten mit fast beliebig festgelegten hohen Preisen vor allem
für die Zeitschriftenprodukte. Dass dies nicht im öffentlichen Interesse
liegen kann, zeigt die dramatische Preisentwicklung, die die
Bibliotheken außer Stande setzt, ihre Kunden noch ausreichend mit der
benötigten Fachliteratur zu versorgen.
Ob das letztlich nur ein fiskalisches Problem sei, wurde mehrfach
gefragt - nein, auch hier Hilty, auf Monopolmärkten nutze es nichts,
wenn mehr Geld bereitgestellt würde, der Monopolist hole dann ab, was
abzuholen ist. Im übrigen, so erneut Hilty, würden durch die
Rechtezuweisung an die kommerzielle Verwertung kaum die deutschen
Verlage geschützt - ihr Anteil am Wissenschaftsmarkt betrüge gerade mal
5% (wogegen Dr. Sprang vom Börsenverein heftig protestierte) -, vielmehr
würde dadurch nur die derzeitige 30%-ige Rendite der global operierenden
internationalen Verlage gesichert. Frau Prof. Beger vom Deutschen
Bibliotheksverband wies auf die außerordentliche ökonomische Bedeutung
der Bibliotheken besonders für die Verlage hin - Bibliotheken geben
jährlich etwa € 450 Millionen für Kauf und Lizenz der
Informationsobjekte aus. Aus Sicht von Bildung und Wissenschaft ist es
allerdings schwierig, dass sich die Bibliotheksverbände offensichtlich
mit dem Börsenverein auf einen Deal bezüglich § 52b einigen wollen und
die Dokumentlieferung letztlich über einen Lizenzvertrag regeln wollen.
Prof. Kuhlen kritisierte diesen sich abzeichnenden Deal und wies auf die
unsinnigen, Außenstehenden kaum begreiflich zu machenden Regelungen vor
allem in § 52b hin:
Der Gesetzgeber will eine sogenannte On-the-spot-Regelung vorsehen, d.h.
elektronische Bestände der Bibliotheken sollen nur an den in den
Bibliotheken speziell dafür vorgesehenen Arbeitsplätzen eingesehen
werden können. Die hohen Investitionen in lokale Netzwerke in den
Hochschulen und die elektronische Ausstattung am Arbeitsplatz dürfen für
die informationelle Absicherung der Arbeit nicht genutzt werden. Nicht
die Information solle zu den Nutzern kommen, vielmehr werden die Nutzer
gezwungen, zur Information zu gehen und zwar zu den Nutzungszeiten der
Bibliotheken. Nicht einzusehen sei, warum die Bibliotheken auch nur die
eigenen Bestände digital bereitstellen dürfen und nicht auch die mit
öffentlichen Mitteln schon gekauften Bestände anderer Bibliotheken. In
einer kleinen Hochrechnung machte Prof. Kuhlen zudem deutlich, dass die
Beschränkung des Kopienversands auf Post, Fax oder grafische Dateien
wegen der damit verbundenen Medienbrüche - URLs in den Texten muss man
abschreiben, kann sie nicht kopieren oder gar direkt anklicken, Zitate
können nicht übernommen werden - gut €50 Millionen kosten werde - nur
wenn man davon ausgeht, dass jede/r der ca. 250.000
Wissenschaftler/innen in Deutschland nur einmal in der Woche mit solchen
unbrauchbaren Dateien konfrontiert wird und dass dies nur 5 Minuten
zusätzlichen Aufwand kostet. Prof. Kuhlen legte für das
Urheberrechtsbündnis einen entsprechenden Alternativvorschlag für den §
52b vor.
An dieser Kritik an den verschiedenen Einschränkungen der Schranken
entspann sich eine Diskussion, inwieweit der Bundestag überhaupt noch
frei sei, sich, wie bei der On-the-spot-Regelung empfohlen, von den
Vorgaben der EU-Richtlinie von 2001 zu entfernen. Einige, wie Prof.
Spindler und die Vertreter der Verlagswirtschaft, sahen dabei Probleme
wegen möglicher Verletzungen des Dreistufentests und der EU-Vorgaben.
Prof. Schack empfahl in einer Mischung aus Skepsis und Mut eine kreative
Auslegung der EU-Vorgaben (z.B. um auch eine campusweite Nutzung von
Informationsobjekten als noch virtuelle Bibliotheksnutzung zu retten).
Prof.Kuhlen wies darauf hin, dass die EU-Richtlinie ohnehin 2007 einer
Evaluierung mit wahrscheinlichen Revisionskonsequenzen unterzogen würde.
Es sei nicht sinnvoll, jetzt entgegen dem Interesse der deutschen
Öffentlichkeit an offensichtlich unsinnigen EU-Vorgaben kleben zu
bleiben.
Die Rechte der Urheber vor allem auch gegenüber den kaum im Interesse
der Urheber/Autoren zahlungswilligen Verlagen wurden vehement von Prof.
Pfennig von der für Bildobjekte zuständigen Verwertungsgesellschaft
(Zentralstelle für private Überspielungsrechte) vertreten. Wolfgang
Schimmel mahnte beim Gesetzgeber an, dass dieser schon dafür sorgen
müsse, dass bei den Schranken, die im Prinzip ja im Interessen von
Bildung und Wissenschaft für sinnvoll gehalten werden, die entsprechende
Entgelte tatsächlich und zeitnah eingenommen werden und an die Urheber
ausgezahlt werden können. Einige Pluspunkte sammelte Andreas Baer, der
die Bildungsmedien und damit auch die Schulbuchverlage mit ihrem reichen
Mehrwertangeboten vertrat. Seinem Anliegen, diesen Anbietern mit hohen
Investitionskosten ihre ohnehin knappen Märkte zu sichern, fand
weitgehend Zustimmung - auch wenn ungeklärt bleibt, wie das mit den
umfänglichen Investitionen der öffentlichen Hand in universitäre
E-Learning-Projekte zusammengehen soll, die auf freizügige Nutzung der
publizierten Materialien angewiesen sind.
Lange wurde auch diskutiert, inwieweit Open Access die Grundlage für
neue, elektronischen Räumen angemessene Organisations- und sogar
Geschäftsmodelle für elektronisches Publizieren bzw. Bereitstellen von
mit öffentlichen Mitteln erzeugtes Wissen sein wird. Tatsächlich haben
sich alle großen Wissenschaftsorganisationen in Deutschland auf Open
Access verpflichtet und auch international setzt die Wissenschaft quasi
als Selbsthilfe auf das Open-access-Prinzip, nach dem die Nutzung von
mit öffentlichen Mitteln produzierten Wissensobjekten frei ist und die
Kosten die Urheber bzw. ihre sie tragenden Institutionen tragen sollen.
Inwieweit dies in schon absehbare Zeit durchgängige Akzeptanz bei den
Wissenschaftlern finden wird, wenn sie durch Gesetz oder durch
Förderanreize (wie durch die DFG derzeit schon) quasi gezwungen werden,
nicht mehr bevorzugt in den kommerziellen Journalen zu veröffentlichen,
darüber bestand keine Einhelligkeit. Bedauert wurde allerdings, dass
sich der Gesetzgeber (hier das BMJ) bislang geweigert hat,
Open-Access-Regelungen, z.B. über Anpassungen des § 38 Urhebergesetz,
aufzunehmen. Dies sei heute angesichts der internationalen Entwicklungen
dringend erforderlich - verwiesen wurde z.B. auf den derzeit zur
Diskussion stehenden Federal Research Public Act in den USA.
Ob die Anhörung die Mitglieder des Rechtsausschusses dazu bringen wird,
noch einmal an die Schranken in Bereich Bildung, Wissenschaft und
Kopienversand Hand anzulegen, bleibt abzuwarten. Bildung und
Wissenschaft sind auf freizügigen Umgang mit Wissen und Information
angewiesen. Gesellschaft und Wirtschaft sind auf leistungsfähige
Bildungs- und Wissenschaftsbereiche angewiesen. Die Lage sollte also
eigentlich klar sein.
Rainer Kuhlen
Sprecher des Aktionsbündnis ,,Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"
Das Aktionsbündnis ,,Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"
(http://www.urheberrechtsbuendnis.de/) wurde 2004 im Zusammenhang mit
der Novellierung der Urheberrechtsgesetzgebung in Deutschland gegründet.
Das Aktionsbündnis setzt sich für ein ausgewogenes Urheberrecht ein und
fordert für alle, die zum Zweck von Bildung und Wissenschaft im
öffentlichen Raum tätig sind, den freien Zugang zur weltweiten
Information zu jeder Zeit von jedem Ort. Grundlage des Aktionsbündnisses
ist die Göttinger Erklärung zum Urheberrecht für Bildung und
Wissenschaft vom 5. Juli 2004. Diese Erklärung wurde unterzeichnet von
sechs Mitgliedern der Allianz der Wissenschaftsorganisationen
(Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.,
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V.,
Hochschulrektorenkonferenz, Max-Planck-Gesellschaft,
Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V. und
Wissenschaftsrat), von über 300 wissenschaftlichen Fachgesellschaften,
Informationseinrichtungen und Verbänden sowie von mehr als 4.900
Einzelpersönlichkeiten. Sprecher des Aktionsbündnis sind Prof. Kuhlen
(Konstanz), Prof. Beger (Hamburg), Dr. Degkwitz (Cottbus). Weitere
Informationen über Nachfrage an: rainer.kuhlen at uni-konstanz.de, beger
at sub.uni-hamburg.de und degkwitz at tu-cottbus.de
Frühere Pressemitteilungen des Aktionsbündnis unter :
http://www.urheberrechtsbuendnis.de/links.html.de
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* Chair of NETHICS e.V. (Ethics in the Net) - www.nethics.net
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