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Re: [InetBib] Was Verlage sich leisten
- Date: Thu, 09 Nov 2006 17:41:19 +0100
- From: Löw Luise von <loew@xxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Was Verlage sich leisten
Vielen Dank, Herr Dr. Eberhardt!
Heute (9.11.2006) gibt es wieder zum Urheberrecht einiges in den Zeitungen: (H.
Prantl spricht mit B. Zypries in der Süddt. Zeitung und mehrere Artikel in der
ZEIT).
Beste Grüße,
Luise von Löw
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Joachim Eberhardt
Gesendet: Dienstag, 7. November 2006 07:48
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Was Verlage sich leisten
Liebe Frau Löw,
habe der FR einen Leserbrief geschrieben am 31.10.:
Leserbrief zu Artikel vom 28.10.2006:
Das kulturelle Tafelsilber
URL:
http://www.fr-aktuell.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton?em_cnt(tm)8934
Absender : Dr. Joachim Eberhardt
...
Leserbrief :
Prof. Höffe ist sicher ein großer Kantkenner. Aber man braucht nicht nur
bei Kant Sachkenntnis und Aufmerksamkeit. So hilft bei der Frage des
Urheberrechts die Rechtsphilosophie und der Begriff des "Verbrechers"
wenig, mehr der genaue Blick auf das, worum es in der Novelle geht.
Etwas mehr als die Wiederholung der Propaganda der Verlage sollte man
vom logikfesten Philosophen schon erwarten!
Höffes zentrale These, auf der das übrige aufbaut, lautet (wenn man die
Rhetorik beiseite lässt):
"Es liegt auf der Hand, dass die Verbreitung durch die Bibliotheken
mittels Bildschirmen die Verkäufe der entsprechenden Bücher und
Zeitschriften erheblich einschränken wird".
1. Ist das so? 2. Wollen Bibliotheken und Museen das überhaupt?
Ad 1. Buchstabieren wir die verschwiegenen Prämissen aus.
Weil Bibliotheken die Bücher auf Bildschirmen präsentieren dürfen,
werden weniger Bücher gekauft. Wer kauft weniger Bücher? Die Bibliotheken?
Bibliotheken kaufen in der Regel Bücher ohnehin nicht mehrfach, es sei
denn, für eine Lehrbuchsammlung oder wegen großer Nachfrage in der
Ausleihe. Beide Zwecke würden kaum durch eine Bildschirmpräsentation in
der Bibliothek befriedigt. Bibliotheken würden darum nicht auf den Kauf
von Büchern verzichten, nur weil sie diese zusätzlich digital anbieten
dürften.
Wie steht es mit den Nutzern der Bibliothek? Kaufen die vielleicht ein
Buch nicht, weil es in der Bibliothek am Bildschirm zu lesen ist? --
Eine absurde Vorstellung; eher noch dürfte man vermuten, dass die
Möglichkeit zur Ausleihe manchen Bibliotheksbenutzer vom Kauf abhält.
Aber das müsste man mal empirisch untersuchen und nicht einfach solche
Zusammenhänge behaupten!
Ad 2. Der Gesetzgeber irrt sich womöglich darin, dass eine solche
Möglichkeit den Betroffenen, also z.B. Bibliotheken, überhaupt attraktiv
erscheint; soll heißen: er baut eine Schranke in das Urheberrecht ein,
an welcher Forschung und Wissenschaft womöglich kein Interesse haben.
Gehen wir davon aus, dass 1 Seite zu digitalisieren 25 Cent kostet
(diese Angabe orientiert sich an den Preisen eines
Digitalisierungsauftrags): dann würde die Möglichkeit, ein
100-Seiten-Buch an mehreren Leseplätzen anzubieten -- wo es weder
ausgedruckt noch auf den privaten USB-Stick der Benutzer übertragen
werden dürfte -- 25 Euro kosten; Höffes letztes Buch "Wirtschaftsbürger,
Staatsbürger, Weltbürger" aus dem Beck-Verlag mit seinen 309 Seiten
77,25 Euro. Ganz schön viel angesichts der Tatsache, dass man das Buch
gebraucht bereits für 7 Euro bekommt!
Noch ein Wort zu den Pflichtstücken: etwas, dass die Verlage über Gebühr
aufbauschen. In der Regel gibt ein Verlag 4 Exemplare seiner Publikation
im Rahmen des Pflichtexemplarrechts ab: zwei an die Deutsche
Nationalbibliothek, wo sie im Lesesaal zu benutzen sind. (Daran würde
sich nichts ändern, wenn die Nationalbibliothek außerdem im Lesesaal
Terminals aufstellen würde; allenfalls würden die Werke geschont, was ja
dem Auftrag der Nationalbibliothek entspricht.) Die andern zwei bleiben
im Bundesland, in dem der Verlag seinen Standort hat; der Münchener
Beck-Verlag würde Höffes Werk also der Bayerischen Staatsbibliothek
übergeben. Wie es den Absatz gefährdet, dass dort sein Buch auch in
Terminals im Lesesaal gelesen werden könnte (falls sich die
Staatsbibliothek die Mühe der Digitalisierung machen würde, eigentlich
haben die dort wichtigeres zu tun), bleibt sein Geheimnis. In jedem Fall
sorgt die Bayerische Staatsbibliothek dafür, dass Höffes Buch auch noch
in 500 Jahren den Interessierten zur Verfügung steht: deutlich länger
als die Halbwertszeit seiner Argumentation!
Dr. Joachim Eberhardt
Wissenschaftlicher Bibliothekar
Löw Luise von schrieb:
Perlentaucher/Frankfurter Rundschau, 28.10.2006:
Der Philosoph Otfried Höffe sieht mit der nutzerfreundlichen Novellierung des
Urheberrechts den Untergang des Abendlands, wenn nicht gar der
Wissenschaftsverlage heraufziehen: "Vermutlich noch einschneidender ist das
Vorhaben, den Eigentumsschutz bei der Terminalnutzung in Bibliotheken enden
zu lassen: Öffentliche Bibliotheken, Museen und Archive sollen künftig jedes
Werk aus ihren Beständen, selbst ein kostenlos überlassenes Pflichtstück, an
beliebig vielen elektronischen Leseplätzen zugänglich machen. Es ist keine
Panikmache der wissenschaftlichen Verlage, dass ein Gutteil von ihnen dadurch
in ihrer Existenz bedroht wird. Mitbedroht sind Autoren und Buchhändler."
Was sagen die BibliothekarInnen dazu?
Luise von Löw
München
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.